IASLonline Lektionen in NetArt Thomas DreherPotatoland (Napier)Mark Napier (USA) ist hauptberuflich Softwareentwickler in der Finanzindustrie. Er beendete 1984 seine künstlerischen Ausbildung an der Syracuse University mit dem BFA. 1995 hörte er zu malen auf und wandte sich digitalen Mitteln zu. Napiers Entwicklung als Computerkünstler läßt sich an Hand seiner zwei Websites verfolgen: Die alte Website von 1997 hat Napier in Potatoland eingegliedert. Bereits die Gestaltung der Homepages beider Websites verrät Napiers Wandel von der additiven Bild-Text-Kombination zum bewegten Schriftbild (vgl. dazu die Diskussionen in nettime). Während die Homepage der alten Website noch Bild-Text-Kombinationen narrativer Art zu Themen wie Barbie-Puppen und der Sozialisation von Sexualität seit Augustinus mit Bild-Titel-Kombinationen ankündigt, überlagern sich auf der Homepage von Potatoland Buchstaben. Durch Cursorbewegungen lassen sich laufend neue Schriftbilder erstellen. Der Index zeigt Webwork-Titel überlagert, bis Bewegungen des Cursors einzelne Titel lesbar hervortreten lassen, die dann angeklickt werden können. Viele Webworks in "Potatoland" zeigen bewegte Bildanimationen, deren Verlauf durch Cursorbewegungen beeinflußt werden kann: Dazu Napier:
In den mit Perl programmierten Webworks
stellt Napier Programme vor, die bereits vorhandenes HTML-Material verfremden. In The Digital Landfill werden Texteingaben von Usern unter "Adds to the Landfill" gesammelt (Napier schlägt HTML-Wegwerftexte wie e-Mails und Webpages zu Entsorgung im "Misthaufen" vor), als "Landfill Contents" gelistet und vom "Landfill composting system" verarbeitet. Während auf der Browseroberfläche oben Texte durch Überlagerungen fast vollständig unlesbar werden, werden längere Texte unten unverfremdet lesbar. Durch die Wahl gelisteter Titel kann der Kompostierungsprozeß beeinflußt werden. In The Shredder kann der Benutzer Link-Offerten wählen oder weitere Website-Adressen angeben, die dann in stark veränderter Form erscheinen. Napier, Mark: The Shredder, 1998, Webprojekt (Screenshot 2012). Riot basiert auf anonymen, aber auch vom User beeinflußbaren Webprozessen: Die letzten drei von Usern besichtigten Webpages werden zu Überlagerungen zusammengeführt. Diese Überlagerung kann vom letzten User sowohl durch die Eingabe einer Internetadresse wie durch Auswahl einer Adresse aus einer Liste vorangegangener Eingaben beeinflußt werden. Napier entwickelt Systeme, die Anwendungsweisen des Internet zugleich erkennbar machen wie ihre Erkennbarkeit in Überlagerungen und Transformationen in Frage stellen. Napiers Interpretation von Zusammenhängen zwischen "Shredder"-Rechenprozeß und Browser läßt Absichten erkennen, die üblichen Relationen zwischen Funktionen des Internet durch transformierende Rekonstruktion zu verändern: Einerseits setzt nach Napier The Shredder den Browser voraus, um transformierte HTML-Dateien lesbar machen zu können, andererseits soll der – vorhandene Webpages transformierende – Rechenprozeß den Browser "von innen heraus neu ... erfinden." Napier löst diesen Widerspruch durch die Erläuterung von Programmebenen auf: Written in Perl and Javascript, >The Shredder< is not a browser, it is a filter (a CGI script) accessed through a webpage that mimics the browser interface. (Napier, Mark: The Shredder, in: Leopoldseder, Hannes / Schöpf, Christine (Hg.): Cyberarts 99. Internationales Compendium Prix Ars Electronica. Wien/New York 1999, S.47) Zeichnet sich hier der Ansatz für eine webspezifische medienreflexive Kunst, für eine neue Konzeptuelle Programmierkunst, mit eigenen Verfahren der De- und Rekonstruktion für das Internet ab? Gegen Restriktionen im NetzDer Spielwarenhersteller Matell hat Websites, die nicht von ihm genehmigte Rückgriffe auf Barbie-Elemente enthalten, aufspüren lassen und Provider aufgefordert, in wenigen Tagen für deren Beseitigung zu sorgen. Napier erhielt 1997 von seinem auf Matell reagierenden Provider die Aufforderung, überarbeitete Barbie-Bilder in Distorted Babies zu beseitigen. Napier reagierte auf die Forderung von Mattel und ersetzte eine Bildserie, die die Barbievorlage erkennen ließ, durch stark verzerrte, das Vorbild auslöschende Bilder und eine Dokumentation der Vorgehensweise von Matell. Der Zusammenhang zwischen Bildern und dem Text, der sich skizzenhaft mit vorcodierten Projektionsfeldern auseinandersetzt, die im Barbie-Mythos verknüpft werden, ging verloren. Napier hat den Copyright-Aspekt seiner ehemaligen Barbier-Verwendung erläutert: The >Alternative Barbies< were parodies, and are protected under the Fair Use clause of copyright.Während Napier einer rechtlichen Auseinandersetzung aus dem Weg ging, sind Kopien seiner Barbies auf andere Websites übertragen worden. Mit der Drohung rechtlicher Konsequenzen machte Mattel auch vor dem Sammler-Magazin "Miller´s" des Barbie-Sammlers Dan Miller nicht halt, was zur Gründung der "Pink Anger movement" für die freie öffentliche Verwendung von Barbie-Bildern und gegen den Alleinvertretungsanspruch von Mattel geführt hat. Der extensive Copyright-Schutz und die Installation einer eigenen Website (installiert im Sommer 1997) sind sich ergänzende Strategien Mattels zur Kontrolle ausübenden Image-Pflege, die auch die Unterdrückung der öffentlichen Artikulation von nicht als >sauber< geltenden Projektionen zum Ziel hat, die keinen belanglosen Bestandteil des Barbie-Mythos bilden. Doch der Copyright-Anspruch von Mattel greift offensichtlich nur bedingt: Von sieben Links auf ebenfalls von Mattels Copyright-Ansprüchen betroffenen Websites, die Napier angibt, haben zwei mit Verzicht auf die weitere öffentliche Verbreitung ihrer Barbie-Webpages reagiert. In den verbliebenen Websites finden sich auch in ihren aktualisierten Formen Webpages mit Barbie-Elementen. Leider geben die Autoren, die weiterhin mit Barbie-Elementen arbeiten, keine Hinweise, wie sie die Ansprüche von Mattel behandelt haben. Hat der Spielwarenhersteller Mattel dem öffentlichen Druck durch Darstellungen seiner Vorgehensweise u. a. in Wired nachgegeben? Das Vorgehen von Mattel und die Gegenwehr der Barbiefreunde provoziert die Frage, ob bei Zeichen(kombinationen), die zu Bestandteilen der Massenkultur geworden sind, nicht das öffentliche Interesse vor private Copyright-Ansprüche zu stellen ist. Wenn der Standpunkt des Primats des öffentlichen Interesses auch vom Gesetzgeber und in der Rechtsprechung eingenommen wird, dann wird auch der Streit, ob eine Anwendung als "Fair Use" interpretierbar ist oder nicht, hinfällig. Den Rechtsstreit gegen Copyright-Ansprüche von Korporationen geben Privatpersonen wie Napier lieber auf, bevor er beginnen kann: Der Aufwand, den Korporationen durch kostspieligen Einsatz von juristischem Know-How betreiben können, führt zu ungleichen Chancen im Rechtsstreit. Dann bleibt bei unveränderter Rechtslage als Gegenwehr nur die Möglichkeit, das Vorgehen von Korporationen öffentlich so in Frage zu stellen, daß diese sich entscheiden, von einer Fortsetzung der extensiven Wahrung ihrer Copyright-Ansprüche Abstand zu nehmen, um ihren Ruf nicht weiter zu gefährden und wirtschaftlichen Schaden zu vermeiden. Nach Napiers erzwungener Modifikation der Barbie-Bilder in The Distorted Barbie erscheinen The Shredder und Riot als `Distortions´-Konzepte, die einen Ausweg aus Rechtsproblemen liefern: Sie benötigen kein Illustrationsmaterial aus fremden Quellen, obwohl sie Fremdes verarbeiten. Die Relationen zwischen Transformationsfunktionen und Transformationsmaterial werden so offen gehalten, daß keine Sicherstellung sich ständig ändernder Webpages durch wiederholte Speicherung bzw. Kopie notwendig wird. Wenn kein aus externen Quellen stammendes Material im Speicher einer Website lagert, dann kann auch kein Rechtsanspruch entstehen. Das `Wie´ der `Distortion´ wird wichtiger als `was´ diesem Prozeß unterzogen wurde. Gleichzeitig wird das elektronische Datenmaterial durch die `Distortion´ nicht transformiert, sondern bleibt neben dem Transformationsprozeß erhalten: Die Spannung, die der Vergleich zwischen beiden Seiten provoziert, wird zum entscheidenden Kriterium. So läßt sich Mattels Barbie-Website mit dem "Shredder"-Prozeß des Datenmaterials ihrer Webpages vergleichen. Ebenso läßt sich auch "Distorted Babies" mit seiner skizzenhaften Rekonstruktion der mit Barbie verbindbaren vorcodierten Projektionsfelder vershreddern: Der `Distortion´ -Prozeß ist um einen entscheidenden Schritt weiter vorgerückt. Mark Napiers Zusammenarbeit mit Andrew C. Deck in Graphic Jam wird im nächsten Tip des Monats besprochen. Außerdem wird Decks Auffassung von Urheberrechtsproblemen zitiert, denen er sich in Scrapbook beim Abspeichern von Texten aus externen Quellen stellen muß. Dr. Thomas Dreher Copyright © by the author, December 1999 (as defined in Creative
Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany). Wollen Sie dazu Stellung nehmen oder einen eigenen Tip geben? Dann schicken Sie uns eine E-Mail. Übrigens: Drehers Homepage bietet zahlreiche kunstkritische Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und Intermedia Art. vorige Lektion
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