NetArt: Links
(Chronologie)
in English
in alphabetischer Reihenfolge
Plattformen für NetArt:
- Looped:
25 dänische Künstler präsentieren seit 16. Oktober 1998 Loops mit
wenigen und kurzen Sequenzen (Video, Animation, Text, Ton). Die Loops
werden laufend ausgetauscht. Die Plattform, die jemand (Mette Sandbye
für "Artnode") machen musste! (3/2003; 10/2009: nicht
mehr im Netz)
- The 5k:
Der Web Designer Stewart Butterfield installierte im Herbst 1999 "the
5K" (5120 bytes) als Plattform für Einsendungen von Beiträgen
aller Art für einen Wettbewerb. Die Einsendungen sollen nicht mehr
als 5k Daten betragen und dürfen nicht Server-seitige Generierung
einsetzen. Die Jury des seit 2000 jährlich neu ausgetragenen Wettbewerbes
wertet "function", "aesthetics", "concept"
und "size score"/"entries overall". Das Preisgeld
ist mit 5120 US Cents ein symbolischer Betrag: Cent=Bytes. Die archivierten
Beiträge konnten auch von UserInnen bewertet und kommentiert werden.
Die Plattform "is entirely non-commercial and does not accept sponsorship
or advertising" (3/2003; 6/2006: nur noch eine Platzhalter-Homepage
ohne Archiv gefunden; 1/2020 nicht mehr im Netz).
- Singlecell
und Doublecell:
"Doublecell" (2.12.2002) ist die zweite, konzeptuell modifizierte
Ausgabe von "Singlecell" (2001): Die beiden Plattformen von
Golan Levin stellen Projekte mit
Director, Flash und eigener Software (in C++, Java, Lingo und ActionScript)
vor. In "Singlecell" sind fast alle Projekte nicht mehrschichtig
(ohne Links zu mehreren Seiten) und die Werkfläche sind meist nicht
in Frames aufgeteilt: Die beim Öffnen der verschiedenen Beiträge
erscheinende Oberfläche bleibt die Grundlage aller abrufbaren Funktionen.
Präsentiert werden reaktive Animationen oder Movies, mit und ohne
Ton, in "Singlecell" aus amorphen und teils anthropomorphen
Formen. Hervorragendes Computational Design von Ed Burton, Danny Brown,
Peter Cho, Joshua Davis, Juha Huuskonen, Golan Levin, Lia, Casey Reas,
Jared Schiffman, Manny Tan, James Tindall, Martin Wattenberg und anderen
(3/2003).
- Carnivore:
"Carnivore" wurde am 1.Oktober 2001 von RSG (Radical Software
Group) auf der Website von Rhizome
als Plattform installiert. Die Plattform enthält Beiträge von Cory
Arcangel, Area3, Jonah Brucker-Cohen, Vuk Cosic, Mark Daggett, Joshua
Davis, Entropy8EntropyZuper!, Lisa Jevbratt, Golan Levin, Mark Napier,
RSG, Scott Sona Snibbe und anderen. Diese "client applications"
(Java Applets und Flash-Movies) sind Visualisierungen von (transformierten
Teilen der) mit einem Programm von RSG in einem lokalen Netzwerk gesammelten
Daten ("packet-sniffing"). Das von Ethernet angeregte Programm
"CarnivorePE" (für Windows seit 6.4.2002) wird als Open
Source Software zum Download angeboten. So könnten auch Angestellte
ihre Vorgesetzten kontrollieren, doch: Die Verarbeitung des Datenverkehrs
in einem lokalen Netzwerk orientiert sich in den Beiträgen für
"Carnivore" primär an ästhetischen Kriterien, weniger
an Dechiffrierbarkeit.
RSG greift mit "CarnivorePE" den Namen des FBI-Programms "Carnivore"
(Bezeichnung für DCS1000)
zur Überwachung des internationalen Netzverkehrs (mittels Stichworten)
auf. Dies führte bei der Jury des Prix
Ars Electronica 2002 (Abteilung "Net Vision", Preis: Goldene
Nica) zur Behauptung, "Carnivore PE" sei "based on the
FBI's software for monitoring network traffic", was die Jury des
Read-Me Festival 1.2
zu einer Gegendarstellung provozierte: "The relationship of Rhizome´s
Carnivore to the FBI´s spying tool of the same name seems to be
a matter of concept and hipness-value, but it is not very obvious (3/2003.
Im Mai 2015 führte die URL-Adresse der Plattform nur noch zum Source
Code von Carnivore; 1/2020: "Version 8" mit "Processing
Library").
- Soundtoys:
Die von Steve Tanza Oktober 2001
gegründete Website stellt audiovisuelle Projekte vor. UserInnen
können die Visualisierung oder/und die Klänge durch Cursorbewegungen
und/oder Klicks und/oder Eingaben beeinflussen. Neben Spielen (z. B.
Steve Tanza, Peter Luining) werden digitale Klanginstrumente (z. B.
Ixi/Thor Magnusson und Enrike Hurtado, Chris Yewell) und nicht reaktive
Arbeiten (z. B. Tina LaPorta) vorgestellt. Tanza wandte die audiovisuellen
Möglichkeiten der Spielzeuge in einem Index an, der die Projekte
als verschiebbare Häuser auf einer Karte vorführt und die
Cursorbewegung über die Häuser mit Tonbegleitung ausstattet.
Dieser Index verschwand mit dem Re-Design der Site Februar 2006. Er
wurde unter anderem durch einen Tag
Navigator von Neil Jenkins (5/2013: nicht gefunden) und einen Content
Navigator von Adam Hoyle und Julian Baker ersetzt. Stanza hat seinen
Index in Inner
City (5/2013: nicht gefunden) wieder verwendet, jetzt mit Links
zu eigenen Werken.
Das Journal enthält
Beiträge über die Geschichte und das Theorie-Umfeld der Soundtoys.
Alle KünstlerInnen werden in Interviews vorgestellt, inklusive
KünstlerInnen wie
Amy Alexander, Jim Andrews, Corby & Baily, Golan Levin oder Adrian
Ward, zu deren Arbeiten auf anderen Sites Links führen. Da Konnektivität
bei diesen geschlossenen audiovisuellen Systemen keine Rolle spielt,
wird in den Interviews die Frage
des besseren Mediums zur Verbreitung CD-ROM oder Internet
thematisiert (3/2003, 6/2006, 5/2013, 5/2015).
- Kingdom
of Piracy <KOP>:
KOP thematisiert Copyleft/Copyright Probleme, wie sie in Konflikten
zwischen VertreterInnen des Netzideals der unbegrenzten Connectivity
inklusive freiem Download und den Copyright-Ansprüchen (Downloadsperren
gegen Privatkopie etc.) der Software- und Unterhaltungsindustrie ausgetragen
werden. Letztere gefährden mit ihren Regulierungsansprüchen
die Netzarchitektur: "Data Lords" contra "Digital Commons"
(Curatorial
Statement). Die drei Writing
Projects 2002 verdeutlichen den Ernst der Probleme.
Zunächst wurde KOP von der ACER Group in Taiwan unterstützt.
Im April 2002 änderte sich die Führung von ACER und die taiwanesische
Regierung startete eine Anti-Piracy Campagne. Die taiwanesische Pilot-Site
(ab Dezember 2001) wurde Mitte Juni 2002 aufgegeben, nachdem die Führung
des Acer
Digital Arts Center die Kontrolle der Links und eine Änderung
des Titels der Plattform forderte. Die Kuratoren Shu Lea Cheang, Armin
Medosch und Yukiko Shikata gaben nicht nach. Sie fanden 2002 im Ars
Electronica Center einen neuen Server für KOP
(nicht mehr im Netz). FACT in Liverpool
richtete Februar 2003 eine erweiterte Site ein. Projekte von BEIGE,
Shu Lea Cheang, Eastwood, Espenschied/Freude/Milles,
Olia Lialina, Graham Harwood/Mongrel, Uebermorgen, Raqs Media Collective,
RSG, www.0100101110101101.ORG
und anderen verfolgen die Ziele des Projektes mit unterschiedlichen
Strategien (3/2003).
Das Projekt "DIVE" (2003) konzentriert sich auf die konzeptuelle,
Software- und prozessorientierte Seite von Netzprojekten. DIVE ist im
Netz
abrufbar und wurde von FACT auf CD-ROM (mit Buch, Medosch, Armin (Hg.):
DIVE. An Introduction into the World of Free Software and Copyleft Culture.
FACT, Liverpool/Virtualcentre-Media.net 2003, ISBN 0-9541604-9-5) publiziert.
Der Server der Site (für Download) wie die CD-ROM enthalten eine
Reihe von Netzprojekten in der "Art"-Rubrik,
darunter Browser wie I/O/Ds Webstalker
und Nullpointers "Webtracer" oder epidemiCs "Antimafia"
für die aktivistische Verwendung von Peer-to-Peer, The Yes Mens
Reamweaver
für die Erstellung modifizierter Spiegelsites, Double Negatives´
"plaNet Former" u. a. Andere Seiten geben über Copyleft-Lizenzen
und Freie Netzwerke Einführungen (mit Links). Texte von Armin Medosch
(s.u.), Janko Röttgers, RAQs Media Collective
(s.u.), Saul Albert und Lawrence Chua vertiefen
die Zusammenhänge, die "Kingdom of Piracy" untersucht.
Mit DIVE ist "Kingdom of Piracy" zur umfangreichsten und konzeptuell
prägnantesten Plattform für Zusammenhänge zwischen Free
Software, Netzaktivismus und NetArt geworden (2/2004; 1/2020: Nur noch
die Version
des Dutch Electronic Festivals von 2003 (DEAF 03) ist im Web abrufbar).
- whitneybiennial.com:
Peter Lunenfeld und Milton
Manetas kamen in einem Gespräch auf die Idee, zu prüfen,
ob das Whitney Museum of American
Art alle URL-Adressen besitzt, die mit der Whitney Biennale in Verbindung
gebracht werden können. Da die URL-Adresse www.whitneybiennial.com
frei war, konnte die Idee einer Plattform als Erweiterung der (und Alternative
zur) Whitney Biennial
2002 mit einem Domain-Namen konkretisiert werden, die die Absicht
erkennen lässt und für Hits sorgt.
Michael Rees schuf mit Turntable
ein Tool als Flash Application, für die 12
KünstlerInnen bis zu sechs Flash Movies aus anderen Animationen
remixt haben. Die Animationen können in "Turntable" mehrfach
abgerufen, modifiziert und verschieden plaziert werden. Manovich hat
in Generation
Flash 1/3 (s.u.)
die Charakteristika von "Turntable" mit den Stichworten "Loop"
und "Sample" beschrieben und diese als Teil einer "remix
culture" vorgestellt. Außerdem enthält die Erstfassung
der Plattform ein bis fünf Flash-Animationen von 122
KünstlerInnen.
Zur Eröffnung der Whitney Biennial am 7.3.2002 sollten 23 Sattelschlepper
mit Monitoren für die Präsentation der Plattform vor dem Whitney
Museum of American Art vorfahren. Matthew Mirapaul kündigte diese
Alternativveranstaltung zur Eröffnungsgala am 4.3.2002 in der New
York Times an. Die Wartenden fanden keine Sattelschlepper, sondern wurden
von Whitneybiennial.com zu einer Party in Chelsea geladen.
Die Plattform ist nach der Whitney Biennial 2002 um eine zweite
Netzpräsentation erweitert worden, die in einer simulierten Ausstellung
über Hotspots hinter Bildern 22 Animationen und Spiele öffnet. Der Projektcharakter
der Plattform und ihre Offenheit für neue Initiativen wird gegen
das zeitlich begrenzte Kunstereignis der Biennale-Ausstellung ausgespielt
(2/2004).
Parallel zur Whitney
Biennial 2004 hat Mai Ueda
eine Linkliste
aus 42 Thumbnails mit Screenshots (mit Links zu großen Screenshots,
auf denen die URL-Adressen der Homepages von Netzprojekten erkennbar
sind) als Werkauswahl im Sinne einer Gruppenausstellung erstellt. Im
Vergleich zu der Plattform, die das auf der Whitney Biennial von 2002
Fehlende enthält, ist die Linkliste von 2004 jedoch dürftig,
da sie nicht mehr als ein Netz-Feature mit Bildinformationen über
eine Gruppe von Netzprojekten ist (3/2004).
- CODeDOC
:
Die Online-Galerie Artport
des Whitney Museum of American Art
in New York stellt in "CODeDOC" (seit September 2002, kuratiert
von Christiane Paul) kleinere Arbeiten vor. Paul bestimmte,
dass die Arbeiten Bewegungen zwischen drei Raumpunkten herstellen und
8 kb nicht überschreiten sollen. HTML und FlashScript entfielen,
um die Zahl der KünstlerInnen zu begrenzen. Die Website führt
UserInnen zuerst zum Quellcode (C++, Java, Lingo, Perl, Visual Basic)
eines Beitrags, dann zur Browserpräsentation. Außerdem kommentierten
die beteiligten amerikanischen KünstlerInnen (Sawad Brooks, Mary
Flanagan, Alex Galloway, John Klima, Golan Levin, Kevin McCoy, Mark
Napier, Brad Paley, Scott Snibbe, Camille Utterback, Martin Wattenberg
und Maciej Wisniewski) die Beiträge ihrer KollegInnen (3/2003).
Für die Ars
Electronica 2003 in Linz (Ars Electronica
Center und Brucknerhaus, September 2003) organisierte Christiane
Paul mit CODeDOC
II eine Plattform für europäische KünstlerInnen (Ed
Burton, epidemiC, Graham Harwood, Jaromil, Annja Krautgasser & Rainer
Mandl, Jean Leandre, Antoine Schmitt und John F. Simon jr.) (2/2004).
- Banner Art Collective:
Die Website "Banner Art Collective" wurde von Brandon Barr
(Konzept) und Garrett Lynch (Design) im Oktober 2002 eingerichtet. Ihr
Archiv enthält über hundert Banner. Rein graphische Banner
und solche mit witzigen und/oder aktivistischen Botschaften werden zur
Integration in Webseiten angeboten. Die Banner stammen von teilweise
bekannten KünstlerInnen (z. B. Agricola de Cologne, Gerhard Mantz,
Millie Niss, Jim Punk) und StudentInnen. HTML-Befehle zur Integration
in Webseiten werden mitgeliefert. Künstler, die Banner einbringen
wollen, werden auf die Interactive
Advertising Standards des Interactive Advertising Bureaus verwiesen.
Ein Banner
Art Collective's Artist Kit erleichtert die Arbeit mit diesen Standards
(3/2003. 9/2011: URL-Adresse
existiert nicht mehr, siehe die Kopie der Site im
Internet Archive, welche die Dateien der Banner nicht enthält).
- Illegal Art:
Die Wanderausstellung "Illegal Art: Freedom and Expression in the
Corporate Age" (Kuratorin: Carrie McLaren) präsentierte von
November 2002 bis 2004 zahlreiche Beispiele für Formen der Wiederverwendung
von urheberrechtlich geschütztem Bild- oder Tonmaterial. Für
Rechtsschutz sorgte (unter anderen) Chilling
Effects Clearinghouse, eine Vereinigung, in der die Electronic
Frontier Foundation und die juristischen Fakultäten von fünf
amerikanischen Universitäten zusammenarbeiten.
Die Website der Ausstellung stellt Filmausschnitte, Animationen, Musik
und Ausstellungsobjekte zum Teil mit ihrer Rechtsgeschichte
vor: Einige Prozesse waren während der Ausstellung noch nicht abgeschlossen
(3/2003).
2004 wurden auf der Homepage
der ehemaligen Wanderausstellung aktuelle Fälle gemeldet, so zum
Beispiel "The Grey Album" von DJ Danger Mouse und eine neue
Hörspur zu "Harry Potter and the Sorcerer´s Stone"
von Brad Neely (mit Links und Downloads, 6/2004).
(s. Kapitel (Il)legal
Art in Von
Radical Software zum Netzaktivismus) (2/2004; 5/2013: Filme archiviert
in Internet Archive)
- The Wartime Project:
Andrew Forbes reagierte im November 2002 auf die Szenarien eines amerikanischen
Angriffs auf den Irak und initiierte "The Wartime Project".
Er rief Netzkünstler zu Beiträgen auf, "um an das Grauen
und an die Zerstörungskraft eines Krieges zu erinnern." Die
Website enthielt 133 Projekte (Dezember 2002 bis Februar 2004). Ein
Großteil der Projekte verwendeten Spiel- oder Animationssoftware.
Die Werke illustrierten die Kriegswelt Bushs `überaffirmativ´
(z. B. lokiss) oder parodierten
sie (entropy8zuper!,
Evgenij Vasilev). Andere Beiträge fielen
in den kritischen Bereich `Ästhetisierung der Politik´ (microbo
und bo130). Die Bewegung der Kriegsgegner wurde in einigen Projekten
vorgestellt, um zu weiteren Aktionen zu motivieren (Ruth
Catlow). Einige Künstler nutzten die Möglichkeit, ihre
Werke auf dem Server des "Wartime Project" zu deponieren,
andere setzten Links zu kriegskritischen Projekten auf ihren Sites.
Das Projekt war ein wichtiger Teil des Anti-War
Web Rings (3/2003, 8/2003, 2/2004, 10/2009: Site "zur Zeit"
nicht erreichbar, 5/2015: Server nicht auffindbar, 9/2022: wieder im Web).
- runme.org:
Das "software art repository" stellt Netzprojekte mit abladbaren
Systemen vor, darunter auch Tools für Eigenkreationen. Die Rubriken
werden durch einen Index und ein Hypertext-Schlagwortsystem erschlossen.
Rubriken wie bots
and agents und political
and activist software sind äußerst informativ. Die Plattform
enthält auch viele Links zu Projekten auf anderen Sites. Doch wurde
runme.org offensichtlich im Januar 2003 als Archiv angelegt, das Websites
programmierender Künstler überdauern soll. KünstlerInnen
wird die offene, aber moderierte Plattform als Möglichkeit für
Netzpräsentationen angeboten. Die besten der bis 1. März 2003
eingereichten, in runme.org abgespeicherten Projekte wurden in Read-me
2.3 in Helsinki (Universität für Kunst und Design, Media
Centre Lume, 30.-31.5.2003) vorgestellt (3/2003, 8/2003).
- Translocations:
Das Walker Art Center in Minneapolis
begleitet die Ausstellung How
Latitudes become Forms (9.2.-4.5.2003) mit der Plattform "Translocations"
(Kurator Steve Dietz). KünstlerInnen aus Brasilien, China, Kroatien,
Indien, Japan, Mexiko, Singapur, Südafrika, Türkei und U.S.A.
erhielten Aufträge für neun Netzprojekte.
Fran Ilichs Webblog Big(b)Other
und Re:combos Translocal
Mixer ermöglichen Wort- und Tonkooperationen über weite
Distanzen. Beide Projekte führen bereits normale Netzpraxis in
Varianten vor, die an den Projektrahmen angepasst sind. In Translocal
Channel werden ein südafrikanisches Video-Archiv und Vortragsabende
zu Globalisierungsfragen sowie eine Diskussion über "Gobal
Curating" als Streaming Video vorgeführt und archiviert.
In diesen Reigen themenorientierter Veranstaltungen mit Netzerweiterungen
fügt sich Sawad Brooks´ und Warren Sacks Translation
Map nur scheinbar. UserInnen können Beiträge an Sites
schicken, von denen sie mit der Bitte um Übersetzung an Netzforen
weiter geschickt werden. (Betaversion
0.02). Die Idee, einen "collaborative re-writing process"
durch "a multi-protocol message delivery system" zu unterstützen,
hat wenig Aussichten auf eine erfolgreiche Realisation: Die Probleme
der Überwindung von Sprachbarrieren bleiben auch im Netz erhalten.
Raqs Opus (Open Platform
for Unlimited Signification) offeriert ein für Downloads offenes
Forum und knüpft damit an die Netzutopie der überall und für
alle verfügbaren Dateien und Software an (Außerdem in "Translocations":
Andreja Kuluncic´s Distributive
Justice: America: s. Lektion
13) (3/2003).
- Processing:
Die Plattform enthält seit Mai 2003 Beispiele (mit Source Code)
von Jonah Brucker-Cohen, Brendan Dawes, Mikkel Crome Koser, Golan Levin,
Lia, Mark Napier, Josh On, Schoenerwissen, Jared Tarbell u. a. für
die Anwendung der Software "Processing". Viele Beiträge
stellen Möglichkeiten "generativer Kunst" vor. Das Java-Programm
wurde von Benjamin Fry und Casey
Reas entwickelt, ist in der aktuellen
Version kostenlos erhältlich. Das am MIT (Media Lab, Aesthetics
and Computation Group, außerdem Interaction Design Institute Ivrea)
entwickelte "Processing" ist dank LGPL
(Library General Public Licence) offen für Anwendungen und Weiterentwicklung.
Nach Reas erleichtert
"Processing" die künstlerische Praxis, z. B. die Farbprogrammierung,
gegenüber C, C++, Java und Open GL. Außerdem eignet sich
"Processing" für Werke mit vielen simultan zu generierenden
Elementen und grösserem Rechenaufwand.
In OpenProcessing sind
die von TeilnehmerInnen eingestellten Beiträge und ihre Codes zu
sehen. Die Codes können im Java
Applet bearbeitet, als .pde-Datei gespeichert und die von ihnen
auslösbaren Generierungen beobachtet werden.
Rhizome forderte Mitglieder zu Beiträgen für den Wettbewerb
Tiny Sketch (Teil von
OpenProcessing) auf. Nach dem Einsendeschluß am 13. September
2009 wählten die Mitglieder von Rhizome bis 30. September eine(n)
GewinnerIn (Preisgeld 2000 USD). Der in Processing zu schreibende Code
von jedem Beitrag durfte 200 Zeichen nicht übersteigen.
In Workshops und Tutorials
im Netz werden auch TeilnehmerInnen, die keine Programmierkenntnisse
haben, in "Processing" eingeführt. Pogrammieranleitungen
in Buchform werden ebenfalls angeboten. Daniel Shiffman´s "Beginner´s
Guide" ist als Buch
und als Website publiziert
(6/2004, 10/2006, 9/2009, 9/2022).
- Abstraction Now:
Das Künstlerhaus Wien zeigte von August bis September 2003 in der
Ausstellung "Abstraction Now" a-mimetische Kunst in ihren
multi- und intermedialen Ausprägungen. Abstraktion wird als "hybrider
dynamischer Prozess" (Pfaffenbichler) verstanden. Die Kuratoren
Norbert Pfaffenbichler und Sandro Droschl präsentierten Beispiele
in den Medien Gemälde, Skulptur, Fotografie, Film, Video, CD, Installation
und Netz als Teile einer Medienlandschaft digitaler Bildverarbeitung,
die eine Trennung in unabhängige medienspezifische Entwicklungslinien
nicht sinnvoll erscheinen lässt. "The Online Project"
enthält ein bis drei Beiträge von 22 KünstlerInnen und
Künstlergruppen. Viele Beiträge sind in die Site integriert
(Dextro, Insertsilence, Juerg Lehni, Golan Levin, Lia, Meta, Glen Murphy,
[N:JA], Norm, Casey Reas, Return, Soda/Ed Burton & Julian Saunderson,
Manny Tan, James Tindall, Marius Watz, Yugop), zu anderen Projekten
führen Links (Jodi, Jan Robert Leegte, Peter Luining, Mark Napier,
Nullpointer/Tom Betts). Abstraktion als Prozess wird u. a. mit Java
sowie häufig mit Shockwave und Flash vorgeführt, ohne den
Source Code zugänglich zu machen (Ausnahme: Marius Watz). Einige
Projekte sind Soundtoys (s. u.),
die audiovisuelle Generierung mit Steuerungsmöglichkeiten durch
Mausbewegungen kombinieren (Burton, Insertsilence, Lia, Luining, Return,
Tindall). Lev Manovich stellt die Beiträge zum Online Project in
Abstraction
and Complexity als Beispiele für einen Paradigmenwechsel von
Reduktion (abstrakte Kunst und Wissenschaft um 1910/1920) zu Komplexität
(& Emergenz) vor: Sie oszillieren "between order and chaos".
Manovich widerspricht der Gleichsetzung von a-mimetischer mit non-repräsentativer
Kunst der Kuratoren, wenn er vorschlägt, Abstraktion als "symbolische
Repräsentation" der "neuen sozialen Komplexität"
zu untersuchen (7/2004; 5/2015 und 1/2020: Website
im Umbau).
- The Famous Sound of Absolute Wreaders:
Das von Johannes Auer konzipierte Projekt besteht aus Schichten von
Texten über Texten: manuelle Textbearbeitungen, audielle Kommentare
und codierte Transformationen. Fünf AutorInnen Auer, Reinhard
Döhl (gest. 29.5.2004), Sylvia Egger, Oliver Gassner, Martina Kieninger,
Beat Suter haben Beiträge von TeilnehmerInnen bearbeitet.
Diese Texte bilden die Basis einer 40 minütigen Radioversion für
zwei Sprecher, die der ORF
am 7.9.2003 sendete, und einer Netzversion mit sechs Projekten. Aus
"Multitasking" (Auer) wird in der Radioversion "multi-talking"
u. a. in Lesungen nach manuell collagierten und als "remix generiert[en]"
Texten sowie "multi-asking" als Kommentar in normalem und
alkoholisiertem Zustand.
Zwei Netzprojekte brechen Projektebenen besonders eindrucksvoll: Oliver
Gassner teilt in "as time goes on: absolute wreaders" Kieningers
Text über Gassners tango
rgb und Auers "Lob-Buch einer gemeinsamen Reise" in vier
Frames mit aktivierbaren Auto-Scroll-Funktionen und fügt einen
fünften Frame mit einem Text hinzu, der zur permanenten Reaktivierung
der Scroll-Funktionen aller Frames auffordert, und darin die eigene
Scroll-Funktion einschließt. Suter und René Bauer verwenden
Döhls Bearbeitung von Kieningers "der schrank. die schranke",
seine Kommentare über die Beiträge weiterer TeilnehmerInnen
und deren Netzprojekte in "Scrabble mit Döhl" als Basis
für Text- und Bildtransformationen. Fünf Scripts generieren
über den Bildschirm laufende Textfetzen als "multi-layer-scrabble"
und erweitern es um Netzfunde.
Kieningers "Fenster 1 2 3 4 5 6", Gassners "as time goes
on" und Suter/Bauers "Scrabble" präsentieren Modelle
für simultanes Lesen von bewegten Textteilen. Die Modelle thematisieren
im Rekurs auf literarische Avantgarden Zusammenhänge zwischen Präsentationsform
und Lesemöglichkeiten (6/2004; 1/2020: Original-Website
mit Netzversion meldet "temporarily closed". Ankündigung
in kunstradio.at
mit Audio-Datei der Radioversion im .m3u-Format erreichbar. Im Internet
Archive sind nur einzelne Webpages gespeichert. Beat Suters Bericht
The Making
of 'The Famous Sound of Absolute Wreader's dokumentiert das Projekt).
- Netfilmmakers:
Seit 2004 erscheint alle drei Monate eine neue "Edition" mit
meist drei Filmen (einschließlich experimenteller, netzbedingter
Filmformate) in der "Netgallery". Themen bisheriger Editionen
waren unter Anderem "Territory" (2004), "Docu-Slash"
(2006), "Navigation" (2006) und "Real-Un-Real" (2009).
Die Leiterin und Kuratorin Annette Finnsdottir stellt in einem Beitrag
für Vague Terrain (Journal 11/2008; 1/2020: nicht mehr im Netz)
die Plattform vor und hebt drei Filmbeispiele hervor, darunter den "interactive
netfilm" (Don´t) Leave Me Alone von Kassandra Wellendorf (2006).
Alan Sondheims What Remains (2009) zeigt digitale 3D-Filmproduktion
in Zeiten von Second Life.
Im Vergleich zu für Beiträge offenen Plattformen wie YouTube
und Vimeo stellt Netfilmmakers unvermeidbar die Frage, welche Rolle
kuratierte Filmplattformen mit abgeschlossenen Einheiten im Netz heute
noch spielen können. Netfilmmakers ist mit seinen Editionen themenorientiert,
während dvblog als einzige Einschränkung
für die Einsendung von Beiträgen das Format Quicktime hat.
Von der Zustimmung der Herausgeber (Doron Golon, Brittany Shoot und
Michal Szapowski) hängt die Archivierung einer Einsendung in der
Database des Servers ab. Kuratorische Tätigkeiten werden in dvblog
durch Herausgeber-seitiges Tagging ersetzt (10/2009, 5/2013; 1/2020:
Server nicht erreichbar. Auf
Vimeo ist die Kuratorentätigkeit
von 2008-2010 dokumentiert).
- page_space project:
AutorInnen sollten, so stellt Braxton
Sodermann die Plattform (2004) in seiner Einleitung vor, zusammenarbeiten,
nicht um wie in Ted
Warnells Beitrag zu "The Field Project" (1999)
gemeinsam ein Textfeld in Form von auf einer Seite grafisch verteilten
Links zu schaffen, sondern um digitale Umgebungen für Texte anderer
AutorInnen bereit zu stellen. Die Projekte wurden mit Flash und Macromedia
Director programmiert. Die Bildschirmseite als Präsentationsraum
für Text(teil)e hat Vorrang vor dem Code. Der Zusammenhang zwischen
Code, Bildschirmpräsentation und Codepoetry, wie ihn Talan Memmotts
Lexia to
Perplexia (2000) vorführt, spielt in den Beiträgen keine
Rolle.
In Jason Nelsons Beitrag untitled
(to reconstruct) entfaltet sich Jody Zellens Text durch Klicks auf
Kästchen als Baumstruktur von links oben nach rechts unten. Deena
Larsens Cut
to Flesh zeigt eine Fläche voller Fragezeichen. Klicks auf
die Fragezeichen lassen Teile von Zellens Text diagonal über den
Bildschirm laufen. Zu Nelsons hierarchischer Struktur liefert Larsen
das nichthierarchische Komplement: Derselbe Text, der bei Nelson entfaltet
und als Ganzer lesbar wird, erscheint bei Leeson in Satzfragmenten,
die in ihrer graphischen Präsentation keinen Hinweis auf ihren
Zusammenhang liefern. In Jim Andrews´ Arteroids
werden Worte und Satzteile aus Texten von Christina McPhee und Helen
Torrington zu Elementen, mit denen das "script/"-Element des
Spielers nicht zusammenstoßen darf und die er `abschießen´
muss. Realistische Spielumgebungen löst ein Textraum ab, in dem
die Anforderungen, sich als SpielerIn erfolgreich zu bewegen, von Level
zu Level anspruchsvoller werden. Brian Kim Stefans´ Dibagan
ermöglicht es LeserInnen, Worte aus einem Text von geniwate auf
der Fläche zu verteilen. Erst im Spiel mit den vier via Kursor
ausziehbaren Elementen werden Worte erkennbar. Bild und Ton liefern
den Kontext, durch den Zusammenhänge zwischen dem Wortmaterial
erkennbar werden: Der Irak-Krieg. In Simon Biggs´ non-LOSS´y
translator wird der Text von Loss Pequiño Glazier (aus griechischen
Buchstaben und arabischen Ziffern) zum grafischen Bestandteil einer
dynamischen Präsentation, die Texteingaben von LeserInnen leider
nur aufnimmt, statt sich mit jeder weiteren Eingabe zu rekonfigurieren.
Weitere Beiträge
und Kollaborationen von und mit Simon Biggs, geniwate, Loss Pequiño
Glazier, Deena Larsen, Brian Kim Stefans, Pedro Valdeolmillos und Jody
Zellen (10/2006).
- copy-art.net
Die Kuratorin Irini-Mirena Papadimitriou stellte die Plattform im Juni
2004 in IBID Projects (London) zum ersten Mal vor. Die Site enthielt
damals Werke von Anna Best, Bigert & Bergström, Colectivo Cambalache,
Critical Art Ensemble, AK Dolven, House of O´Dwyer, Per Hüttner,
juneau projects, Miltos Manetas, Matthieu Laurette, N55, Szuper Gallery
und Thomson & Craighead. Die Plattform erhielt für die Ausstellung
im Londoner ICA (Institute of Contemporary Arts, September-Oktober 2004)
acht weitere Beiträge. Später folgten sechs weitere Werke
(Stand: Oktober 2006). Zu Beiträgen auf anderen Websites vom Critical
Art Ensemble oder von Anna Best, Ella Gibbs, Miltos Manetas, Thomson
& Craighead und Carey Young führen Links.
Die Werke unterliegen der Creative
Commons License Attribution-NonCommercial 2.0 und können zu
nichtkommerziellen Zwecken kopiert und verändert werden. Urheber
müssen genannt werden.
Thomson & Craighead verwenden in attributed-text.net
(1997; 9/2022: Blog aktualisiert) einen Standard Copyright-Hinweis ("All
rights reserved...") als Link-Basis. Die verlinkten Webseiten mit
Texten über Urheberrechtsprobleme u.a. erscheinen darunter und
Quellenhinweise darüber. Das Critical Art Ensemble erweitert das
Diskussionsfeld über Fragen von Kopie und Modifikation im Kontext
des Urheberrechtsrechts auf dieselben Fragen im Kontext der Biotechnologie
und thematisiert in Free
Range Grain die Import- und Kennzeichnungsbestimmungen der EU für
die Trennung von genmanipulierten und nicht genmanipulierten essbaren
Agrarprodukten. Mit seinem Formular für eine Ankündigung einer
Freigabe zum Download greift Mathieu Laurette Strategien der Kommunikationsguerilla
auf: Eine Firma soll in ein über e-Mail zu verbreitendes Formular
eingetragen werden, die in Reaktion auf einen ebenfalls einzutragenden
Konkurrenten eines ihrer Produkte ebenfalls freistellt ("How to
launch a rumour on the Internet?", 2000).
Die Beiträge realisieren Remix-Strategien (Colectivo Cambalache,
Doug Fishbone, Isabel Saij) oder offerieren Material für Kopien
und weitere Verwertungen inklusive Transformationen (Carey Young, Gavin
Wade) und/oder sie stellen Strategien und Theorien zu den Themen Urheberrecht
(Matthieu Laurette, Szuper School, Thomson & Craighead) und (Post-)Autonomie
(David Goldenberg) vor (10/2006, 10/2009: URL-Adresse
existiert nicht mehr).
- {Software}
Structures:
Casey Reas zeigt seit Juni 2004 in seinem Projekt "{Software} Structures"
auf dem Artport-Portal zur
Netzkunst des Whitney Museums of American
Art, wie sich Sol LeWitts verbale Konzepte für "Wall Drawings"
als Anregungen einsetzen lassen, um visuelle Strukturen für Generative
Kunst zu finden. Die mit Processing,
Flash MX und C++ geschriebenen Codes ergeben unterschiedlich schnell
sich entwickelnde Monitorbilder. Der Quellcode wird separat als Text
präsentiert.
Reas stellt in einem Teil seines Projektes fünf drei statische
und zwei animierte Processing-Übersetzungen von drei "Wall
Drawings" LeWitts aus den siebziger und achtziger Jahren vor. Drei
weitere Beispiele (#001, #002, #003) entwickelte Reas aus verbalen Konzepten,
zu denen er sich von LeWitts Notationen für "Wall Drawings"
anregen liess: Verbale Konzepte arbeitete Reas als erste Entwicklungsstufe
aus, in der die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Programmierung
noch keine Rolle spielten. Auf das verbale Konzept folgten Ausführungskonzepte
in verschiedenen Programmiersprachen: Das dritte Beispiel (#003) wurde
von Reas, Robert Hodgin, William Ngan und Jared Tarbell mit Processing
modifiziert. Die Processing-"Implementation" wurde mit C++
(Casey Reas) und Flash MX (Jared Tarbell) rekonstruiert.
Da in Flash Programmcode mit hundert und mehr Elementen sehr langsam
läuft, wurden Varianten mit weniger Elementen entwickelt. Die Versionen
in C++ sind nur als abladbare und zu installierende Dateien verfügbar.
Die mit großem Aufwand in C++ programmierten Elemente entfalten
sich schneller als die Processing-Varianten (10/2006).
- Extrapolation:
Auf der Website von "Wigged Productions" (Leitung: Seth Thompson)
wird zwischen 1. Juli 2006 und 15. Juni 2007 die Online-Ausstellung
"Extrapolations" vorgestellt. Als Resource für die Hälfte
der acht Werke dient der Server des Kurators Huberto
Ramirez, andere Links führen zu Werken auf externen Sites.
Die Projekte
setzen die Medien Foto und Film in digitalen Animationsformen zur Vermittlung
politischer Aussagen ein.
Ramirez suchte Belege für ein politisches Engagement, das Veränderungen
nicht von der Peripherie aus, sondern in den Machtzentren zu erzeugen
versucht. Diese Zentren sind nicht mehr an einen Ort oder eine Nation
gebunden. Das Modell der Taktischen Autonomen Zone lösen nach Ramirez
Strategien für Aktionen in den Machtzentren ab. Situativ bedingte
strategische Konfigurationen sind ephemer und werden bei Gelegenheit
neu gebildet. Ellipse und Metapher seien strategische Mittel, um etablierte
Interpretationsweisen aufzubrechen. Ramirez bezieht sich in seinem Kuratorenstatement
auf Craig Owens "The Allegorical Impulse" (October, Nr. 12,
Spring 1980, Teil I, S.67-86; October Nr.13, Summer 1980, Teil II, S.58-80).
Einen Beleg für diesen "Impuls" liefert Deva Evelands
Mouthpiece
#2. Er steckt sich in einer schmerzlichen Prozedur Zahnstocher mit
angeklebten Fähnchen, die mit Stars and Stripes bedruckt sind,
zwischen die Zähne und verletzt dabei sein Zahnfleisch. Die Fähnchen
behindern das Sprechen: Sie und der von ihnen symbolisierte Nationalismus
machen `mundtot´.
In allen Beispielen stehen Bildwelten nicht nur für das Vorgeführte.
Die Werke führen die Folgen der Globalisierung in überspitzter
Form direkt (The
Yes Men durch einen Vorschlag, der das Gefälle zwischen Reichen
und Armen bei der Nahrungsversorgung verschärft vgl. Vortrag
März 2002 in Plattsburgh) oder indirekt zum Beispiel über
die Präsentationsformen der Massenmedien (Jody
Zellen) oder über das lateinische Alphabet vor, das heute in
keiner anderen Sprache als auf Englisch vorgestellt zu werden braucht
(Peiyun
Lee). Dass Globalisierung in den Sprachen aufbewahrte kulturelle
Differenzen (noch?) nicht egalisieren kann, zeigt Lana Lin in No
Power To Push Up The Sky am Beispiel der Versuche von 15 ÜbersetzerInnen,
ein Interview mit Chai Ling, der Anführerin des Studentenprotestes,
das einige Tage vor dem Massaker 1989 am Tiananmen Platz in Beijing
stattfand, auf Englisch wiederzugeben. Wie sich unter Bedingungen der
Globalisierung in U.S.A. soziale Indifferenz und Angst vor Terror zueinander
verhalten, führt Arzu Özkal Telhan in The
Unattended Body vor: Wer sich zu lange in Durchgangsräumen
ohne erkennbaren Grund aufhält, provoziert das Sicherheitsempfinden
des Videovoyeurs (also von uns, den BeobachterInnen), während PassantInnen
und AutofahrerInnen die AbweichlerInnen ignorieren (10/2006; 4/2013:
Die URL-Adresse
existiert nicht mehr, neu in: Internet
Archive).
- Electronic Literature
Collection Volume One:
In: Electronic Literature Organization. October 2006. Die Plattform
enthält 60 Beispiele für elektronische Literatur, die zwischen
1994 und 2006 entstanden. Sie wurden von N. Katherine Hayles, Nick Montfort,
Scott Rettberg und Stephanie Strickland für die "Preservation,
Archiving and Dissemination Initiative (PAD)" der Electronic Organization
ausgewählt. Die Plattform erleichtert durch einführende Erläuterungen
und technische Hinweise ("instructions") den Umgang mit den
Werken.
Das digitale Archiv ist auch als CD-ROM erhältlich. Dies zeigt,
dass die Sammlung abgeschlossene Werke enthält, die nicht von Netzbedingungen
(wie Daten aus Verbindungen zu extern archivierten Dateien, Eingaben
von NetzteilnehmerInnen und deren Archivierung) abhängig sind.
Nicht die zwischen Kooperation und Kollaboration (Christiane Heibach:
Oszillationen//Netzkunst/Netzliteratur, s.u. unter Beiträge
zur Geschichte der NetArt) unterscheidbare Interaktion der Co-AutorInnen
als TeilnehmerInnen eines Work-in-Progress, sondern der/die Progammierentscheidungen
der AutorInnen explorierende LeserIn ist das Leitbild dieser Auswahl.
Die in der Monitorpräsentation von LeserInnen eruierbaren Funktionen
und ihre Programmierung (Squeak, Hypertext, Processing, Flash, Director,
VRML, Quicktime u.a.) bleiben zentrale Bezugspunkte, sofern RezipientInnen
nicht passive ZuschauerInnen bleiben. Diese elektronische Literatur
geht nicht in Netzkultur auf wie der Assoziationsblaster
(Dragan Espenschied/Alvar H.C. Freude, seit 1999), sondern versucht,
ihre Einbettung als Rahmen (Kunst)-im-Rahmen (Kultur) zu kontrollieren:
Netzliteratur versus elektronische Literatur. Die Entwicklung der technischen
Möglichkeiten von Hard- und Software steht im Vordergrund, während
die Entwicklung des Netzes durch TeilnehmerInnen weitgehend ausgeblendet
bleibt (Spuren der Netzkultur lassen sich nur in der Wiederverwendung
von gespeichertem extern gefundenem Material und in der Verwendung üblicher
Hard- und Software finden).
N. Katherine Hayles gibt in "Electronic Literature: What is it?"
(s.u. unter Beiträge
zur Geschichte der NetArt) eine Einführung, die in leicht modifizerter
Fassung das erste Kapitel des Buchs "Electronic Literature: New
Horizons for the Literary" bildet. Das Buch enthält die Database
der Netzplattform auf CD-ROM (Hayles, N. Katherine: Electronic Literature.
New Horizons for the Literary. Notre Dame/Ithaca 2008. CD-ROM ohne Buch
frei erhältlich von: Electronic Literature Organization. Maryland
Institute for Technology in the Humanities (MITH). B0131 McKeldin Library.
University of Maryland. College Park, MD 20742).
Im Februar 2011 wurde die Website Electronic
Literature Collection Volume Two installiert und im Februar 2016
folgte Volume Three.
Florian Cramer kritisierte 2012 in "Post Digital Writing"
die Auswahlkriterien der Electronic Literature Organization (s.u. unter
Texte
über aktuelle Aspekte der NetArt; 10/2009, 4/2015, 1/2020).
- NETescopio:
Das Museo Extremeño e Iberoamericano de Arte Contemporáneo
(Badajoz/Extremadura in Spanien) legt seit 2008 eine Database mit Beispielen
der Netzkunst an. Die Auswahl der auf dem Server des Museums gespeicherten
Werke integriert wichtige internationale Beispiele in eine Dokumentation
spanischer und iberoamerikanischer Netzprojekte. Die Werke werden in
kurzen Beschreibungen vorgestellt. Einige Werke bedürften der Rekonstruktion,
um ihre Funktionen auch mit aktuellen Browsern und Plugins/Apps nachvollziehen
zu können (s. Dekker, Annet: Assembling Traces, 2014, s.u. in Texte
über aktuelle Aspekte der NetArt).
Das Archiv ist offen für weitere Werke. Vorschläge sind erwünscht.
Bei positiver Bewertung wird das vorgeschlagene Werk in das Archiv integriert
(4/2015).
- or-bits.com:
Marialaura Ghidini kuratierte von 2009 bis 2012 acht `Ausstellungen´
zu Themen wie "Acceleration", "On-Looking" oder
"Simplicity". Auch wenn die Beiträge der KünstlerInnen
häufig nicht netzspezifisch sind, so müssen sie doch aus Dateien
bestehen, die auf dem Server der Plattform speicherbar sind und die
BeobachterInnen über das World Wide Web abrufen können.
Die via Internet veränderten Weisen der Weltbeobachtung reflektiert
Ghidini in projektbegleitenden Texten. So reflektiert sie in Acceleration,
wie sich die Wahrnehmung von Filmen durch ihre Abrufbarkeit via Internet
verändert. Auch wenn Filme kein netzspezifisches Medium sind, so
werden sie doch durch die mit der Internetdistribution gebotenen Möglichkeiten,
zwischen Phasen vor und zurück zu springen, anders betrachtet als
früher.
Andrew Venell wiederum thematisiert in seinem Beitrag für On-Looking
Google Algorithmen für Ad-Sense, indem er Ghidini diese Werbung
in ihren Kuratorinnenbeitrag integrieren lässt. In seinem Statement
stellt Venell das Problem als ungelöst vor, mit diesen Algorithmen
kontextadäquate Inserate zu auszuwählen. Er plant, mit der
auf eigenen Seiten erscheinenden Fremdwerbung die eigene Werbung auf
anderen Webseiten zu finanzieren.
Ghidinis Plattform wird zum Beleg, wie wenig die netzspezifischen und
netzexternen Beobachtungsformen in einer primär netzgeleiteten
Weltbeobachtung noch zu unterscheiden sind: Sie verschmelzen zu einer
Weltsicht. Nachdem seit der "Post-Medium Condition" (Krauss,
Rosalind: Two Moments of the Post-Medium Condition. In: October, Nr.116/Spring
2006, S.55-62) die Thematisierung von medienspezifischen Beobachtungsformen
kein zentrales künstlerisches Anliegen mehr ist, thematisieren
sie in verschiedenen Medienkombinationen und -konstellationen die Auswirkungen
der zeitgenössischen Medienlandschaft für die Weltbeobachtung.
Dass dabei zeitgenössische KünstlerInnen an Verfahren der
siebziger Jahre anknüpfen, das können vor allem die Filmbeiträge
in or-bits.com nicht leugnen (4/2015).
- The Widget Art
Gallery:
Chiara Passa stellt seit 2009 monatlich neue Beiträge von KünstlerInnen
für einen virtuellen Galerieraum vor. Die Beiträge der web-based
App cross platform sind auf einem Blog, als Widget im Dashboard
von Mac OS sowie als App für iPhones und iPods abrufbar. Viele
KünstlerInnen plazierten ein sich drehendes Objekt im Zentrum des
"mini single art gallery room". Beiträge
lieferten bisher Anthony Antonellis, Andrew Benson, Marco Cadioli, Jon
Cates, Jennifer Chan, Flavio Doricchi, Alberto Gulminetti, Rea McNamara,
Bill Miller, Prosthetic Knowledge, Daniele Puppi, Yoshi Sodeoka, Caterina
Stratti, Chris Timms, Rodell Warner u.a. (12/2014. 1/2020: Neue Beiträge
folgen meist in 2 bis 3 Monaten).
- Remixthebook:
Mark Amerika´s Buch "Remixthebook" (Minneapolis/Minnesota
2011) wird von einer Website begleitet. Sie enthält 25 Beiträge
von KünstlerInnen und KritikerInnen, die sie mit Remix-Strategien
ausführten und darüber schrieben. Was sich aus dem Angebot,
das Buch als Remix-Material zu verwenden, machen ließ, zeigt der
Cokurator der Site Rick Silva in seinem Video Isarithm.
Michelle Elsworth lässt sich darauf nicht ein und erörtert
in Food Remix die Remixmöglichkeiten,
die ein Supermarkt bietet. In zwei Videoaufnahmen dokumentiert und kommentiert
sie simultan `vor Ort´ ausgeführte Remixes des Warenangebots.
Viele Beiträge wurden auf den Plattformen Vimeo, Issuu und Soundcloud
gespeichert und einige auf dem Server der Site "Remixthebook".
So auch The
Art of Walking von Maria Miranda und Norie Neumark. Die Künstlerinnen
remixten eigenes Bild- und Textmaterial in drei Filmen und passten mit
ihrer (nicht in einem Film zusammengefassten) Simultanpräsentation
der drei Remixvarianten in kein Downloadschema der genannten Plattformen.
MTAA (Michael Sarff und Tim Whidden) dagegen zogen es vor, mit auf Flickr
von anderen AutorInnen gespeicherten Fotos im Kontext von Flickr zu
arbeiten und auf der Site "Remixthebook" eine Beschreibung
ihrer Vorgehensweise zu publizieren. MTAA blendet einen Still des Trailers,
der für Mark Amerikas Buch wirbt, in auf Flickr gefundene Innenraumaufnahmen
ein und archiviert diese wiederum in Flickr. Die Beiträge zur Site
"Remixthebook" führen mit ihren Remix-Strategien zugleich
auch Formen des Arbeitens mit (verteilten) Plattformen vor.
Mark Amerika weist auf der About-Seite
auf Möglichkeiten, mit Remixpraktiken auch die Grenzen zwischen
künstlerischen Vorgehensweisen und Argumentation zu überschreiten.
Diesen Vorschlag nimmt Curt Cloninger in seiner Textbearbeitungsperformance
Twixt
The Cup And The Lip #3 (mit Microsoft Word Screen) auf und variiert
Amerikas Ausdruck "letting the language speak itself". Teilweise
schreibt und zeichnet er mit einer Notizzettelsoftware. Janneke Adema
wiederum bearbeitet in Creativity
(Capital C) has been hijacked by the artists einige Seiten von Amerikas
Text, indem sie Begriffe austauscht und dies im Artist´s
Statement als "scholarly critical method" ausweist.
Yoshi Sodeoka vervierfacht sich in seinem Filmbeitrag An
Artist Yupping About Some Art Stuff X4. Er verfremdet das Tondokument
eines Vortrags von Mark Amerika durch Beschleunigung und Vervielfachung
der Stimmen: Sodeoka nimmt den Auftrag von Amerika an, ein Tondokument
mit einem Vortrag über Remix-Strategien zu remixen, um die gestellte
Aufgabe zugleich zurückzuweisen, indem er die Vorlage so stark
verfremdet, dass sie zum austauschbaren Material für künstlerische
Verfahren wird. Zugleich zeigt er mit seiner digitalen Variante der
Lautpoesie, dass Remix-Verfahren üblicherweise eine Umdeutung des
Remixten vorführen, nicht aber (neo-)avantgardistische Dekonstruktionen
der Semantik aufgreifen. Sodeoka unterläuft den Werbeeffekt der
Plattform, zum Kauf des Buches "Remixthebook" anzuregen, um
dann in der Lage zu sein, Remixtes vom Remix unterscheiden zu können,
da sein Beitrag diesen Unterschied verwischt (4/2015).
Beiträge zur Geschichte der NetArt:
Texte über aktuelle Aspekte der NetArt:
- Cox, Geoff/McLean, Alex/Ward, Adrian: The
Aesthetics of Generative Code.
Vortrag, "Generative Art 2000: 3rd International Conference on
Generative Art", Politecnico di Milano, Mailand, 14.-16.12.2000.
Verwendungen von Perl in nicht maschinenlesbarem Text (Perl Poetry)
lehnen Cox/McLean/Ward ab. McLean und Ward führen Beispiele für
einen Code vor, der je nach Computer verschiedene Ausführungen
verursacht. Dies erschwert den ästhetischen Diskurs über Relationen
zwischen Programm/Konzept/Text und Ausführung in einer Weise, welche
die Autoren mit Beziehungen zwischen Gedichttext und Gedichtvortrag
vergleichen.
Die Beispiele von McLean und Ward liefern in der Ausführung "Wasserzeichen"
des verwendeten Prozessors und Rechensystems. Die je nach Prozessor
variierenden Bezüge von Programm und Ausführung sollen die
Qualitäten des Codes aufzeigen und umgekehrt: Codes sollen
als Modellfälle verwendbar sein, um Charakteristika der Monitorpräsentationen
generierenden Rechenprozesse eruieren zu können (2/2004).
- Cramer, Florian: Digital
Code and Literary Text.
Vortrag, "p0es1s. Poetologie digitaler Texte", Symposium,
Universität Erfurt, Erfurt, 27.9.2001. Modifizierte deutsch/englische
Druckfassung in: Block, Friedrich W./Heibach, Christiane/Wenz, Karin
(Hg.): p0es1s. Ästhetik digitaler Poesie/The Aesthetics of Digital
Poetry. Ostfildern-Ruit 2004, S.263-276. In explizitem Gegensatz zu
John Cayley (s.o.) interessiert sich Cramer für Software als Text,
also für nicht maschinenlesbare Anwendungen von Programmiersprachen.
Net Poetry von Jodi, antiorp/Netochka Nezvanova, MEZ/Mary Anne Breeze,
Ted Warnell, Alan Sondheim und Kenji Siratori amalgamieren Methoden
der Struktur- oder Sprechakt-orientierten Forschung (Strukturalismus
und Philosophy of Ordinary Language).
Codeworks schreibende AutorInnen entwickeln konzeptuelle, an Open Source
ausgerichtete NetArt mit Übernahmen aus Hackerkulturen weiter,
während in Hyperfiction und Multimedia Poetry Programmvorgaben
industrieller Software (mit geschlossenem Quellcode), darunter Browser
und PlugIns (QuickTime, ShockWave, Flash), als Arbeitmittel integriert
werden (2/2004).
- Cayley, John: The Code is not the Text (unless it is the Text).
Vortrag, "p0es1s. Poetologie digitaler Texte", Symposium,
Universität Erfurt, Erfurt, 28.9.2001. In: Electronic Book Review.
Vol.3, 10.9.2002/25.5.2003. Modifizierte, kürzere deutsch/englische
Druckfassung in: Block, Friedrich W./Heibach, Christiane/Wenz, Karin
(Hg.): p0es1s. Ästhetik digitaler Poesie/The Aesthetics of Digital
Poetry. Ostfildern-Ruit 2004, S.287-306. Der Code sollte maschinenlesbar
sein, andernfalls dienen Codeformen als Anregungen für experimentelle
Texte, wie in "Codeworks" von MEZ/Mary Anne Breeze und Talan
Memmott: "The code has ceased to function as code." Leider
entwickeln MEZ und Memmott beim Schreiben von Codeworks kein "Code
Pidgin English".
Die Künstlergruppe Jodi arbeitet mit Code, in den nicht maschinenlesbarer
Text integriert ist: "code-as-text". Cayley präsentiert
sein Codework "Pressing the `Reveal Code´ Key" als Beispiel
für einen maschinenlesbaren Code (in HyperTalk), der zugleich als
lesbarer Text seine "ludischen" Qualitäten hat: "...this
code is the text." Auch als lesbarer Text führt das Werk zugleich
seine Mschinenlesbarkeit vor: "logic-as-literature in new media".
Dass Texte bereits "compiled, decompiled, recompiled" sind,
kann eine "literature constituted by flickering signification"
umsetzen. "Flickering signifiers" (N. Katherine Hayles) springen
zwischen unterschiedlichen digitalen Umgebungen und Ebenen. Grundlage
dieser Strategie ist, dass Code und Text zwei Ebenen bilden: "The
code is not the text." (vgl. dagegen Cramer, Florian: Digital Code
and Literary Text, s. u.) Für Cayleys eigenes Beispiel gilt die
im Titel der Netzfassung angegebene Erweiterung: "The code is not
the text (unless it is the text)" (2/2004).
- Arns, Inke: Texte,
die (sich) bewegen. Zur Performativität von Programmiercodes in
der Netzkunst.
Vortrag, "Kinetographien", Konferenz, Europäische Akademie,
Berlin, 25.10.2001. In: Arns, Inke/Goller, Mirjam/Strätling, Susanne/Witte,
Georg (Hg.): Kinetographien. Bielefeld S. 57-78. Text, der in Netzpräsentationen
in Bewegung (kinetisch) erscheint, führt Arns zu der Frage, was
die Oberflächen bzw. "Phänotexte" bewegt: der Quelltext
bzw. der "Genotext". Wer nur den Phänotext als performativ
betrachtet, missachtet den illokutionären Charakter des Genotextes.
Als Lesetext erlaubt der Quelltext, sich Funktionen, die er bewirken
kann, vorzustellen. Wie in einer Kommunikationsumgebung Gesprochenes
nicht vom Sprechakt,
also Sagen nicht vom Tun des Sagens getrennt werden kann, so kann der
maschinenlesbare Code nicht von dem Rechenprozess getrennt werden, den
er im Computer auslöst: Was Quellcode besagt und "ohne zeitlichen
Aufschub" bewirkt, ist mit Sprechakten vergleichbar.
Software Art und "Codeworks" (Alan
Sondheim) liefern nach Arns Einsichten in die in Programmiercodes
angelegte Performativität.
Wenn funktionale, im Quellcode angelegte Grenzen Einschränkungen
reproduzieren, die das Gesetz bzw. der juristische Code schafft, dann
liegt "codierte Performativität" vor (2/2004).
- Manovich, Lev: The Anti-Sublime Ideal in Data Art.
Ursprünglich mit dem Titel "The Anti-Sublime Ideal in New
Media" in: Chair et metal/Metal and Flesh. Vol.7. 2002. Deutsche
Druckfassung mit dem Titel "Das nicht-erhabene Ideal in der Datenkunst"
in: Manovich, Lev: Black Box White Cube. Berlin 2005, S.81-104.
Manovich beschreibt die Simulation alter Medien durch Software in "neuen
Strukturen" als ein frühes "Paradigma" der Computer-Entwicklung
(Alan Curtis Kay seit 1970 für Xerox, Palo Alto Research Center).
Der Computer als "Simulationsmaschine" wird zum "meta-media
object", das "die ursprüngliche Medienstruktur"
und die Software-Mittel enthält, die diese Struktur neu kartieren
("to re-map") und Modifikationen ermöglichen. "Meta-media"
liefern nicht nur Mittel zum Remix verschiedener Datenstrukturen, darunter
die "verschiedenen Kulturformen" mit "neuer Software
Technik", sondern sind teilweise selbst Resultat eines Remix, wie
Manovich am Beispiel des Adobe Acrobat Reader aufzeigt. "Mapping
one data set into another, or one media into another" stellt er
als eines der häufigsten Verfahren im Alltag der Computeranwendung
und in der "Neuen Medienkunst" vor. An Hand von Lisa Jevbratts
1:1
(1999/2001-2002, siehe Kurztipps)
und der Carnivore-Plattform
der Radical Software Group (2001, s.o., Plattformen)
für "clients" anderer KünstlerInnen zeigt Manovich,
dass große und endlose Datenmengen in einem Browserfenster dargestellt
und damit für die Beobachtung handhabbar gemacht werden: "manageable
visual objects".
Im Gegensatz zum Nicht-Darstellbaren und Sublimen in der Romantischen
Kunst ist, so Manovich, "data art" "anti-sublim"
(Manovich weist leider nicht auf den Klassiker Rosenblum, Robert: Modern
Painting and the Northern Romantic Tradition: Friedrich to Rothko. New
York 1975. Mit Rosenblum wird erkennbar, dass Manovich mit der Romantischen
Kunst auch die abstrakte Kunst und das Sublime meint.). Manovich konstatiert,
dass es eine Lösung des Problems der Beliebigkeit vieler Übertragungen
von Datenkonfigurationen in "neue Strukturen" wäre, das
Willkürliche als "method of irrationality" zu betonen,
und damit an den Umgang Konzeptueller KünstlerInnen mit vorgefundenen
"quantitative data" anzuschliessen. Dies könne dazu führen,
Wege aufzuzeigen, wie "die persönliche Erfahrung in einer
Informationsgesellschaft" dargestellt werden kann: "...art
has the unique license to portray human subjectivity..." (4/2007;
1/2020: nur in der leicht modifizierten Fassung mit dem Titel Data
Visualization as New Abstraction and the Anti-Sublime gefunden).
- Fuller, Matthew: Behind
the Blip. Software as Culture.
In: Nettime, 7.1.2002. Druckfassung in: Fuller, Matthew: Behind the
Blip. Essays on the Culture of Software. Brooklyn 2003, S.11-37. Nachdem
Computer, Software und Interfaces für Anforderungen ihrer AnwenderInnen
geschaffen wurden, orientieren sich die Erwartungshorizonte an den digitalen
Angeboten. Das muss so nicht bleiben. "Software Culture" umfasst
die Entwicklung neuer Konzepte nicht nur im technischen, sondern auch
im philosophischen Sinn, und sie konstituiert eine "digitale Subjektivität"
mit einem eigenen Sensorium.
Fuller differenziert zwischen "Critical", "Social"
und "Speculative Software", wobei letztere seinen Kriterien
der Konzeptualität und digitalen Subjektivität entspricht:
"Software...as mutant epistemology." (2/2004)
- Manovich, Lev: Generation
Flash.
In: Nettime, 9.4.2002,
17.4.2002,
25.4.2002,
2.5.2002.
Deutsche Druckfassung mit identischem Titel: Manovich, Lev: Black Box
White Cube. Berlin 2005, S.53-80. Turntable
(Michael Rees) lieferte im Februar 2002 den digitalen Kontext für
Künstlerbeiträge (Flash Animationen) in Milton Manetas´
Plattform whitneybiennial.com
(s.
o., Plattformen). "Turntable"
dient Manovich als Beispiel für eine visuelle Kultur der "Generation
Flash", die ihre Charakteristika mit der zeitgenössischen
digitalen Audiokultur teilt: Loop, Sample & Remix.
Die Projekte der MedienkünstlerInnen der sechziger Jahre reduziert
Manovich auf die Wiederverwendung von vorhandenen Technologien und massenmedial
vorcodierten Inhalten. Davon unterscheidet er Software-KünstlerInnen,
die die Abstraktion und das romantische Kunstideal eines Produzenten/einer
Produzentin aufnehmen, der/die von Beginn des Entwurfsprozesses an auf
seine/ihre Imagination angewiesen ist.
Projekte der Futurefarmers (Beispiel: Utopia)
sollen eine Ausrichtung von Netzprojekten belegen, die anders
als MedienkünstlerInnen von Nam June Paik bis Barbara Kruger
nicht in Konkurrenz zu kommerziellen Medien treten (eine Verkürzung
der Rezeptionsangebote von Paik und Kruger), sondern unsere Intelligenz
mit "small and economical systems" herausfordern. Die Projekte
von Korporationen der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie sind
einerseits für die Generation Flash so maßgebend wie es Spielfilme
für Andy Warhol waren, andererseits eröffnet die mediale Distanz
des Internet zu Kino und TV neue kulturelle Möglichkeiten (Manovich
stellt seine Vorstellung vom romantisch "from scratch" arbeitenden
Software Artist in Frage, da er Relationen zu Produkten der Unterhaltungsindustrie
aufzeigt. Warum sollten Produkte der Unterhaltungsindustrie nicht KünstlerInnen
seit dem Beginn der Planung eines Projektes beeinflussen?).
Flash schließt KünstlerInnen in Ländern aus, in denen
schnelle Netzverbindungen fehlen. NetArt mit maßgebenden osteuropäischen
und russischen Beiträgen gab es, so lange HTML der maßgebende
Quellcode war. Flash erzeugt für diese KünstlerInnen eine
digitale Grenze, die sie zwingt, in den Ländern zu arbeiten, welche
die Entwicklung von IT dominieren: "The Utopia is over; welcome
to the Empire." Dennoch hofft Manovich im "Postscript",
dass die Generation Flash ein "global cultural laboratory"
aufzubauen in der Lage ist. Dieses "laboratory" soll eine
"remix culture" etablieren können. Diese "remix
culture" könnte eine Alternative zu "`top-down´
cultural composites" von international agierenden Korporationen
der Unterhaltungsindustrie entwickeln.
Manovichs Argumentation lässt in dem Artikel "Generation Flash"
(seine) Brüche zwischen realistisch-kritischer Beobachtung und
Visionen von einer (russischen Konstruktivismus zum Vorbild nehmenden)
Zukunft der Netzkultur auf mehreren Ebenen erkennen (2/2004; 1/2020).
- Cramer, Florian: Zehn
Thesen zur Softwarekunst.
In: Auer, Johannes/Heibach, Christiane/Suter, Beat (Hg.): netzliteratur.net_Netzliteratur//Internetliteratur//Netzkunst
2003. Druckfassung, deutsch/englisch ("Ten Theses about Software
Art") in: Gohlke, Gerrit (Hg.): Software Art Eine Reportage
über den Code/A Reportage about Source Code. Media Arts Lab des
Künstlerhauses Bethanien. Berlin 2003, S.6-13. Software Art problematisiert
nach Cramer ihre Mittel ebenso mit diesen Mitteln wie mittels anderer
Medien. Die Relation von Anweisung und Ausführung wird in Event
Cards von George
Brecht (Beispiel "Lamp Event", Teil der Event Card Three
Lamp Events, Summer 1961: "on. off") und in .walk
von Social Fiction computerextern thematisiert. Im Unterschied zur konzeptuellen,
nach Lucy Lippard und Cramer dematerialisierenden Anweisung setzen KünstlerInnen
Software ein, nicht nur um deren Funktionen anzuwenden, modellhaft vorzuführen
oder zu erweitern, sondern auch um sie als Material (durch Eingriffe
und Modifikationen) zu bearbeiten. Social Fiction liest einerseits in
".walk" den "Konzeptaktionismus der 1960er Jahre"
als "Computersoftware" neu, andererseits wird in Spiele- und
HTML-Modifikationen (Beispiel Jodi) wie auch in "Codeworks"
die Software als Material behandelt.
Der Begriff "Software Art" wurde von Kritikern für Werke gebildet, die
zwar aus dem Rahmen des Kunstbetriebs fallen, aber erklärungsbedürftig
sind und damit einen Diskursrahmen erfordern, den bislang der Kunstbetrieb
bereit gestellt hat. Unter dem Begriff "Kunst" wird auch Kunstfertigkeit
im Umgang mit Software subsumiert. So wird das Verständnis der
"ars", die Kunst und Kunsthandwerk umfasst, wieder aufgegriffen.
Konzeptualisierung, Medienvielfalt, Software-Kenntnis und Prozessualisierung
finden in Software Art auf sehr unterschiedliche Weise zusammen. Wenn
"Kritiker[...], Kuratoren und Jurys" Reduktionen auf wenige,
häufiger vorkommende Medienformen ("experimentelle Web-Browser,
Daten-Visualisierungen, modifizierte Computerspiele und Cracker-Code")
vornehmen, dann klammern sie diese Kunstdefinitionen erschwerende Vielfalt
aus (6/2004).
- Medosch, Armin: Piratology.
In: Kingdom
of Piracy <KOP>. DIVE 0.1. Druckfassung in: Medosch, Armin
(Hg.): DIVE. An Introduction into the World of Free Software and Copyleft
Culture. CD ROM und Buch. FACT, Liverpool/Virtualcentre-Media.net 2003,
S.8-19. Medosch vergleicht die Piraterie in Malaysia gegen das British
Empire (1750-1850) mit dem aktuellen Gebrauch des Begriffs "piracy"
durch die Rechteindustrie. In beiden Fällen wird Piraterie erst
durch hegemoniale Strukturen erzeugt. Heute maßt sich die Rechteindustrie
eine Hoheit bei der Verwendung des Begriffs "piracy" an. Nach
Medosch versprechen Versuche wenig Erfolg, die den von der Rechteindustrie
etablierten Begriffsgebrauch korrigieren wollen. Vielmehr nutzt ihn
"Kingdom of Piracy" für eine semantische Umwertung.
Medosch sieht in "Open Source software (OS)" und "free
software (FS)" sowie in der Entwicklung Freier
Netzwerke eine alternative Praxis, die dank Eigeninitiativen Ansprüche
der Rechteindustrie zu umgehen in der Lage ist. Als Teil dieser Bewegung
weist Medosch NetArt-Projekte wie Last.fm
(Michael Breidenbruecker, Felix Miller, Martin Stiksel, Thomas Willomitzer),
Frequency Clock (radioqualia)
und Nine (Graham Harwood/Mongrel) wegen ihrer serverseitigen Software-Anwendung
und ihren Bezügen zur Free Software-Bewegung aus (2/2004).
- Pias, Claus: Das
digitale Bild gibt es nicht. Über das (Nicht-)Wissen der Bilder und
die informatorische Illusion.
In: Zeitenblicke, Nr.1/2003. Die sozialhistorische Bedeutung von Informationssystemen
zeigt Pias an der Geschichte der Kybernetik auf. Vor diesem Hintergrund
weist er das digitale Bild als Resultat informationsgebender Verfahren
aus, das nur in Präsentationsmedien als Bild erscheint. Dieser
"transzendentale Schein" (Kant) der Resultate bildgebender
Verfahren sollte aber nicht zu Verwechslungen mit analogen Bildern führen.
Deren Einmaligkeit und Statik (Irreversibilität) führten in
der Kunstgeschichte zu Formen der Archivierung, die sich nicht direkt
auf dynamische, prozessierbare (reversible) Datensysteme übertragen
lassen.
Wie Kybernetik nicht nach Sachverhalten, sondern nach Möglichkeiten
von Systemen bzw. Medien fragt, so fordert Pias als Medienwissenschaftler
die KunsthistorikerInnen auf, nicht alte Anforderungen in neue Medien
zu übertragen, sondern die mit der Digitalisierung und Vernetzung
veränderten Grenzen des technisch Möglichen als Anlaß
zur Selbstbefragung und Erneuerung zu nutzen: von einer digitalisierten
zu einer digitalen Kunstgeschichte (2/2004).
- Raqs Media Collective: Value
and its other in electronic culture: slave ships and pirate galleons.
In: Kingdom
of Piracy <KOP>. DIVE 0.1. Druckfassung in: Medosch, Armin
(Hg.): DIVE. An Introduction into the World of Free Software and Copyleft
Culture. CD ROM und Buch. FACT, Liverpool/Virtualcentre-Media.net 2003,
S.30-36. Die Piraterie als Folge einer bestimmten Stufe der Entwicklung
des Kapitalismus wird von dem AutorInnenkollektiv (Shuddhabrata Sen
Gupta, Jeebesh Bagchi, Monica Narula) aus Neu Delhi detaillierter erörtert.
Die Piratenschiffe und die Insel-Pseudo-Republiken von Piraten liefern
die Stichworte, um die aktuelle Auseinandersetzung um geistiges Eigentum
(als neue Ware) und Peer-to-Peer Netzwerke zu beschreiben: Der Begriff
"Piraterie", den die Rechteindustrie gegen ihr nicht genehmes
Kopieren von Software sowie digital(isiert)en Audio- und Filmwerken
als diffamierendes Schlagwort einsetzt, wird zum Anlass für eine
Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in der "electronic piracy"
als Reaktion auf die korporativ organisierte, private Enteignung von
allgemeinen Gütern geboten erscheint. Der Titel der Plattform "Kingdom
of Piracy" (s. o., Plattformen)
erscheint als Motto digitaler Piraten-Republiken (2/2004).
- Zuñiga, Ricardo Miranda: The
Work of Artists in a Databased Society: net.art as on-line activism.
In: Soundtoys Journal 2003. Skizziert werden die Möglichkeiten,
die das Internet sowohl für eine globale demokratische Öffentlichkeit
als auch für staatliche wie wirtschaftlichen Interessen folgende
Überwachung bietet. Brooke Singer versetzt in Self
Portrait version 2.0 (Oktober 2001-Oktober 2003) Betrachter in die
Rolle des Daten-Voyeurs. Zuñiga sieht die Qualitäten von
Singers Projekt darin, den ersten Schritt zum Aktivismus durch eine
pädagogische Heranführung an Probleme der Kontrollgesellschaft
zu tun, während das Projekt iSEE
des Institute for Applied Autonomy (ab 2002) den zweiten Schritt zur
Aktion im öffentlichen Raum durch ein Tool für Mobiltelefone
auszuführen erlaubt. Mit "iSEE" lassen sich Überwachungskameras
umgehen. Es kann auch in Demonstrationen angewandt werden, in denen
auf sich ändernde Umstände schnell reagiert werden muss. Aktivismus
soll sich gegen die Aufzehrung des "dialogischen Potentials"
des Internet durch ein "dezentralisiertes Panoptikon" wenden
(10/2006).
- Cramer, Florian: Peer-to-Peer
Dienste. Entgrenzungen des Archivs (und seiner Übel?).
Beitrag für den (Internet-)Katalog zur Ausstellung "adonnaM.mp3
Filesharing, die versteckte Revolution im Internet". Museum für
Angewandte Kunst, Abteilung digitalcraft, Frankfurt am Main, 20.3.-20.4.2003.
Neu auf Englisch in: Cramer, Florian: Anti-Media. Ephemera on Speculative
Arts. Rotterdam 2013, S.102-112,250f. Peer-to-Peer-Netzwerke wie Napster,
Gnutella, Kazaa und Freent stellt Cramer als Musikarchive vor und interpretiert
das Netz mit seiner Gliederung (TCP/IP, DNS etc.) als sein eigenes Archiv
mit Objekt- und Metadaten (IP-Adressen und Domain-Namen). Peer-to-Peer-Netzwerke
verwenden jedoch häufig nicht die Internet-Archivstruktur, sondern
besitzen eigene Server- und/oder Rechner-basierte Strukturen. In GNUnet
und Freenet werden die Daten zwischen den angeschlossenen Rechnern verschoben:
Die Speicherorte werden beweglich und unkontrollierbar. Gehen auf Festplatten
und anderen Datenträgern gespeicherte Daten verloren, dann kursieren
in Filesharing-Netzen noch immer die für sie freigegebenen Dateien:
Filesharing als Chance für ein "kulturelles Gedächtnis",
das dank der "Unsystematik im Datentransfer" Speicherlöschung
übersteht (2/2004).
- Ludovico, Alessandro: Peer-to-Peer:
Das kollektive, befreite Klanggedächtnis.
Beitrag für den (Internet-)Katalog zur Ausstellung "adonnaM.mp3
Filesharing, die versteckte Revolution im Internet". Museum für
Angewandte Kunst, Abteilung digitalcraft, Frankfurt am Main, 20.3.-20.4.2003.
Vorgestellt werden Formen der kollaborativen künstlerischen Arbeit
mit Netzprojekten für Peer-to-Peer-Übertragung von mp3-Dateien.
Außerdem werden Arten der Appropriation von Musikstücken
beschrieben: Zum Teil werden Urheberrechte generell missachtet, zum
Teil wird gezielt gegen sie verstoßen. In beiden Fällen wird
eine "soziale und sozialisierende Praxis" in Form einer Arbeit
für und mit einer "kollektiven Performance" ausgeführt,
die "Klänge [aus dem Eigentumskonzept des Urheberrechts] befreien
und allen zukommen lassen will." Dabei entsteht eine "Klangmaschine",
die einer "Celestial Jukebox" immer näher kommt und die
"Überflüssigkeit" der zeitgenössischen Praxis
des Urheberrechts (als proprietäre Zugangsschranke) aufzeigt. Simulierte
Hackerangriffe in Form von Warnungen vor Viren, die über .mp3-Dateien
Festplatten befallen, werden als Aktionen vorgestellt, welche die zensorische
Attitüde der Musikindustrie karikieren. Allerdings kann die Musikindustrie
Downloads durch Mehrfachabfragen blockieren (2/2004).
- Adams, Randy: Paris Connection. A project in critical media.
In: trAce. Online Writing Centre: Review, The Nottingham Trent University,
Clifton/Nottingham, 17.5.2003. Adams interviewt Jim Andrews (per e-Mail)
über die Website Paris
Connection. Die von Andrews initiierte und mit KoautorInnen realisierte
Site stellt Pariser Künstler vor (Jean-Jacques Birgé, Nicolas
Clauss, Frédéric
Durieu, Jean-Luc Lamarque, Antoine Schmitt, Servovalve), die vorwiegend
mit Director (bzw. der Programmiersprache Lingo) arbeiten und sich kennen.
"Paris Connection" ist eine Koproduktion von vier Portalen,
die englische, französische, spanische und portugiesische Übersetzungen
der Beiträge anbieten. Die Beiträge führen in die Projekte
der Künstler ein. Andrews´ Interviews in "Paris Connection"
zeigen, wie er mit seinen Director-Kenntnissen die Pariser Künstler
zu teilweise überraschenden Aussagen provoziert.
Im Interview mit Adams bezeichnet Andrews eine Netzkritik als "critical
media", die sich intensiv mit Software und Netzbedingungen auseinandersetzt.
Er unterscheidet diese Netzkritik von "touristischen" Beiträgen,
die Autoren geschrieben haben, die sich nicht vorrangig mit "multimedia
net.art" beschäftigen (2/2004; 1/2012: die ehemalige URL-Addresse
existiert nicht mehr).
- Holmes, Tiffany: Arcade
Classics Spawn Art? Current Trends in The Art Game Genre.
Vortrag, 20.5.2003. Melbourne DAC, the 5th International Digital Arts
and Culture Conference. School of Applied Communication, Royal Melbourne
Institute of Technology, Melbourne 2003. Druckfassung: Miles, Adrian
(Hg.): Melbourne DAC streamingworlds, the 5th International Digital
Arts and Culture Conference. School of Applied Communication, Royal
Melbourne Institute of Technology. Melbourne 2003. "`Retro-styled´
art games" modifizieren Arcade Game Klassiker wie Pong, Asteroid,
Missile Command und Centripede. Im Vergleich zu Computerspielen mit
mehreren Levels für lange Spielzeiten sind Art Games mit einfachen
Interfaces in kurzer Zeit spielbar. Entscheidend ist nach Holmes eine
"conceptual message", die das Ego-Shooter-Szenario und seine
Weiterentwicklung in Kampfspielen durch soziale Themen wie Gender und
Race in Frage stellt. An Natalie Bookchins The
Intruder (1999), Game Labs Sissyfight
(2000), Ricardo Zuñigas Vagamundo
(2002) und On Ramp Arts Tropical
America (2002) zeigt Holmes, wie Spiele Machtstrukturen thematisieren:
"Art game play sometimes requires a tolerance for critical theory
mixed with intelligent humor..." (7/2009; 1/2020).
- Munster, Anna: Compression
and the Intensification of Visual Information in Flash Aesthetics.
Vortrag, 22.5.2003. Melbourne DAC, the 5th International Digital Arts
and Culture Conference. School of Applied Communication, Royal Melbourne
Institute of Technology, Melbourne, 22.5.2003. Druckfassung: In: Miles,
Adrian (Hg.): Melbourne DAC streamingworlds, the 5th International Digital
Arts and Culture Conference. School of Applied Communication, Royal
Melbourne Institute of Technology. Melbourne 2003, S.135-143. Munster
erklärt die in Flash-Anwendungen erkennbare Ästhetik im Kontext
der Geschichte der Animation. Sie beschreibt die Durchdringung von Formen
der amerikanischen Animationen für TV-Serien, Videoexperimente
und Kurzfilme mit japanischen Entwicklungen der Mangas und "anime
subcultures". Daraus ergab sich ein Zeichenstil für flächige
Raumandeutungen ("flat aesthetic space"). Diese Rückkehr
zu und Erneuerung von Traditionen der Animation ist eine Gegenentwicklung
zur "mainstream articulation of digital visuality as realistic,
organicist and seamless 3D animation" in Spielfilmen wie "Terminator
2" (1992) und "Jurassic Park" (1993).
In Anwendungen der Flash Vektorgrafik und Codec Kompression unter Netzbedingungen
(mit Plug-Ins für SWF-Formate) erkennt Munster Weiterentwicklungen
einer japanisch-amerikanischen "`proto-networked´ sociality"
(seit den siebziger Jahren) und widerspricht damit Manovichs Behauptung,
dass Software Artists "from scratch" arbeiten (Generation
Flash, 2002, s.o.). The
Futurefarmers beziehen sich explizit auf "kawai"-Bilder
japanischer Anime und Mangas.
Mit Flash werden Animationen nicht mehr als Sequenz aus statischen Bildern
(mittels Bitmapping auf Rastern lokalisierte Pixel), sondern als vektorielle
und temporale Variablität programmiert, die sich mit der Codec-Kompression
auch mit nicht synchronen Tonfolgen in guter Qualität verbinden
lassen. Websites von hi, Res! (Alexandra Jugovic/Florian Schmitt: Soulbath,
2000) und Yugo Nakamura (Yugop,
1998-2002) enthalten Projekte, in denen BeobachterInnen die Bildschirmpräsentation
duch Mausklicks und Rollover so verändern können, dass erkennbar
wird, wie sehr die Programmierung auf diese Verläufe ausgerichtet
ist: "...encounters with temporality in nonlinear modes."
Der Cursor erzeugt in "image time" nicht nur lokale Veränderungen
als "effects of differential speeds", sondern auch Veränderungen
in größeren Bildschirmbereichen (parallel zu audiellen Modifikationen).
Der "computational space" löst spätestens mit Flash
den "modernist space" ab (Brian Massumi), während Manovich
Ersteren als Letzteren, aber mit digitaler Bildverarbeitung wie Flash
um Komplexität Erweiterten interpretiert (Abstraction
and Complexity, 2003) (8/2009; 1/2020: nicht mehr im Web gefunden;
3/2021 nach Hinweis von Benedikt Merkle im Internet Archive gefunden).
- Rossiter, Ned: Processual Media Theory.
Vortrag, 22.5.2003. Melbourne DAC, the Fifth International Digital Arts
and Culture Conference. School of Applied Communication, RMIT (The Royal
Melbourne Institute of Technology), Melbourne 2003. Druckfassung in:
Symploke: A Journal for the Intermingling of Literary, Cultural and
Theoretical Scholarship. Vol.11/Nr.1-2, S.104 - 131. Empirische Medienforschung
versucht das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen und durch Elementarisierung
die Voraussetzung für eine Datenerfassung zu schaffen. In dieser
"realen Abstraktion" (Louis Althusser) gehen die Zusammenhänge
und Möglichkeiten des Mediengebrauchs verloren, die Rossiter über
einen prozessbezogenen Ansatz erfassen will. Er konstatiert Zeitmodi
"rhythmic, instrumental, scalar, biological, compressed,
flexible and so forth" , die sich im Gebrauch von verschiedenen
Medien wie Internet, Mobiltelefon mit SMS, Echtzeit-Video oder Audiodateien
auf unterschiedliche Weise durchdringen.
Zusammenhänge zwischen Medieneigenschaften und ihrem sozialen,
politischen oder ökonomisch motivierten Gebrauch will Rossiter
aufzeigen. Er diskutiert offene und geschlossene Systeme (Gregory Bateson,
Niklas Luhmann, Ilya Prigogine, Isabelle Stengers), um Strukturen zu
finden, die technische Eigenschaften und RezipientInnen in bestimmte
Bezugsfelder setzen. Die Zeitdimension, in der sich diese Felder entwickeln,
spielt auch in der Reflexion der Beobachtungsposition der Medientheoretikerin/des
Medientheoretikers eine Rolle. Sie/er ist in denselben Evolutionsprozess
integriert, in den sie/er die Entwicklung von Medientechnik und -gebrauch
eingebettet sieht: "...processual media theory itself is implicated
in the systems of relations it describes..."
Als Modell verwendet Rossiter Michael Goldbergs Installation "catchingafallingknife.com"
(Sydney 2002), die drei Wochen Börsenspekulation durch Kauf und
Verkauf der News Corp Aktien (Rupert Murdochs News Corporation) vorführt
und mit verschiedenen Börsenprogrammen zeigt, was aus 50.000 australischen
Dollars wird (7/2009; 1/2020).
- Cramer, Florian: Exe.cut[up]able
statements. Das Drängen des Codes an die Nutzeroberflächen.
Vortrag, Ars Electronica 2003, Brucknerhaus, Linz, 8.9.2003. Druckfassung
in: Stocker, Gerhard/Schöpf Christine (Hg.): Code The Language
of Our Time. Ars Electronica 2003. Ars Electronica Center, Linz/Ostfildern-Ruit
2003, S.98-109. Iconische Programmiersprachen sind im Vergleich zu syntaktischen
Relationsmöglichkeiten von textbasierter Software unterkomplex.
Deshalb trennen Interfaces zwischen der Bildsprachen(Icons)-Anwendung
und der textbasierten Software. Textgebundene Interfaces ermöglichen
im Unterschied zu Icon-basierten Interfaces eine Transparenz der Relationen
zwischen Programmier- und AnwenderInnenebene. Cramer stellt diesen Zusammenhang
als Crux von Codeworks von Alan Sondheim und MEZ/Mary Anne Breeze vor
(2/2004).
- Galanter, Philip: What
is Generative Art? Complexity Theory as a Context for Art Theory.
Vortrag, 11.12.2003. Papers of Generative Art 2003 Conference. Politecnico
di Milano, Fakultät für Architektur des Campus Leonardo, Mailand
2003. Galanter weist in seinem Versuch, Generative Kunst zu definieren,
auf folgendes Problem in Claude Shannons Informationstheorie: Eine willkürliche
Anordnung von verschiedenen Elementen weist einen hohen Informationsgehalt
auf, während Wiederholungen identischer Elemente redundant sind
(niederer Informationsgehalt).
Galanter sucht einen Ausweg in einer Kombination aus Überraschung
(hoher Informationsgehalt) und Redundanz: "Struktur" und "Komplexität"
steigen zwischen den Extremen hoher und niederer Information. Das Maß
an "algorithmischer Komplexität" ergibt sich daraus,
wie groß die kleinste Menge an Regeln ist, die ein Universalrechner
benötigt, um die zu messende Datensequenz zu erzeugen. Die "algorithmische
Komplexität" überwindet das Problem noch nicht, da die
Zufallsanordnung den umfangreichsten Algorithmus benötigt.
Mit der "effektiven Komplexität" (Murry Gell-Mann) wird
das Kriterium "der Länge einer konzisen Beschreibung der Menge
regelmäßig wiederkehrender Eigenschaften einer Entität"
eingeführt. Die "effektive Komplexität" sowohl von
Zufall als auch von strenger Ordnung identischer Elemente tendiert gegen
Null.
Galanter bestimmt die Anwendung von Systemen als Charakteristikum Generativer
Kunst. Er schlägt vor, diese System-Anwendung mit Ansätzen
der Komplexitätstheorie zu erklären. Die Konsequez dieser
Definition ist, "dass Generative Kunst so alt wie die Kunst ist"
(10/2006).
- Lillemose, Jacob: A
Re-Declaration of Dependence Software Art in a Cultural Context
It Can't Get out of.
In: Goriunova, Olga/Shulgin, Alexej (Hg.): read-me. Software Art & Cultures
Edition 2004. University of Aarhus 2004, S.137-149. Die Abhängigkeit
Konzeptueller Kunst vom Kunstbetrieb trotz oder wegen kunstexterner
Präsentationsweisen und Themen wurde von KünstlerInnen wie
Sarah Charlesworth und Hans Haacke thematisiert. Auf eine Kritik restriktiver
Praktiken des Kunstbetriebs konzentrierte sich eine Erste Generation
Kontextueller KünstlerInnen der sechziger und siebziger Jahre.
Ab Ende der siebziger Jahre widmete sich eine Zweite Generation Kontextueller
KünstlerInnen der Kritik der Repräsentation sozialer Relationen
im Kunstbetrieb. Die Dritte Generation der Neunziger Jahre teilt Lillemose
in einen Teil, der Ansätze der ersten beiden Generationen aufgreift,
und einen interventionistischen Teil. Diese KünstlerInnen kontrastiert
Lillemose mit Peter Weibels Konzept der Funktion des Werkes als direkten
Eingriff in den Kontext. Ein bestimmter Teil der Dritten Generation
Kontextueller KünstlerInnen wechselt von der theoretischen Ebene
der Untersuchung von Kunst als soziale Konstruktion zu interventionistischen
Praktiken, soziale Beziehungen zu beeinflussen. Daraus entwickelt sich
in der Vierten Generation Kontextueller Kunst eine kulturkritisch ausgerichtete
Variante von Software Art.
Auf Sarah Charlesworths kontextkritische "Declaration of Dependence"
(The Fox, Nr.1, 1975) folgt nach Lillemose eine "re-declaration
of dependence" von programmierenden KünstlerInnen. Software
ist nicht nur Programmcode für Compiler, sondern kulturelle Praxis,
in der sich wirtschaftliche, soziale und technische Elemente kreuzen:
"Programmierer von Programmöglichkeiten" (Thomas Dreher)
erzeugen "formations rather than forms" (Nicolas Bourriaud)
durch Produkte, die von TeilnehmerInnen im Kontext angewandt und weiter
entwickelt werden. Alternative Software "constructs an user"
gegen einen von proprietärer Software abgesteckten Erwartungshorizont.
Lillemose charakterisiert nicht nur die direkte Aktion, sondern auch
die indirekt provozierenden Strategien der Agitation als Bestandteile
der Vierten Generation Kontextueller Kunst. Software als Kunst und Mittel
("tool") sind zwei sich wechselseitig erhellende oder durchdringende
Aspekte. Lillemose nennt The Yes Men, Institute of Applied Autonomy,
Electronic Disturbance Theatre, etoy, LAN, I/O/D, www.0100101110101101.org,
übermorgen, Carbon Defense League, TWCDC (Together We Can Defeat
Capitalism), Radical Software Group und Knowbotic Research als Beispiele
(6/2006).
- Ryan, Marie-Laure: Cyberspace,
Cybertexts, Cybermaps.
In: dichtung-digital. Ausgabe 1/2004 (6.Jg./Nr.31). Die Autorin spannt
einen Bogen von geographischen, mit Karten erfassten Räumen über
Karten als Visualisierung von fiktionalen (Handlungs-)Räumen zu
Datenräumen. "Statische Karten" mit und ohne Referenzen
auf Realräume ("Myst"; Coverley, M.D.: Califia,
Eastgate 2000) und "dynamische Karten", die nach Daten suchen,
mit denen sie anschauliche Systeme konstruieren (Walczak, Marek/Wattenberg,
Martin: Apartment,
2001), bilden die beiden Pole ihrer Beschreibungen von Beispielen aus
den Bereichen Hypertext-Literatur für CD-ROM und Netz, Computerspiele
und Netzkunst. So wählt Mary Flanagans [Phage]
(2000) Daten der Festplatte, kombiniert und zeigt sie in dreidimensionalen
Bewegungen "like pieces of trash on a windy day at the dump".
Mit "[Phage]" erscheint "the anti-mapper to all mappers"
(Dillon, George L.: Writing with Images. Towards a Semiotics of the
Web. Washington 2003, chap.
6.2) als letzte Konsequenz von Datensystemen, die selbstbezüglich
Datenlandschaften generieren ("Civilization", "The Sims":
"let the gameworld serve as its own map").
Als "revenge of geography" stellt Ryan Ubiquitous Computing
mit Ortungstechniken wie GPS vor. 34
North 118 West von Jeff Knowlton, Naomi Spellman und Jeremy Hight
dient Ryan als Beleg für eine Rückkehr der realen Referenten
und eines Mapping, das nicht mehr beliebig Spielräume für
Datenvisualisierung eröffnet. Das Lokalisieren von Beiträgen
zum Abruf im Realraum (<Geo-Notes>) und auf Karten (<Geo-Tagging>)
erscheint Ryan wie die Rückkehr zum Anfang der Mediengeschichte
des Textes: "...the space odyssee of the text reconnects the micro-space
of computer memory and the mega-space of the Internet with the measurable
human-scale space of the world...the text rediscovers its root in the
real world geography" und kehrt nach seiner Reise durch
materielle und immaterielle Textwelten zurück an den Start der
"Odyssee" in Kulturen mündlicher Überlieferung (4/2007).
- Trogemann, Georg: Müssen
Medienkünstler programmieren können?
In: Fleischmann, Monika/Reinhard, Ulrike (Hg.): Digitale Transformationen.
Medienkunst als Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und
Gesellschaft. Heidelberg 2004. In digitalen Medien erscheinen Programme
im "unscharfen Bereich der gesellschaftlich und sozial codierten
Nachrichten und Wahrnehmungsformen". Mit Beispielen aus der Geschichte
der Technik und der Wissenschaft plädiert Trogemann, Programmierung
in einer erweiterten, über Software hinausreichenden Perspektive
zu verstehen: "die Kulturgeschichte der programmierbaren Maschine"
als Wissen, ohne das die Funktionen von Programmen im zeitgenössischen
Alltag nicht hinterfragt werden können. Künstlerische Programmierung
soll aus dieser erweiterten Perspektive erfolgen. Allerdings verkürzt
Trogemann die sozialkritischen Aspekte mit seinem Vorschlag einer "Schule
der Kognition" für KünstlerInnen: Künstlerische
Medienkompetenz als Kenntnis des Zusammenwirkens von Interface und Code
ersetzt nicht Fragen nach ökonomischen und sozialen Einflüssen
auf Programmierung, Distribution und Programmanwendung. Die Feststellung,
dass KünstlerInnen die Erstellung von Programmcodes nicht mehr
an SpezialistInnen delegieren können und wollen, dient Trogemann
zur Aufforderung, sich mit Digitalisierung nicht nur auf der Ebene der
visuellen Wahrnehmung auseinander zu setzen, sondern auch mit Programmcodes.
Dennoch bleibt der Code bei Trogemann in der Funktion einer Projektionssteuerung
gefangen (6/2006).
- Whitelaw, Mitchell: Hearing
Pure Data. Aesthetics and Ideals of Data-Sound.
In: Altena, Arie/Stolk, Taco (Hg.): Unsorted Thoughts on the Information
Arts. A Guide to Sonic Acts 10. Sonic Acts Press/De Balie. Amsterdam
2004. Die Vorstellung "reiner Daten" ("pure data")
widerspricht nach Whitelaw der Praxis: "The data is always and
inevitably ordered, organized, formatted..." Das jeweilige Format
und seine Umwandlung in andere Formate haben Folgen für die daran
anschließbaren Rechenprozesse. Formate für Klänge besitzen
in Jason Freemans Applikation N.A.G.
(Network Aurelization of Gnutella) nicht nur die transportierten
Inhalte, sondern sie werden auch in der Organisation der Suche nach
Stücken aus Gnutella (dezentralisierte Verbreitung von meist Klangdateien
via P2P) eingesetzt ("sonification", "auralization"),
wobei die Suche eingebbaren Schlagworten folgt. Klangformate dienen
Ben Hanson und Mark Rubin (Babble
online: Applying Statistics and Design to Sonify the Internet) dazu,
brauchbare Informationen in Daten zu suchen. Während auf Daten
in Formatübertragungen via "data bending" willkürlich
und abstrakt ("<re-encoding>) zugegriffen wird, dient die
"sonification" der Suche nach Information. Trotz dieses Unterschieds
sind Daten und Informationen in der Praxis eng miteinander verzahnt.
Lev Manovich bezeichnet "data art" als "anti-sublim ("The
Anti-Sublime in Data Art", s.o.), da sie für überschaubare
Dateneinheiten sorgt. Whitelaw ersetzt "anti-sublim" mit "computational
sublime": Rechenprozesse laufen außerhalb der Einflusssphäre
von BeobachterInnen ab und können "simultaneous feelings of
pleasure and fear" provozieren (McCormack, Jon/Dorin, Alan: Art,
Emergence, and the Computational Sublime). Systeme entwerfende KünstlerInnen
sind "prototypical data-subjects", die AnwenderInnen zeigen,
wie sie "strategies and mappings" einsetzen können: "They
may show us a way, to hear for ourselves." Nach Manovich ist die
Aufgabe der Kunst in einer "license to portray human subjectivity"
festgelegt. Whitelaw ersetzt diese "single subjectivity" durch
Prozesse zwischen Personen, die immer schon "data-subjects, from
our GUIs to our ATMs" waren (4/2007; 1/2020).
- Arns, Inke: Read_me, run_me, execute_me: Some notes about software
art.
Vortrag,
Kuda.org Centre for New Media, Novi Sad, 9.4.2004. In: Kuda (Hg.): Umetnicka
praksa u vreme informacijske/medijske dominacije/Art practice in the
time of information/ media domination, Novi Sad 2004, S.39-48. Arns
unterscheidet Software Art von Computerkunst der sechziger Jahre, computergestützten
reaktiven Installationen der neunziger Jahre und Generative Art. Software
Art lenkt die Aufmerksamkeit der RezipientInnen auf die Software bzw.
auf den Code im Kontext seines Gebrauchs: Software dient nicht mehr
nur als Mittel, das entweder in Computerkunst und reaktiven Installationen
als Teil der Black Box Computer behandelt wurde oder in Generative Art
als Notation zur digitalen Oberflächengenerierung gezeigt wird.
In einer von Software geprägten Medien- und Gerätelandschaft
verweist Software Art auf die Prozesse ihrer Konstruktion und Festlegung
durch ihre AnwenderInnen und/oder ihrer Abhängigkeit von anderen
Instanzen: Mit Software steht die Gesellschaft auf dem Prüfstand,
in der Digitalisierung zum Normalfall wurde. "Codierte Performativität"
bezeichnet nicht allein eine Eigenschaft des auch von Menschen lesbaren
Codes (vgl. "Codeworks"), sondern auch die durch das Recht
(als Code) geschaffenen Rahmenbedingungen und die etablierten Anwendungsweisen.
Diese sozialen Umstände thematisieren insert_coin
von Dragan Espenschied/Alvar Freude und walser.php
von "textz.com" (Sebastian Lütgert).
Arns differenziert hier ihre These vom illokutionären Charakter
des Quelltextes aus (Arns, Inke: Texte, die (sich) bewegen..., 2001,
s. o.). (6/2004; 1/2020: Textfassung nicht mehr im Netz gefunden, dafür
ein Video
vom Vortrag. Die Textfassung ist z.Zt. nur als Druck verfügbar).
- Holmes, Brian: Durch
das Raster schweifen. Psychogeographie und imperiale Infrastruktur.
In: Springerin. Bd. X. Heft 3. Herbst 2004, S.18-21. Nach Holmes verbinden
sich in Projekten für Collaborative Mapping mit Ortungstechniken
zwei imperiale Strukturen: das Internet und GPS. Die politischen Probleme
des "Digital Divide" und die militärischen Ursprünge
beider Informationssysteme stellt Holmes als Teile einer "imperialen
Infrastruktur" dar, die sich gerade in ihrem liberalisierten sozialen
und ökonomischen Gebrauch fortsetzt. Obwohl die Strukturen des
Internet und des GPS nicht dieselben sind, behandelt sie Holmes, als
würden ihre militärischen Ursprünge heute dieselben Probleme
verursachen.
Das "World Geodetic System" ist das globale dreidimensionale
Bezugssystem für militärische Projekte und Aktionen der U.S.A.
Holmes führt Kartographie mittels des "World Geodetic System"
als Teil der "imperialen Infrastruktur" vor.
Jeron Klees und Esther Polaks Oktober 2002 in Kollaboration mit der
Waag Society realisiertes Projekt Amsterdam
Real Time zeigte die Wege, die TeilnehmerInnen mit GPS und PDA in
Amsterdam zurück legten (und antizipierte Tom Cardens und Steve
Coasts OpenStreetMap (OSM): The
Free Wiki World Map, ab Dezember 2004). Holmes kritisiert, dass
"Amsterdam Real Time" dem "hyper-rationalistischen Raster
der imperialen Infrastruktur" nicht entkomme. Es liefere "eine
fragile, mit Mehrdeutigkeiten gespickte Geste" und erfüllt
damit nicht, was Holmes fordert: "soziale Subversion, psychische
Entkonditionierung und eine Ästhetik der dissidenten Erfahrung."
Letztere liefert ihm der Situationismus nach dessen Verzicht auf Constants
Visualisierungen des Unitären Urbanismus. Kritische Kommentare:
Beiguelman, Giselle: Re:
Interactive City: irrelevant mobile entertainment? (18.8.2006) In:
Institute for Distributed Creativity. iDC mailing list. iDC Digest.
Vol.22/Issue 19, 19.8.2006; Cloninger, Curt: Comments
to Holmes, Brian: Psychogeography and Imperial Infrastructure. In:
Turbulence.org. networked_performance: Research Blog about network-enabled
performance, 31.12.2004; Shepard, Mark: Re:
Interactive City: irrelevant mobile entertainment? (17.8.2006) In:
Institute for Distributed Creativity. iDC mailing list. iDC Digest.
Vol.22/Issue 18, 18.8.2006 (10/2006; 1/2020: Springerin bietet auf Ihrer
Website nicht mehr die deutsche Übersetzung an).
- LeMay, Matthew: Reconsidering
Database Form: Input, Structure, Mapping.
In: dichtung-digital. Ausgabe 2/2005 (7.Jg./Nr.35). Der Beitrag enthält
folgende Gegenthesen zu Lev Manovichs Aufsätzen "The Anti-Sublime
Ideal in Data Art" (2002, s.o.) und Database
as a Genre in New Media (1998, integriert mit Modifikationen in
"The Language of New Media", Cambridge/Massachusetts 2001,
S.218-243. s. Beiträge
zur Geschichte der NetArt, oben):
1.) Die Folge von Manovichs Grundannahme einer "grundsätzlichen
Trennung zwischen Form und Inhalt" ist seine Darstellung der "endless
ways to map one data set onto another" als Problem der Mapping
Art. Dieser Auffassung hält LeMay entgegen, dass es bei Mapping
Art um "komplexe Zusammenhänge zwischen Daten und Database",
nicht aber um Übertragungen von additiv erweiterbaren Sammlungen
"separater Elemente" (Manovich) geht.
2.) Zwischen der Organisation von Datensammlungen und Databases muss
präziser unterschieden werden als dies Manovich tut, da er unterschiedliche
Zusammenhänge von "Form" und "Inhalt" in "static"
und "dynamic data sets" nicht berücksichtigt. Mit manuellen
Eingaben organisierte statische Zuordnungen von Dateien mit Bild- und
Klangformaten zu Text-Indices sind die Voraussetzung, um in digitalen
Archiven suchen zu können. Generierte dynamische Zusammenstellungen
als Resultate computergestützter Suche nach eingegebenen Schlagworten
können, anders als in von BeobachterInnen für BeobachterInnen
zusammengestellten Archiven, dazu führen, dass ihre Ergebnisse
ratlos lassen, weil sie (noch) nicht in Denkrahmen integrierbar sind.
Der Unterschied zwischen statischen und dynamischen Datenkonfigurationen
lässt sich an den Unterschieden zwischen Systemen für CD-ROMs
und Suchsystemen im Internet zeigen: Im Gegensatz zu statischen Strukturen
auf CD-ROMs erscheint die Abhängigkeit der Suchsysteme im Internet
von Indices, die durch Eingaben hinzugefügt wurden, als unbefriedigende
Kombination von dynamischer Suche mit statischen Zuordnungen.
3.) "Anti-sublim" ist nicht die Übertragung von unübersichtlichen
Datensammlungen in übersichtliche Visualisierungen, sondern die
"database logic". So können Auswahl, Organisation und
Präsentation als in einem wesentlich engeren Wechselspiel stehend
betrachtet werden, als dies Manovich in seiner einseitigen Ausrichtung
auf die "beautification of data" (Simanowski, Roberto: Mapping
Art as Cultural Form in Postmodern Times 2005) tut. Zur Database gehört
"the interconnectedness between data-as-content and structure-as-form".
Gerade darin besteht nach LeMay die von Manovich behauptete, aber nicht
adäquat begründete Schlüsselstellung der Database (4/2007).
- Ries, Marc: Überlegungen
zu einer Kartographie des Unsichtbaren. Stadterfahrung und Internet.
Vortrag, "Negotiating Urban Conflicts", Konferenz, Institut
für Soziologie, Technische Universität Darmstadt, 8.-9.4.2005.
Auf Englisch in: Berking, Helmuth/ Frank, Sybille/Frers, Lars/Löw,
Martina/Meier, Martina/Steets, Silke/Stoetzer, Sergej (Hg.): Negotiating
Urban Conflicts. Interaction, Space and Control. Bielefeld 2006, S.167-175.
Ries beschreibt Stadterfahrungen als Relationen zwischen Sicht- und
Unsichtbarem. Nur über die abstrakte Gesamtansicht der Karten wird
das im Kontext wegen der perspektivischen Brechungen der PassantInnen
Unsichtbare faßbar. Im Vergleich zum "abstrakten Grundriß
für den planerischen Blick" eröffnet das Web "einen
eigenen Raum, einen sozio-medialen Raum, der Teil einer Geoästhetik
der Medien ist." "Das Internet funktioniert nicht wie ein
geographischer Raum mit einem Hier und einem Dort, es ist ein rein relationaler
Raum mit dem ausschließlich ein Hier und ein Jetzt gegeben ist."
Das ermöglicht "mediale[...] Schnittstellen" für
eine "Beteiligungsdemokratie" (4/2013).
- Whitelaw, Mitchell: System
Stories and Model Worlds. A Critical Approach to Generative Art.
Vortrag, Readme 100, Software Art Factory, Stadt- und Landesbibliothek
Dortmund, 5.11.2005. In: Goriunova, Olga (Hg.): Readme 100. Temporary
Software Art Factory. Festival for Software Art and Cultures. HartWareMedienKunstVerein,
Dortmund/Stadt- und Landesbibliothek Dortmund 2005/Norderstedt 2006
(Book on Demand/.pdf),
S.135-154. Whitelaw will den Gegensatz zwischen einer an visuellen Prozessen
orientierten Generativen Kunst und einer Netzbedingungen kritisierenden
Software Art ("formalism" versus "culturalism")
aufheben. Er schlägt vor, generative Projekte als "Systeme"
mit "formaler Struktur" zu lesen, die sowohl Modelle möglicher
Welten sind als auch Zeichen enthalten, die in einem Kontext erscheinen,
in dem sie interpretierbar sind ("system stories"): "A
cultural critique of software art systems is the bridge spanning [Florian]
Cramer´s formalist/culturalist duality."
Whitelaw versucht durch die Auswahl der Beispiele eine Brücke zwischen
Generativer Kunst und dem Veranschaulichen von Informationen aus Databases
im Kommunikationsdesign (Mapping) zu schlagen: "Golan Levin´s
Axis
applet abstracts political rhetoric into a database-driven combinatoric."
Einige seiner Beispiele generativer, formal ausgerichteter Kunst stammen
aus den beiden Plattformen Software
{Structures} (s.o., Plattformen) und CODeDOC
(s.o., Plattformen), beide in "Artport"
des Whitney Museum of American Art in New York. Software als aktivistisches
Tool, das Interventionen in Datenflüsse erlaubt, erwähnt Whitelaw
am Schluss nur, um ihre Reichweite als begrenzt, weil "more local,
situated, concrete", vorzustellen.
Whitelaw greift Ansätze auf, Zusammenhänge zwischen autonomer
abstrakter Kunst und Umwelt herzustellen, indem Interpretationen der
formalen Werkstruktur um Bezüge zu den Entstehungs- und Rezeptionskontexten
erweitert werden. Er integriert in diese Vorgehensweise die Relation
Quellcode Rechenprozess und den (mit Lev Manovichs Abstraction
and Complexity behaupteten) Paradigmenwechsel der abstrakten Kunst
von Reduktion zu Komplexität (4/2007).
- Mateas, Michael/Montfort, Nick: A
Box, Darkly. Obfuscation, Weird Languages, and Code Aesthetics.
Vortrag, "6th Digital Arts and Culture Conference", IT-Universitetet
i København, Kopenhagen, 2.12.2005. Druckfassung: Proceedings of the
6th Annual Digital Arts and Culture Conference. IT University of Copenhagen.
Copenhagen 2005, S.144-153. ProgrammiererInnen verfolgen das Ideal,
einen möglichst "eleganten und klaren" Code ("elegance
and clarity") für eine Aufgabe zu entwerfen. Im "Obfuscated
Programming" dagegen werden Codes bevorzugt, die das Erkennen der
auszuführenden Aufgabe erschweren.
Auch wenn diese Codes zwar maschinenlesbar sind, so sind sie doch primär
für die Lesbarkeit von Menschen angelegt. Am Beispiel eines in
der Programmiersprache C geschriebenen Code, mit dem ein Ausdruck der
Worte "Hello World" gestartet werden kann, zeigen die Autoren
Mateas und Montfort, wie sich der Code zu "layers of obfuscation"
erweitern lässt. Seit 1984 werden von Jurys im "International
Obfuscated C Code Contest" (IOCCC)
Beiträge ausgewählt, welche die "dark side of computing"
am Besten vorführen.
Seit 1996 organisiert "The Perl Journal" den "Obfuscated
Perl Contest". Mindestens so gut wie C ist die Programmiersprache
Perl dazu geeignet, schwer lesbare Codes zu entwerfen, da sie mehrere
Alternativen für die Steuerung eines Rechenprozesses anbietet.
Da die Befehle viele Begriffe der Alltagssprache entnehmen, eignet sich
Perl sehr gut für ein "double coding" aus Steuerbefehlen
für Computer ("procedural meaning"), die auch als Texte
lesbar sind ("textual meaning"). Auch wenn Perl Poetry "double
coding" nutzt, so achten auch hier die die AutorInnen vor allem
auf die Lesbarkeit als Text, weniger auf die vom Rechner auszuführenden
Funktionen.
In "weird" oder "esoteric languages" werden Programmiersprachen
mit möglichst wenig Grundelementen entworfen, die zwar Ansprüche
von Turingmaschinen an "Universalität" erfüllen,
aber schwer an verschiedene Aufgaben anpassbar sind. "Brainfuck"
und "OISC" ("One Instruction Set Computer") werden
als Beispiele für "minimalist languages" vorgestellt,
die "comment on computer architectures as well as the nature of
computation."
Mateas und Montfort zeigen die Bedeutung von "double coding"
und der "puzzle-like nature of coding" "for any theory
of code", weil sie "present in all coding activity" sind
(4/2015).
- McGonigal, Jane Evelyn: This
Might Be a Game. Ubiquitous Play and Performance at the Turn of the
Twenty-First Century.
Dissertation. Philosophy in Performance Studies. University of California.
Berkeley 2006. McGonigal stellt Beispiele von 2001-2006 für die
Anwendung von Ubiquitous Computing in Games vor, die TeilnehmerInnen
mit technischem Equipment (Mobiltelefone, PDAs, digitale Kameras, GPS
Empfänger u.a.) in Außenräumen spielen. Sie untersucht die
Spiele nach Gesichtspunkten, die für DesignerInnen und SpielerInnen
relevant sind.
Ihre Unterscheidung in Ubiquitous Computing Games und Pervasive Games
setzt die Unterscheidung in überall einsetzbares (ubiquitous) und
nur kontextspezifisch einsetzbares technisches Equipment (pervasive)
voraus. Neben diesen Games mit eigenem technischem Equipment stellt
McGonigal auch Ubiquitous Games vor, für die TeilnehmerInnen eigene
technische Mittel (Internet) einsetzen: Die Alternate Reality Games
(ARG) sind auf eine andere Weise "ubiquitous" als die Ubiquitous
Computing Games. Während das Spielfeld der Ubicomp Games für
neue Spiele an verschiedenen Orten eingerichtet werden kann, erfordern
die ARGs von SpielerInnen, herauszufinden, wo die SpielleiterInnen (Puppet
Masters) weitere Informationen in teilweise verschlüsselter Form
hinterlassen. Den Zusammenschluss von SpielerInnen zu Gruppen, die kollaborativ
die Aufgaben lösen, schildert McGonigal am Beispiel der Cloudmakers,
welche die Puppet Masters von "The Beast" herausforderten.
Während die ARGs von TeilnehmerInnen verlangen, dass die Fiktion
des Spieles als Wirklichkeit anerkannt wird, setzen Pervasive und Ubicomp
Games mobile SpielerInnen voraus, die das technische Equipment mit Alltagsanforderungen
koordinieren können.
Statt Spiele, die Wendigkeit im Alltag erfordern, von Spielen zu unterscheiden,
die eine ergänzende Bedeutungsebene etablieren (Pragmatik/Fiktion),
setzt McGonigal überall die Bildung eines sich von der Umwelt abgrenzenden
oder von ihr abgehobenen Spielhorizontes voraus (Johan Huizingas "toovercirkel"/"magic
circle"), der dann durch die erforderliche Anpassung an vorgefundene
Umweltbedingungen auf verschiedene Arten (auf)gebrochen wird. Abweichend
von Markus Montola
hält sie diese Brechungen nicht für ein Phänomen neuer
Spielformen, sondern weist Brechungen nach, welche die Geschichte der
Theorien für Spiele beeinflusst haben (7/2009).
- Paloque-Bergès, Camille: Poétique des codes sur le réseau
informatique: une investigation critique.
Forschungsprojekt im Rahmen eines Master 2 de Lettres Modernes, l´Ecole
Normale supérieure Lettres et Sciences humaines de Lyon, 2005-2006.
Druckfassung: Éditions des archives contemporaines. Paris 2009.
Paloque-Bergès stellt ein Feld literarischer Experimente mit
Codes vor, das von Textgeneratoren bis zur Code Poetry reicht
von der Entwicklung von Programmen für Textgenerierung bis zu den
Textformen der Code Poetry, die zwar von Codes angeregt, aber nicht
maschinenlesbar sind. Die Autorin beschränkt sich auf Werke, die
im Internet publiziert oder als Netzkunst realisiert wurden.
In der Einleitung weist Paloque-Bergès auf Florian Cramers Thematisierung
des nicht nur von Rechnern ausführbaren, sondern auch von Menschen
lesbaren Codes: Der geschriebene Code hat Textcharakter («performativité»,
«textualité»), den Graphic User Interfaces (GUI)
verstecken und nur indirekt, als von Rechenprozessen ausgelöste
Bildschirmpräsentationen, erkennen lassen. Paloque-Bergès
stellt verschiedene künstlerische Strategien vor, die Relationen
Code-Text und Code-Rechenprozess-Präsentation (bzw. Output) zu
thematisieren. Sie orientiert sich dabei methodisch häufig an Gary
Lee Stonums Diskussion der Relationen «message/code/bruit»
(S.133; Stonum, Gary Lee: For
a Cybernetics of Reading. In: Modern Language Notes. Vol.92/Nr.5.
December 1977, S.945-968) und folgt Michael Riffaterres Referenztheorie,
nach der Bezüge von Äußerungen auf Außersprachliches
nur durch intertextuelle Bezüge möglich sind: Referenz wird
innersprachlich konstituiert (S.133f.; Riffaterre, Michael: Sémiotique
de la Poésie. Paris 1983). Während die Autorin Stonums Auffassung
von «bruit» als «un code virtuel, à faire emerger»
(S.55,133) vorstellt, verzichtet sie leider auf eine kurze Vorstellung
von Riffaterres Auffassung einer innersprachlichen Konstitution von
"Mimesis". Dem potentiell aus «bruit» bildbaren
Code (Emergenz) steht der Code gegenüber, den Paloque-Bergès
als «mimesis elle-même mimée» (selbst-imitierend)
vorstellt und von selbstbezüglichen formalen, nicht-mimetischen
Sprachen abgrenzt (S.80).
Die experimentelle Literatur kreuzt Sprache und Programmierung auf verschiedene
Arten:
- Charles O. Hartman (Projekt Virtual
Muse, 1996, S.23-26,29f.,38f.) und Jim Carpenter ("Electronic
Text Composition Project, Public
Override Void", 2005-2006, S.36-39) setzen Generatoren
zur Erzeugung von Texten ein. Carpenter betont den Vorrang des Programms
vor den errechneten Texten und schreibt dem Programm den Status
des Werkes zu. Während Hartman in handschriftlicher Übertragung
und durch Überarbeitung den generierten Texten das Irritierende
nimmt, stellt Carpenter das Generierte aus.
- «Languages ésotériques» wie Ook
von David Morgan-War (ab 1990, S.59) oder Brainfuck
von Urban Müller (1993, S.56) sind aus zwei bis acht Grundelementen
konstruierte Programme. Nicht ihre Brauchbarkeit zur Ausführung
von Funktionen, sondern die Vorführung der "Kunst",
Programme zu erfinden (mit Donald E. Knuth: «l´art de
la programmation», S.12,41f.,80f.), ist das Ziel der Autoren.
- Wettbewerbe regen die Entwicklung von Codes in Programmiersprachen
wie C oder Perl an. Jurys bewerten bestimmte Arten, ein Ziel zu
erreichen. So wird im "International Obfuscated C Code Contest"
(IOCCC, S.50f.)
jedes Jahr ein besonders schwer nachvollziehbares Programm von einer
Jury ausgesucht (grand
prize/Best of Show winners): Maschinenlesbare Codes sollen besonders
raffiniert in ihrer Art sein, LeserInnen Rekonstruktionen der Steuerung
des Rechners zu erschweren.
- Paloque-Bergès wählt Beispiele der Netzkunst unter
Anderem von ASCII Art Ensemble, Giselle Beiguelman und Jodi
, in denen Andeutungen und Vortäuschungen von Störungen,
nicht aber Experimente mit Rechenprozessen die Werkrezeption prägen:
«Les net.artistes jouent à mimer la complexité
de l´environnement informatique en faisant des manipulations
de surface pour faire signe vers les <profondeurs> du code.»
(S.90)
- Während in "Perl Poetry" poetische Fragen die Programmierung
bestimmen (Larry Wall (Just
another Perl Hacker, März 1990, S.61) und Perlmonks (mit
life.pl, 2005, und
Hard Times, 2005,
S.61f.)), ohne die Maschinenlesbarkeit aufzugeben, werden in "Code
Poetry" Schreibweisen von Codes in Texte integriert, die dadurch
zwar ungewöhnliche Buchstabenfolgen enthalten, aber meist nicht
mehr maschinenlesbar sind: «Le code est transformée
en pseudo-code» (S.113). Der Computerkontext, aus dem in Codeworks
von MEZ Breeze, Alan Sondheim oder Pascale Gustin (S.114-119,122f.,126-130)
Kombinationen von Textzeichen entnommen wurden, kann LeserInnen
schon deshalb weitere Anregungen für die Ausarbeitung von Dechiffriermöglichkeiten
liefern, weil viele Werke für diese Art der Rezeption erfunden
wurden.
In ihren Analysen des Konfliktfeldes zwischen "Obfuscation"
des Codes, auf Code-Eigenschaften meist nur verweisender, nicht aber
mit Codes experimentierender Netzkunst und der Code Poetry verwendet
Paloque-Bergès häufig die Begriffe «double codage»
(S.56,60,63f.,66,80,86,118,131) und «mimesis» (S.38,80,113
mit Anm. 375). Letzteres steht für gesuchte Verwandtschaften zwischen
Programm- und Texteigenschaften (S.113:«le...pseudo-code [des
codeworks] mime le language de programmation mais qui perd sa fonction
d´instruction au profit de la fonction expressive.»), während
der Begriff «double codage» Codes bezeichnet, die neben
ihrer Maschinenlesbarkeit («fonctionnel», S.57) auch als
Text für LeserInnen 'Sinn' haben («naturel»: «un
autre sens pour le lecteur humain», S.57. Vgl. Mateas/Montfort:
A Box, Darkly, s.o.). Paloque-Bergès analysiert sowohl dieses
Problemfeld der Performanz von Codes und Texten als auch die für
ihre Verbreitung im Internet genutzten Internetforen.
Codeworks wurden von ihren AutorInnen in Mailing Lists verbreitet. Dort
gerieten die AutorInnen durch die Abweichungen ihrer Beiträge von
diskursiven und dialogischen Textformen in Außenseiterrollen.
Die AbsenderInnen von Codeworks wurden mit vielen protestierenden Mails
konfrontiert. Außerdem gab es zahlreiche Abmeldungen von den mit
Codeworks überfluteten Listen.
Paloque-Bergès stellt die Strategien von Jodi und NN Antiorp
vor, LeserInnen und AdministratorInnen von Mailing Lists herauszufordern.
Diese Herausforderungen ("Spam Art") enthielten im Falle der
Mail-Flutung von "Syndicate" (1996-2001) und "nettime"
durch NN Antiorp (S.108f.,111f.) nicht nur Code-nahe Texte, die verdächtige
Codes filternde Programme und Empfänger der Mails alarmierten,
sondern auch Angriffe auf die Kommunikationsformen von TeilnehmerInnen
der Liste: NN Antiorp lotete die Möglichkeiten zur Gegenattacke
auf die Proteste von ListenteilnehmerInnen aus. Paloque-Bergès´
Analyse von NN Antiorps Gegenattacken lässt allerdings kein über
die Destruktion der Kommunikation in Internetforen hinausgehendes Ziel
erkennen.
Anders als MEZ Breeze und Alan Sondheim in ihren "webartery"
bereichernden Beiträgen stellt die Gruppe NN Antiorp mit "Syndicate"
auch ihre Kommunikationsbasis in Frage: Mit dem Ende einer Mailing List
wird auch ihr Archiv vom Server gelöscht, sofern es nicht als Dokument
gespeichert wird.
«Poétique des codes sur le réseau informatique»
ist eine grundlegende Untersuchung digitaler Literatur mit den Relationen
zwischen Präsentationsformen und Code als Leitfaden. Leider erschwert
es die Autorin durch ihre Reduktion auf knappe Hinweise den LeserInnen,
ihrer Vorstellung von wenig beachteten Aspekten digitaler Literatur
zu folgen und ihren Interpretationsansatz zu erkennen (4/2015; 1/2020:
nicht im Web gefunden).
- Simanowski, Roberto: Transmedialität
als Kennzeichen moderner Kunst.
In: Meyer, Urs/Simanowski, Roberto/Zeller, Christoph (Hg.): Transmedalität.
Zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren. Göttingen 2006,
S.39-81. Der Begriff Transmedialität bezeichnet in Simanowskis
Definition den "Übergang konfigurierter Zeichenverbundsysteme
ineinander". Nach Jay David Bolters und Richard Grusins "Remediation:
Understanding New Media" (Cambridge/Massachusetts 1999, S.19-44)
gibt es in der "Geschichte der Vermischung verschiedener Formen
der Repräsentation" Darstellungsweisen, die BeobachterInnen
an das "Medium" erinnern oder es leugnen: "Hypermediacy"
und "Immediacy". Eine thematisierte Transmedialität ("Hypermediacy")
stellt Simanowski als zeitgenössische Konsequenz aus dem von Clement
Greenberg in "Towards a Newer Laocoon" (1940) artikulierten
Anspruch vor, dass Kunst "purity" durch die Akzeptanz der
Grenzen ihres Mediums mittels Reduktion aller Selbstbezüglichkeit
störenden Elemente erreiche. Problematisierungen der eigenen Medien
setzen nach Simanowski heute voraus, Multi-, Inter- und Transmedialität
zu thematisieren. Von der Reduktion von allem einem Medium Fremden
dies war der Kern von Greenbergs "formal criticism"/"modernism"
lässt sich ihr Anlass retten, also die selbstbezügliche
Reflexion des Mediengebrauchs, "denn Multimedialität ist die
logische Konsequenz der Übersetzung aller Informationen in einen
digitalen Code."
Simanowski thematisiert "Transmedialität" in Werken,
die nicht nur programmierte Medien enthalten. An Beispielen von Emmett
Williams ("13 Variations on 6 Words of Gertrude Stein", 1958/65)
und Tim Noble/Sue Webster ("Dirty White Trash (with Gulls)",
1998) stellt Simanowski verschiedene Arten der Transmedialität
vor. Williams überschreibt einen Text bis zur Unlesbarkeit. Der
Text wird zum visuellen Gewebe, nicht ohne auf seine Herkunft zu verweisen:
"Transmedialität besteht in der Potenzierung eines Mediums".
Noble/Webster installieren eine aus Müll arrangierte Skulptur so
vor einem Scheinwerfer, dass ein Schattenspiel entsteht. Die Skulptur
liefert mit ihrem Umriss als Lichtbrecher einen ungewöhnlichen
Anlass zum Recycling: Wird hier nur "Plastik zum Bild", oder
wird nicht vielmehr die Plastik in eine (Installation als) Vorführung
der Erzeugung von Schattenrissen integriert? Die Frage zeigt, dass Transmedialität
(auch) eine Frage der Beobachung ist und Simanowski thematisiert
Transmedialität als "Transfer, der im Moment der Rezeption
stattfindet...oder thematisiert wird".
Die programmierte Transmedialität stellt Simanowski mit Laurent
Mignonneau/Christa Sommerers "Life Spacies II" (1999, Internet
und Installation) vor: Texteingaben werden in Pflanzenformen transformiert.
Der "numerische Code" wird in Mapping Art zum Anlass "transmediale[r]
Kopien", die Datenkonfigurationen erstens im Hinblick auf
soziale Prozesse, die sie wiedergeben oder von denen sie erzeugt werden,
leichter lesbar machen, zweitens sie zum Anlass der Erzeugung
"abstrakter Gebilde" verwenden, oder drittens sie "in
den Dienst einer Aussage, wenn auch nicht über diese Daten selbst"
stellen. Mapping Art wird nicht nur als Problem der Festlegung von Codes
der Übertragung von Datenkonfigurationen thematisiert, sondern
auch als Problem der Plausibilität für BeobachterInnen.
"Visualisation art is concerned with the anti-sublime" meint
Manovich (in "The Anti-Sublime Ideal in Data Art", s.o.),
und Simanowski entgegnet ihm mit der Vorstellung von Mapping Art als
"neue Stufe des technisch Erhabenen", wobei KünstlerInnen
das "Unfassbare in verständliche ästhetische Formen"
bringen, ohne das Ästhetisierte kommentieren zu müssen. Mit
der Verschiebung der Kernfragen von Mapping Art vom Programmcode zu
den Wirkungen, die er maschinell erzeugt, und damit von "Meta-media"
(Manovich) zur beobachteten Transmedialität, kann Simanowski zwar
"die postmoderne Erfahrung, dass es keinen einen Punkt gibt,
von dem aus Wirklichkeit verstanden werden kann", nicht aber die
nicht beliebig pluralisierbare Wirklichkeit des Technisch-Digitalen
und ihrer Programmierung thematisieren. Dann wäre auch nicht mehr
der Medienübergang selbst, sondern die Programmierung und die technischen
Möglichkeiten ihrer maschinellen Umsetzung relevant. Und aus dieser
Perspektive sind "Programmierkenntnisse" nicht mehr nur <handwerklich>,
weil für transmediale Prozesse und andere brauchbar, sondern Programmiersprachen
(und die Kulturen der Programmierer) wären ein entscheidender Bezugspunkt
der Reflexion, während Transmedialität nur als Folge des Programmierbaren
erschiene (4/2007).
- Yoshida, Miya: The
Invisible Landscapes: The Construction of New Subjectivities in the
Era of the Mobile Telephone.
Diss. Malmö Academies of Performing Arts, Lund University. Lund
2006. Yoshida stellt Kunst für Mobiltelefone als Teil eines Prozesses
vor, der zu "Invisible Landscapes" führt. Im Zentrum
ihrer Argumentation steht eine Verschiebung vom Les- zum Hörbaren
und damit zum Unsichtbaren. Die Bedeutung, die heute Bildschirme von
Mobiltelefonen spielen, ist für Yoshida noch nicht entscheidend.
Sie wählt fünf Beispiele aus den Gruppenausstellungen "Invisible
Landscapes" in Malmö (2003), Bangkok (2005) und Lund (2006),
die von ihr (ko-)kuratiert wurden. Zwei ihrer Beispiele (Tony Oursler,
Shilpa Gupta) sind Werke für Mobiltelefone, drei weitere (Laura
Horelli, Annika Ström, Henrik Andersson) thematisieren den Mobilfunkkontext
als Installation, Video oder Tondokument. Yoshida ergänzt diese
Beispiele um ein in Lund dokumentiertes Projekt von Rimini Protokoll
(Call Cutta Mobile Phone Theater, 2005), das die Praxis indischer Telefondienste
an einem Beispiel zeigt. MitarbeiterInnen eines Call Centers führen
von Kalkutta aus via Mobiltelefon TouristInnen durch Berlin. In ihrer
überzeugenden Interpretation dieses Projekts folgt Yoshida Anregungen,
die sie in Maurizzio Lazzaratos "Lavoro immateriale" (1993/97)
fand.
Der unsichtbare Hörraum der Mobiltelefone (oder einer bestimmten
Nutzung von Mobiltelefonen im Spektrum Mobiltelefon-Smartphone-PDA-Laptop-Computer)
provoziert ein "injured listening" und im produktiven Umgang
mit Klangdateien eine musikalische "culture of copy". Diese
Kultur führt zu "iPodjacking" (den Kopfhörer in
iPods unbekannter PassantInnen stecken und das Archiv mithören)
und zum "Sharing" von Tondokumenten mit tragbaren Geräten
(TunA
und Café
Sound Life für PDAs). Dieser Umgang mit Tondokumenten steht
exemplarisch für eine "psychological flatness" (David
Joselit: Notes on Surface. In: Art History. Vol. 23/No. 1. March 2000,
S. 19-34). Diese Fähigkeit, die "flatness" und den Umgang
von Angestellten der Telefondienste mit Kunden, den Rimini Protokoll
vorführen, modifizieren und damit `brechen´ zu können,
weist Yoshida als Teil einer Subjektivität (Imagination und Produktivität)
aus, die nach Lazzaratos Darstellung zeitgenössisches Management
nicht mehr nur von Fachkräften, sondern auch von allen Angestellten
fordert.
In ihrer "juxtaposition" verschiedener Bereiche des Mobilfunkkontextes
stellt Yoshida die Vorgeschichte der Telekommunikation, die sie einsetzende
Kunst sowie die wirtschaftliche und soziale Rolle der Koltan-Schürfung
vor (visualisiert von Alice Creischer und Andreas Siekmann). Koltan
dient unter anderem der Gewinnung von Tantal für Kondensatoren
der Mikroelektronik mit hoher elektrischer Kapazität, die in Mobiltelefone,
Laptops u.a. eingesetzt werden.
Das Medium Mobiltelefon wird als kontrollierter und kontrollierbarer
Hörraum und mit Arjun Appadurai als Teil einer Durchdringung
von "ideo-, media-, ethno-" und "financescape" vorgestellt
(6/2009).
- Taylor, T.L.: Beyond
Management. Considering Participatory Design and Governance in Player
Culture.
In: First Monday. Special Issue Nr.7. October 2006. Taylor charakterisiert
vier Arten, SpielerInnenverhalten in das Design und Management von MMOGs
(Massively Multiplayer Online Games) einzubeziehen: "...players
as consumers, (potential) disruptors, unskilled/unknowledgeable users,
and rational/selfish actors." Sie vermisst dabei die Berücksichtigung
von aktiven SpielerInnen, die nicht nur Vorgaben folgen, sondern eigenständige
SpielerInnenkulturen bilden, die auch Folgen für die Spielweisen
haben.
Sony Online Entertainment arbeitet bei der Weiterentwicklung von EverQuest
mit SpielerInnen zusammen. Veranstaltungen für SpielerInnen sind
teils Werbeveranstaltungen und teils Treffen zwischen DesignerInnen
und SpielerInnen. Die Praxis, mit SpielerInnen, die auffielen, in "strong
participatory design" zusammen zu arbeiten und sie für die
Entwicklung anzustellen, kritisiert Taylor: Die Eigenständigkeit
von SpielerInnenkulturen und ihr Zusammenhang mit dem kulturellen Kontext
gerät mit SpielerInnen, die ihrem Arbeitgeber verpflichtet sind,
aus dem Blickfeld.
Als Beispiel für diese Eigenständigkeit erwähnt die Autorin
einen SpielerInnenstreik in "World of Warcraft" (Januar 2005),
der von Blizzard mit dem Hinweis beantwortet wurde, dass "protesting
in game" kein "valid way to give us feedback" sei. Die
Konten von SpielerInnen des "warrior protest", der auf einem
bestimmten Server an einem bestimmten Tag zu festgelegter Zeit andere
TeilnehmerInnen am Spielen hinderte, wurden gelöscht.
Auch wenn in dem Projekt "Rapunsel"
(2003-2006) von Mary Flanagan, Ken Perlin, Jan Plass und einem ForscherInnenteam
zwar ein Spiel, aber kein MMOG entwickelt wurde, so ist doch nach Taylor
die Integration von SpielerInnenverhalten in den Designprozess mit seinem
"core value set" beispielhaft: "autonomy, equity, access,
creativity, diversity, empowerment and authorship." (7/2009; 1/2020)
- Nitsche, Michael: Claiming
Its Space: Machinima.
In: dichtung-digital.org. Nr.37/2007. Nitsche skizziert die 2001 beginnende
Entwicklung von Filmen, die mit Game Engines erstellt worden sind und
auf Internet-Plattformen verbreitet werden. Der Autor betont dabei nicht
nur die Einführung von kinematografischen Elementen in das von
Games wie "Doom", "Stunt Island", "Quake",
"Halo", "World of Warcraft", "The Movies"
und "The Sims" bestimmte Animationsvokabular, sondern auch
den "performative aspect" (Aarseth, Espen J.: Cybertext. Baltimore/Maryland
1997, S.21) einer nach dramatischen Kriterien veränderbaren vorprogrammierten
virtuellen Welt (Laurel, Brenda: Toward the Design of a Computer-based
Interactive Fantasy System. Dissertation. Graduate School of Ohio State
University, Columbus/Ohio 1986, S.21).
Nitsche erörtert Machinima-Produktionen als Nachfolger der heute
nicht mehr angebotenen Möglichkeiten zur Erstellung von Demo Files,
in denen SpielerInnen den Spielverlauf speichern konnten. Wenn im Spielsystem
der im Demo File gespeicherte Spielverlauf (re-)aktualisiert wurde,
dann erschien die Performance einer Spielerin/eines Spielers in einer
filmischen Beobachtungssituation: Mit diesem Übergang zwischen
dokumentiertem Gameplay und Film antizipierten Demo Files nach Nitsche
spätere Machinima-Produktionen.
An Hand von drei Beispielen zeigt er, wie "in-game topics"
von "World of Warcraft" in Machinima-Filmen thematisiert werden:
Deren Handlung ist von Konflikten bestimmt, die SpielerInnen vertraut
sind. Außerdem kann das Interface eines Computer Games ebenfalls
zum handlungstragenden Element des Films werden (z.B. Pals
for Life: Leeroy Jenkins, 2005, bis 24.10.2014 in YouTube 41 Millionen
mal angesehen; 9/2022: nicht mehr in YouTube).
Von diesen "Inside-out"-Produktionen sind "Outside-in"-Produktionen
wie Katherine Anna Kangs "gothic fairy tale" Anna
(2003) zu unterscheiden, in denen das Animationsvokabular der Game Engines
für spielunabhängige Filme ("stand-alone animation pieces")
eingesetzt wird. Während Kang bekannte literarisch-filmische Topoi
wiederbelebt, entsteht in den "friction zones" zwischen "game",
"play" und "presentation" nicht nur technisch, sondern
auch filmästhetisch Neues.
In "Machinima as Media" (in: Lowood, Henry/Nitsche, Michael:
The Machinima Reader. Cambridge/Massachusetts 2011, S.113-125) wird
Nitsche auf die Gefahr hinweisen, dass durch den Einsatz von "screen
capture and postproduction techniques" sich zwar neue Entwicklungsmöglichkeiten
für Machinima-Produktionen ergeben, dafür sich aber auch die
Gefahren "for the identity of machinima as its own format"
erhöhen (4/2015).
- Goriunova, Olga: Swarm
Forms: On Platform and Creativity.
In: Mute. Vol.2/Nr.4. January 2007, S.46-57. Während statische
Plattformen ihre Inhalte auf einer zentralen Schnittstelle zeigen und
KuratorInnen für die Themenausrichtung sorgen, ermöglichen
dynamische Plattformen Zugänge über mehrere Schnittstellen
und AdministratorInnen sorgen für die Aufrechterhaltung der Funktionen,
kümmern sich aber nicht um die Inhalte.
Neben den unter dem Schlagwort Web 2.0 viel diskutierten dynamischen
Plattformen, die kommerziell betrieben werden, während die Urheberrechte
den Beitragenden gehören ("shared copyright"), sieht
Goriunova eine Möglichkeit für Kunstplattformen ("art
platforms"), themenorientiert und unabhängig zu bleiben. Die
fehlende Menge an BesucherInnen hält InvestorInnen ab und garantiert
Unabhängigkeit.
Plattformen betreibende EnthusiastInnen und TeilnehmerInnen sollten
sich um die Themenausrichtung kümmern. Kennzeichen einer Kunstplattform
ist es nach Goriunowa, eine "kulturelle Entität" ("cultural
entity") zu bilden: "Its subject is avant-garde and marginal."
Als Beispiele für Kunstplattformen nennt Goriunova wie schon
in älteren Artikeln Micromusic.net
und Udaff.com neben der Plattform runme.org
(s.o., Plattformen), die sie mitbegründete.
Der Unterschied zwischen den Kunstplattformen und den Plattformen für
einen "hive mind" ist Goriunova offenbar wichtiger als der
zwischen statischen und dynamischen Plattformen. Ihr Resumee: "...platforms
cannot in general be stigmatised as loci of the unoriginal `hive mind´,
and there is no need for a term like Web 2.0." (4/2007).
- Munster, Anna: The
Image in the Network.
Vortrag, New Network Theory: International Conference. Universiteit
van Amsterdam, Amsterdam, 28.6.2007. In: New Network Theory Reader.
Collected Abstracts and Papers. Amsterdam 2007, S.6-15. Munster meint,
in Benjamins Vergleich der Allegorie mit dem Symbol Letzteres durch
das Diagrammatische ersetzen zu können: Das Symbol wahrt die "Identität
von Besonderem und Allgemeinem", während die Allegorie "ihre
Differenz [markiert]" (Benjamin). Munster interessiert, wie Diagramme
mit der Vagheit der Relation zum Dargestellten an Allegorischem gewinnen:
"...a kind of becoming allegorical of the diagrammatic."
Als Beispiel dafür erwähnt sie Digg
Swarm der
Digg Labs, das die in der Plattform Digg gespeicherten Hinweise von
TeilnehmerInnen auf interessante Webseiten auf dynamische, sich selbst
aktualisierende Weise veranschaulicht. "Fidg't Visualizer"
kombiniert zwei Plattformen (Flickr, LastFM): Mittels "Tag Magnet"
können TeilnehmerInnen Relationen zu anderen TeilnehmerInnen erkennen
und die integrierten Funktionen abrufen. Einerseits werden Datenvisualisierungen
zum "diagram as activity and process" erweitert, andererseits
wird so auch die "endless generation of its own redundancies"
erleichtert.
Geotagging auf Google (mittels Google Maps API) charakterisiert Munster
als "a mash up of the diagram and the allegory in network visuality."
Sie sieht in den erwähnten Beispielen "the potential for both
the disjunctive (diagrammatic expanded in its expressive capacities)
and the temporal (allegorical as a mode of unfolding historicity) to
play more overt and generative roles in our images and imaginings in
networks." (8/2009)
- Prada, Juan Martin: Web
2.0 as a New Context for Artistic Practices.
Vortrag. In: Prada, Juan Martin (Hg.): Inclusiva-net. New Art Dynamics
in Web 2 Mode. First Inclusiva-net Meeting. Medialab-Prado. Madrid,
Juli 2007, S.6-21. Der Vortrag hat Pamphlet-Charakter. Gegen die unfreiwillige
Unterstützung kommerzieller Plattformen ("social networks"),
die das Bedürfnis der TeilnehmerInnen nach Mitteilung auswerten,
soll "the movement for `free data´" via "social
software" zu einer Rekonfiguration in "net.art 2.0" führen,
welche die "connected multitude" sich zu einer "co-intelligence"
zu formieren ermöglichen soll.
Prada schreibt den "metadata" ("classifying, tagging,
selecting, voting, scoring, etc.") eine zentrale Rolle zu und nennt
"Subvertr" von Les Liens Invisibles
und 10 x 10 von Jonathan
Harris als Beispiele. Wertung: Leider viele Schlagworte und wenig Konkretes
(7/2009; 1/2020: nur noch in der Publikation des "Fibreculture
Journal", Issue 14/2009 im Web gefunden).
- Sentamans, Tatiana/Fabre, Mario-Paul Martinez: The
Lapses of an Avatar: Sleight of Hand and Artistic Praxis in Second Life.
Vortrag. In: Prada, Juan Martin (Hg.): Inclusiva-net. New Art Dynamics
in Web 2 Mode. First Inclusiva-net Meeting. Medialab-Prado. Madrid,
Juli 2007, S.51-77. Second Life-Projekte von KünstlerInnen werden
vorgestellt und teilweise genauer beschrieben. Projekte, die Zusammenhänge
zwischen Virtualität und Wirklichkeit thematisieren, werden Arbeitsweisen
gegenübergestellt, die medienimmanent vorgehen. Als Beispiel für
Ersteres wird "Imaging Place SL: U.S./Mexico Borders" (John
Craig Freeman) vorgestellt. Medienimmanent dagegen gehen "Hyperformalism"
(Dancoyote Antonelli), "Code-Performance" (Eva und Franco
Mattes) und "La-Interactiva" (Richard Gras u.a.) vor. Wertung:
Brauchbare Einführung (7/2009; 1/2020).
- Breeze, Maryanne: The
Sound of Reality Lag: Versionals are the New Black.
In: Furtherfield Review, 7.8.2007. Plattformen des Web 2.0 wie MySpace,
Facebook, Flickr, YouTube, Twitter u.a. ersetzen "ego-mediated
variables" durch "actuated identity markers". Die Menge
dieser Markers, ihre Verbreitung und die Verbindungen mit wie zwischen
ihnen sind für "versionals" entscheidend, nicht Freundschaft.
Aus privaten Daten wird "open-ended versional noise". Das
Verhältnis zur Wirklichkeit wird vom "versional effect"
infiziert (7/2009; 1/2020; 9/2022: Seite nicht im Netz gefunden).
- Flanagan, Mary: Locating
Play and Politics: Real World Games & Activism.
In: Proceedings of the Digital Arts and Culture Conference. Perth, September
2007 (perthDAC 2007); Leonardo Electronic Almanac. Vol.16/Issue 2-3.
2008. Henri Lefebvre unterscheidet in «La production de l´espace»
zwischen entfremdetem abstraktem öffentlichem Raum, der von Eigentum,
Überwachung und Konsum geprägt ist, und einem vom Sozialleben
der in ihm lebenden Menschen geprägten Stadtraum. Blast Theory´s
Can You See Me
Now? (2001) sieht Flanagan kritisch, da Ortsmerkmale und Straßen
nur Elemente eines Spielfeldes sind. Ihre eigene Geschichte und Bedeutung
werden nicht zu Bestandteilen des Spiels.
Als positive Beispiele stellt Flanagan Anne-Marie Schleiners Operation
Urban Terrain (OUT) (2004), Suyin Loouis "Transition Algorithm"
(2006) und Samara Smiths "Chain Reaction" (2006) vor. Keines
dieser Projekte integriert GPS. Die Autorin schließt daraus nicht,
dass Projekte mit Ortsbezug auf lokalisierende Technologien verzichten
sollen, sondern empfielt, beim Design konzeptuellen Aspekten mehr Beachtung
als den technologischen Mitteln zu schenken. Den Gegensatz zwischen
mit instrumentellem Handeln erreichbarem Spielziel und sozial orientiertem
Ortsbezug erwähnt die Autorin, offeriert aber kein Konzept zu seiner
Auflösung in aktivistisch ausgerichteten Spielen (7/2009).
- Whitelaw, Mitchell: Art
against Information. Case Studies in Data Practice.
In: Fibreculture. Issue 11/2008: 7th Digital Arts and Culture Conference.
Perth, September 2007 (perthDAC 2007). Whitelaw wählt Netzprojekte,
Skulpturen und Videos einer "data art" und untersucht deren
Umgang mit Daten als ex- oder interne Elemente von Systemen. Die Systeme
erlauben oder verhindern Rückschlüsse auf Umwelt. Sie behandeln
die Daten als Teile einer Umwelt und versuchen, Rückschlüsse
über sie zu liefern, oder sie stellen sie nur in Relationen zu
Metadaten und bieten den RezipientInnen Möglichkeiten der Interpretation.
In anderen Fällen werden Resultate als ästhetisches Ereignis
ohne Informationen vorgestellt, die eine Rekonstruktion der sie erzeugenden
Datenverarbeitung erlauben könnten.
Golan Levins The
Dumpster (2006) und Jonathan Harris/Sep Kamvars We
Feel Fine (2006) visualisieren Blog Posts. Die Posts werden nach
Whitelaw alle gleich behandelt, ohne ihren Inhalt zu berücksichtigen.
Diese von Informationen befreiten Datensets liefern eine "uniform
diversity". Die Ausklammerung der Art der Datenproduktion in den
Visualisierungen führt zu einem "strangely naive sense of
collapsed indexicality."
Während die dreidimensionalen "Structures" (The
Spam Architecture series, ab 2005; The
Spam Plants series, 2006) von Alex Dragulescu ohne Informationen
über die ihrer Herstellung zugrunde liegende Verarbeitung von Daten
in Spam Mails "unheimlich" erscheinen, visualisiert Lisa Jevbratt
in 1:1 im Interface Every
(1999/2001) Daten des Internet als Ganzes. RezipientInnen können
über die Zugangsdaten zu Webseiten die Webseiten selbst aufrufen:
Die Herkunft der Daten ist transparent, doch wofür eine Datenvisualisierung
in rechtwinklig begrenzter Fläche brauchbar sein kann, bleibt offen.
Brad Borevitz eruiert in State
of the Union (ab 2006) die Häufigkeit des Vorkommens von Begriffen
im Archiv der Reden amerikanischer Präsidenten über den "State
of the Union" (seit 1790) mit statistischen Mitteln und visualisiert
sie. Während Borevitz die Herkunft der Daten einerseits vorführt
und ihre Wertigkeit (als Häufigkeit) andererseits in Diagrammen
abruf- und vergleichbar macht, schafft Jason Salavon Daten durch Abstraktion:
Videoframes werden in "Everything All at Once (Part I-III)"
(2001-2005) auf eine Durchschnittsfarbe reduziert, während der
Ton unverändert bleibt. Die Datenquelle wird zum "abject"
und zur "ultimately empty, mass of generic content."
Nach Whitelaw ist für Data Art der Gegensatz zwischen "data
in itself" und Information entscheidend. Die Projekte verarbeiten
Daten, können aber ihrer Lesbarkeit als Informationen (als Zeichen,
die in Zusammenhang mit anderen Zeichen und zeichenexternen Zusammenhängen
Bedeutung erhalten) nicht entgehen. Die Unterbestimmtheit der visualisierten
Daten eröffnet BenutzerInnen van Data Art Möglichkeiten zur
Deutung, wenn Zusammmenhänge zu ihrer Herkunft und ihrem Umfeld
nicht verloren gehen: Die Reduktion künstlerischer "data agency"
kann für die "data subjects" zum Vorteil werden. An der
Entwicklung von Weisen der Lesbarkeit der Daten ist Data Art nach Whitelaw
beteiligt. Die Projekte codieren ihre Metadaten und liefern damit RezipientInnen/"data
subjects" Vorgaben, wie solche Daten brauchbar sind: "This
metadata must in turn inform us data subjects..." (7/2009; 1/2020)
- Cramer, Florian: Animals
that Belong to the Emperor. Failing Universal Classification Schemes
from Aristotle to the Semantic Web.
Vortrag, Forum on Quaero, A Public Think Tank on the Politics of the
Search Engine, Jan van Eyck Academie Maastricht, 30.9.2007. In: Nettime,
19.12.2007. Cramer kritisiert Projekte (Theseus, Quaero) des Semantic
Web, die unter dem Begriff "Ontologie" eine der vielen Kategorisierungen
des Wissens ("Kosmologie") als die einzige Grundlage zukünftiger
Datenverarbeitung mit "semantic tags" anbieten: "Beyond
cosmology falsely named ontology, it is metaphysics disguised as physics."
Wie sehr Projekte des Semantic Web auch vorgeben, Menschen im Umgang
mit Bedeutungen ("semantics") und Bezügen auf Sachverhalte
(Ontologie) durch Software ersetzen zu könen, Computer bleiben
"syntactical machines", die Eingaben nach programmierter Verarbeitungsweise,
weder aber Ontologien noch die Welt der Wort- und Satzbedeutungen, verarbeiten:
Die "culturally and folksonomic ways" der Dateneingabe und
-verarbeitung lassen sich nicht überspringen (7/2009).
- Cubitt, Sean: Immersion, Connectivity, Conviviality.
Vortrag, Museum für Moderne Kunst (MUMOK), Wien/Donau-Universität
Krems, Department für Bildwissenschaften, Telelecture, 8.11.2007.
Die Unterschiede zwischen nieder und hoch aufgelösten Bild- und
Filmpräsentationen in dafür geeigneten digitalen Medien interpretiert
Cubitt sozialkritisch. Die niederaufgelösten Bildschirme von Mobiltelefonen
und Mensch-zu-Mensch-Kommunikation via SMS stehen nach Cubitt für
die "Aktualität der Isolation" und die "Illusion
der Gemeinschaft". Bemühungen, technische Ansprüche an
hochaufgelöste Medien und Übertragung in mobile Geräte
mit kleinen Bildschirmen und Interfaces zu übertragen, können
mit der dort vorherrschenden "Aktualität der Gemeinschaft"
"die Illusion der Isolation" und das "neo-barocke Spektakel"
zum einzigen Medienparadigma werden lassen: An ihm nehmen alle ZuschauerInnen
gemeinsam Teil, halten sich aber selbst für isolierte BeobachterInnen.
Dieses neo-barocke Spektakel kennt nur den "Kampf gegen das absolute
Böse", bleibt aber unbestimmt. Dem "immersive sublime"
der hochauflösenden Medien steht nach Cubitt die "connective
despair" der niederauflösenden Medien gegenüber: Die
Kommunikation scheitert in einer "world of hyperindividuation":
"The binarism of hi-res and lo-res takes us to the sick heart of
the contemporary world." Nur "convivial tools" können
die verschütteten Möglichkeiten der Kommunikation aktualisieren:
"...a dialectic of embodied experience and socialisation on the
grounds of a mediated world."
Urban Tapestries (Teil I:
September 2002-2005, Teil 2: ab März 2006-2008) von Proboscis (s.
Sammeltipp 1, Teil
1 und Teil
3) ist nach Cubitt nostalgisch und utopisch zugleich: Es ist sowohl
Schatten des Systems überwachender und korporativ organisierter
Netzwerke als auch "alternatives Netzwerk-Modell der Unabhängigkeit"
(7/2009; 5/2015: nicht mehr im Web gefunden).
- Manovich, Lev: The
Practice of Everyday (Media) Life.
In: Lovink, Geert/Niederer, Sabine (Hg.): Video Vortex Reader. Responses
to YouTube. Institute of Network Cultures. Hogeschool van Amsterdam/University
of Applied Sciences. Amsterdam 2008, S.33-44. Manovich stellt die ansteigende
Partizipation bei Plattformen des Web 2.0 wie Facebook, YouTube oder
Flickr mit statistischen Belegen vor, nicht ohne am Verhältnis
der Beiträge zu den passiven BeobachterInnen zu zeigen, dass Partizipation
an "social works" bisher nur von wenigen NutzerInnen praktiziert
wird. Michel de Certeau´s Unterscheidung zwischen Strategien der
Macht und Taktiken von Individuen im Alltagsleben dient Manovich, um
Taktiken im Web 2.0 einen neuen Stellenwert zuzuschreiben: "...the
logic of tactics has now become the logic of strategies."
und umgekehrt: "...today strategies used by social media companies
often look more like tactics."
Die "tactical strategies" des Anime Music Video (AMV) und
aufeinander reagierende Filme in YouTube sind für Manovich Beispiele
einer Kreativität in den kommerziellen Plattformen, die es KünstlerInnen
erschwert, sich von AmateurInnen abzusetzen. Er sieht Kreativität
im Web 2.0 weniger in künstlerischen Einzelbeiträgen und Plattformen
wie Processing oder "Information
Aesthetics", als in der Dynamik der Web 2.0-Kultur als Ganzer und
hebt die Software Tools der kommerziellen Plattformen hervor. Anders
als Maryanne Breeze (s.o.) und Juan Martin Prada (s.u.) plädiert
Manovich enthusiastisch für das Web 2.0 im aktuellen Entwicklungsstand
(7/2009; 1/2020).
- Miles, Adrian: Programmatic
Statements for a Facetted Videography.
In: Lovink, Geert/Niederer, Sabine (Hg.): Video Vortex Reader. Responses
to YouTube. Institute of Network Cultures. Hogeschool van Amsterdam/University
of Applied Sciences. Amsterdam 2008, S.223-229. Miles stellt "granularity"
als die Grundlage von "non-linear editing systems" für
Filme vor. Die kleinste Einheit des Filmes kann durch die Teilung größerer
Einheiten (Sequenzen) entstanden sein, dennoch ist sie kein Bruchstück:
"...the `wholeness´ of a shot is qualitative, not quantitative..."
Miles stellt zwei Softvideo Systeme vor, die ein Editieren von Filmen
erlauben, welche es ZuschauerInnen ermöglichen, Wege zwischen Alternativen
zu wählen: Mit "Videodefunct" und "Korsakow System"
können "shots" mit Tags versehen werden, die ZuschauerInnen
begrenzte Möglichkeiten geben, weiterführende "shots"
zu wählen: "I intend to describe these relations as `facets´
as facet has connotations of a shot being multifaceted." "Shots"
erhalten Bedeutung durch die "shots", mit denen sie durch
Tags verbunden sind, während in der monolinearen Filmerzählung
allein der Inhalt der "shots" die Voraussetzung für ihre
Kombinierbarkeit liefert. Für Miles ist die Bezeichnung dieser
"combinatory environments" als interaktiv "a commonplace
(and naive error)..." (7/2009).
- Munster, Anna: Welcome to Google Earth.
In: Kroker, Arthur und Marielouise (Hg.): Critical Digital Studies.
A Reader. Toronto 2008, S.397-416. Google Earth erweitert die Möglichkeiten,
Bilder der Erde BeobachterInnen für die Suche nach Orten zugänglich
zu machen. Kooperationen zwischen BeobachterInnen durch wechelseitiges
Anbieten und Bearbeiten von Daten ist nicht nur bei Google Earth ausgeschlossen,
sondern auch bei Google Search. Der Algorithmus von Google Search zählt
auch die Häufigkeit der Klicks auf Plattformen, die Kooperation
und Kommunikation ermöglichen, doch bietet Google Search keine
Funktionen von "sociable media".
Das System der Abrechnung mit WerberInnen von Google AdWords legt die
Beitragshöhe auf der Basis der Häufigkeit der Klicks fest,
die von dem werbenden Link zur beworbenen Website führen. Dieses
System setzt den Suchsystem-Algorithmus mit Schlagworten voraus, um
auf Google und auf für Google AdSense eingerichteten Webseiten
die passenden Werbelinks erscheinen lassen zu können.
Google Search und Google AdWords gehen davon aus, dass die Häufigkeit
von Klicks Präferenzen von NetzbesucherInnen widerspiegelt: Die
Häufigkeit ist die Grundlage des Ranking und der Abrechnung mit
WerberInnen. Der Bezug zwischen statistischem Wert und einzelnen NetzbesucherInnen
schließt Interaktion und somit soziale Aspekte aus. Munster sieht
diese Ausklammerung des Sozialen als Eigenschaft des Neoliberalismus
und findet sie auch im Präferenzutilitarismus von Richard Mervyn
Hare. Eine "kreative postindustrielle Informationskultur"
arbeitet mit dieser Ausklammerung des Sozialen (als "schwarzes
Loch", als gäbe es kein kommunikatives Handeln zwischen Individuen,
sondern nur vereinzelte Personen) durch die Gleichsetzung des Besten
mit dem von der Mehrheit Gewählten.
Übermorgen.com, Alessandro Ludovico und Paulo Cirio betreiben das
Projekt GWEI Google Will Eat Itself.
Google AdSense wird eingesetzt, um über ein System von Websites
und Klicks produzierenden UnterstützerInnen Einnahmen zu erzielen,
die in Aktien von Google investiert werden. Die Aktien sollen wiederum
den UnterstützerInnen übertragen werden. Auf der Website des
Projektes wird angegeben, wie weit das Ziel entfernt ist, Google durch
Aktienkauf zu übernehmen. Munster sieht in GWEI einen Ansatz für
eine Soziales integrierende alternative Netzpraxis und skizziert in
einem Ausblick deren über GWEI hinausgehende Möglichkeiten
für "alternative, distributed aesthetics" (8/2009).
- Richard, Birgit: Media
Masters and Grassroots Art 2.0 on YouTube.
In: Lovink, Geert/Niederer, Sabine (Hg.): Video Vortex Reader. Responses
to YouTube. Institute of Network Cultures. Hogeschool van Amsterdam/University
of Applied Sciences. Amsterdam 2008, S.141-152. Richard stellt Forschungsergebnisse
des YouTube Research Lab der Goethe Universität in Frankfurt am
Main (Institut für Kunstpädagogik, Bereich Neue Medien) vor.
Die verschiedenen Formen der Clips wurden kategorisiert (s. Arbeitsfassung
eines Ordnungsschemas). Richards Beschreibung der Clipformen ermöglicht
eine unvoreingenommene Sicht auf die Videobeiträge in YouTube.
In einer thematischen Engführung auf Clips, die unter den Tags
"Art" und "Kunst" zu finden sind, führt sie
das Verhältnis zwischen Features von Kunstereignissen und eigenständigen
Beiträgen vor. Eigenständige Beiträge werden in YouTube
nicht unter der Kategorie "Art" gespeichert. Wer nach neuen
Ausdrucksformen in YouTube sucht, findet sie nicht über das Tag-System.
Richard weist YouTube Clips als "a supplement, a marginal but important
fresh addition and revitalisation of art" aus (7/2009).
- Schleiner, Ann-Marie: Dissolving
the Magic Circle of Play. Lessons from Situationist Gaming.
In: Baigorri, Laura/Berger, Erich/Dragona, Daphne (Hg.): Homo
Ludens Ludens. Kat. Ausst. LABoral Centro de Arte y Creación
Industrial. Gijon 2008, S.164-171 (auf Spanisch), 276-281 (auf Englisch).
Schleiner stellt Beispiele für "ludic interventions"
vor, welche die Grenzen von Spielen ("plays" und "games)"
überschreiten. Johan Huizingas Konzept des "Zauberkreises
des Spiels" ("toovercirkel"), das die Theorien
über Games (einschließlich Pervasive Games) bis heute
bestimmt, konfrontiert Schleiner mit einem situationistischen Ansatz.
Sie durchsetzt ihren Text mit Zitaten von Guy Debord und Gilles Ivain/Ivan
Chteglov.
Huizinga thematisierte die Grenze zwischen Spiel und Umwelt, während
die Situationisten Umwelt als Spielfeld verstanden: Das Spielerische
als kritische Strategie ist nur als Praxis im kritisierten Kontext möglich.
Schleiner greift die Gesellschaftkritik der Situationisten auf, ohne
die Psychogeographie in einen Begriff der Umweltpsychologie umzudeuten,
wie es in vielen Texten über Projekte mit Locative Media geschieht,
als ginge es nur darum, von urbanen Zuständen nur die Atmosphären
zu erfassen (Beispiel: Jane McGonigal: This Might Be a Game, s.o.).
Ihre eigene Praxis in "Velvet-Strike", "Operation Urban
Terrain (OUT)" (August 2004, s. Sammeltipp 2, Teil
2) und "Riot Gear for Rollartista", Games mit MitspielerInnen
im (realen wie virtuellen) Spielfeld zu verändern, zeigt Aktivismus
auf und in Spielfeldern als Strategie, das Ziel der Situationisten weiter
zu verfolgen, Lebenswelt zu verändern: "We don´t want
to play by rules we never agreed upon in the first place." (7/2009)
- Biggs, Simon: Transculturation,
Transliteracy and Generative Poetics.
Vortrag, "European Electronic Literature Conference", University
of Bergen, Bergen, 12.9.2008. Sprache besteht nicht nur aus Sprechakten
und Text: "Language has always included the visual, aural and tactile."
Biggs stellt Konzepte der "transculturation" (Fernando Ortiz),
pluriliteracy (Ofelia Garcia/Lesley Bartlett/JoAnne Kleifgen) und der
transliteracy
(Sue Thomas/Chris Joseph/Jess Laccetti/Bruce Mason/Simon Mills/Simon
Perrill/Kate Pullinger) vor, die Relationen zwischen verschiedenen medialen
Gebräuchen und kulturellen Breichen thematisieren.
Als Modell dieser "dynamic processes of signification" erörtert
Biggs Translation
(2005) von John Cayley. Mit audiellen und graphischen Mitteln thematisiert
Cayley Übergänge zwischen sprachlichen Zuständen. Transformationen
eines Textes von Walter Benjamin, der dieses Verwandlungsproblem expliziert,
führt Cayley in Generierungen zwischen Übersetzungen vor:
Der Text in einer Sprache erscheint nur als Passage zwischen Generierungsphasen:
"...he conflates the technical with the cultural..."
Mit Terry Winograd stellt Biggs den Computer als Sprach-, nicht als
Denkmaschine vor: "The very notion of `symbol system´ is
inherently linguistic...a form of verbal argument." (Zitat Winograd
1991) Cayley führt in "Translation" einerseits die sprachinternen
Strukturen kontextunabhängig vor und verweist andererseits mit
der Instabilität der Generierungen auf die Kontextabhängigkeit
von Bedeutung. Diese Kontextabhängigkeit ist jedoch nicht starr,
sondern dynamisch: "...these dynamic processes of signification."
Sprache ist "computational" und Kultur kann, wie Sprache,
als "a network of constantly regenerating relations" verstanden
werden. Technologie ist also "the material manifestation of the
social" (7/2009).
- Waal, Martijn de: Towards
a Myspace Urbanism?
In: Lange, Michiel de/Waal, Martijn de: The Mobile City. Blog Archive,
22.12.2008. De Waal stellt soziologische Kriterien zur Entwicklung des
Stadtlebens vom 19. Jahrhundert bis heute vor. Im 19. und 20. Jahrhundert
war der öffentliche Stadtraum die Plattform, in der soziale Differenzen
wahrgenommen und im Zusammenleben ausgehalten wurden. Von diesem "Boulevard
(BLVD) Urbanism" unterscheidet de Waal verschiedene Formen von
technologisch von Laptop, mobile Geräte, Internet, WiFi und Mobilfunk
geprägte Öffentlichkeiten, die den Stadtraum durch Privatisierungen,
Ausgrenzungen und reduzierte Aktionsformen aufsplittern. Die zurückhaltendere
Form der Selbstdarstellung des distanzierten Beobachters/der BeobachterIn
in Bewegung im BLVD Urbanismus weicht im von sozialen Plattformen geprägten
Sozialleben partikularisierenden Formen der Selbstdarstellung. Dieser
"Myspace Urbanism" erleichtert Ausgrenzungen. Da wir heute
ohne Rücksicht auf Entfernungen kommunizieren, hat sich nach Danah
Boyd, Mark Shepard und Andere "the urban stage...extensively with
the rise of social networks like Facebook, MySpace, LiveJournal, Cyworld
or QQ" erweitert. Einerseits wandert die Selbstdarstellung in virtuelle
Räume, andererseits werden diese über Plattformen wie "Plazes"
(ab August 2004) oder "Bliin" (ab September 2006, s. Sammeltipp
1, Teil 3) mit den Bewegungen im realen Raum verbunden: Die "tracks
and traces" sind in Echtzeit aktualisierbar und kontinuierlich
archivierbar.
Die Anonymität der Großstadt des 20. Jahrhunderts wird von
wachsender sozialer Kontrolle abgelöst. Zugängliche Informationen
über Stadtviertel werden zur Bestimmung der dort dominierenden
Lebensformen ausgewertet: Websites mit Immobilienangeboten von MaklerInnen
wie Funda.nl ordnen Stadtgebieten
je "three dominant lifestyle categories" zu. Nicht mehr der/die
BürgerIn in der Öffentlichkeit (Jürgen Habermas), sondern
der/die KonsumentIn stehen im Vordergrund einer "sociology-for-the-market",
die über "lifeblogging and geotagging" sammelbare Daten
nutzt.
Im "iPhone Urbanism" bewegen sich die PassantInnen mit Mobiltelefon
und iPod in einer "virtual bubble", in der sie sich vom Stadtleben
zeitweilig ausgrenzen.
Aus dem Café als öffentlichem Treffpunkt wird im "Starbucks
Urbanism" ein "commodified non-place", in dem mehr mit
"absent others" als mit Anwesenden kommuniziert wird.
Im "Long Tail Urbanism" werden wir mit Informationen über
Stadtbereiche und Freundinnen/Freunde (Dodgeball, Februar 2000 - Januar
2009, s. Sammeltipp
1, Teil 1) konfrontiert, die wir nie gesucht haben: Die Plattformen
lassen uns erkennen, wer und was an welchem Ort zu unseren Vorlieben
passt: "spaces become heterotopic places".
Im "Ebay Urbanism" regulieren "reputation systems",
wer wen akzeptiert: "capsular spaces".
Die "networked urban spaces" verbinden das räumlich Abgelegene
mittels sozialer Plattformen: "...presence is becoming a hybrid
experience", wobei das Mobiltelefon als "a membrane",
nicht als "portal" eingesetzt wird: "The boundaries between
being in public or in private soften." (9/2009; 1/2020: "Plazes"
und "Bliin" nicht mehr im Web)
- Helmond, Anne: Lifetracing.
The Traces of a Networked Life.
In: Bray, Anne/Dockrey, Sean/Green, Jo-Ann/Navas, Eduardo/Torrington,
Helen (Hg.): Networked. A (Networked_Book) about (Networked Art). 2009.
Helmond hebt den engen Zusammenhang in der Selbstdarstellung im Internet
zwischen sozialen Netzwerken und Suchsystemen hervor. Bestimmte Techniken
der Suchsysteme (Google, Yahoo, Bing), Daten aufzugreifen, provozieren
bestimmte Arten, Netzwerke zu nutzen: "...identity is performed
through and shaped by social software and constructed by search engines."
Aktivitäten von UserInnen in verschiedenen sozialen Plattformen
fassen Dienste wie Storytlr zusammen,
die "mashup your data into stories." Die Aktivitäten
in sozialen Netzwerken führen im "Search Engine Reputation
Management (SERM)" zu Taktiken, negative Resultate von den ersten
Plätzen der Listen von Suchsystemen zu verdrängen: "...people
are very willing to submit a large amount of information about themselves
to search engines for a sense of control over the outcome."
Bestimmte Eigenschaften der Google Suchmaschine begünstigen SERM-Taktiken:
Die Google Blog-Suchmaschine zeigt jeden RSS Feed an. Darunter fällt
auch jeder Twitter-Eintrag, der in der "public timeline" zugänglich
ist.
Die Suchmaschinen unterlaufen nach und nach durch Registrierung und
Login von sozialen Netzwerken geschaffene "walled gardens"
und soziale Netzwerke arbeiten immer offener den Suchmaschinen zu. Zudem
ist die Funktion von Suchmaschinen wie Wink,
yoName, Spock und Pipl, Informationen
über Menschen im Internet und in sozialen Netzwerken zu finden,
wofür die Eingabe des Namens, Username oder der e-Mail-Adresse
genügt. Dieser Verfügbarkeit aller Daten über Aktivitäten
einzelner Personen korrespondieren Dienste, welche es UserInnen erlauben,
die über verschiedene Netzwerke und Medien verteilten, zur Selbstdarstellung
geschaffenen Daten zu verwalten: Lifelogging Software.
Das von Nokia zwischen 2004 und 2007 angebotene "multimedia diary"
für Mobiltelefone ermöglichte es, Bilder, Messages und Videos
in chronologischer Folge zu überschauen. "Lifelogging"
und UserInnen, die dem Wunsch folgen, möglichst viele Daten über
sich und die nähere Umgebung zu sammeln, provozieren Datenspuren,
die zu einem Verständnis des Netzes als "a place holder for
the intentions of humankind" (John Battelle) führen.
Fruchtbar wird das in thematischen Aufbereitungen der verfügbaren
Daten, wie dies Google Flu
Trends oder We Feel Fine
und I Want You To Want
Me von Jonathan Harris und Sep Kamwar zeigen: "Instead of using
this data for health issues or for artistic purposes it may also be
used for monitoring or surveillance." "Consumer surveillance"
überschreitet Michel Foucaults Überwachungsgesellschaft, die
er am Beispiel von Jonathan Benthams Panopticon erklärte. "Consumer
surveillance" wird in der "self-surveillance", die "your.flowingdata.com"
(YFD) erleichtert, privatisiert und genießbar.
Zugleich wird auf die "surveillance" mit einer "sousveillance"
(Steve Mann) einer Überwachung von unten, von Individuen
statt von Staaten oder Korporationen geantwortet. In einer "Identity
2.0", die Statistiken eigener Aktivitäten und ihre Popularität
aus "Twitter Counter" oder "Twitter Analyzer" bezieht,
bleibt "sousveillance" angepasst.
In der "assemblage of platform, engine and user" fügt
sich Eins ins Andere. Von sozialen Netzwerken und Suchsystemen werden
UserInnen dazu aufgefordert, das Profil zu vervollständigen. Sie
füttern damit den Datenstrom, der von Plattformen zu Suchmaschinen
fließt: "...a reconfiguration of the user...the lifestream
is more service-centered than user-centered."
Tagging ist eine Kernaktivität der UserInnen von Netzwerken, mit
der sie den Suchmaschinen zuarbeiten. Mit diffamierenden Schlagworten
als Tags können zugleich die Selbstdarstellungen von TeilnehmerInnen
geschädigt werden.
Mit der "reconfiguration" des Selbst in einer Datenwelt, in
der die eigenen digitalen Spuren sich nicht mehr beseitigen lassen,
wird die Vorsorge, was mit ihnen nach dem eigenen Tod zu tun ist, zur
Aufgabe für neue Dienste, wie sie Etoy (Mission
Eternity), Mediamatic (IkRip) und Pips:Lab (Die
Space) anbieten: Die Datenwelt online erfordert eine eigene Form
des Testaments (9/2009; 1/2020: Folgende Sites sind nicht mehr im Web:
Storytlr, your.flowingdata.com, Twitter Counter, Twitter Analyzer, IkRip; 9/2022: nicht im Web gefunden: Google Flu Trends).
- Munster, Anna: Data
Undermining. The Work of Networked Art in an Age of Imperceptibility.
In: Bray, Anne/Dockrey, Sean/Green, Jo-Ann/Navas, Eduardo/Torrington,
Helen (Hg.): Networked. A (Networked_Book) about (Networked Art). 2009.
Plattformen im Web 2.0 bieten Zugriffe auf Daten, welche aus dem Verhalten
vieler NetzbesucherInnen ermittelt wurden. Die RezipientInnen sehen
die Resultate, während gesammelte Daten ihrer Spuren sowie die
Datenerhebung und die Datenauswertung unsichtbar bleiben: Das Komplement
zur Datenvisualisierung ist Unsichtbarkeit. Munster stellt Projekte
von KünstlerInnen als GegenspielerInnen zu diesem Prozess vor.
Erweiterungen des Firefox Browsers in Projekten wie MAICgregator
(2009) von Nick Knouf, ShiftSpace
(ab 2006) von Dan Pfiffer und Mushon Zer-Aviv sowie Traceblog
(2008) von Eduardo Navas machen auf Strategien aufmerksam, Sicht- mit
Unsichtbarkeit auf intransparente Arten zu kombinieren.
"Traceblog" führt eine Strategie vor, sich unsichtbar
für Datenerhebungen von Surfverhalten zu machen. Nach Munster geht
es bei den Auswertungen von NutzerInnendaten im Web 2.0 nicht um Verstöße
gegen die Privatsphäre, da die hinterlassenen Spuren nur als Daten
quantitativ ohne Referenz auf Individuen, die sie verursacht haben,
ausgewertet werden. Das statistisch errechnete Verhalten der DurchschnittsnetzbesucherInnen
führt zu einer Verflachung der Bezüge zwischen RezipientInnen
und Angeboten: "Automatic aggregation tends to perform operations
that reduce the relations between data to commonalities rather than
differences." Den Verhaltenspatterns und "commonalities"
sollen künstlerische Projekte entgegenwirken. Die Projekte müssen
dafür neue Wege unter aktuellen Netzbedingungen finden: "To
data undermine, then, is to radically automate and to automate radically
as a careful ethical and aesthetic gesture." (8/2009; 1/2020: "ShiftSpace" ist nicht mehr im Web; 9/2022: Text nicht im Web gefunden)
- Smith, Greg J.: Information
Visualization and Interface Culture.
In: Braman, James/Vincenti, Giovanni/Trajkovski, Goran (Hg.): Handbook
of Research on Computational Arts and Creative Informatics. Hershey/Pennsylvania
2009, Chapter XII, S.195-211. Wie Datenvisualisierung und die Möglichkeiten,
via Interface verschiedene Ansichten zu wählen, in der Geschichte
der Entwicklung der Computertechnologie zusammen kommen, thematisiert
Greg J. Smith.
Vanevar Bushs Memex
(Entwurf, 1945) und erste Head-Up Displays (HuD, ab 1968) enthalten
frühe Interfaces, die im ersten Fall für Verknüpfungen
zwischen Schriftdokumenten und im zweiten Fall zur Navigation von Piloten
geplant wurden. Das Interface/die Schnittstelle zwischen Mensch und
Maschine umfasste seit den sechziger Jahren mit Ausgabemedien wie Kathodenstrahlröhre
und Head-Up Display.
Das Graphical User Interface (GUI) des Xerox Alto Computer (1973) antizipierte
mit Maus, Fenstern, Icons, Schnittflächen und Steuerelementen das
GUI des Apple Macintosh (1984). Bereits Apples Lisa (1983) enthielt
Scrollbars, den Papierkorb, das Drag-and-Drop-Verfahren und ein Dateisystem,
wie sie bei Personal Computern über 25 Jahre lang Standard wurden.
Nach Lev Manovich wurde mit der Database die Information "modular"
und Remix zum naheliegenden Verfahren. Dies sind nach Smith auch die
Voraussetzungen für Datenvisualisierung. Aus der Interaktion mit
Interfaces von Programmen zur Datenvisualisierung ergibt sich eine neue
"data-subjectivity".
Die von John Maeda geleitete "The Aesthetics Computation Group"
und Ben Fry entwickeln Visualisierungen für Interfaces, mit denen
sich das Monitorbild verändern lässt. Nach Steven Johnson
(Interface Culture, 1997) ist diese Modifizierbarkeit die Folge einer
umfassenderen Trennung zwischen "raw data" und der Art, wie
wir sie auf dem Bildschirm erfahren. Frys Isometric
Blocks (2004) und Stamen Designs "Oakland Crimespotting" (2007) sind nach Smith Beispiele für eine "pervasive
interface culture" mit "the implicit understanding that information
is modular and...a site for interaction."
Mit der Datenvisualisierung entwickeln sich Verhaltensweisen gleichzeitig
an den Interfaces wie gegenüber der durch die Daten fassbaren Wirklichkeit.
Burik Arikan bietet mit My
Pocket (2008) ein Interface für "self-surveillance".
In "My Pocket" lassen sich Interfaces und Umgang mit visualisierter
Realität nicht mehr trennen. Die Daten vergangener Transaktionen
(Einkäufe, Überweisungen) werden in "Transaction Graphs"
für Vorhersagen nach Wahrscheinlichkeitskriterien eingesetzt. Alle
Transaktionen erhalten mit dem errechneten Wahrscheinlichkeitsgrad auch
eine Information, wie weit die aktuelle Aktion mit älteren Aktionen
kongruent ist: "...if readymades are found in the past, predicted
objects are found in the future." (Arikan) (3/2013; 1/2020: Stamen
Designs "Oakland Crimespotting" ist nicht mehr im Web).
- Guglielmetti, Mark/Innocent, Troy/Whitelaw, Mitchell: Strange
Ontologies in Digital Culture.
(1/2008). In: ACM Computers in Entertainment. Vol.7/Issue 1. February
2009. In Philosophie und Informatik wird der Begriff Ontologie in verschiedenen
Bedeutungen eingesetzt. Während Philosophie nach einem erkenntnistheoretischen
Rahmen für die ontologische Frage sucht, wie sie sich auf Seiendes
beziehen kann, wird in der Informatik jedes System, das formale Strukturen
für Relationen zwischen Elementen schafft, als Ontologien in Darstellungen
von Wissen erzeugend verstanden mit der Folge, dass diese Ontologien
für das stehen, was ist: Wenn nur das als existent vorstellbar
ist, was in Wissenssystemen erkennbar ist, dann stehen die Grenzen dieser
Systeme für das, was als Welt erfassbar ist. Gegen diese Konvention
des als Seiend Vorstellbaren setzen die Autoren "strange ontologies"
in künstlerischen Projekten.
Doch vorher belegen die Autoren die Befremdung, die "social software"
von Plattformen wie Facebook und del.icio.us hervorruft: In Facebook
steht "Freund" für symmetrische Beziehungen, während
in del.icio.us damit eine asymmetrische Beziehung zwischen Verehrtem
und Verehrer, Getagtem und Tagendem, gemeint ist.
Installationen und Spiele stören die Parameter der Wirklichkeitsdarstellung
mit den Mitteln dieser Systeme. Jonathan McCabe überschreitet in
Origami Butterfly (2006) das
in Generativer Kunst üblich Gewordene mit Schwärmen sich modifizierender
Elemente: Teilungen und Wiederholungen bilden Prozesse, die Strukturen
schaffen.
Systemen, die Welt in statischen Ordnungen auf konservative Weise darstellen,
werden Systeme "mit dynamischen, lokalen und relationalen Qualitäten"
nicht nur entgegen gesetzt, sondern mit den Systemen werden weitere
Qualitäten generiert. Das zeigt Brock Davis´ Selbstporträt,
das mit Hilfe des Editors für die 3D Simulation ("Forge")
des Games "Halo 3" ("manipulating 3d objects in the editor
environment for Microsoft´s Halo 3") entwickelt wurde. Die
Lesbarkeit der Objekte darstellenden Zeichen im Raum wird verändert:
Sie sind nur noch sekundär im Raum angeordnete Spielelemente und
deuten primär Konturen eines Gesichtes an (7/2009).
- Picot, Edward: Play
on Meaning? Computer Games as Art.
In: Furtherfield Review, 30.4.2009; The
Hyperliterature Exchange, Mai 2009. "Computerspiele genießen"
nach Picot "eine Sonderstellung im Kanon der Medienkunst"
("new media art"), da sie Erwartungen an Interaktivität
wecken. Picot streift die Geschichte der Computerspiele von den Adventure
Games bis zu Myst (1993), um dann zwischen "interactive fiction"
und "hypertext fiction" Verbindungen herzustellen. Dabei wird
erkennbar, dass er Interaktivität im Sinne des Erforschens eines
Werkes und nicht im Sinne von Mitschreibeprojekten meint: Werke als
begrenzte Einheiten mit Zeichen und Funktionen, welche die Imagination
der RezipientInnen stimulieren, statt sich durch Kooperation und Kollaboration
verändernde offene Projekte. Picot konzentriert sich nicht nur
auf diese eingeschränkte Interaktivität, sondern stellt Spiele
von unabhängigen AutorInnen vor, die im Vergleich zu Computer Games
durch die Reduktion auf wenige Funktionen auffallen, welche zur Fortsetzung
des Spielverlaufs betätigt werden müssen.
Molleindustrias Free
Culture Game (2008) verzichtet auf ein Spielende mit GewinnerInnen,
um den Kampf zwischen Open Source Verbreitung von Software und der Vermarktung
von Urheberrechten als auf kein absehbares Ende zulaufend vorzustellen.
Die Spieltaktiken stehen stellvertretend für die aktivistischen
Taktiken, einen Sieg der Kommerzialisierung von Urheberrechten zu verhindern.
Picot meint, dass die erforderlichen Spielzüge vom Ziel des Projektes
ablenken das kann auch anders ausgelegt werden.
Mit Samorost 2 (2005)
von Amanita Design und The
Graveyard von The Tale of Tales (Auriea Harvey/Michael Samyn) zeigt
Picot Beispiele für Games, bei denen nicht Spielfunktionen, sondern
andere Qualitäten die Zeichenwelt, die Geschichte und ihre
Animation im Vordergrund stehen. Wenn in "Samorost 2"
SpielerInnen Spielzüge ausführen, entsteht der Eindruck, dass
sie dies zur Entfaltung der Geschichte tun. In "The Graveyard"
dienen Cursorbewegungen mittels Pfeiltasten vor allem dazu, einen vorbestimmten
Ablauf zu aktivieren: "...the game´s most important qualities
are negative ones..." Entscheidend ist für RezipientInnen
der Nachvollzug des Animationsablaufs.
Computerspiele sind für Picot Kunst, wenn sie Erstens die Spielstruktur
als Grundlage von Deutungen nahelegen, Zweitens Herausforderungen an
SpielerInnen vermeiden, auf Spielsituationen mit geübten Fähigkeiten
zu reagieren, und Drittens Distanz zwischen SpielerIn und der zentralen
Spielfigur schaffen. Die Konzentration auf den Ablauf einer Geschichte
steht im Vordergrund (8/2009; 9/2022: nicht in Furtherfield Review gefunden).
- Dyer-Witheford, Nick/de Peuter, Greig: Empire@Play:
Virtual Games and Global Capitalism.
In: CTheory, 13.5.2009. Der Artikel stellt die Bedingungen des "Empire"
(Michael Hardt/Antonio Negri 2000) für Spiele Schaffende vor, um
dann an "Games of Multitude" Möglichkeiten aufzuzeigen,
sich gegen diese Bedingungen mit Spielen zu engagieren, welche die Spieleanwendungen
im Militär und an der Börse weiter entwickeln: Im "Empire"
entstehen die Möglichkeiten zu seiner Überwindung.
Aus den skizzierten Arbeitsbedingungen in Firmen des "ludocapitalism"
ergibt sich für SpielentwicklerInnen die Notwendigkeit, eigene
Fähigkeiten zu nutzen, um diesen Verhältnissen zu entkommen.
Allerdings halten die Firmen im "meshwork of satellite offices"
die Löhne erfolgreich niedrig.
Die Praxis des e-Learning durch Spiele nutzen das Militär, Korporationen
und die Börse, wofür einige Beispiele genannt werden. Die
Weiterentwicklung solcher Spiele zur "`autoludic´ activity"
liefert Möglichkeiten, Spieltechniken zu entwickeln, die über
Piraterie und Protest hinausgehen: Das Planen eigener Strategien kann
in Spielen wie agoraXchange
(Jacqueline Stevenes/Natalie Bookchin 2004-2008) oder Superstruct
(The Institute of Future, 2008) gelernt werden. Diese Spiele können
den "Magic Circle" der von der Realität abgehobenen Spielwelt
durchbrechen, indem sie dabei helfen, Ungereimtheiten in vorhandenen
Machtstrukturen auszunutzen, um den Blick auf die Welt zu ändern.
Das klingt sehr abstrakt und ist weit davon entfernt, bereits in einer
bestimmten Art von Online-Spielen und -Spielpraxis den Anfang von sozialen
Veränderungen zu sehen: Ausführungen des vorgeschlagenen Spielkonzepts
sind nur als Vorlauf zur Umwälzung von Machtstrukturen brauchbar
(7/2009; 1/2020: Die Website
of "Superstruct" ist nicht mehr zugänglich).
- Holmes, Brian: Is
It Written In the Stars? Global Finance Precarious Destinies.
In: Holmes, Brian: Continental Drift. The other side of neoliberal globalization.
Blog, 6.11.2009. Gekürzte deutsche Druckfassung mit dem Titel "Was
steht in den Sternen? Globale Finanzen, prekäre Schicksale",
in: Springerin. Bd. XVII. Heft 1. Winter 2010, S.18-24. In Black
Shoals Stock Market Planetarium wurden flackernde Lichtpunkte in
Sternkonfigurationen vergleichbaren Konstellationen in eine von der
Decke hängende Kuppel (in die konkave Seite eines Kugelsegments)
projiziert. Diese Installation von Lise Autogena und Joshua Portway
wurde 2001 in der Tate Gallery (Gruppenausstellung "Art Now: Art
and Money Online", London) zum ersten Mal ausgestellt und dort
über eine Internetverbindung von Reuters News Feed mit Daten vom
aktuellen Börsenhandel versorgt. Ein Programm von Cefn Haile generierte
aus diesen Daten mit Algorithmen künstliche Wesen ("A-life
agents"), die als flackerndes Licht in die Kuppel projiziert wurden.
Jedes Licht oder jeder Stern stand für ein börsennotiertes
Unternehmen. Intensität und Bewegung gaben Veränderungen im
aktuellen Börsenhandel wieder.
Auf den Zusammenhang zwischen Artificial Life und Börsenhandel
weist der Begriff "Shoals" im Titel der Installation. "Shoals"
bezeichnet strömungsabhängige Sandbänke und "shoaling"
steht für das Verhalten von Fischschwärmen. Nach Autogena
und Portway bezieht sich der Begriff "Shoals" sowohl auf "shoaling"
als auch auf die "Black Scholes"-Formel, die Fisher Black,
Myron Scholes und Robert Merton in den siebziger Jahren erfunden haben.
Mit ihr lässt sich der aktuelle Wert einer Aktie genauer, als es
vorher möglich war, bestimmen. So kann das Investititionsrisiko
gesenkt werden, solange das Investitionsumfeld konstant bleibt. Nach
Erfolgen in der Anwendung ihrer Formel scheiterten Scholes und Merton
1998 mit ihrem Unternehmen "Long Term Capital Management".
Eine der Ursachen dieser Pleite war der "Feedback Effect",
den NachahmerInnen erzeugen. Nach der Komplexitätstheorie gibt
es Arten von Feedback, die zu Chaos führen. Die Rekonstruktion
des Börsenhandels mit Mitteln der algorithmischen Rekonstruktion
biologischer Prozesse in Artificial Life verweist auf Möglichkeiten
der Erforschung seiner Regelprozesse jenseits der Mängel der "Black
Scholes"-Formel.
Die Installation und die Erläuterungen ihrer AutorInnen liefern
Holmes Vorgaben für teils analytische Zeitdiagnostik der Globalisierung
und teils essayistische Ausführungen, in denen er zum Beispiel
die Chicago Mercantile Exchange Group als Gewinner hervorhebt. Als Folge
der neoliberalen Globalisierung beschreibt er die rostfreie Edelstahlskulptur
"Cloud Gate" von Anish Kapoor, die seit 2006 im Chicago Millenium
Park auf dem AT&T Plaza steht, 11,5 Millionen Dollar kostete und zur
Touristenattraktion wurde. Der teuren Attraktion stehen 20% EinwohnerInnen
gegenüber, die unter der Armutsgrenze leben.
In Detroit schließlich wird die Organisation einer Event-Kultur
mit "flashy postmodern casinos" zum Versuch einer an Investoreninteressen
ausgerichteten Regeneration nach dem Zusammenbruch der Autoindustrie.
Mit seinen Beispielen aus Chicago und Detroit stellt Holmes die "creative
industries" und den "casino capitalism" (Susan Strange
1986) als zwei Seiten einer Medaille vor.
Die Installation von Autogena und Portway präsentiert eine Visualisierung
der Dynamik des Börsenhandels für eine ästhetische Anschauung
in kontemplativer Haltung. Der Bezug der Projektion zur Börse wird
nicht von einer Ästhetik pulsierender Lichter gekappt, sondern
bleibt erkennbar. Der Zusammenhang von Einzelnem und Ganzem erscheint
zugleich faszinierend und fragwürdig: Die Installation folgt der
sich auf ihre Eigengesetze konzentrierenden Börsenwelt (Autonomie).
Diese blendet aus, was sie beeinflusst und von ihr beeinflusst wird
(Heterarchie).
Kapoors Spiegelwelt in "Cloud Gate" gibt in Verzerrungen wieder,
was vor ihr erscheint: Die Touristen und die Hochhäuser Chicagos.
Die Skulptur lenkt durch ihre Effekte davon ab, wer abgedrängt
wurde und vom Millenium Park ausgegrenzt wird. In "Cloud Gate"
dient das sich Spiegelnde als austauschbares Futter für Binnenbrechungen
in Spiegelwelten. So beschreibt Holmes auch die Binnenbrechungen in
der "infinite variety of speculative performances" am Beispiel
der Event-Kultur in Detroit: "...the performer is often a `mark´,
the target of someone else´s strategy." Als System, dessen
(sich wandelnden) Regelabläufen diese Strategien folgen, stellt
Holmes den Börsenhandel vor: Seine Rekonstruierbarkeit als Artificial
Life zeigt, dass hier die Produkte erzeugenden und mit ihnen handelnden
Unternehmen nur Datenfutter für den Börsenhandel sind.
Die andere Seite, wie der Börsenhandel die Korporationen beeinflusst
und diese in der Art, wie sie darauf reagieren, Armut erzeugen, wird
in der Installation "Black Shoals Stock Market Planetarium"
ausgeklammert. Diese Auslassung dient Holmes als Einfallstor für
Gesellschaftskritik: Er rekonstruiert die Auslassung durch seine Interpretation
der präsentierten Elemente. Die "supernova of derivatives
trading" konstituiert "meta-commodities that govern the unfolding
of the contemporary economic model." Das analysierte "articial
world model" provoziert Holmes zu dem Aufruf: "We need a different
world model, which cannot be abstracted from price information analysed
by computers."
Holmes erweitert in seinem sozialkritischen Ansatz eine Analyseform,
die in werkinternen Relationen die Zusammenhänge der Gesellschaft
erkennt, in der ein Werk produziert wurde, zu einer Interpretationsweise,
die in Relationen zwischen Werkstrukturen und den sozialen Strukturen
der Umwelt den affirmativen oder kritischen Bezug zur Gesellschaft erkennt:
Die Relation zwischen dem, was Werk und Umwelt (die Gesellschaft, nicht
nur die Präsentationsumstände) zeigen und nicht zeigen beziehungsweise
ausblenden, wird zum Ansatz einer Analyse von Gesellschaft, die sich
Kunst für ihre Bedürfnisse schafft. Die Analyse der Bedürfnisse
einerseits und andererseits der Art, wie die Kunst darauf reagiert,
soll auch dazu führen, zu erkennen, welche Alternativen Kunst und
Gesellschaft bisher nicht analysiert haben (11/2009).
- Arvers, Isabelle: Cheats
or Glitch? Voice as a Game Modification in Machinima.
In: Neumark, Norie/Gibson, Ross/Leeuwen, Theo van (Hg.): Voice. Vocal
Aesthetics in Digital Arts and Media. Cambridge/Massachusetts 2010,
S.225-242. Arvers thematisiert die Relationen zwischen Bild und Ton
in Machinima-Videos, die auf Websites wie Machinima.org, The Movies,
YouTube oder Dailymotion angeboten, häufig angesehen und heruntergeladen
werden. In Interviews sammelte Arvers Aussagen der AutorInnen über
ihre Absichten und technischen Probleme.
Game Engines sind für die Spielentwicklung und die Steuerung des
Spielverlaufs konstruierte Programme. Diese Game Engines werden auch
zur Produktion von Machinima-Videos eingesetzt. Da das Animationsvokabular
der Game Engines keinen Gesichtsausdruck kennt, kommt dem unabhängig
davon geschaffenen Klang (als Stimme) die Funktion der Individuierung
zu. Bild und Klang werden in einigen Beispielen als separate Elemente
eingesetzt, die teilweise auf `bizarre´ Weise zueinander finden.
So bewegen sich in einigen Videos die Dargestellten wie Spielfiguren,
die unruhig Bewegungen ausführen, während sie miteinander
sprechen: Die Ausdrucksweisen des Dialogs gibt es nur auf der Tonebene.
Wenn die Figuren Helme tragen, werden Erwartungen an visuelle Individuierung
unterbunden (zum Beispiel The Ill Clan: Apartment
Huntin´, 1988; Chris Burke: This
Spartan Life, Episode 1, Module 3, 2005). Bertrand Le Cabec und
Andere setzen in "Bill & John" (Episode
2, 2006) Bild und Ton so ein, dass sie sich wechselseitig ergänzen,
ohne Gesichter zeigen zu müssen: Zu Kampffliegerkonfigurationen
(Kampfflieger in Außenansicht am Himmel) des Games "Lock
on Modern Air Combat" sind die miteinander kommunizierenden Piloten
zu hören. Wenn die Kommunikation über aktuelle Kampfsituationen
gleichzeitig mit diesen Kämpfen gezeigt wird, dann werden häufig
Erwartungen an Perspektiven unterbunden, in denen die Gesichter der
Piloten zu sehen sind. In anderen Videos wird die Typisierung der Figuren
mit maskenhaften Gesichtern so eingesetzt, dass sich eigenwillige Spielfilmästhetiken
ergeben (Alex Chan: The
French Democracy, 2005; Eddo Stern & Jessica Z Hutchins: Landlord
Vigilante, 2007). Paul Marino dagegen nutzt 2007 in I´m
Still Seeing Breen die Software FacePoser, um die Gesichtszüge
seiner Protagonisten an das Gesprochene anzupassen (4/2015; 1/2020).
- Paloque-Bergès, Camille: Remediating
Internet Trivia. Net Art´s Lesson in Web Folklore.
In: ESSACHESS Journal for Communication Studies. Vol.3/No.2 (6)
2010, S.117-129. Im Internet entfiel mit der "many-to-many communication"
die Normen setzende Rolle von Gatekeepern. Im World Wide Web entstand
eine "pioneering crowd" (S.19), die sich die neuen technischen
Möglichkeiten aneignete. Im Web 1.0 bildete sich eine "homepage
culture" (S.119), die von "intensive and repetitive use of
fixed-forms iconography such as Webpage wallpapers, animated gifs, midi
music, shiny buttons, moving arrows, customized Webforms" (S.120)
geprägt war.
Mit der Etablierung der neuen technischen Möglichkeiten von Webseiten
entstand eine Web Folklore ("vernacular Web", S.120). Statt
diese als "low culture" zu bezeichnen und sie von Informationsflüssen
und kulturellen Vermittlungen auszugrenzen schlägt Paloque-Bergès
ein Verständnis von "triviality" vor, das sie mit Yves
Jeanneret von "trivium" (einer Neufassung des Dreiwegs von
Grammatik, Rhetorik und Dialektik) ableitet. Mit diesem Verständnis
lässt sich die Aufmerksamkeit auf heterogene Austauschprozesse
("crossroads", S.120) zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft
und auf die daraus entstehenden Kommunikationsformen lenken: Soziale
Vermittlungsprozesse lösen normative Ästhetik und ihre Hoch-Tief-Dichotomie
ab.
NetzkünstlerInnen begannen ca. 2005 Linklisten zu publizieren,
in denen sie frei von Themenbindungen auf die ihrer Ansicht nach besten
Webseiten verwiesen und Fundstücke aus dem "vernacular Web"
zeigten: Olia Lialina, Cory Arcangel, Michael Bell-Smith, Paddy Johnson
und die Autorin selbst (in "Nasty Nets") wiesen sich als "professional
surfer" (S.122f.) aus, deren Selektionen keinen geheim gehaltenen
Suchalgorithmen folgten und die auf Suchmaschinen mit "human indexing"
(S.123) antworteten. Weitere Formen der Web Folklore sind Blogs und
Animated.gifs.
Die Grenzen zwischen der Publikation von Fundstücken, eigenen Beiträgen
und der Dokumentation von Übernahmen (des Eigenen durch Andere)
werden in der Internetpraxis von Olia Lialina, Tom Moody und Michael
Bell-Smith verwischt: Das Eigene ist für die Integration in die
Webseiten Anderer geschaffen und bewährt sich so in verschiedenen
Kontexten. Auf die Rezeption des Eigenen im Anderen kann wiederum mit
eigenen Beiträgen und Übernahmen (des im Anderen verfremdeten
Eigenen) reagiert werden (4/2015).
- Parikka, Jussi: Ethologies
of Software Art: What Can a Digital Body of Code Do?
In: O´Sullivan, Simon/Zepke, Stephen (Hg.): Deleuze and Contemporary
Art. Edinburgh 2010, S.116-132. Parikka gründet seine Auseinandersetzung
mit dem Verdecken von Code und künstlerischen Strategien, das Verdeckte
erkennbar zu machen, auf Gilles Deleuzes Begriff des «devenir
imperceptible» (des "unsichtbar Werdens"). Wegen der
Untrennbarkeit von Code und kulturellem Umfeld bieten Software Art und
Tactical Media sich wechselseitig ergänzende Ansätze für
eine Medienkritik.
Diese Zusammenhänge thematisieren Künstler wie Übermorgen,
Paolo Cirio und Alessandro Ludovico, wenn sie in GWEI
(2005) und Amazon
Noir (2006, S.126) "micropolitics" (S.118,125,130) in
Form von Softwareanwendungen entwickeln, die zwar nicht in etablierte
Relationen zwischen Technik, Ökonomie und Kultur intervenieren,
sie aber humorvoll aufdecken.
0100101110101101.ORG und EpidemiC veröffentlichten während
der Biennale von Venedig 2001 den Code eines gutmütigen Virus (biennale.py)
auf T-Shirts und Anderem. Nach Parikka sind in "biennale.py"
Verflechtungen von wahrnehmbarem und verdecktem Code so aufgezeigt worden,
dass die Überlagerungen von Technischem und Sozialem als über
den Kunstbereich hinausreichendes Konfliktpotential erkennbar wurden.
Die Steuerung von Rechenprozessen und ihre Auswirkungen in sozialen
Konstellationen skizziert Parikka mit den Begriffen "the relationality,
polymorphism and contex[t]uality" (S.124). Leider führt die
Gilles Deleuze entlehnte Terminologie zu Begriffskonstellationen, durch
die sich "Software Art" als "tactical move" (S.117)
in zugleich technischen und sozialen Umfeldern nicht differenziert analysieren
lässt: Parikkas Versuche mit Deleuze entnommenen `Bausteinen´
zeigen, dass das Potential von Deleuzes Ansätzen für die Entwicklung
einer zeitgenössischen Medientheorie begrenzt ist. Begriffe wie
"affects, sensations, relations and forces" (S.116) und "abstract
machines" (S.121) bleiben gegenüber beschreibbaren technischen
und sozialen Prozessen zu allgemein: Deleuzes Begriffe treffen auf zu
viele Zusammenhänge zu und seine Texte liefern für digitale
Kunst offensichtlich zu wenig Ansätze für Ausdifferenzierungen
(4/2015).
- Vierkant, Artie: The
Image Object Post-Internet.
(2010). AutorInnen wie Gene McHugh (Post
Internet Blog, 2009-10) bezeichnen mit dem Begriff Post-Internet
den Wandel des Internet von der Neuigkeit zur Banalität. Die von
dieser Banalität geprägte "social condition at large"
lässt sich nach Vierkant mit Kriterien wie "ubiquitous authorship",
Aufmerksamkeitsökonomie, Ende der Dominanz der Realraumdistanzen,
sowie unbegrenzte Reproduzier- und Veränderbarkeit charakterisieren.
Die Digitalisierung führt zu sich ständig verändernden
Medienlandschaften. Dies führt auch zur Pluralisierung der Medien
innerhalb eines Projektes mit je nach Präsentationsumfeld wechselnden
Medien(kombinationen): "...projects which move seamlessly from
physical representation to Internet representation..." Die Projekte
verwandeln eine Kultur, die "they" entwickelten, in eine Kultur,
an der "we" als "reader-author" teilhaben. Auf das
etablierte "bunker consciousness" reagiert eine "community-based
art", wie dies Mitglieder des Critical Art Ensemble bereits 1996
in On Electronic
Disobedience (1996, S.39) forderten.
Post-Internet KünstlerInnen nehmen nach Vierkant die Rollen von
"interpreter, transcriber, narrator, curator, architect" ein.
Dabei ist weniger der Inhalt des Angeeigneten, als der neue Zusammenhang
im einem Projekt und der Kontext seiner Verbreitung entscheidend, um
Sichtweisen zu ändern. Die "one-to-many hierarchy of mass
media" wird im zeitgenössischen World Wide Web von "new
hierarchies of many-to many production" abgelöst.
Indem KünstlerInnen über Netzbedingungen via "visual
representations" kommunizieren, soll es ihnen nach Vierkant mit
der Unabhängigkeit von Sprache gelingen, "to think beyond
the fixity of `mediums´". So soll sich die "grossly
limiting [internet] architecture " der "search terms, keywords,
tags" überwinden lassen (11/2014).
- Cox, Geoff: Virtual
Suicide as Decisive Political Act.
Vortrag, Konferenz "Activist Media and Biopolitics", Universität
Innsbruck, November 2010. In: Sützl, Wolfgang/Hug, Theo (Hg.):
Activist Media and Biopolitics. Critical Media Interventions in the
Age of Biopower. Institut für psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung.
Universität Innsbruck. Innsbruck 2012, S.103-116. Cox erwähnt
politisch motivierten Selbstmord und seine Thematisierung in Computer
Games, bevor er "virtuellen Selbstmord" in Sozialen Medien
als taktisches Mittel vorstellt.
Wafaa Bilal führt in A
Virtual Jihadi (2008) die Situation der Iraker zwischen amerikanischen
Besatzern und fundamentalistischem Terror in einem modifizierten Spiel
vor. Aus den First Person Shootern "Quest for Al-Qua'eda: The Hunt
of Bin-Laden" (2002) und "Quest for Saddam" (2003) von
Petrilla Entertainment wurde das fundamentalistische Spiel "The
Night of Bush Capturing" (Global Islamic Media Front, 2006) entwickelt,
in dem nicht mehr Osama Bin-Laden oder Saddam Hussein, sondern George
W. Bush verfolgt wird. Bilal greift die Programmierung von "Quest
for Saddam", die auch in "The Night of Bush Capturing"
verwendet wurde, auf und gibt dem letzterem Spiel entlehntem Selbstmord-Attentäter
sein Äußeres. Die Widersprüche zwischen den "extreme
fantasies of islamophobia and islamophilia" (pdf S.2/Buch S.104)
thematisiert Bilals Variante, was Cox mit einem Zitat des Künstlers
statt mit einer Spielanalyse belegt.
Cox stellt das Spiel mit Franco Berardi in den gesellschaftlichen Rahmen
des "mechanism of control over the imaginary", wobei Selbstmord
die "pathology of the psycho-social system" (Berardi: Precarious
Rhapsody... London 2009, S.55; pdf S.1/Buch S.103) anzeigt.
Selbstmord als Spielziel, um sich Arbeit zu entziehen, offeriert "Five
Minutes to Kill (Yourself)", ein Online Game von Adult Swim (2009).
Der/die den Avatar steuernde SpielerIn gewinnt, wenn es ihr/ihm gelingt,
sich so schnell wie möglich einen tödlichen Schlag versetzen
zu lassen, um der öden Büroarbeit zu entrinnen. Cox sieht
eine Parallele zwischen der Gewalt im Spiel und "the symbolic violence
of the capitalist workplace" (pdf S.4/Buch S.106). Ich sehe eher
ein vor den Herausforderungen zeitgenössischer Arbeitssituationen
kapitulierendes, aber unterhaltsames Spiel, das auf den täglichen
Kleinkrieg mit der Parodie reagiert, seine latente Gewalt zu provozieren
und sich ihr auszusetzen.
Von Olga Goriunovas Suicide
Letter Wizard for Microsoft Word (2000) als Mittel, Selbstmord anzuzeigen,
leitet Cox über eine Diskussion von Tactical Media zum "virtual
suicide" in Sozialen Medien. Die "cycles of struggle"
werden im "current neoliberal regime" zum willkommenen "motor
for its own development" (Mario Tronti: The Strategy of Refusal
1965; pdf S.5/Buch S.108). Wenn aber Facebook moddr mit juristischen
Schritten droht, da deren Web 2.0
Suicide Machine (2009) mit ihrem Angebot zur Ausführung von
"unfriending" zu einer Verletzung der Rechte führe, die
sich die Plattform beim Registrieren von jeder/m TeilnehmerIn übertragen
lässt, dann ist die Grenze zwischen integrierbarem und nicht mehr
integrierbaren Widerstand überschritten: Die Gegenwehr derer, die
nicht mehr für die Plattform Facebook arbeiten wollen, bedroht
nicht nur deren Geschäftsmodell direkt durch eine Reduktion des
für Werbeeinnahmen nötigen Datenverkehrs, sondern provoziert
auch die Plattformbetreiber zu juristischen Aktionen, welche die Toleranzgrenze
markieren sollen. Nach Cox folgt Facebook hier der "logic of governmentality",
wie sie Michel Foucault in seiner Analyse der Überführung
der regulatorischen Funktionen des Staates in Marktbedingungen kritisierte
(pdf S.3,6/Buch S.105,109). Das "virtual suicide"-Projekt
Seppukoo von Les Liens Invisibles
(2009) wird von einem seiner Autoren als "`viral´" und
als "a sort of involuntary form of strike" (pdf S.8) ausgewiesen:
Einzelaktionen des "unfriending" werden durch "the mechanism
of viral invitations" auf die Stufe der "collective stage"
(Guy McMusker; pdf S.8/Buch S.110) gehoben (4/2013; 1/2020: Adult Swim's
Five
Minutes to Kill (Yourself) ist nicht mehr im Web).
- Arns, Inke: Transparent
World. Minoritarian Tactics in the Age of Transparency.
In: Andersen, Christian Ulrik/Pold, Søren Pro (Hg.): Interface
Criticism. Aesthetics Beyond Buttons. Aarhus 2011, S.253-276. Arns verbindet
die Transparenz, die Architekten der Moderne bis in die sechziger Jahre
als verpflichtendes Programm betrachteten, mit Michel Foucaults Analyse
der "Disziplinargesellschaft" und dem Übergang zur "Kontrollgesellschaft",
den Gilles Deleuze als nächsten Schritt in der Entwicklung von
"Dispositiven der Macht" vorstellte. Gebaute Transparenz erlaubt
soziale Kontrolle durch Einsicht.
Mit der Digitalisierung ändert sich die Funktion der Transparenz:
Transparenz erleichtert es, sich auf grafischen Oberflächen zu
bewegen, ohne von darunter liegenden Funktionsebenen gestört zu
werden: Die `Gefahr´, dass AnwenderInnen mit Code in Berührung
kommen, ist gebannt. Sollen dennoch Funktionsebenen wieder sichtbar
werden, dann muss die Anwenderebene `opak´ werden. Der vom Prozessor
in Rechenprozesse umgesetzte Code ("coded performativity"
nach Reinhold Grether) und Visualisierung bedingen sich nicht mehr gegenseitig,
sondern schließen sich aus, denn wenn eine Ebene transparent ist,
dann ist das durch Intransparenz einer anderen Ebene möglich: "In
the age of transparency we find ourselves dealing with a fundamental
de-coupling of visibility and performativity/effectivity." (S.261)
Was für die/den AnwenderIn transparent ist, setzt Funktionsebenen
voraus, die sie/er nur auf Kosten der Transparenz kontrollieren kann:
"The age of transparency is distinguished by the decoupling of
(panoptical) visibility and (post-optical) performativity." (S.273)
Arns stellt bis 2007 entstandene Projekte von Camera Surveillance Players,
Bureau d´Etudes, Dragan Espenschied und Alvar Freude, Annina Rüst
und Local Area Network, Michelle Teran, Trevor Paglen und The Institute
for Applied Autonomy, Manu Luksch u. a. vor, welche versteckte Kontrollfunktionen
entweder ad absurdum führen (1) oder aufzeigen (2): zwei Arten
des `Vorführens´ vor den Kontrollierenden (1) oder für
die Kontrollierten (2).
Nach Arns treten im "age of transparency" die panoptische
Überwachung der "Disziplinargesellschaft" und die postoptische
"Performativität", gesteuert von im Hintergrund arbeitender
Software, auseinander: Transparenz und Kontrolle sind keine Komplemente
mehr (3/2013).
- Menkman, Rosa: The
Glitch Moment(um).
Network Notebooks Nr.4. Institute of Network Cultures. Hogeschool van
Amsterdam (University of Applied Sciences). Amsterdam 2011. Menkman
stellt die Techniken des Databending, Datamoshing und Circuitbending
vor (S.23,37f.,47ff.,53ff.,65). Sie zeigt an Beispielen, wie KünstlerInnen
der Glitch Art diese Techniken anwenden.
Glitch Art ist nach Menkman Erstens eine Reaktion auf die Fiktion, mittels
Digitalisierung ein störfreies Wiedergabemedium zu produzieren.
Die Techniken der Störung von Audio-, Bild- und Filmmedien verweisen
zugleich auf Charakteristika des Gestörten, da sich bei JPEG und
BMP-Dateien damit sehr verschiedene Effekte erzeugen lassen. Zweitens
ist Glitch Art nur im Stadium des Übergangs "cool" (S.44;
s. Liu, Alan: What´s Cool? In: Ders.: The Laws of Cool. Knowledge
Work and the Culture of Information. Chicago 2004, S.176-179), solange
ihre Effekte noch als Störung etablierter Medienanwendung wahrgenommen
werden.
Eine Technologieentwicklung, die Medieneigenschaften vor AnwenderInnen
im Interesse von Investoren versteckt, stören Glitch KünstlerInnen
mit ihren Strategien: Um Hard- und Software manipulieren zu können,
beseitigen sie technische Hindernisse. Damit stören sie auch die
Fiktion eines Mediums, das sich an Bedürfnisse der AnwenderInnen
soweit anpassen kann, dass diese es nicht mehr wahrnehmen: Die Illusion
totaler Transparenz versteckt in Wirklichkeit die Konstruktion der Mediums
vor AnwenderInnen und entmündigt sie. Auf diese Unmündigkeit
anworten "prosumers" (S.58), die Glitchtechniken kooperativ
entwickeln. Mit "Glitchspeak" reagieren Netzgemeinschaften
auf Situationen, die mit George Orwells "Newspeak" (in "1984",
1949) vergleichbar sind, das BürgerInnen in einem unkritischen
Zustand gegenüber staatlicher Autorität hält (S.43) (4/2015).
- Munster, Anna: Nerves
of Data. The Neurological Turn in/against Networked Media.
In: Computational Culture. A Journal of Software Studies. Issue One/2011.
Munster kritisiert den "neurological turn" und dessen prominentesten
Vertreter Nicolas Carr: Er stützt seine These, dass die Folge des
Surfens im Netz nicht nur oberflächliches Denken sei, sondern es
auch Folgen für die Denkfähigkeit habe, auf eine Studie von
Gary Small, der das Verhalten von Netzsurfern mittels Functional Magnetic
Resonance Imaging (fMRI) festhielt. Munster zeigt, dass Carrs Fundierung
seiner Kritik auf fMRI nicht stichhaltig ist, da deren Diagramme solche
Ableitungen nicht zulassen.
Die zeitgenössische Aritificial Intelligence-Forschung löste sich
von neuronalen Grundlagen, wie sie Warren McCulloch und Walter Pitts
in den vierziger Jahren ihrer kybernetischen Neurophysiologie zugrunde
legten. Aktuelle Programme lernen vom Imformationsfluss in großen
Datenbanken für Vorhersagen künftiger Entwicklungen. An Googles
Plan einer Prediction API kritisiert Munster die Rekursionen zwischen
Surferverhalten und Lernverhalten der Software: "...it automates
the development process making it in some fundamental ways non-participatory."
Wenn Netzsurfer die Vorhersagen über ihr Verhalten erfahren, dann
müsste dies nach Carrs Interpretation ihre neuronale Struktur so
zur Anpassung verleiten, dass sie sich in Zukunft nur noch der Vorhersage
folgend verhalten.
Aus der problematischen aktuellen "Neuropolitik" führt
nach Munster eine Kritik einer ausschließlich neuronalen Fundierung
der Rezipientenforschung. So kann fMRI auch in Denkrahmen eine Rolle
spielen, in denen Denken, Handeln und Wahrnehmen als kognitive Fähigkeiten
nicht ausgeklammert werden: Die von fMRI gelieferten Bilder können
"as filements of the complexity of neuro-affective-perceptual-cognition"
gerade wegen ihres diagrammatischen Charakters dienen, der zwischen
Icon und Index dynamische Relationen zulässt. Diese "machinic
assemblage...of possible fields, of virtual as much as constituted elements"
(Felix Guattari: Chaosmosis. An ethico-aesthetic paradigm. Sydney 1994,
S.35) ermöglicht es, die aktuelle "Neuropolitik" vor
dem Horizont einer "different `version´ of the relation between
brains, thought and (soft) technics" in einem kritischen Licht
zu sehen (4/2013).
- Sack, Warren: Aesthetics of Information Visualization.
In: Lovejoy, Margot/Paul, Christiane/Vesna, Victoria (Hg.): Context
Providers. Conditions of Meaning in Digital Art. Bristol 2011, S.123-150.
Erstens: Die frühen Konzepte für Computer
von Alan Turing, Norbert Wiener und Douglas Engelbart thematisierten
Datenverwaltung in der Bürokratie als Anwendungsbereich.
Zweitens: Sack schlägt auf der Suche nach Vorläufern
künstlerischer Strategien für die Visualisierung von Daten
Konzeptuelle Kunst vor: Der Verwaltung entlehnte Präsentationsformen
wie der Index
01 von Art & Language (1972) dienten einer Gesellschaftskritik,
die auch korporative Strategien, darunter die Verwaltung großer
Datenmengen, thematisierte.
Drittens: Sack verknüpft diese beiden Argumentationsstränge,
die Digitalisierung und die Kritik der Verwaltung mit ihren eigenen
Mitteln. Die "body politic" entwickelte sich im 18. und 19.
Jahrhundert von einer Körper um das Zentrum der Macht kreisförmig
organisierenden absolutistischen Herrschaft ("the `star´
network") zu einer demokratisch-rhizomatischen "government
of things". Einen Aspekt dieses Systems visualisieren Josh On &
The Futurefarmers in They Rule
(2001/2004) an Hand der Vernetzungen zwischen Firmen durch Personen
in Aufsichtsräten und Führungspositionen verschiedener Unternehmen.
Alternative Netzwerke wie MoveOn.org
oder SMS-Netze könnten durch Visualisierungen ihrer Relationen
zu einer "visual form to show the Body Politic itself to itself"
führen. Sack streift das Problem der kritischen Selbsteinbettung
in Gesellschaft (und nimmt damit in erweitertem Rahmen
die kritische Selbsteinbettung von Art & Language in den Kunstbetrieb
auf): Kontextreflexivität der größeren sozialen Rahmen,
die nicht wahlweise gegen andere ausgetauscht werden können, ist
die unausgesprochene, aber im letzten Satz von Sack angedeutete Konsequenz,
Datenvisualisierung kritisch einzusetzen: "...we need to see ourselves
and our imagined communities within our larger political and cultural
contexts." (7/2009; 1/2020)
- Reichert, Ramón: Dating
Maps. Mapping Love in Online Dating Communities.
Vortrag,
Konferenz "Mapping Maps: What´s new about Neocartography?",
Artur-Woll-Haus, Universität Siegen, Siegen, 21.1.2011. Die Kombination
von Datenerfassungen mit Datenspeicherung, Strukturierungen von Databases
durch Software, Verbreitung dieser Daten über das Internet und
ihre Visualisierung in Network-spezifischen Interfaces ergibt im Web
2.0 Systeme, die Netzteilnehmer in ihrer Lebensgestaltung zweiseitig
nutzen: Sie sorgen für Daten durch ihre Eingaben (Input) und die
Art ihrer Nutzung eines Systems, da die Nutzung des Output wieder Input
erzeugt. Aus diesen "feedback loops" ziehen ProgrammentwicklerInnen
ihre Schlüsse und verändern die Systeme von "social networks",
um sie sowohl an die Anforderungen der NutzerInnen als auch an die Anforderungen
zahlender KundInnen anzupassen.
Statt die ökonomischen Aspekte zu vertiefen, zeigt Reichert an
Beispielen, welche Nutzungsmöglichkeiten entstehen: Den Entwicklungen
der ProgrammiererInnen korrespondieren neue Möglichkeiten der NutzerInnen,
in einem von Daten bestimmtem Leben durch "practices of evaluative
self-observation" ihre Selbstorganisation zu verändern. Die
Selbstanpassung an sich verändernde Umgebungen (Lebenswelt inklusive
Infoscapes) wird zur Leitlinie: "The control technology of `gentle
adaptation´ attempts to set an interminable dynamic of self-determination
in motion..."
In liberal-demokratischen Gesellschaften bilden "inspection procedures"
dominante Organisationsformen von Wissen. Mit dem so etablierten "conduct
of conduct" entsteht eine "feedback-driven self-control",
in der Individuen Kontrollpraktiken der Macht in sozialen und ökonomischen
Systemen übernehmen und einüben, wie Reichert argumentiert
und sich dabei auf sozialkritische Texte von Giorgio Agamben (s. Anm.10)
und Michel Foucault (s. Anm.14) bezieht.
Reichert führt diese Zusammenhänge am Beispiel des "Touchgraph
Facebook Browser" (TouchGraph
Navigator) vor. Dieses "ego network" ermöglicht es
dem Nutzer nicht nur, sich im Zentrum aller Facebook-Freunde zu sehen,
sondern auch andere Standpunkte einzunehmen: "Thus the ego primarily
appears as secondary observer of social networks letting the structural
position of the ego seem permanently changeable and fluid." Nutzer
sehen sich als "aggregate state of the network structure"
und damit nach Reichert anders als unter klassischen Bedingungen sozialer
Legitimation, wie sie Stammbäume und Familienbilder überliefern
(4/2015).
- Manon, Hugh S./Temkin, Daniel: Notes
on Glitch.
In: World Picture Journal. Nr.6/Winter 2011. Glitch Art ist für
Hugh S. Manon und Daniel Temkin sowohl Teil einer "digitalen Kultur"
(§ 22) als auch von analogen Vorläufern beeinflusst. Diese
Vorläufer liefern Anregungen, sich nicht mit steril gewordenen
Erzeugnissen digitaler Technologien zufrieden zu geben. Zugleich aber
erfordert die Schaffung von "the wilderness within the computer"
(§ 55) besondere Verfahren.
KünstlerInnen entwickeln Störungen digitaler Bilder durch
Eingriffe in Codes, ohne deren Lesbarkeit durch Programme aufzuheben.
Bestimmte Verfremdungen kommen nur bei bestimmten Bildformaten (z.B.
JPEG oder BMP) vor (§ 41). Als Folge gestörter Umwandlungen
von Analogem in Digitales entstehen bei JPEG- und BMP-Dateien kantige
Formen ("blockiness", "crystalline fragmentation",
§ 31). Im Unterschied zu analogen Störverfahren (§ 21)
sind digitale Störungen durch die Speicherung der Datei vor dem
Glitch und durch die "undo"-Funktion reversibel (§ 23,27).
Glitchverfahren sind deshalb weder an Vorstellungen einer Moderne, die
ihre eigenen medialen Grundlagen als Präsentation irreversibler
materieller Prozesse thematisiert (§ 24,42), noch an Paul
Virilios Vorstellungen einer "real sabotage" anschließbar
(§ 25). Gefundene wie erzeugte Glitches erscheinen durch die Veränderung
des Codes als integrale Störung, die sich in der Präsentation
sofort zeigt ("instantaneous fracturing", §31, vgl. §
17), während sich Störungen in analogen Verfahren als Materialprozess
entfalten (§ 29).
Da die Störung des Programmablaufs nur dann präsentierbar
wird, wenn der Prozess der Übersetzung des Codes in eine Bildpräsentation
nicht gestoppt wird, erscheint Gestörtes im Umfeld von weniger
oder nicht Gestörtem. Der digitale Glitch weist durch die "semilegibility"
keine Totalverfremdung auf, sondern eine "logic of `almost, but
not quite´" (§ 34; 4/2015).
- Manovich, Lev: Trending.
The Promises and the Challenges of Big Social Data.
Druckfassung: Gold, Matthew K. (Hg.): Debates in the Digital Humanities.
Minneapolis/Minnesota 2012, S.460-475. Manovich unterscheidet zwischen
"'deep data' about a few people and 'surface data' about lots of
people" (PDF S.2). Er stellt die Frage, ob Geisteswissenschaften
heute mit "Big Data" auf Servern von Konzernen und Regierungen
nicht mehr für Untersuchungen zur Verfügung stellen könnten
als nur "surface data", oder ob diese "the new depth"
bilden (PDF S.13).
Er weist auf zwei Probleme von ForscherInnen der Geisteswissenschaften,
die diese Daten analysieren wollen:
Erstens: Wie erhalten sie Zugang zu Daten von Internetkonzernen
wie Google oder Twitter?
Zweitens: Wie erhalten sie die technische Kompetenz, um die von
diesen Konzernen zur Verfügung gestellten APIs (Application programming
interfaces) nutzen zu können?
Diese APIs führen allerdings häufig nur zu Statistiken und
nicht zu den ausgewerteten Quellen. Nur ForscherInnen, die MitarbeiterInnen
von einem dieser Konzerne sind, erhalten direkten Zugang zu den Databases
mit den abrufbaren Daten. Lediglich Regierungen, die wie die
U.S.-Regierung immer mehr Daten über APIs (Data.gov,
Health.gov) zur Verfügung stellen,
erlauben es, aus "Big Data" mit dafür zu entwickelnder
Software weiter reichende Schlüsse zu ziehen. Manovich weist auf
die Schritte der Software Studies Initiative der University of California
in San Diego (UCSD; Site: softwarestudies.com)
in diese Richtung.
Manovich skizziert eine Drei-Klassen-Gesellschaft: Der Menge von Internet-
und Mobilfunknutzern stehen die Gruppe der EigentümerInnen der
Mittel, sie zu speichern, und die noch kleinere Gruppe der Experten
gegenüber, die fähig sind, "Big Data" zu analysieren:
"We can refer to these three groups as new 'data-classes' of our
'big data society'" (PDF S.11).
Den Interessen der Konzerne, durch diese Analysen "for specific
business ends" relevante Resultate zu erhalten, stehen die Interessen
der Forscher der Geisteswissenschaften gegenüber, neue Aufschlüsse
"about human cultural behavior in general" (PDF S.11) zu erhalten.
Doch den geisteswissenschaftlich orientierten ForscherInnen mangelt
es bislang an Analysemöglichkeiten und an Datenzugängen. (4/2015;
1/2020).
- Simanowski, Roberto:
The Compelling Charm of Numbers. Writing for and thru the Network of
Data.
Vortrag, ELMCIP Conference on Remediating the Social, Edinburgh College
of Art, 2.11.2012. Druckfassung in: Biggs, Simon (Hg.): Remediating
the Social. University of Bergen. Department of Linguistic, Literary
and Aesthetic Studies. Bergen 2012, S.20-27. Simanowski sieht in Facebooks
Timeline eine Wiederaufnahme von Chroniken des Mittelalters, die Account-Inhabern
Varianten zwischen Organisationsformen von Databases und Narrativem
erlaubt. Das Narrative als sich in der Geschichtsschreibung äußerndes
menschliches Bedürfnis, Zusammenhänge zu schaffen, sieht Simanowski
in einem Spannungsfeld zur Ordnung isolierter Elemente in einer Database.
Mit Facebooks "Life Event" können Account-Inhaber biographische
Ereignisse als chronologische Folge dokumentieren, die einerseits Freunde/Freundinnen
beim Lesen nach möglichen Zusammenhängen ordnen können,
wenn sie dem menschlichen Drang nach der Schaffung von Übersichtlichkeit
durch vereinfachende Interpretationen nachgeben. Andererseits weist
Simanowski auf eine Tendenz zum Quantifizierbaren. Das belegt die Quantified
Self-Community, in der circa 40 Gruppen ihe Kenntnisse und Erfahrungen
mit digitalen, das Leben in Zahlen protokollierenden Technologien austauschen
(Quantified Self). Facebook
Timeline schließt an Database-Strukturen und an die Tendenz, das
eigene Leben in Zahlen zu fassen ("numerical narratives",
S.24) in einer Weise an, dass eine laufend aktualisierte autobiografische
und multimediale Chronik entsteht.
Die von Lev Manovich als "a new symbolic form of a computer age"
(S.25) ausgewiesene Database ist in neuen Anwendungen wie in Facebooks
Timeline "symbolic...for the ongoing shift from culture to economy"
"adding `value for the consumer´ but also, and first of all,
for the companies." (S.27). Für die Vermeidung von zu großen
Spannungen zwischen digitalen Datensammlungen und menschlichen Bedürfnissen
nach Narrativem sorgen also Investoren und Korporationen (4/2013; 1/2020).
- Cramer, Florian: Post-Digital
Writing.
Keynote Lecture, Electronic Literature Organization Conference, West
Virginia University, Morgantown/West Virginia, 22.6.2012. In: Electronic
Book Review, 12.12.2012. Neu in: Cramer, Florian: Anti-Media. Ephemera
on Speculative Arts. Rotterdam 2013, S.227-239,259f. Cramer fasst in
der "Keynote Lecture" für die "Electronic Literature
Organization [ELO] Conference" die Geschichte der Hyperfiction
kurz und kritisch zusammen. Während in Ländern wie Deutschland
"literary writing" nicht an Universitäten gelehrt wird
und elektronische Literatur nach einem Boom in den späten neunziger
Jahren nicht weiter entwickelt wurde, ist diese Kunstform in den Vereinigten
Staaten in "ELO initiatives like `Born Again Bits´ and `Acid-Free
Bits´" zwar weiter im akademischen Kontext gefördert
worden, doch wurden ihre Möglichkeiten auf geschlossene und deshalb
abladbare Werkformen reduziert: Webness in Form von Linksystemen und
"communication streams" blieben unberücksichtigt. Er
verweist auf Versäumnisse der Electronic Literature Organization
(ELO), auf neue Kunstformen, die auf der Basis von Filesharing entstanden
sind, und auf die Entwicklung der Verbreitung von Dateien via Telekommunikation
zu reagieren. Die von der ELO bevorzugte Form der literarischen Kritik
setzt nach Cramer sich als "literarisch" ausweisende Werke
voraus und kann so auf die Überschreitung der Grenzen zwischen
"amateur and professional writers" nicht reagieren.
Kaum anders verlief aus der Sicht Cramers die Entwicklung der Netzkunst
nach 2000. Das Internet wird heute von KünstlerInnen nur mehr als
Distributionsmedium genutzt, nicht mehr aber wird es als künstlerisches
Medium mit eigenen Möglichkeiten erforscht. Verbindungen zwischen
Netzkunst und Aktivismus, wie sie "Hacktivism" und Copyleft-Initiativen
herstellten, wurden mit "The Anonymous Movement" und Piratenparteien
zu Bestandteilen der Massenkultur (Korrektur an Cramer: Wenn alternative
Bewegungen von Massenmedien wahrgenommen werden, dann heißt das
noch nicht, dass diese Gruppierungen ihre Randposition auch schon verlassen
haben und ihre VertreterInnen Ziele politisch durchsetzen können).
Zum Einen werden heute nach Cramer die Möglichkeiten des Internet
nicht weiter erforscht, zum Anderen ist "Hacktivism" zu arriviert.
Cramer skizziert seinen Standpunkt mittels einer Kritik an Kenneth Goldsmiths
Kommentaren über "plunderphonics" (in "Uncreative
Writing", New York 2011). Goldsmith nutzt Netzkulturen zwar als
Quellen seiner künstlerischen Tätigkeit, bleibt aber distanzierter
Beobachter und kann die Dichotomie creative/uncreative nicht überwinden.
Außerdem können so nicht die neoliberalen "Creative
Industries" in Frage gestellt werden: "It is tempting to maintain
notions of 'literary writing' or '(un)creative writing' out of resistance
to these developments." Nach Cramer jedoch sollte "uncreative
writing" mit einer "clever inventiveness" praktiziert
werden, um etablierte "creative industries" zu provozieren
und zu hinterfragen.
Die zeitgenössischen Entwicklungen digitaler Medien führen
nach Cramer zu einer neuen Wertschätzung des Analogen. Er bezeichnet
diese Tendenz als Kennzeichen des "Post-Digitalen". Cramer
sieht in einer Rückkehr zum "publishing of self-made books and zines"
eine Möglichkeit für alternative Formen des "social networking"
außerhalb der Kontrolle der "four corporate players"
(Google, Apple, Amazon, Facebook).
Annette Knols Buch "Colors Simply Hiphop" (o.J.) führt
er als Beispiel für ein "DIY [Do-it-yourself] printmaking"
an, das mit seiner Appropriation von Zeilen aus Hip Hop-Liedtexten (Internet-Fundstücke
aus Webseiten, die diese Texte archivieren) die Kriterien der ELO zweifach
unterläuft: in der künstlerischen Strategie und in der Verbreitung.
Knol und "DIY printmaking communities" wenden sich nach Cramer
zu den Ursprüngen des "home computing and to home pages in
the literal sense of the word."
Cramer stützt seine Kritik digitalisierter Massenkultur auf die
Kritik der Massenkultur von Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer
("Dialektik der Aufklärung", Amsterdam 1947), doch kann
er mit seinem Ausweichen ins Selbstgemacht-Analoge vielleicht einen
Rückzugsort, sonst aber so wenig wie die klassische Kulturkritik
der Frankfurter Schule Wege aus der konstatierten Krise aufzeigen.
Geoff Cox reagiert in Prehistories
of the Post-digital auf das von Cramer skizzierte Problem des Verhältnisses
von Kunst, Medien und Sozialem mit einer Skizze der Vorgeschichte der
"global contemporaneity", doch kann er das "Post-Digitale"
in der von ihm konstatierten Simultaneität von "different
geopolitical contexts" nur als "badly known" vorstellen:
Aus Cramers positiver Wertung des Post-Digitalen wird eine negative.
Cramer und Cox zeigen, dass unter dem Begriff des "Post-Digitalen"
zeitgenössische Phänomene subsumiert werden können, sich
daraus aber (noch?) keine Ansätze zur Kritik ihrer Ursachen gewinnen
lassen, welche die Voraussetzung für die Entwicklung einer Perspektive
auf eine alternative Kunstpraxis werden könnte (4/2015; 1/2020).
- Shanken, Edward A.: Investigatory
Art. Real-Time Systems and Network Culture.
In: NECSUS. European Journal of Media Studies. Nr.2/Autumn 2012. Jack
Burnham stellte in Vorträgen und Aufsätzen, die er zwischen
1968 und 1970 schrieb, zeitgenössische Werke vor, die "real
time systems" enthielten oder sich an diese anschlossen. Shanken
greift zwar Burnhams Argumentation auf, dennoch interessieren ihn weniger
Werke, die Prozesse von Systemen dokumentieren oder sie in Installationen
wie in experimentellen Versuchsanordnungen vorführen.
Er konzentriert sich vielmehr auf Werke, welche in die von Systemen
kontrollierten Prozesse eingreifen: Ihre Art, Aspekte dieser Systeme
vorzuführen oder zu dokumentieren, führt zu Gegenreaktionen
weniger vom Publikum als von Entscheidungsträgern des Kunstbetriebs.
So musste Hans Haacke nach seinen 1970 realisierten Besucherbefragungen
(in der Ausstellung "Software" im New Yorker Jewish Museum
und in "Information" im New Yorker Museum of Modern Art) erfahren,
dass Trustees die Präsentationen seiner Arbeiten verhinderten.
Dies hat Haacke dazu provoziert, in vielen folgenden Werken die Interessen
von Sammlern und Sponsoren im Kunstbetrieb zu untersuchen. Er konnte
dokumentieren, in welcher Weise Kunst die Corporate Identity fördert:
Sie wird zur Ablenkung der Aufmerksamkeit potentieller Käufer von
Geschäftsbereichen eingesetzt, die der Corporate Identity widersprechen.
Haackes Beitrag "Visitors´ Profile" für die von
Burnham kuratierte Ausstellung "Software" enthielt ein digitalisiertes
Informationssystem mit Echtzeitaktualisierung.
Nach Shanken antizipierte Haacke mit seinem Einsatz digitaler Mittel
in "real time systems" Netzprojekte von KünstlerInnen
wie Heath Bunting (Own,
be Owned, Or Remain Invisible, 1998), Josh On (They
Rule, 2001, Aktualisierungen 2004 und 2011), Übermorgen mit
Alessandro Ludovico und Paolo Cirio (Google
Will Eat Itself, 2005), Beatrice da Costa (Pigeon
Blog, 2006) und Michael Mandiberg (Real
Costs, 2007), die an Teile bestehender Informationssysteme anschliessen
und ihr Funktionieren sowie ihre Folgen so aufzeigen, dass Interessen
der BetreiberInnen dieser Systeme tangiert werden. Zu "Google Will
Eat Itself" haben die BetreiberInnen von Google Gegenmaßnahmen
realisiert.
Mit ihrer Selbsteinbettung in die Entwicklung digitaler Informationssysteme
setzen die KünstlerInnen in den erwähnten Werken Strategien
um, neue Partizipationsmöglichkeiten zu nutzen.
Shanken legt in seinen Bemerkungen die Betonung auf kritisch-reflexiven
(also konzeptuell orientierten) Einsatz neuer Partizipationsweisen,
nicht auf direkte Intervention mit aktivistischem Ziel. In Shankens
Interpretationen wird erkennbar, wie die partizipatorischen Aspekte
der Werke Lebensweisen ihrer Rezipienten verändern können.
Shanken zieht sich in seinen abschließenden Bemerkungen leider
auf ein Zitat von Saskia Sassen zurück, das keinen Ansatz für
zukünftige künstlerische Strategien bietet: "Through
this embeddedness the digital can act back on the social..." (Sassen,
Saskia: Territory, Authority, Rights. Oxford 2006, S.344; 4/2015).
- Navas, Eduardo: Modular
Complexity and Remix. The Collapse of Time and Space into Search.
In: AnthroVision. Vol.1.1. September 2012. In YouTube archivierte Remix-Videos
zeigen die Reaktionen ihrer AutorInnen auf das Zuspiel von Videos: Da
das Original sich nur schwer oder nicht mehr über das YouTube-Suchsystem
finden lässt, reagieren AutorInnen von Remix-Videos auf Remix-Videos.
Da Suchsysteme und Plattformen die neuesten Einträge begünstigen,
beeinflussen sie, was gefunden wird. AutorInnen von Remix-Videos reagieren
auf die letzten Versionen meistens, ohne ältere Versionen oder
den Start der Serie zu kennen, da die Vorlagen für Remix-Videos
mit den in Plattformen integrierten Suchsystemen häufig nicht zu
finden sind. Wenn Korporationen die Plattformbetreiber auffordern, Urheberrechte
verletzende Remix-Videos zu entfernen, dann fehlen zudem Teile der Remix-Serie.
Archiviert werden die Versionen nicht, um ihre Genese nachvollziehbar
zu präsentieren, sondern um möglichst viele Plattformbesucher
zur neuesten Version zu leiten. In der Art, wie Suchsysteme und Plattformen
das Klickverhalten lenken, verfolgen sie ihre Geschäftsmodelle.
Aus dem Zusammenwirken dieser von Geschäftsmodellen bestimmten
Netzbedingungen ergibt sich für BetrachterInnen und AutorInnen
von Remix-Videos: "...the now rules..." (pdf S.26)
Diese "ahistoricity" (pdf S.2) wird von der Distribution von
"constant updates" (pdf S.4) unterstützt, die ältere
Software-Versionen und die mit ihnen bearbeiteten Remix-Varianten teilweise
unzugänglich machen: "Those who are invested in knowledge
and history as a living discourse must truly consider the stage we are
entering with algorithms that privilege the growing economy of the now."
(pdf S.27) (3/2013)
- Lovink, Geert: What
is the Social in Social Media?
In: e-flux journal. Nr.40/December 2012. Geert Lovink bestimmt "social
media" als "container concept...describing a fuzzy collection
of websites like Facebook, Digg, YouTube, and Wikipedia." Auf ein
Verständnis des "Sozialen" als Gesellschaftsleben, in
dem symbolische Interaktion eine zentrale Rolle spielt, ist "the
real-virtual distinction" in Medienanalysen zurückzuführen,
die bei "Sozialen Medien" nicht mehr weiter führt.
Das von Interaktion `vor Ort´ bestimmte Soziale beschrieb Jean
Baudrillard 1985 in "The Masses: Implosion of the Social in the
Media" als von Umfragen abgelöst, durch die Auffassungen der
schweigenden Mehrheit erfasst werden. Kommunikation als Möglichkeit,
Öffentlichkeit gegen Machtstrukturen zu mobilisieren, hatte für
die Sozial- und Medienkritik der Postmoderne ihr emanzipatorisches Potential
verloren.
"Soziale Medien" heute dagegen reetablieren das Soziale: Jetzt
erscheint es als Aufforderung zu antworten und als "corrosion of
conformity", wie die "Facebook revolutions" 2011 zeigten.
Die Ein-Weg-Kommunikation der Massenmedien bildeten ein System, dass
uns "in einen Zustand des Stumpfsinns" trieb, und das von
Kommunikation bestimmte Soziale auflöste (Baudrillard). Dieses
System verliert mit den aktuellen "Sozialen Medien" seine
Dominanz. Die "Sozialen Medien" werden heute nicht nur von
"uploading and self-promotion" bestimmt, sondern auch von
"the personal one-to-one feedback and small-scale viral distribution
elements." Kritikern von "Sozialen Medien" wie Nicolas
Carr, Sherry Turkle und Jaron Larnier hält Lovink entgegen, dass
sie es vermeiden, Vorschläge zu machen, "what the social could
alternatively be, were it not defined by Facebook and Twitter."
(4/2013)
- Lichty, Patrick: Variant
Analyses. Interrogations of New Media Art and Culture.
Theory on Demand Nr.12. Institute of Network Cultures. Amsterdam 2013.
Für das Buch "Variant Analyses" wählte Lichty medienreflexive
Texte, die er zwischen 1994 und 2012 schrieb, als Bausteine einer Analyse
des Wandels von Kunst, Internet und Aktivismus. Im Zentrum von Lichtys
Analysen stehen die sozialen Auswirkungen der Entwicklung des Internets
zum zentralen Informations- und Kommunikationsmittel.
Die Zeitdiagnosen von Jean Baudrillard, Paul Virilio, Gilles Deleuze
und Felix Guattari bilden nicht nur im ersten und ältesten Text
("Haymarket RIOT´s Machine", 1994, Koautor Jonathan
S. Epstein), sondern auch in vielen folgenden Texten Lichtys Ausgangspunkte
für Analysen des Internet, des Netzaktivismus und der Netzkunst.
Die Beschleunigung von Verkehr, Handel und Informationsaustausch verursachte
eine Entgrenzung aller Sphären. Zu den Folgen gehören wechselseitige
Übernahmen und Annäherungen zwischen Medien(formen), durch
die nach Baudrillard und Virilio Fotografien und Video zu Leitmedien
wurden (S.14,35). Auf diese Phase folgt nach Lichty das Internet als
eigener "referent from which to operate" (S.15). Im Laufe
der Entwicklung des Web 2.0 wiederum erhalten Bilder eine neue Bedeutung,
die Lichty in "Art in the Age of Dataflow" (2009) an Hand
zweier Blogs von Manik (Marija Vanda und Nikola Pilipovic) und Nasty
Nets (mit Marisa Olson) thematisiert: Die in den Blogs präsentierten
Bilder sind "found footage" (S.18f.), die teilweise
in kommentierender Absicht modifiziert wurden. KünstlerInnen
arbeiten im Web 2.0 nicht nur verstärkt in und mit Datenflüssen,
sondern visualisieren diese Informationsprozesse in digitalen Präsentationsformen
(Beispiele von Martin Wattenberg, Golan Levin und Ben Fry, S.142,154ff.).
Lichty zeigt in "Art in the Age of Dataflow" eine Entwicklung
künstlerischer Tätigkeit: Nach dem Aufbrechen der "narrative
closure" (S.145f.) durch VertreterInnen der literarische Avantgarden
entstehen neue Textformen in Hypertext-Projekten, die durch Verknüpfungen
verzweigt sind. Schließlich können TeilnehmerInnen an Datenflüssen
und an der Entwicklung von Möglichkeiten ihrer Visualisierung mitwirken:
"art´s journey from structure to flow" (S.142).
Das Aufbrechen ins "Molekulare" (S.55 mit Felix Guattari)
und der "Flow" in und zwischen Milieus (S.154 mit Deleuze/Guattari)
stellt Lichty als untrennbare Bewegungen vor, in denen er Chancen sieht,
die über Baudrillards Zeitdiagnostik des fraktalen Stadiums der
Simulation hinaus führen.
Auf die Machthierarchien, die sich auch in Gesellschaften mit amorph
werdenden Grenzen zwischen sozialen Sphären erhalten, reagiert
nach Lichty ein amorph werdender Aktivismus ("On Amorphous Politics",
S.158). "Unbestimmtheit" ("indeterminacy", S.141,144)
ist nach Lichty nicht nur ein Charakteristikum von Avantgarden in Kunst-
und Literatursphären, sondern auch eines der "Offenheit"
("openness", S.144) einer kollaborativen (S.112-120) und kommunikativen
(S.134,137f.) Kunstpraxis, die zugleich soziale Praxis und Aktivismus
sein kann.
Occupy und die aus der "image sharing community 4chan.org"
entstandene Gruppe Anonymous (S.57,159) sind nach Lichty Beispiele für
den kollaborativen Einsatz von Internet und Mobilfunk, durch die sich
die Selbstverortung im Realraum ändert ("Building a Culture
of Ubiquity", 2000, S.94-104). In der wechselseitigen Durchdringung
von Real- und Simulationsräumen, unter Anderem mittels "Ubiquitous
Computing" (S.94-104) und "Second Life" (S.132), entstehen
Möglichkeiten für Alternativen, wie sie postmoderne Zeitdiagnostik
noch nicht denken konnte und die in der Kunstpraxis erprobt werden können
(S.30).
In einigen Kapiteln stellt Lichty auch Projekte aus den Bereichen Netzaktivismus
(RTMark, The Yes Men, S.39f.,43), Ubiquitous Computing (S.103) und Netzkunst
mit Social Media (Second Front in Second Life, S.117f.,130f.) vor, an
denen er als Künstler beteiligt war (4/2015).
- Lodi, Simona: Illegal
Art and Other Stories About Social Media.
In: Lovink, Geert/Rasch, Miriam (Hg.): Unlike Us Reader. Social Media
Monopolies and Their Alternatives. Institute of Network Cultures. Amsterdam
2013, S.239-253. Simona Lodi stellt Netzprojekte und Mobile Applications
vor, die Aspekte von Social Media wie die Zusammenhänge
zwischen Geschäftsmodellen und Nutzerverhalten thematisieren.
Als der Facebook-Gründer und CEO Mark Zuckerberg 2009 Privatheit
für beendet erklärte, blockierte Facebook die Applikationen
"Seppukoo" von Les Liens Invisibles
(2009) und Web 2.0 Suicide Machine
von Moddr (2009), weil "both...invited users to close their accounts."
(pdf S.242) Wer sich registriert, muss seine rechtlichen Ansprüche
per Zustimmung an Facebook übertragen. Die genannten Projekte aber
unterstützen das Löschen der Beiträge, die Facebook als
sein Eigentum behandelt. Zuckerbergs privater Besitzanspruch ist für
seine Anwälte unantastbar, während das Recht der Beiträge
schreibenden Account-Inhaber auf geistiges Eigentum unter `Privatheit
war gestern´ fällt: Ist die Aneignung der Rechte von Accountinhabern
das Soziale in "Social Media"?
Lodi stellt diese Projekte in knappen Beschreibungen vor. Sie spitzt
in ihren Ausführungen die Zusammenhänge zwischen Plattformen,
ihren Geschäftsmodellen und Accounthinhabern nicht so zu, wie es
die etablierte Machtverteilung erlaubt.
Ihr zweites Hauptthema ist, wie KünstlerInnen auf politische Plattformen
reagieren, durch die aus Aktivismus eine Zustimmung zu Petitionen durch
Klicks wird. Mica White prägte dafür 2010 den Begriff "Clicktivism".
Les Liens Invisibles bieten mit ihren Projekten Repetitionr
(2009-2010) und Tweet4Action
(2011) Dienstleistungen zur Erleichterung der Ausführung von Kampagnen
und Petititonen an. Bei "Repetitionr" wird die Zustimmung
mit geliefert: Gefälschte "Signatures" (pdf S.248) bannen
die Gefahr, dass Petitionen ohne Resonanz bleiben. Lodi bettet diese
Parodien des "Clicktivism" in eine knappe Darstellung der
aktuellen Formen des Aktivismus ein und fragt: "How has business
appropriated hacker values, exploiting open source principles, freedom
and equality, and triggering the activist response?" (pdf S.243)
Sie ist der Ansicht, dass ihre Beispiele für künstlerische
Reaktionen stehen, die kritisch das "Soziale" in "social
media" hinterfragen und mit ihrem "techno-activism" dazu
beitragen, dass "new forms of equality and social change"
(pdf S.252) geschaffen werden (4/2013).
- Sanchez, Michael: 2011:
On Art and Transmission.
In: Artforum, Vol.51/No.10, Summer 2013. Sanchez konstatiert Rückwirkungen
von der Rezeption von Kunst in Websites, die meist auf Touchscreens
aufgerufen werden, auf Formen von Kunstwerken und ihre Präsentationen
in Ausstellungen. Das provoziert Rückschlüsse auf veränderte
Zusammenhänge zwischen Kunstproduktion und Kunstbetrieb. Die Vorstellung
von künstlerischem Subjekt, wie sie bisher von der Institution
Kunst gefördert wurde, wird von "'desubjectifying' effects
of apparatuses" aufgelöst, folgert Sanchez im Rückgriff
auf Giorgio Agambens Begriff des Apparats: "Both the informational
form and the affective content of contemporary art are optimized for
an apparatus that is increasingly dominated by feedback between the
iPhone interface, the feed, and the aggregator, not the institutional
structures of the gallery and museum."
Sanchez fordert deshalb, die zeitgenössische Kunst nicht als eine
der "institutions producing subjects", sondern als eine der
"apparatuses capturing organisms" zu verstehen, da die Kunst
in einer Art erzeugt und verbreitet wird, auf die Richard Dawkins' Vergleich
der Verbreitung von Memen der Biologie mit der Verbreitung von "nongenetic
data" zutrifft (1/2020).
- Parikka, Jussi: Dust and Exhaustion. The Labor of Media Materialism.
In: C Theory. 2nd October 2013. Parikka schreibt eine Medien- als Materialgeschichte
mit dem Thema "Staub", der in die Lungen der Arbeiter eindringt
und sie zerstört, so auch beim Abbau von Coltan, das zu Tantalum
verarbeitet für die Herstellung der Chips von Mobiltelefonen benötigt
wird. An Hand der Arbeit zur Gewinnung von Mineralien zeigt Parikka
Verbindungen zwischen lebensnotwendigen Körperfunktionen und außermenschlichen
Materialien auf. Mit der technischen Entwicklung von analogen zu digitalen
Medien haben sich zwar die benötigten Materialien und die Orte
ihrer Gewinnung verändert, nicht aber die lebensgefährlichen
Bedingungen: Über die Atemwege in die Körper der Arbeiter
eindringende Partikel sind eine Konstante.
Die Games Phone Story von Molleindustria
(2011, Google Android und Internet) und "iMine" (2010, Google
Android und iPhone) sowie YoHas (Matsuko Yokokoji, Graham Harwood) Installationen
Tantalum Memorial (2008) und
Coal Fired Computers (2010) thematisieren
die Zusammenhänge zwischen den Arbeitsbedingungen zur Gewinnung
von Materialien und der Herstellung von Hardware.
Der Körper wird zum "Aufschreibesystem" (Kittler, Friedrich
Adolf: Aufschreibesysteme 1800-1900. München 1985). An der Art,
wie der Körper reagiert und in Form von Organveränderungen
speichert, lassen sich sowohl die Produktionsbedingungen ablesen, unter
denen Technologien erzeugt wurden, als auch deren Auswirkungen auf die
Umwelt. Atemlosigkeit als Folge von Zeitdruck, Mangel an Sauerstoff
und Verengung der Atemwege sind trotz technischer Entwicklung konstante
Charakteristika vom 19. bis zum 21. Jahrhundert.
Mit Zitaten aus Georgius Agricolas "De Re Metallica" (1556)
belegt Parikka ein Kontinuum von der Neuzeit in die (Nach)Moderne: "...the
book reads like a distant warning of that connection between wealth
and its price, of ill health and sacrifice. It is a sort of psychogeographics..."
(4/2015).
- Moss, Cecilia Laurel: Expanded
Internet Art and the Informational Milieu.
In: Rhizome, 19th December 2013. Ceci Moss schlägt "Expanded
Internet Art" als Begriff für Werke vor, die den Informationsfluss
thematisieren, mit dem das Internet "informational dynamics"
verändert. Die Medien, in denen KünstlerInnen diese neue Dynamik
thematisieren, sind nicht auf das Internet beschränkt, weshalb
Moss den Begriff Expansion vorschlägt. Sie geht nicht auf die Vorgeschichte
dieses Begriffs ein, auf seinen Gebrauch in den sechziger und siebziger
Jahren (von Gene Youngblood, Rosalind Krauss u.a.) für Grenzüberschreitungen
von alten Kunstgattungen zu neuen Werkformen und um den Übergang
zu Neuen (bzw. technischen) Medien und zu Intermedia Art zu kennzeichnen.
Während damals noch der Gattungs- vom Medienbegriff abgelöst
wurde, steht für Moss heute die Ablösung von medienspezifischen
Charakteristika durch Datenflüsse im aktuellen "informational
milieu" im Vordergrund. Sie greift dabei auf einen von Tiziana
Terranova gebildeten Begriff zurück und wendet ihn mittels Gilbert
Simondons Begriff des Milieus gegen den Begriff der Information und
das Sender-Empfänger-Modell der Kybernetik: "...Simondon posited
that there is no content proper to any elements within a system, and
form (as signal) is never abstracted from matter (as noise)...Matter
is not inert, but a potential."
Arbeitsweisen auf, in und mit Informationsflüssen wie sie
Kari Altmann und Brenna Murphy einsetzen dienen Moss als Beleg
für eine mit "Resonanzen" (Simondon) im "informational
milieu" arbeitende und Resonanzen im Beobacher provozierende Kunst.
Moss erwartet von einer in das zeitgenössische Milieu eintauchenden
Kunst, dass sie in diesem Milieu Potentiale freilege, lässt aber
offen, wie dies geschehen soll (1/2020).
- Betancourt, Michael: Critical
Glitches and Glitch Art.
In: Hz Journal. Nr.19/2014. Untersuchungen der Glitch Art, die sie auf
formale Unterscheidungen von Glitches einerseits als Fehlfunktionen
und andererseits als wie Fehlfunktionen aussehende ("glitch-alike",
s. Moradi, Iman: GTLCH
Aesthetics. Diss. The University of Huddersfield. Huddersfield 2004,
S.10) Modifikationen reduzieren, befriedigen Betancourt nicht. Er betont
die Rolle der Beobachterin/des Beobachters, für die/den Werke,
welche mit einer der beiden Arten erzeugt wurden, Bedeutung im aktuellen
sozialen Kontext erlangen können.
Auf der Basis der Äußerungen von Theodor Wiesengrund Adorno
über autonome Kunst und ihre bürgerliche Refunktionalisierung
weist Betancourt Interpretationen zurück, die jeden "Glitch"
als "inherently critical" verstehen. "The potential for
a critically oriented practice" erschließt sich RezipientInnen
aus ihrer Fähigkeit, technische Vorgänge vor dem Hintergrund
ihrer Kenntnis von normalen Anwendungen und Störungen zu interpretieren.
KünstlerInnen wiederum sollten in der Lage sein, Interpretationshorizonte
ihres Publikums bei der Auswahl von Glitchverfahren zu antizipieren
zum Beispiel in der Art, wie sie in der Werkform Nicht-Gestörtes
und Gestörtes aufeinander beziehen (4/2015; 1/2020).
- Bosma, Josephine: Post/Digital
is Post/Screen. Arnheim´s Visual Thinking applied to Art in the Expanded
Digital Media Field.
In: A Peer-Reviewed Journal About Post-Digital Research. APRJA. Vol.
3/Issue 1. 2014. Nach Bosma markiert der Begriff "Post-Digital"
eine Neuorientierung: Aktuelle Analysen der sozialen und kulturellen
Folgen technischer Entwicklungen orientieren sich nicht mehr primär
an Digitalisierung, auch wenn sich digitale Medien schneller denn je
ausbreiten. In zeitgenössischer Kunst wird auf diese Neuorientierungen
reagiert, indem die Aufmerksamkeit nicht mehr auf Bildschirmpräsentationen
digitaler Prozesse gelenkt wird, sondern auf die bisher vernachlässigten
Aspekte.
In Rudolf Arnheims Diskurs über die Funktion der Modellbildung
in der Wahrnehmung und im Denken (Ders.: Visual Thinking, Berkeley 1969)
findet Bosma Ansätze, die sich zu einer Vorstellung post-digitaler
Tendenzen ausbauen lassen. Ein ungefiltertes Registrieren und Erinnern
von Sinnesdaten übersteigt menschliche Wahrnehmungsfähigkeiten,
während Wahrnehmung nur durch die Komplexitätsreduktion mittels
Modellen sichtbarer Welt möglich wird. Arnheim geht in seinem holistischen
Ansatz von einem umfassend strukturierenden Denken aus, das Möglichkeiten
der Reduktion von Sinnesreizen durch die Gliederung des Wahrgenommenen
bietet. Er erwähnt zum Einen frühe naturwissenschaftliche
"models for theory" als Beispiele für die Wahrnehmung
konstituierende Modelle ("Visual Thinking", chap.15), zum
Anderen rückt er psychologische Prozesse in den Vordergrund.
Die seit der Renaissance in Kunst und Wissenschaft geführte Auseinandersetzung,
ob die Ellipse ein verformter Kreis oder eine Form mit eigenen Relationen
zwischen Zentrum und Peripherie ist, dient Bosma als Beispiel für
einen theoriegeleiteten Perspektivenwechsel: "A shift of the perspective
can apparently enrich the way we approach things, even if not every
detail of this new view is in line with the reality it reveals."
Bosma sieht Gemeinsamkeiten zwischen Arnheims Ansatz, an visueller Wahrnehmung
mehr als nur Sichtbares in entscheidender Weise beteiligt zu sehen,
und Alexander R. Galloways Kritik in "The Interface Effect"
(Buch, Malden/Massachusetts 2012), am Computer nicht nur das am Bildschirm
Sichtbare, sondern auch diese Präsentation prägende Vorgänge
("the digital as a complex structure of forces obscured by a focus
on the screen") zu berücksichtigen. Galloways Kritik der Relation
zwischen Rechenprozessen und Bildschirm, wie sie in Lev Manovichs Analyse
neuer Medien zentral ist, stellt Bosma als wichtige Quelle für
die Entwicklung eines "post-digital approach" vor, mit dem
die Bildschirm-Fixierung überwunden werden soll.
Diesen "approach" zeigen nach Bosma folgende Werke: Jaromils
"Forkbomb" wird als Beispiel für "Code Art"
vorgestellt. Dania Vasilievs alternatives Netzwerk "Netless"
steht für in Installationen und Performances eingesetzte Netzwerke.
Aktionen der "Yes Men" stellt Bosma als "Post-Internet
Art" vor, da sie mit ihrer Hinterfragung etablierter Vorstellungen
vom Digitalen einem Verständnis von "the post-digital"
zuarbeiten. Die Yes Men mit ihren in Vorträgen versteckten Publikumsprovokationen,
die sie in Videodokumentationen verbreiten, artikulieren nach Bosma
in der Auseinandersetzung mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen ("different
dimensions of reality") einen "in-between space", der
"a physical space, a technological space, and a conceptual space
at once" sei.
Da die "Yes Men" Medien strategisch zur Erlangung ihrer Aktionsziele
koppeln, wie es Aktivismus immer getan hat, wären Installationen
mit integrierten Netzwerken und/oder Internetzugang überzeugendere
Beispiele zur Demonstration bisher unberücksichtigter Qualitäten
eines "in-between space".
Außerdem erneuert Bosma mit ihrem Arnheim entlehnten Ansatz der
Auseinandersetzung mit Wirklichkeitsebenen eine Problemstellung der
künstlerischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Auch wenn Bosma
nicht zurück will zu einer Erneuerung prae-digitaler Medienansätze
sie hält deren Auseinandersetzung mit Kino und Fernsehen
für problematisch , so ist sie doch dort angekommen.
Mit ihrer Vereinnahmung von Beispielen der Code Art und des Aktivismus
verleiht Bosma deren mit dem Web 1.0 entstandenen Medienformen und Strategien
nachträglich das Etikett "Post-Digital". Bosma gelingt
es nicht, zu zeigen, dass der Begriff mehr als eine Dichotomisierung
zwischen Pop-Versionen des Digitalen und der Abwendung von ihnen zur
Verfügung stellt. Sie spitzt diese Auseinandersetzung auf das Problem
Bildschirm zu "Screen" versus "Post-Screen"
und zeigt, dass es Alternativen zu dominant Bildschirm-bezogenen
Arbeiten nicht erst seit den populären Vervielfältigungen
mobiler Computer und Mobiltelefone mit Touchscreen gibt. Doch was hat
sich geändert zwischen der Kritik am Graphical User Interface der
Standard-Betriebssysteme von Personal Computers und der von Global Players
mehr denn je bestimmten Medienkonstellation des Web 2.0? Ein Ansatz,
der den Wandel von Interfaces umfassend, also auch den Wandel der Bildschirmtechniken
und -präsentationen einbezieht, scheint mir fruchtbarer für
künstlerische Projekte mit dem Ziel einer Medienkritik zu sein,
als eine schlichte Abwendung von Bildschirmpräsentationen, während
die meisten Rezipienten diese Projekte nur durch die im Internet verbreiteten
Foto- und Filmdokumente erfahren (4/2015; 1/2020).
- Grosser, Ben: How
the Technological Design of Facebook Homogenizes Identity and Limits
Personal Representation.
In: Hz Journal. Nr. 19/2014. Nach Grosser beschränkt Facebook unnötig
die Möglichkeiten der NutzerInnen, eigene Seiten einzurichten.
So wäre es ohne Veränderungen der Software möglich, die
Auswahl von drei statt nur zwei Geschlechtern anzubieten. Allerdings
lassen sich Facebook-Einstellungen, welche die Eingabemöglichkeiten
für Daten zur eigenen Identität beschränken, umgehen,
um ein Drittes Geschlecht einzugeben.
Außerdem standardisiert Facebook die Eingaben für Sprachen
und lässt keine alternativen Schreibweisen zu. Ebenso werden Sprachen
ignoriert, in denen auch größere Bevölkerungsgruppen
kommunizieren.
Grosser erkennt in diesen Vorgaben Welteinstellungen einer männlichen
weißen Mittelschicht, die das Management von Facebook dominiert. Er
rät, diese Einseitigkeiten für eine größere Varietät
der Selbstbestimmung der NutzerInnen auch dann mit Rücksicht auf
Kriterien von Gender und Race zu ändern, wenn dies die Anzeigenkunden
in ihren Versuchen stört, von den gesammelten NutzerInnen-Daten
auf Kundenverhalten schließen zu können.
Wenn sich schwarze amerikanische Jugendliche mehrheitlich über
MySpace verständigen, dann kann dies die Folge von Facebooks Nichtberücksichtigung
größerer Bevölkerungsgruppen sein. Dies widerspricht
der zentralen Position von Facebook als Kommunikationsplattform, in
der auch Fragen von Gruppen übergreifendem Interesse debattiert
werden, inklusive allgemeine Fragen des Umgangs mit Minderheiten.
Grosser erkennt in Facebooks Nichtberücksichtigung eine Tendenz,
die Identität von "Freunden" in diskriminierender Weise
zu "homogenisieren". Dies widerspricht dem Anspruch der Toleranz,
wie er in den jüngsten politischen Umwälzungen über soziale
Netzwerke und auf den Straßen artikuliert wurde (Facebook hat
Gender-Einstellungen im Februar 2014 für NutzerInnen der amerikanischen
Variante und im September 2014 für NutzerInnen der deutschsprachigen
Variante geändert; 4/2015).
- Mansoux, Aymeric: Free
Culture Licenses as Art Manifestos.
In: Hz-Journal. Nr.19/2014. KünstlerInnen der Mail Art, darunter
Ray Johnson, `signierten´ ihre Briefsendungen mit eingespiegeltem
oder auf den Kopf gestelltem Copyright-Logo als "copyleft icon".
Eine Übertragung der von Richard Stallman für urheberrechtsrelevante
Open Source Software entwickelten GNU
General Public Licence (GNU GPL) auf Kunstwerke stellt Probleme,
die Mansoux an kollaborativen Internetwerken aufzeigt.
Bonnie Mitchells "Chain Art Project" (1993) liefert ein Beispiel,
an dem sich zeigen lässt, dass Veränderungen von Bilddateien,
die verschiedene AutorInnen an Resultaten anderer AutorInnen in einem
fortlaufenden Prozess vornehmen, mit einer Übertragung der GNU
GPL auf Kunst Fragen aufwerfen, die nicht geklärt sind, da alle
Beiträge ein "joint work" (Chon, Margaret: New
Wine Bursting From Old Bottles. Collaborative Internet Art, Joint
Works, and Enterpreneurship. In: Oregon Law Review. Nr.75/1996, S.257-276)
bilden.
Die erste für Kunstwerke geschriebene Copyleft Lizenz die
License Art Libre oder
"Copyleft Attitude" wurde 2000 publiziert. Autoren
waren unter Anderen Bertrand Keller und Antoine Moreau. Sie ersetzten
die mit der "GNU General Public License" vorgestellte Einheit
von Manifest und Handlungsanleitung durch eine pragmatische Argumentation.
Moderne Bewegungen mit dem Ziel einer sozialen Veränderung werden
nach Mansoux von Werken einer "free art" abgelöst, die
sich als "multidimensional, ambiguous object" unter aktuellen
sozialen und juristischen Rahmenbedingungen zu behaupten versucht. Engagierte
KünstlerInnen können in ihre Projekten einen oder mehrere
dieser vier Aspekte Bereitstellung von "toolkits for artists",
"political statement", "legal and technical framework"
oder "fashionable statement" einbringen.
Versuche, Open Source "under the overwhelming allencompassing umbrella
of free culture" zu positionieren, erscheinen nach Mansoux heute
als "mere prototypes of a globalist cultural cooperation mechanism".
Letzteres sei "championed by the Creative
Commons non-profit organization". Mansoux nimmt offenbar an,
dass sich eine zugleich pragmatische und vielschichtige "free art",
die einen oder mehrere der oben genannten vier Aspekte erfüllt,
dem von ihm an Creative Commons gerichteten Vorwurf entgehen kann, so
lange sie in Alternativen aufgesplittert bleibt (4/2015).
- Garcia, David: From
Tactical Media to the Neo-pragmatists of the Web.
In: Aceti, Lanfranco/Jaschko, Susanne/Stallabrass, Julian (Hg.): Red
Art. New Utopias in Data Capitalism. In: Leonardo Electronic Almanac,
Vol.20/No.1, January 2014, S.124-135. David Garcia stellt die Entwicklung
des Netzaktivismus von den neunziger Jahren bis heute vor. "Tactical
Media" waren geprägt von dem Willen der Akteure und Aktricen,
mittels Web eine "liberating power of expression in politics"
(S.127) zu entfalten. Das Internet sollte in den neunziger Jahren mit
den neuen Möglichkeiten zur Teilnahme auch ein neues "ideal
of democracy" (S.127) auszudrücken erlauben.
Nach Garcia nahm Michel de Certeau in "Die Kunst des Handelns"
(Berlin 1988; i.O.m.d.T. L'invention du quotidien. Vol.1: Arts de faire,
Paris 1980) in seinem Konzept des taktisch mit vorgegebenen Strategien
(Berlin 1988, S.23) umgehenden "consumer" (Garcia, S.126,
vgl. de Certeau, Berlin 1988, S.13) die Entwicklung der "overlapping
practices" von "artists, hackers, political activists, independent
media makers" (S.127) vorweg, aus denen Netzwerke von EntwicklerInnen
und AnwenderInnen von Tactical Media wurden.
Garcia sieht in dieser Entwicklung einen "Expressivism" sich
entfalten, der von der "Romantic rebellion against the rationalist
utilitarianism of the Enlightenment" vorweggenommen worden sei
(S.127): Er sieht Parallelen in den Rollen von KünstlerInnen in
der Romantik und in Tactical Media-Netzwerken, nicht ohne zu berücksichtigen,
dass sich mit dem Internet die Handlungsfelder verändert haben
(S.129).
Um von den Tactical Media des Web 1.0 die Möglichkeiten, sich im
Web 2.0 zu engagieren, unterscheiden zu können, greift Garcia auf
Felix Stalders Unterscheidung zwischen dezentralisiertem "front-end"
und zentralisiertem, in langdauernden und undurchsichtigen Planungen
ausgeführtem "back-end" zurück (Stalder, Felix:
Between Democracy and
Spectacle: Front-End and the Back-End of Social Web, 2012). Garcia
sieht eine Verschiebung des Netzaktivismus von Ersterem zu Letzterem:
von Tactical Media zum Clicktivism, von der selbständigen und in
Kollaborationen geplanten sozialen Intervention zu programmierten Plattformen
wie MoveOn und Avaaz,
die Funktionen bereit stellen und keine Spielräume für Taktiken
mehr zulassen. Statt Kontroversen zu suchen, wird der Konsens mit Vielen
bevorzugt.
Garcia sieht sich in dieser Einschätzung durch folgende Äußerung
von Ricken Patel, dem Leiter von Avaaz, bestätigt: "In order
to bring about radical change in the world you don't need to be controversial."
(Patel 2007) Bei Avaaz ersetzen Mitgliederumfragen Kontroversen und
es ist leicht, zu einem der Mitglieder zu werden, die laufend zu Spenden
aufgerufen werden. Les Liens Invisibles haben diesen "armchair
activism" mittels "online petition service Repititionr"
(2010) kritisiert: "Tweet for Action, Augment your Reaction."
(S.133. Mittels des Service erzeugte "false signatures" sind
auch ein Weg zum Erfolg).
Garcia schlägt vor, in Fehlschlägen Möglichkeiten zur
Erneuerung demokratischer Politik im Zeitalter der Netzwerke zu erkennen
(1/2020).
- Dekker, Annet: Assembling
Traces, or the Conservation of Net Art.
In: NECSUS. European Journal of Media Studies. Spring 2014. Dekker plädiert
für eine nicht nur rückwärtsgewandte Konservierung von
Netzkunst. Zum Einen ist bei Werken, deren Quellcode unter aktuellen
Netzbedingungen (neue Browser für neue Betriebssysteme) nicht mehr
funktioniert, zu fragen, ob der Code umgeschrieben werden kann. Zum
Anderen sind Beiträge einzubeziehen, die NutzerInnen als TeilnehmerInnen
am Werk ("input from visitors") wie als Aktricen oder Akteure
im Umfeld eines Werkes erzeugen.
Am Beispiel der seit 1996 von Martine Neddam betriebenen, ständig
veränderten und erweiterten Website mouchette.org
zeigt Dekker, was sie als Umfeld versteht: Als die Witwe des Regisseurs
Robert Bresson jeden Bezug auf dessen Spielfilm «Mouchette»
verhindern wollte, reagierten TeilnehmerInnen mit Spiegelsites (Anm.25).
Diese Kopien konservierten einen bestimmten Entwicklungsstand der Site
mouchette.org.
Nach Dekker ergeben sich Kriterien für die Konservierung oder Rekonstruktion
von Netzkunst aus den Möglichkeiten der TeilnehmerInnen einer Netzgemeinschaft,
sich um die Archivierung von verschiedenen Zuständen einer Site
zu kümmern, sowie aus der Weiterführung oder Wiederaufnahme
von Teilnahmemöglichkeiten (der Interaktion mit und der Partizipation
am Netzprojekt). Das Umfeld kann durch Netzaktivitäten der TeilnehmerInnen
(Blogs, Websites etc.) gepflegt werden: "Such a process does not
exclude conservation but incorporates future thinking in its practice
while guarding or making documentation as traces of a past..."
(4/2015).
- Moss, Cecilia Laurel: Expanded
Internet Art and the Informational Milieu.
Thesis, Department of Comparative Literature, New York University, New
York 2015. Modifizierte Druckfassung: Expanded Internet Art. Twenty-First-Century
Artistic Practice and the Informational Milieu. London/Oxford/New York/New
Delhi/Sydney 2019. In ihrer Dissertation erweitert Ceci Moss die in
ihrem gleichnamigen Aufsatz von 2013 (s.o.) vorgestellte These der künstlerischen
Arbeit aus, mit und in einem vom Internet geschaffenen "informational
milieu". Während Tiziana Terranova in Network
Culture (2004) den Beitrag der Kybernetik zum "informational
milieu" erklärt (S.9,20ff.) und den Begriff Information im
Rückgriff auf Gilbert Simondon weiter als die kybernetische Reduktion
auf physikalische Prozesse fasst, versteht Moss Simondons Kritik an
der mathematisch ausgerichteten Kybernetik (S.57f.) als Paradigmenwechsel
zu einem Milieubegriff, der Prozesse zwischen Technik und Mensch als
wechselseitige vorstellt: Mensch und Technik entwickeln sich in Milieus
als untrennbare Einheiten. Auch wenn Moss ebenfalls in den fünziger
Jahren geschriebene Beiträge von Georges Canguilhelm und Raymond
Ruyer in ihre Vorstellung der Untrennbarkeit von Mensch und Technik
in Kulturen integriert, so gewinnt sie doch aus Simondons Umfeld keine
entscheidenden Erkenntnisse für "Expanded Internet Art".
Aus Jean-François Lyotards Konzeption der Ausstellung «Les
Immatériaux» 1985 im Pariser Centre Pompidou (S.94-111)
und seinen 1985/86 entstandenen Texte und Vorträge versucht Moss
sowohl eine Bestimmung der Entwicklung der Zusammenhänge zwischen
Mensch und Technik als auch eine Klärung der Funktion der Kunst
im von Menschen geschaffenen technischen Umfeld zu gewinnen.
Die BesucherInnen konnten keiner Leitlinie durch «Les Immatériaux»
folgen, sondern mussten Wege zwischen den Stationen wählen. Die
Ratlosigkeit der BesucherInnen auf der Suche nach dem Ziel der Ausstellung
vergleicht Moss mit der Situation im "informational milieu".
Sie konstatiert ein "continual unfolding" als Charakteristikum
einer "expanded internet art", die "has co-developed
with the internet." (S.45).
Alternativen zu der von Lyotard geforderten "anamnesic resistance"
(S.127f.) versucht Moss mittels der "media tourists writing in
the 2000's" (S.52) Terranova, Mark B.N. Hansen und Bernard Stiegler
zu finden, um das zeitgenössische "informational milieu"
als vom "Posthumanen" (S.128,149,151-155) geprägt bestimmen
zu können. Hansens Erläuterungen folgend will Moss ein Milieu
erkennen, das Subjekte durch Reaktionen auf ihre Umgebung (S.155 mit
Anm.35) bilden.
Sie will so eine Relation von Subjekt und Umgebung jenseits von Lyotards
Bestimmung der "resistance" gegen das "Inhumane"
(S.116f.,149f.) erkennen (S.79-89). Leider gelingt es ihr weder im Theoretischen
noch in der Analyse von Kunstwerken von Kari Altman, Harm van Dorpel,
The Jogging (Brad Troemel & Lauren Christensen), Oliver Laric, Katja
Novitskova, Hannah Sawtell, Katie Steciw und Timor Si-Qin eine über
Lyotards Ansatz hinaus weisende posthumane Konstellation zwischen Kunst
Schaffenden und Milieu zu bestimmen.
Im Gegensatz zu Moss' Einschätzung des künstlerischen Subjekts
im Posthumanen folgt nach Michael Sanchez (in "2011: On Art and
Transmission", 2013, s.o.) daraus, wie sich KünstlerInnen
widerstandslos in der zeitgenössischen Bilderflut bewegen, dass
diese Werke keine Urheberschaft im hergebrachten Sinn mehr beanspruchen
können: Die an die beschleunigte Datenflut angepasste Reaktionszeit
verhindert eine künstlerische Bearbeitung, die auf ein bearbeitendes
Subjekt schließen ließe (1/2020).
- Quaranta, Domenico: Situating
Post Internet.
In: Catricalà, Valentino (Hg.): Media Art. Toward a New Definition
of Art in the Age of Technology. Rom 2015, S.121-134. 2013 wurde Post-Internet
Art zum viel diskutierten Begriff im Kunstbetrieb (Kunsthandel, Museen
etc.), von dem sich die Netzkunst unabhängig machte. Brian Droitcour
stellte 2014 in Perils
of Post-Internet Art den Begriff als Teil einer Vermarktungsstrategie
vor, auf als Ausstellungsobjekte durchschnittliche Werke das Interesse
durch einen "internet layer" zu lenken (S.122). Quaranta dagegen
plädiert dafür, Post-Internet Art als Erweiterung von Strategien
zu verstehen, im Web zirkulierende Bilder und Texte zu thematisieren:
Post-Internet Art soll vor dem Hintergrund von "group surfing practices"
kritisiert werden, die im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts entstanden
(S.123).
Gene Mc Hugh thematisierte von Dezember 2009 bis September 2010 in einem
Blog das Web als Distributions- und Navigationsmedium "a
distribution platform, a machine for altering and re-channeling work"
(Mc Hugh, Gene: Post Internet. Brescia 2011, S.6) mit dem sich
zeitgenössische Kunst auseinandersetzen sollte. Neben Gene McHugh
thematisierten 2010-2011 auch Artie Vierkant (s.o.), Louis Doulas und
Katja Novitskaja die künstlerische Relevanz der den Alltag durchdringenden
und vom Web bestimmten Datenzirkulation: "...they all pointed to
the internet as a cultural reference and an environment, rather than
a medium." (S.125) Das Web wird als Quelle für Referenzpunkte
für Werke in verschiedenen Medien statt als Auseinandersetzung
mit Webness (medienspezifische Kritierien des Web) betrachtet.
James Bridle's Beobachtungen einer von digitaler Technik geprägten
"New Aesthetic" in Alltag, Design und Kunst, "surfing
clubs" (S.126ff.) und KünstlerInnen wie Kevin Brewersdorf,
Mark Leckey, Guthrie Lonergan, Metahaven, Seth Price und F.A.T. Lab
mit Evan Roth, Aram Bartholl, Addie Wagenknecht, Lolan Levin u.a. (S.126-131)
liefern Quaranta Anhaltspunkte für eine Auseinandersetzung mit
webbedingten Alltags- und Medienphänomenen, die neben der Vermarktung
von Werken einer Gruppe von KünstlerInnen unter dem Label "Post-Internet
Art" existiert. Quaranta hält der Handelsware der Post-Internet
Art KünstlerInnen entgegen, die ihre Werke innerhalb der mit dem
Web veränderten Medienlandschaft und der von ihr geprägten
Kontexte lokalisieren: Die Werke sind Prozesse, in denen analoge und
digitale Medien in einer zugleich den heutigen Mediengebrauch nahen
wie von ihm unterscheidbaren Weise kombiniert werden.
Diese Selbstlokalisierung in einem "Cultural Loop" haben Natalie
Bookchin und Alexei Shulgin bereits 1999 in Introduction
to net.art (1994-1999) thematisiert (S.130). Yoko Ono antizipierte
in "Painting to exist only when it's copied or photographed"
(1964) mit dem Prozess der Zerstörung von Originalen und ihrer
Ersetzung durch Kopien auch einen Angriff auf "artworks-as-commodities"
(S.132). Eine Fortsetzung dieses "process of (subversive) affirmation"
(S.131) sieht Quaranta in Joshua Citarellas Compression
Artifacts (2013) und Oliver Larics Lincoln
3D Scans (2013). Beide integrieren Telekommunikation, digitale Medien
und Objekte in Prozesse des Kunstbetriebs aufgreifende Strategien (S.132ff.).
Wie weit diese Beispiele die Kontext
Kunst der neunziger Jahre mit erweiterten medialen Möglichkeiten
wiederbeleben, thematisiert Quaranta nicht. Die Relation von Konzept
und Kontext wird hier in einer Weise wieder relevant, deren kunstbetriebszentrierte
Weise Netzkunst überwand. Die beiden Ebenen Erstens über Kunst
hinaus reichende Medienreflexion und Zweitens ihre Einbettung in den
Kontext Kunst sind bereits in Kontext Kunst mit Brechungen dieses Kontextes
verbunden worden, meist ohne ihn zu überschreiten. Indem sie an
diese Strategien anschliessen, sind Quarantas Beispiele von Citarella
und Laric Kontext Kunst unter Bedingungen des Web (2/2020).
- Ivanova, Victoria: Art's
Values: A Détente, a Grand Plié.
In: Parse Journal, Issue 2, Autumn 2015. Nach Ivanova lässt sich
der Begriff "Wert" ("value") in drei Bedeutungsfelder
gliedern: "ethical, functional and economic" (S.92). "Ethisch"
sind über Moral hinaus weisende "the referent's non-instrumental
qualities" (S.92), während "functional" auch "Gebrauchswerte"
("use-value") außerhalb von wirtschaftlichen Werten
einschließt. Ivanova stellt das Zusammenspiel dieser Wertbegriffe
in Brechungen von Konzeptueller Kunst bis Post-Internet Art vor. In
ihrer Rekonstruktion dieser Brechungen spielen folgende Postulate eine
entscheidende Rolle, da sie bestimmen, was Kunst sein soll: 1.) Kunst
soll nicht die Wirklichkeit durch Diskurse über gesellschaftliche
Werte aus den Augen verlieren, sondern diese beeinflussen. 2.) Sie soll
Wirtschaftswerte nicht unkritisch wiedergeben. Ersteres ist für
Ivanova ein Problem der Kunst der sechziger und siebziger Jahre, Letzteres
ein Problem von Post-Internet Art.
Während Letztere (2.) Werte in ihr Konzept so integiert, dass Strategien
des "Branding" zu wirtschaftlichen Erfolgen der KünstlerInnen
führen, beachtet Erstere (1.) mit ihrer Wertdiskussion zu wenig
Handlungsfelder für Interventionen. Um die Möglichkeiten auszuloten,
beide Seiten zusammen zu führen, stellt Ivanova die Möglichkeiten
eines "right" und "left accelerationism" (S.103)
vor, der versucht, die verwendeten Kommunikationsmedien trotz ihrer
"capitalization" (S.103) mittels eigener Präsentationsweisen
und in sie integierter Artikulationen von "Werten" zu verändern:
"Changes to systemic conditions need not be immediately tangible
or game-changing, but the impetus needs to be discernible if art's value
is to have integrity that isn't just a matter of formal integration
of its component parts." (S.104).
Strategien, die "capitalization" direkt kritisieren, sind
nach Ivanova deshalb keine Option, weil auf diese Weise ihr Diktum einer
Integrität, die durch die Integration der Werte in eigene Praktiken
zu erlangen sei, durch einen erfolgsorienterten Mitteleinsatz ersetzt
wird. Die alte Diskussion, ob Aktivismus (bzw. Intervention) oder politisch
wirksame autonome Kunst vorzuziehen sei, wird von Ivanova mit ihrem
Plädoyer für Letztere erneuert. Statt durch eine Diskussion
von Strategien in und für eine durch Social Media veränderte
Medienlandschaft Perspektiven zu gewinnen, argumentiert Ivanova mit
Begriffen wie "Ontologie" und "Wert", die sie nicht
definiert, sowie mit fragwürdigen Rekonstruktionen eines "conceptual/post-structuralist
turn" (S.94) (1/2020).
- Lotti, Laura: Contemporary
Art, Capitalization and the Blockchain: On the Autonomy and Automation
of Art's Value.
In: Finance and Society, Vol.2/No.2, 2016, S.96-110. Lotti skizziert
die enge Verzahnung zwischen zeitgenössischer Kunst und Kapital:
Den digitalen Organisationsweisen des Finanzwesens korrespondieren neue
Distributionsweisen der Kunst, die künstlerische Strategien der
sozialen Intervention an die Peripherie des Kunstbetriebs drängen
(S.100). Die Plattformen ArtRank
und Artsy (und das Art
Genome Project) dienen Lotti als Belege für die Durchdringung
von digitalen Organisationsformen des Kapitals und des Kunstbetriebs.
Die Automatisierung der Bewertung von KünstlerInnen und Werken
ist eine der Folgen: "...the 'value' of contemporary art becomes
subsumed into pricing mechanisms and loses any ontological primacy."
In dieser Situation erscheinen Blockchain und Bitcoin KünstlerInnen
Wege aus finanziellen Abhängigkeiten zu bieten, da hier Geld nicht
materiell verfügbar ist und sich sein Wert nur aus den "dynamics
of the network" (S.102) ergibt. Einerseits versucht das Bankensystem
Blockchain zu integrieren, andererseits gibt es Erwartungen, für
"online commons" neue Anwendungen zu finden.
Wie Blockchain in aktuelle Kunstprojekte integriert wird, untersucht
Lotti an den Beispielen Monegraph
und Plantoid. Ersteres bietet
KünstlerInnen die Möglichkeit, digitale Werke mit einem "authorship
layer" zu versehen, durch den die Wege des Werkes verfolgbar werden
und Gebühren abgerechnet werden können (S.102f.), ohne auf
Galerien angewiesen zu sein. Tatsächlich werden alte Abhängigkeiten
durch neue jetzt von "an algorithmic third party" (S.103)
ersetzt.
In Plantoid des französischen
Kollektivs OKhaos wird ein Roboter
von freiwilligen Beiträgen via "smart contracts" in Ethereum
bezahlt, mit denen weitere Roboter finanziert und dann entwickelt und
ausgeführt werden. Lotti sieht die Ausführenden in der Funktion
von "'Mechanical Turks'"
(S.104).
Die Projekte "Plantoid" und "Monegraph" spiegeln
nach Lotti "the dynamics of contemporary markets" und tragen
zur "'commodification of everything'" bei (S.105) (1/2020).
- Peraica, Ana: Culture
of the Selfie: Self-Representation in Contemporary Visual Culture.
Theory
of Demand Nr. 24. Institute of Network Cultures, Amsterdam 2017.
Peraica skizziert die Möglichkeiten der Selfies über Vorgeschichten:
die Geschichte des Selbstporträts sowie der Darstellungen im Spiegel
in den Medien Malerei und Fotografie.
Die Möglichkeiten der Malerei, mittels Spiegel Personen im Bildraum
sichtbar werden zu lassen, liefern Peraica Anlässe, die Integration
des Beobachters/der Beobachterin in den Bildraum zu thematisieren.
Der Debatte des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts über
das Medium Fotografie als Spur des Vergangenen und damit als Memento
Mori (S.72) stellt Peraica die zeitgenössische Inszenierung von
Toten häufig mit offenen Augen mit Familienangehörigen
(Post-Mortem Photographie) gegenüber: Die heute übliche Rücksicht
auf die Toten musste erst etabliert werden.
Einerseits wird in Selfies über Selbstdarstellungen im Spiegel
(S.66,92, Image 9,18) die in der Geschichte der Malerei entwickelte
Integration des Wahrnehmenden in einen seinen Standort eingrenzenden
Bildraum wieder aufgenommen und Tote werden teilweise respektlos gezeigt,
als solle die analoge Post-Mortem Photographie wiederbelebt werden (S.77,
Image 11f.). Andererseits verändern die Distributionsbedingungen,
die Social Media für Fotografie schaffen, den Status der Bildproduzentin/des
Bildproduzenten und die Möglichkeiten der Bildrezeption. Die/der
Fotografierende verliert den Schöpferstatus und der private Kontext
von Familienalben, der für die Post-Mortem Fotografie wichtig war,
wird durch die Öffentlichkeit des Web 2.0 ersetzt.
Die drei "spaces" der/des Bildschaffenden, der/des Dargestellten
und der Rezipientin/des Rezipienten verschränken sich als Folge
dieser Veränderungen neu. Die "Selfie Olympics", die
sich mit Hashtag in Twitter (#selfieolympics) abrufen lassen, sind ein
Wettbewerb, der 2014 (zum zweiten Mal 2018) zum Fotografieren von Selbstporträts
mit Spiegel im Bad aufrief. Peraica nutzt die Beiträge zu diesem
Wettbewerb, in denen sich die Teilnehmer in ungewöhnlichen Posen
zwischen Spiegeln und anderen Teilen des Bads fotografierten, um aufzuzeigen,
wie das objektivierende Spiegelbild im Selfie subjektiviert wird, um
wiederum durch die Reaktionen der Twitter-TeilnehmerInnen objektiviert
zu werden: Dieser "subject-object loop" (S.99. Vgl. S.50f.)
hat Parallelen in der zeitgenössischen Kunstfotografie, in der
die Kunstgeschichte der Malerei aufgegriffen wird: Die Spiegel in Gemälden
von Jan Van Eyck (S.35, Image 6), Parmigianino (S.40, Graph 3), Diego
Velazquez (S.39, Graph 2) und René Magritte (S.98, Graph 9) greifen
Miguel Angel Ganeca und Joan Fotcuberta (S.94 mit Image 19, S.100 mit
Image 20) in (auf der Ebene der Technik digitaler Fotografie) konstruierten
Bildräumen auf, während in Selfies sich FotografInnen im abgebildeten
Raum und damit im Moment der Bildentstehung präsentieren, und die
Resultate sich dann über Social Media ohne Kontrolle der/des Urheberin/Urhebers
verbreiten: "...selfies are unstable...ephemeral and non-important."
(S.88f.)
Malerei ist nach Peraica das Medium für "the portrait of self",
in dem es der/dem KünstlerIn um "internal reflection"
gehe, während Fotografie das Medium des "self-portrait"
sei, in dem die "time-gap between recording and posing, as well
as between shutting and developing the film" (S.100) von UrheberInnen
zur beobachtergerechten Umsetzung einer Intention genutzt wird. In Selfies
dagegen finde "a willing destruction of privacy" statt, "that
subverts the endless public display of the self" (S.105, Henry
A. Giroux zitierend).
Peraica bezieht sich in ihrer Geschichte des Selbstporträts bis
zum "Selfie" auf Michel Foucaults Vorträge über
"The Culture of the Self" 1983 an der University of Berkeley,
die auch die Anregung zum Titel lieferten (S.56). Um ihre Rekonstruktion
der Dispositiva, die die Kulturen des Selbst konstituieren, mit der
Geschichte der Medien Malerei, Fotografie und Selfie kreuzen zu können,
stellt Peraica die Mythen Narziß und Perseus in Interpretationen
von Psychologen und die Rolle der Fototherapie in der psychologischen
Praxis vor (S.62f.,81). Michel Foucault, Sigmund Freud, Erich Fromm,
Julia Kristeva, Christopher Lasch und Marshall McLuhan (S.45f.,52) liefern
Peraica Bausteine zur Rekonstruktion des psychologischen Diskurses.
Mit diesen und anderen akademischen Referenzen gelingt Peraica eine
beeindruckende Kulturgeschichte der Selbstdarstellung in den genannten
Medien. Auffallend ist allerdings an Peraicas Geschichte die Absenz
der touristischen Fotografie mittels analoger Kamera, die Pierre Bourdieu
in «Un art moyen. Essais sur les usages sociaux de la photographie»
(Paris 1965) vorstellte, und die ihre Fortsetzung im zeitgenössischen
Selfie erfährt. Der Wandel der Selbstdarstellung vor einem Reisemotiv
(Bourdieu, Pierre u.a. (Hg.): Eine illegitime Kunst. Frankfurt am Main
1983, S.48f.) ist ein Teil einer "Culture of the Self[ie]"
(1/2020).
- Lotti, Laura: Financialization
as a Medium: Speculative Notes on Post-Blockchain Art.
In: Gloerich, Inte/Vries, Patricia de/Lovink, Geert (Hg.): MoneyLab
Reader 2: Overcoming the Hype. Institute of Network Cultures, Amsterdam
2018, S.87-100. In der "Financialization", durch die aus Kunst
Handelsware wird, treten Spannungen bei der Bestimmung von Preisen auf,
da sich kulturelle und ästhetische Werte einer Quantifizierung
auf der Basis von Standards widersetzen. Kunst erscheint in einer digitalisiert
vermittelten Kultur in einer Weise sozial und ökonomisch bewertet,
die nach Lotti Vergleiche mit Derivaten der Finanzmärkte provoziert.
Eine Kunst, die mit Blockchain sich eines digitalen Systems bedient,
das eine Unabhängigkeit von Institutionen des Finanzsystems zulässt,
und für dieses System neue Anwendungsweisen vorschlägt, erscheint
Lotti zwei Jahre nach Ihrem kritischen Beitrag über "Contemporary
art, capitalization and the blockchain" (2016, s.o.) plausibel:
Durch Appropriierung und Reprogrammierung der "current logic of
financial derivatives" (S.96) liessen sich "new horizons for
the creation of autonomous milieus" (S.97) gewinnen.
Die Affirmation bestehender kultureller, technischer und ökonomischer
Bedingungen in Post-Internet Art könne eine Post-Blockchain Art
überwinden, die "the art of money making" (S.98)
durch die Programmierung von "cryptographic tokens" (s. Lotti,
Laura: Cryptoeconomics And/As Practice (2018), s.u.) in "the art
of making offers" (S.98) wendet.
Die Projekte BitchCoin
(2015) und terra0 (2016) dienen Lotti
als Beispiele für neue Anwendungen von Blockchain, die sich "toward
the creation...of many possible, interoperating art worlds" (S.99)
entwickeln können.
Bei "BitchCoin" werden Teile fotografischer Drucke von Sarah
Meyohas in einem System vertrieben, das die Werte laufend neu generiert.
Diese "'liquid commodity'" löst nach Lotti das etablierte
"art object as a store of value" ab. Wie diese "liquid
commodity" mit Blockchain über Bedingungen des Warenhandels
hinausführen soll, dieses Ziel ist nach Lotti durch Überwindung
der Grenzen aktueller Blockchains erreichbar. Sie erkennt Grenzen "in
terms of scalability (due to low consensus speed and high entrance costs,
so that only big investors can enter the space)" (S.98f.): Die
Möglichkeiten zur Programmierung von "smart contracts",
wie sie Ethereum bietet, müssen also erweitert werden (1/2020).
- Manovich, Lev: 100
Billion Data Rows per Second. Media Analytics in the Early 21st Century.
In: International Journal of Communication, Nr.12/2018, S.473-488. Manovich
beschreibt einmal mehr die Veränderungen des Internet durch wachsende
Datenspeicherung und Fähigkeiten von Plattform-ProgrammiererInnen,
auf UserInnenverhalten zu reagieren. Er plädiert für "computational
media studies", um die Auswirkungen unter Anderem von Empfehlungen
in Social Media und Sites für Internethandel untersuchen zu können:
Führen sie zur Verstärkung der Aufmerksamkeit auf einige wenige
Angebote oder zur Erweiterung der Interessen und Einkäufe?
Während Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer 1944 in "Dialektik
der Aufklärung" eine Entwicklung in der Medienlandschaft der
vierziger Jahre zur Entdiversifikation erkannten und Manovich dies mit
Resultaten der Forschung über die Spielfilmproduktion der Hollywoodstudios
belegt, sind für die Gegenwart Untersuchungen von "large volumes
of media content" noch nicht die Norm der Medienwissenschaften
(S.483).
Untersuchungen von Bildplattformen wie Instagram und Flickr lassen für
die auf Präferenzen der UserInnen reagierenden Filter nur geringe
Differenzen in verschiedenen Regionen erkennen. Manovich erwähnt
eine Studie, nach der die Ambitionen, die Flickr-UserInnen bei der fotografischen
Bildgestaltung erkennen lassen, und die Clickrates, die Flickr erzeugt,
keine Zusammenhänge aufweisen. Ambitionierten Fotografen gelingt
es nur dann, Aufmerksamkeit für ihre Fotos zu wecken, wenn sie
zugleich viel über Social Media kommunizieren.
Plausibel erscheint deshalb der Vorschlag, ein Empfehlungssystem zu
installieren, dass die Aufmerksamkeit auf die am wenigsten besuchten
Bilder und deren Eigenschaften lenkt (S.484; Schifanella, Redi &
Aiello): Soll mit diesem via algorithmischer Selektion provozierten
Verfahren eine fotografische Bildgestaltung in Plattformen, in denen
Beispiele für ihre Anwendung unbeachtet blieben, RezipientInnen
finden?
Anders als in den vierziger Jahren ist die "Kulturindustrie"
heute nicht mehr bildschaffend, sondern "is focusing on organizing,
presenting, and recommending content created by others" (S.484).
Neben Filmstars etablieren sich unter den so geschaffenen Bedingungen
"social-media mini-celebrities" (S.485). Mit "computational
methods" soll die "variability of this content" (S.485)
erkennbar werden (1/2020).
- Marres, Noortje: Why
We Can't Have Our Facts Back.
In: Engaging Science, Technology, and Society, Nr.4/2018, S.423-443.
Für BesucherInnen, die Social Media-Angebote mit Fake News besuchen,
gibt es nur sehr wenig Angebote, die den Wahrheitsgehalt von Informationen
zu hinterfragen erleichtern. Die Polarisierung in an "knowledge"
interessierten und "anti-knowledge" (S.432) bevorzugenden
Gruppen ("politics of demarcation", S.431) wird nach Marres
durch "fact checking services" (S.431) nur verstärkt.
Die ProduzentInnen dieser Tools nehmen eine Evidenz beweisfähiger
Tatsachen an, die eine statische Informationslandschaft voraussetzt,
in der Maßstäbe für Evidenz durchgesetzt sind (S.428).
Wie kann eine "knowledge democracy" in "dynamic information
environments" (S.434) praktiziert werden?
Die Dynamik in "information environments" wird von Algorithmen
gestützt, um in Social Media Aufmerksamkeit zu wecken. Mit der
so geschaffenen "truth-less public sphere" (S.435) wird eine
"dissolution of the modern fact" (Sergio Sismondo, S.434)
betrieben.
Dynamische Informationslandschaften erfordern nach Morres "to test
public media for 'experimental facts'" (S.438). Der einseitigen
Entwicklung zu immer breiterem Publikum für Fake News und Gegenentwicklungen,
durch welche die Trennung zwischen "knowledge" und "anti-knowledge"
verschärft wird ("demarcationism", S.437,440), soll durch
"formulation and re-formulation of new empirical truths" via
"different actors" und "new alliances" (S.440) entgegen
gewirkt werden: "...epistemic authority will also have to be earned
the hard way, through an exchange between epistemically diverse viewpoints."
(S.441) Auf diesem Weg soll der Wechsel von der "politics of demarcation
to a politics of selection" gelingen, die "progressively establishes
a referent for claims through an iterative process of locating and evaluating
statement-networks in formation." (S.441, Anm.28) Bevor über
eine wieder erlangte "epistemic authority" nicht die "knowledge
democracy" wieder hergestellt sei, "to want your facts back
will amount to empty nostalgia." (S.441) (1/2020).
- Tifentale, Alise/Manovich, Lev: Competitive
Photography and the Presentation of the Self.
In: Eckel, Julia/Ruchatz, Jens/Wirth, Sabine (Hg.): Exploring the Selfie:
Historical, Analytical, and Theoretical Approaches to Digital Self-Photography.
Basingstoke 2018, S.167-187. Tifentale plädiert im ersten von ihr
(bis S.15) geschriebenen Teil für eine Kenntnis der Fototechnik
als Teil der "general literacy", der Allgemeinbildung der
"global majority" (Nicholas Mirzoeff). Gegen Untersuchungen,
welche die Fotopraxis mit Smartphones erforschen, als gäbe es keine
Kontinuitäten von analoger zu digitaler Fotografie, wendet sich
Tifentale mittels Zitaten von Werner Gräff und Franz Roh, die 1929
auf die Zusammenhänge zwischen erwerbbaren und billiger werdenden
tragbaren Kameras, vorausgesetzter technischer Kenntnis und Anwendungsmöglichkeiten
verwiesen (S.4).
Die entscheidende Trennung der Fotopraxis verläuft nach Tifentale
nicht zwischen AmateurIn und BerufsfotografIn, sondern zwischen "competitive
photography" (S.5 mit Anm.12) mit im Vergleich zu anderen FotografInnen
erkennbaren stilistischen Charakteristika einer Fotografin/eines Fotografen
und "non-competitive photography" (S.9). Die Motive Letzterer
wie zum Beispiel Familientreffen sind für den engeren
Freundeskreis relevant, während nicht-avantgardistische "competitive
photography" "likeability" steigert, indem sie Kriterien
eines Kanons folgt, wie er sich in Anleitungen zur Fotopraxis ausgebildet
hat, und diese Kriterien mit stilistischer Kohärenz und Erkennbarkeit
zu erfüllen hofft (S.11ff.). Hier gibt es Kontinuitäten von
Anleitungen zum Fotografieren von 1954 zitiert werden Henri Cartier-Bresson,
Willy Ronis und Heinrich Freytag (S.12f.) zur Fotopraxis für
die Verbreitung über Social Media. Auf Instagram gibt es nach Lev
Manovich einen "80/20 split between non-competitive and competitive
photography" (S.18).
Manovich konzentriert sich auf Selfies, die zwischen Dezember 2013 und
September 2015 ca. ein Zehntel der Fotobeiträge auf Instagram umfassten
(S.19f.). Im Unterschied zu gemalten Selbstporträts, die die Dargestellte/den
Dargestellten häufig isoliert zeigen, ist nach Manovich bei Selfies
die Relation zwischen Dargestelltem und Umgebung entscheidend: Ein wichtiger
Teil der Bildbotschaft ergibt sich daraus, wo ("situation selfies",
S.19) und mit wem ("group selfies", S.20) sich die/der Dargestellte
fotografieren ließ.
In "anti-selfies" (S.19) wird die Selbstdarstellung zur Nebensache:
Statt des Gesichts sind nur noch Körperteile häufig
Hände zu sehen (S.22 mit Fig.4): "...they [die
Fotos] and the author's life are supposed to be the same in terms
of values, interests and aesthetics." (S.23)
In "visual narratives" auf Instagram können Fotosequenzen
einen "viewpoint character" (S.23) bilden, der charakteristische
Eigenheiten aufweist, mit denen AutorInnen ihre Bildstrecke von anderen
unterscheidbar machen. Für Tifentale sind diese Kriterien vor allem
die formalen der "competitive photography" ("an aesthetic
statement", S.10). Berühmtheiten dagegen müssen in ihren
Bildbeiträgen keine guten Fotografen sein und sind dennoch "competitive"
im Sinne von "likeability" (S.10).
Beiträge, die eher "emotionalen" als ästhetischen
Kriterien folgen und "likeability" nicht berücksichtigen,
sind nach Manovich "non-competitive": "These authors
...use Instagram for documentation and communication with people they
know." (S.17 mit Fig.3). Die Frage bleibt, ob das Unterscheidungskriterium
formal und emotional für die Differenzierung von Selfies tragfähig
ist (1/2020).
- Lotti, Laura:
Cryptoeconomics And/As Artistic Practice: Sketches for New Design Imaginaries.
In: Schloss-Post, Issue No. 0, October 2018. Blockchain ist ein Peer-to-Peer-System,
das dezentralisierte "autonome Systeme" ermöglicht, da
Transaktionen unveränderbar auf verschiedenen Rechnern gespeichert
sind. Auf Blockchain basieren Bitcoin und Ethereum. Im Unterschied zu
Bitcoin werden mit Ethereum "smart contracts" möglich,
die Programme enthalten, durch die Anweisungen jeder Art ausführbar
sind. Als "Tokenisierung" ("Tokenization") werden
"smart contract tokens" bezeichnet, durch die Zugänge
unter Anderem zu "gold, computing power, artworks or more generally,
an alluring proposition for a decentralized ecosystem" möglich
werden.
Nach Lotti lässt sich durch Tokenisierung "with a unique ID"
eine digitale Parallele zum Unikat als Kunstwerk schaffen. Im Unterschied
zum Kunsthandel und zum Finanzsystem erfolgt dies dezentral und ohne
institutionelle Bindung.
Systeme wie Maecenas verwenden
für "the tokenization of physical art objects...the rent model
characteristic of financial capitalism and current internet platforms."
Lotti verweist auf die Parallelen zu Finanzsystemen und Kunstbetrieb:
Einerseits erscheinen Blockchain-Systeme im Kunstbetrieb wie die Konsequenz
aus der aktuellen Phase der "financialization of art", andererseits
ermöglicht die Tokenisierung via "cryptography" Alternativen
zur "financialization", wie sie nicht nur in der Kunst forciert
wird ("financialization in general"). Diese Alternativen vergleicht
Lotti wiederum mit Derivaten im Finanzsystem: Was dort durch fehlende
Regulierung zum Problem werden kann, kann mittels Tokenisierung in Blockchain
auch Alternativen zur "financialization" eröffnen: "...through
the engagement with new interactive protocols, based on tokens as conduits
to the experience of a decentralized ecosystem."
Als Beispiele für den gegenwärtigen Stand von Blockchain Art,
die Ausblicke auf deren Möglichkeiten erlauben, erwähnt Lotti
terra0 und 0xOmega. Charakteristisch
für diese Beispiele ist die Interaktion durch "economic incentives",
um einen "common will to project" (Hui, Yuk/Halpin, Harry:
Collective
Individuation 2013) entstehen zu lassen.
Im Vergleich zu ihrem Beitrag über "Contemporary art, capitalization
and the blockchain" (2016, s.o.) verschiebt Lotti in "Cryptoeconomics
And/As Artistic Practice" den Schwerpunkt ihrer Analyse von einer
generell kritischen Sicht der Kombination Blockchain und Kunst, die
der "commodification of everything" nicht entgeht, zu "affordances",
die KünstlerInnen im "design of cryptosystems" berücksichtigen
sollten (1/2020).
- Kelkar, Shreeharsh: Post-Truth
and the Search for Objectivity: Political Polarization and the Remaking
of Knowledge Production.
In: Engaging Science, Technology, and Society, Nr.5, 2019, S.86-106.
Zur Untersuchung der medialen Konstellationen, die in USA zu dem Phänomen
"post-truth" geführt haben, verknüpft Kelkar zwei
Forschungsansätze die "institutional political science"
und "science, technology and sociology" (STS) , indem
er die Untersuchungen der Geschichte der "political polarization"
Ersterer mit den "analyses of 'objectivity' in science and public
life" Letzterer verbindet (S.86,90). Erstere verfolgt den Aufbau
einer konservativen Gegenöffentlichkeit zu akademischen, faktenorientierten
Diskursen, während Letztere einer Reduktion der "knowledge
democracy" auf Evidenz durch Beweise widerspricht und die institutionellen
Voraussetzungen dieser "knowledge democracy" untersucht.
Für die STS-Forscherin Noortje Marres (in "Why We Can't Have
Our Facts Back", s.o.) führen Versuche, "political polarization"
durch "fact checking" aufzuheben, zu einer Verstärkung
der "demarcation" (S.99) zwischen den Publika, die an faktenorientiertem
Wissen interessiert sind, und den Publika einer konservativen Gegenöffentlichkeit.
Nach Steve Hoffman ("The Responsibilities and Obligations of STS
in a Moment of Post-Truth Demagoguery") sind die Bedingungen von
"post-truth" vielfältiger als dies Marres erkennt: Die
historischen Ursachen der "demarcation" liegen vor den Social
Media. Letztere aber haben das "alternative fact-making universe"
(S.99) gefördert.
Während nach Marres die "demarcation" zwischen faktenoriertem
Diskurs und "mystification and propaganda" verläuft,
erkennt Hoffman zwei sich voneinander unabhängige Ideologien. Nach
Kelkar ist aber Marres' "true/false demarcation" so weit zuzustimmen,
als Bemühungen der "social media giants", durch "journalistic
fact-checkers" (S.99) Lügen zu entlarven und als solche zu
kennzeichnen, einen Weg zu einer Wiederinstandsetzung der "knowledge
democracy" unter Bedingungen des "post-truth" weisen.
Während Marres in "fact-checking" nur eine Verschärfung
der "demarcation" sieht, und der Weg zu einer Lösung
nur über die Diskussion führt, soll nach Kelkar die Ausgrenzung
der Erzeuger von Fake News institutionell verankert werden: "A
new knowledge-producing `center´ of researchers, journalists,
and platforms" soll in der Lage sein, Institutionen zu begegnen,
die "white nationalism, conspiracy theories, and hate speech"
(S.101) verbreiten. Entscheidend für ein solches Center und die
Bildung von "new civic epistemologies" (S.102) sind die Exklusionskriterien,
welche Institutionen in den Kreis der akzeptierten ForscherInnen aufgenommen
und welche explizit ausgeschlossen werden sollen. Als Beispiel, wie
durch solche Ausschlüsse den Fake News verbreitenden Plattformen
die Öffentlichkeit entzogen werden kann, weist Kelkar auf die Exklusion
des Portals Infowars von den Social Media Facebook, YouTube und Twitter
(S.101f.).
Dem konservativen Machtdispositiv soll also ein Machtdispositiv antworten,
das stark genug ist, um eine "knowledge democracy" zu reinstallieren,
die ihre Legitimität aus dem Unterschied zwischen "fact-checkers"
und Fake News bezieht, diesen Unterschied aber nicht ohne institutionelle
Prozesse behaupten kann, die Exklusionen durchzusetzen in der Lage sind.
Werden hier nicht Demarkationslinien wieder gesetzt, die seit den Revolten
der sechziger Jahren abgebaut werden sollten? Haben wir nur die Wahl
zwischen einer die Meinungsfreiheit beschränkenden und einer sie
aufhebenden Politik? Mit Marres bleibt offenbar die Wahl einer offenen
Diskussion divergierender Auffassung als einziger Weg politischer Öffentlichkeit
(1/2020).
- Calovizza, Giovanni/Finucane, Blake/Franceschet, Massimo/Smith, T’ai u.a.: Crypto Art. A Decentralized View.
In: Researchgate, June 2019. Dieses “decentralized position paper“ erklärt die Blockchain-Methode und ihre Anwendungen in der Kunst aus verschiedenen Perspektiven. Nach einer Einleitung in die Blockchain-Technologie als Aufteilung der Information in Blöcke, die miteinander verbunden sind (“cryptographic hash function“) und über Peer-to-Peer verbreitet werden, folgen Aspekte aus kunsthistorischer und künstlerischer Perspektive sowie aus der Sicht von PlattformbetreiberInnen. Auf der Suche nach Vorläufern der “Crypto Art“ glauben T’ai Smith und Blake Finucane bei Marcel Duchamp und Conceptual Art Anknüpfungspunkte finden zu können (Stichwort „Dematerialisation“), müssen dann aber resümieren: “...crypto art inverses the critique of art‘s economic value that was initiated by Duchamp and espoused by practitioners of conceptual art.“ Die Berichte der Galeristen Jonathan Perkins und James Morgan aus den frühen Tagen der NFT-Plattformen könnten für Geschichten des NFT-Kunsthandels zu Dokumenten werden, die nicht übersehen werden sollten (9/2022).
- Garcia, David: Beyond
the Evidence.
In: New Tactical Research, 9/2019. In einer BBC-Radiosendung (Andrew
McGibbon: Evidently Art, 2019) sowie in Texten von Tatiana Bazzichelli
(2016) und Paolo Cirio (2017) wird die Bedeutung hervorgehoben, die
der Evidenz in einer sozialkritischen Kunst zukommt. Forensic Architecture's
Untersuchung der Umstände des Mordes an Halit Yozgat (The
Murder of Halit Yozgat, 2017) hebt David Garcia als Beispiel einer
"investigative installation" hervor: Während des neunten
NSU (Nationalsozialistischer Untergrund)-Mordes 2006 war ein V-Mann
(geheimer Informant) des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz
(Andreas Temme) in dem Kasseler Internetcafé, der von dem Mord
nichts mitbekommen haben will. Forensic Architecture's genaue Rekonstruktion
der Tat und des Standortes des V-Mannes vor, während und kurz nach
der Tatzeit belegen das Gegenteil. Mitglieder der hessischen CDU bezweifelten
dieses Resultat und schützten so den V-Mann.
Neben Forensic Architecture lassen nach Garcia auch Projekte von KünstlerInnen
wie Erica Scourti, Michael O'Connell, Jonas Staal, Lawrence Abu Hansen,
Wachter & Judt, Trevor Paglen, !Mediengruppe Bitnik und Anderen
einen "Evidentiary Realism" (Cirio) als zeitgenössische
Strömung erkennen.
Als Dokumentationsformen sozialkritisch einsetzende Tendenz sollten
ihre VertreterInnen `Evidenz durch Fakten´ auch erkenntnistheoretisch
begründen, weil sich dann ihre Strategien der Aufdeckung von
Strategien der "misinformation" abgrenzen lassen.
Wie kann der Wahrheitsgehalt von "rival narratives" geprüft
werden? Garcia erwähnt den Standpunkt der Soziologin Noortje Marres
(in "Why We Can't Have Our Facts Back", 2018, s.o.), für
die "epistemic authority" sich nur im Diskurs über "epistemically
diverse viewpoints" gewinnen lässt. Doch die "knowledge
democracy", in der solche Auseinandersetzungen möglich sind,
wird von PopulistInnen unterwandert. Dagegen können engagierte
BürgerInnen "knowledge assemblies" bilden. Die Erweiterung
des Einflusses von "knowledge assemblies" auf politische Meinungsbildung
ist für Garcia ein entscheidendes Mittel gegen Populismus (1/2020).
- Quaranta, Domenico: Code as Law. Contemporary Art and NFTs.
In: Orizio, Zaglio e Associati (Hg.): I, Lawyer. Innovation Lawyer Project. O.O. 2021, S.31-37. Domenico Quaranta führt in Blockchain und NFT (Non Fungible Tokens) ein. Er dämpft Erwartungen an hohe Gewinne und zeigt, dass nur wenig KünstlerInnen höhere Erlöse erzielen (20% erzielen $100 - $200). Außerdem verweist er auf die Wiederkehr der “middlemen and gatekeepers“ (S.36) im NFT-Handel. Statt sich dem NFT-Handel zu verweigern, rät der Autor: “Choosing the right mode to engage is key.“ (9/2022)
- Quaranta, Domenico: L’estetica dei Non-Fungible Token/The Aesthetics of Non-Fungible Tokens.
In: Civiltà delle macchine, 4/Dicembre 2021, S.66-71,89ff. Der italienische Kunstkritiker widerspricht der Auffassung, dass es eine Ästhetik der Crypto Art gäbe. Als Beispiel dient ihm Beeple (Mike Winkelmann), dessen Illustrationsstil mittels digitaler Animation sich mit dem Verkauf mittels NFT nicht grundlegend geändert hat. Quaranta sieht in Okhaos‘ Plantoid (2016, s. Tipps), also in Kunst aus Prozessen mit Blockchain, Möglichkeiten für “una fenonomenologia specifica dell’arte basata su blockchain (S.70).“ (9/2022)
- Kasprzak, Michelle: Ethical Engagement with NFTs Impossibility of Viable Aspiration?
In: Cheang, Shu Lea/Stalder, Felix/Chaudronnet, Ewen: From Commons to NFTs. Makery Media for Labs, 2022. Michelle Kasprzak stellt zuerst Reaktionen auf die ökologischen Probleme der Proof of Work-Methode von Ethereum (vor der Umstellung auf das Proof of Stake-Verfahren) vor, um dann von Projekten zu berichten, in denen der Ethereum voraussetzende NFT-Handel zwar ebenfalls als Cash-Maschine eingesetzt wird, aber jetzt als Mittel für gute Zwecke dient. Das Golden NFT-Projekt des Peng! Kollektiv nutzt die Versteigerung von digitalen Werken (via OpenSea), die KünstlerInnen für diesen Zweck schufen, um Geld zu beschaffen, mit dem für ImmigrantInnen Europäische Pässe besorgt werden. Diese Art der Passbeschaffung war bisher nur für reiche Nicht-Europäer möglich, die mit den Folgen des ökologischen Wandels leben können und teilweise MitverursacherInnen waren bzw. sind. Jetzt sollen die Menschen Europäische Pässe (in ironischer Ausnutzung des ungerechten, Investoren begündstigenden Verfahrens der Vergabe "Goldener Pässe") erhalten, die in ihren Heimatländern die Grundlagen ihrer Arbeit verloren haben. Die Kunst-Liga der Kongolesischen Plantagenarbeiter CATPC (in der Demokratischen Republik Kongo) kooperiert in Balot NFT (ab 14.6.2022) mit dem holländischen Künstler Renzo Martens, um 306 Teilsimulationen einer 1931 im Kongo geschaffenen Holzplastik des belgischen Kolonialbeamten Maximilien Balot zu versteigern, um mit jedem der 306 Token ein Hektar Plantagenland kaufen zu können. Die Holzskulptur entstand anläßlich eines Aufstandes der Pende gegen das Plantagensystem von Unilever und die belgische Kolonialmacht. Zusatzinformationen: Die Holzskulptur gehört heute als Leihgabe zur Sammlung des Virginia Museum of Fine Arts (VMFA) in Richmond (Sie wurde 1970 von den Pende an den jetzigen Besitzer verkauft, um Dorfkinder in die Schule schicken zu können. In: Woodward, Richard B.: Visions from the Congo. Kap. A Rising of the Wind. Art from a Time of Rebellion in the Congo. In: Blackbird Archive. Vol.11/No.1, Spring 2012). Das VMFA streitet mit Martens um die Rechte der Fotos, die in der Simulation eingesetzt wurden (Boffey, Daniel: Row about Congolese Statue loan escalates into Legal Battle over NFTs. In: The Guardian, 19.2.2022). Anfragen an das Museum zur Ausleihe der Holzskulptur in den von CATPC geschaffenen White Cube im Gebiet der Unilever-Plantagen blieben unbeantwortet (9/2022).
- Tanni, Valentina: The Great Algorithm.
PostScriptUM #43. Aksioma – Institute for Contemporary Art, Ljubljana 2022. Valentina Tanni stellt Gebrauchsweisen von Social Media vor, die deren Algorithmen unterlaufen. Da diese proprietär sind, können sich UserInnen lediglich durch Hypothesen erklären, weshalb bestimmte Meinungen häufig und andere selten verbreitet werden, und sich überlegen, wie sie die der Auswahl zugrunde liegende Regeln nutzen oder umgehen können. Die Kombination von in Social Media beliebten Themen wie Kosmetik mit politischen Themen kann dazu dienen, ein “algorithmic censoring system“ auszuhebeln (S.10). Aus Wortbildungen entsteht “Algospeak“ (“to unalive“ statt töten), um bei bestimmten Inhalten die algorithmische Selektion auszuschalten (Taylor Lorenz; S.12 mit Anm.11). Vor diesem Hintergrund erläutert Tanni die Verfahren Ben Grossers in den Projekten Go Rando (2017) und Not For You (2020), die Auswahlsysteme von Social Media durch zufallsgenerierte Clicks (“automated confusion system“, S.14) irritieren und die Entstehung von Filterblasen auf der Basis gesammelter Daten über Präferenzen von UserInnen erschweren. So werden nach Tanni Kontrollstrategien der Social Media-Unternehmen von UserInnen-Taktiken ausgetrickst: Taktiken gegen Strategien (9/2022).
- Slocum, Paul: NFT Problems.
In: Paul Slocum‘s Qotile, 17.6.2022. Nach Paul Slocum sollten Plattformen für den Handel mit NFT folgende Probleme lösen:
- Prüfungsverfahren gegen Fälschungen (1),
- gehackte KünstlerInnenkonten (2).
Der Echtheits-Nachweis (1) und die Authentifizierung (2) sind ohne Abhängigkeiten von externen Strukturen nicht möglich. Das gleiche Problem wirft der Weiterverkauf auf anderen Plattformen auf. Der dezentrale Charakter der Blockchain geht durch die Lösungen mit externen Sicherungssystemen verloren. Slocum weist auf technische Probleme der Blockchain-Technologie, das Zertifikat auch über längere Zeiträume zu sichern und schlägt deshalb eine parallele Zertifizierung auf Papier vor. Den Risiken der Cryptowährungen entgehen auch NFTs nicht: Warnungen von Software-EntwicklerInnen und Ökonomen werden in Diskussionen über NFT-Handel überhört. Leider begünstigt der NFT-Handel bestimmte Dateiformate, während andere Arten Digitaler Kunst nicht gehandelt werden. NFT kann den Begriff Digitale Kunst nicht ablösen, wohl aber den Blick auf Letztere einengen (9/2022).
Besprechungen von Büchern über elektronische
Medien, Hypertext und Hyperfiction in IASLonline
Rezensionen:
- Cubitt, Sean: Digital
Aesthetics. 1998. (06.03.2001) (Christiane Heibach)
- Noeth, Winfried und Wenz, Karin (Hg.): Medientheorie und die digitalen Medien. 1998. (06.03.2001) (Christiane Heibach)
- Faßler, Manfred: Cyber-Moderne.
Medienevolution, globale Netzwerke und die Künste der Kommunikation.
1999. (11.04.2000) (Oliver Jahraus)
- Suter, Beat: Hyperfiktion
und interaktive Narration im frühen Entwicklungsstadium zu einem
Genre. 2000. (03.07.2001) (Christiane Heibach)
- Jakobs, Eva Maria et al (Hg.): Textproduktion. HyperText, Text, KonText. 1999. (06.03.2001) (Christiane Heibach)
- Haldemann, Alexander: Electronic
Publishing. Strategien für das Verlagswesen. 2000. (11.09.2001)
(Margit Roth/Michael Meier)
- Manovich, Lev: The
Language of New Media. 2001. (16.09.2002) (Rembert Hüser)
- Stanitzek, Georg und Vosskamp, Wilhelm (Hg.): Schnittstelle.
Medien und kulturelle Kommunikation. 2001. (18.09.2001) (Isabelle
Siemes)
- Ernst, Wolfgang: Das
Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung. 2002. (5.12.2002) (Hartmut
Abendschein)
- Greber, Erika et al (Hg.): Materialität
und Medialität von Schrift. 2002. (16.02.2003) (Hilke Achten)
- Borghoff, Uwe M. u.a.: Langzeitarchivierung.
Methoden zur Erhaltung digitaler Dokumente. 2003. (3.10.2004) (Günther
Görz)
- Hachenberger, Jan: Intellektuelles
Eigentum im Zeitalter von Digitalisierung und Internet. Eine ökonomische
Analyse von Missbrauchskalkülen und Schutzstrategien. 2003. (4.11.2005)
(Stefan Haupt)
- Dünne, Jörg/Doetsch, Hermann/Lüdeke, Roger (Hg.): Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive. 2004. (11/07/2005) (Anja Kerstin Johannsen)
- Weiman, Gabriel: Terror on the Internet. The New Arena, the New Challenges. 2006. (25.10.2006) (Hans-Jürgen Krug)
- Link, David: Poesiemaschinen
Maschinenpoesie. Zur Frühgeschichte computerisierter Texterzeugung
und generativer Systeme. 2007. (3.10.2007) (Thomas Kamphusmann)
- Mahne, Nicole: Transmediale Erzähltheorie. Eine Einführung. 2007. (15.01.2008) (Nina Heiß)
- Jahn-Sudmann, Andreas/Stockmann, Ralf (Hg.): Computer Games as a Sociocultural Phenomenon. Games without Frontiers War Without Tears. 2008. (15.3.2009) (Jan-Noël Thon)
- Simanowski, Roberto: Textmaschinen Kinetische Poesie Interaktive Installation.
Zum Verstehen von Kunst in digitalen Medien. 2012. (27.1.2013) (Norbert Bachleitner).
Blogs (B), Portale (P), Mailing Lists (M; mit Archiv:
P, M) und Newsgroups (N) mit Diskussionsbeiträgen und/oder
aktuellen Meldungen zu NetArt (NA), Netzbedingungen (NB), Apps für
Mobiltelefone (MA) und Aktivismus (AK):
- artificial.dk (NA)
- Born Magazine (P, NA)
- Computational Culture: A Journal of Software Studies (P, NA, NB)
- Continental Drift: The Other Side of Neoliberal Globalization (Brian Holmes) (B, NB, AK)
- Creative Applications Network (B, NA, NB)
- Ctheory.net (P, M,
NA, NB)
- Dichtung-digital (P,
NA)
- Dictionary of Digital Art (Pierre
Berger/Yves de Ponsay) (P, NA, NB)
- Digicult (P, NA, NB, AK)
- Electronic Book Review
(P, NA, NB)
- Electronic Civil
Disobedience (P, AK)
- Electronic Frontier Foundation (P,
M, NB, AK)
- Fibreculture Journal (P, NA, NB, AK)
- Furtherfield.org (P, NA, AK)
- GPS Museum, Database
(P, NA, MA, AK)
- Hz-Journal (Fylkingen´s Net Journal) (P, NA)
- Independent Media Center/Indymedia
(P, M, AK)
- Institute
for Distributed Creativity (Trebor Scholz): Blog,
Mailing List (B,
P, M, NA, NB, AK)
- Institute of Network Cultures Weblog (B, NA, NB, AK)
- Intelligent Agent (P,
NA, NB, AK)
- Magazine électronique du CIAC/ CIAC's Electronic Magazine (le Centre international d'art contemporain de Montréal (CIAC)) (P, NA)
- Monoskop. A wiki for the
arts, media and humanities (P, NA, NB, AK)
- Mute: Culture and Politics after the Net (P, NA, NB, AK)
- NeMe (P, NA)
- Net-Art. Portal to Web-related Art
(P, NA, AK).
- net critique by Geert Lovink (B, NA, NB, AK)
- Netbehaviour a Networked
Artists Community (P, M, NA, NB, AK)
- nettime (P, M, NA, NB, AK)
- neural.it (P, NA, NB, AK)
- Open! Platform for
Art, Culture and the Public Domain (P, NA, NB, AK)
- PARSE Journal (P,
NA, NB, AK)
- Pasta and Vinegar
(B, NA, NB)
- A Peer-Reviewed Journal
About... (P, NA, NB)
- Prosthetic Knowledge
(B, MA)
- Random Magazine (P, NA, AK)
- Remix Theory (P, NA, NB, AK)
- Rhizome.org (P, M, NA)
- Rohrpost
(P, M, NA, NB, AK)
- SPECTRE
list for media culture in Deep Europe (P, M, NA)
- SWITCH (P, NA, NB)
- Telepolis
(P, NA, NB)
- TheFeministArtProject (P, AK)
- The Next Layer: Art, Politics, Free and Open Source Software (B, NA, NB, AK)
- Turbulence: networked_performance
(B, NA, NB)
- Visual Complexity (P, NA)
- we-make-money-not-art
(B, NA)
Databases über und mit (Werken der)
Intermedia Art:
Seit April 2002 weisen Links auf Texte, die über die Geschichte
der NetArt und webspezifische, NetArt tangierende Probleme informieren.
März 2003 wurde die Liste um Links zu Plattformen, Portalen, Databases
und IASLonline Rezensionen erweitert. Als Plattformen gelten thematisch
ausgerichtete Websites, die mehrere künstlerische Projekte auf dem
Server enthalten und damit mehr sind als kuratierte Links. Im Februar
2004 kamen die Links zu Texten über aktuelle Aspekte der NetArt hinzu.
Die Zeitpunkte der Fertigstellung der Einträge stehen in Klammern
(Monat/Jahr). Seit Mai 2015 erscheinen die Links nicht nur in alphabetischer,
sondern auch in chronologischer Reihenfolge.
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