IASLonline Lektionen in NetArt 
      
      
      
      Informationschoreographie:
        Maciej Wisniewski
      
       
      
       
       
      
      
      
      Maciej Wisniewskis Netzprojekte, die in verschiedenen Websites zu finden 
        sind, irritieren User durch Interfaces, die einen zielorientierten Zugriff 
        auf Webseiten verhindern und eine Orientierung fördern, die als Schwimmen 
        in einem Datenstrom beschrieben werden kann: User bewegen sich in und 
        zwischen auftauchenden, vom Programm selbständig aus Netzresourcen 
        bezogenen Daten. Aus Browsen zwischen Websites, die analog zu Druckseiten 
        und Dateien gegliedert sind, wird Floaten. So tritt an die Stelle einer 
        an Medien und/oder Fachgebieten orientierten Suche entweder Neugier auf 
        alles Auftauchende oder Ablehnung des Fachgrenzen ignorierenden, potentiell 
        alle Netzresourcen einbeziehenden Datenstroms.
      Maciej Wisniewski wurde in Polen geboren. Er studierte 
        Skandinavistik in Danzig und Stockholm (M. A. Mai 1984) und arbeitete 
        von September 1984 bis Mai 1987 im Rahmen eines Dissertationsprogramms 
        für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaften an der Stockholmer 
        Universität. Im Mai 1989 beendete er das Studium am Hunter College 
        in New York als M.F.A. (Master of Fine Arts). Wisniewski besitzt die schwedische 
        Staatsbürgerschaft und arbeitet als Software-Entwickler bei IBM in 
        New York.
      
      
      
      Mai 1996 realisiert Wisniewski in der New Yorker Postmasters Gallery (Ausst. 
      "Walk on the Soho Side", Kurator Marc Pottier) die Installation 
      "Tele-Touch". Eine Jacke ist mit drahtlosen Tasteffektoren (Ausgabemedien 
      für taktile Reize) ausgestattet. Besucher der Galerie, die die Jacke 
      tragen, können über Internet berührt werden. 
      
      Besucher, die die Jacke anziehen, hinterlassen im Computer Angaben über 
        Name und Geschlecht und lassen sich fotografieren: Diese Informationen 
        erhält der Internet-User. Auch Internet-User unterziehen sich einer 
        "log-in procedure", bevor sie eine von drei Arten der Aktivierung 
        der Tasteffektoren wählen können: "public, friendly or 
        intimate." Nach der Anmeldung erscheint eine virtuelle Jacke, deren 
        Flächen angeklickt werden können: Diese Klicks lösen die 
        Tasteffektoren der Jacke in der Galerie aus. Nach der Fernaktivierung 
        der Tasteffektoren sieht der User die "log-in profiles" von 
        Jacke tragenden Besuchern und kann deren Kommentare über die Wirkung 
        der aktivierten Tasteffektoren lesen. Reziprok erhält auch der Jacke 
        tragende Galeriebesucher auf einem Monitor ein Profil des Web-Users und 
        dessen Kommentar.
      Die Dokumentation der Installation, wie sie jetzt im Internet zu finden 
        ist, besteht aus den Profilen der Jacke tragenden Galeriebesucher und 
        den Profilen und Kommentaren der Web-User.
      
      
      Auf der vom Walker Art 
        Center (Minneapolis/Minnesota) übernommenen äda'web-Site 
        präsentiert Wisniewski Jackpot 
        (1997) als "Spielmaschine". Auf dem Monitor erscheinen drei 
        Spalten mit offenbar willkürlich aufgegriffenen Websites. Jede Spalte 
        zeigt nur Webseiten, deren URL-Adressen meist einen anderen "top 
        level domain name" als die anderen Spalten aufweisen, zum Beispiel 
        organisatorische Domänen wie ".org", ".com" oder 
        ".gov". Wer zufällig zwei URL-Adressen mit gleichem "top 
        level domain name" öffnet, "can visit a URL of choice": 
        Eine offensichtlich ironisch gemeinte Belohnung, als ob ein "Jackpot" 
        gezogen worden wäre.
      Diese sehr begrenzte Wahlfreiheit der User ist der Selektionsaktivität 
        der Software beim Zugriff auf Webpages nachgeordnet. Die überraschend 
        gewährte Wahlfreiheit ändert an dem  angesichts des willkürlichen 
        Datenflusses  unvermeidbaren Eindruck der Beliebigkeit der eigenen 
        Vorlieben nichts  im Gegenteil: Die keine Regel offenbarende Selektionsaktivität 
        der Software relativiert eigene Präferenzen. Diese Relativierung 
        provoziert die Frage, ob Mitteilungen unserer Präferenzen mehr als 
        weitere Daten in einem Meer von Daten sind  analog zum Paradox eines 
        weiteren Steins, der die Identität eines Steinhaufens nicht ändert 
        (Abaelards Paradox).
      "Turnstile 
        II" (1998) ist das in stadiumweb, 
        der von Ron Wakkary betreuten Künstlerprojekt-Website des Dia 
        Center for the Arts (New York City, Soho), integrierte Netzprojekt, 
        das parallel zur Installation "Turnstile I" (1998) realisiert 
        wurde. Satzteile aus "html pages, live chat and email archives" 
        erscheinen in "Turnstile II" in konstantem Fluss: 
      
"Turnstile part II" is an XML (Extensible markup Language) 
        based server application and java client that display the continuity of 
        space within the network. An endless realm of <content> is generated 
        by the live culling of network <objects> from html pages, live chat 
        and email archives. (M.W., e-Mail, 20.10.2000)
      Durch Klick auf eine der Zeilen lässt sich die Webseite öffnen, 
      der der Text entnommen wurde: Wisniewski ermöglicht es Usern, den Strom 
      aus Textfragmenten mit den Webseiten zu konfrontieren, denen die Fragmente 
      entnommen wurden  wenn sie aus "html pages" stammen. Bei 
      wiederholtem Klick auf dieselben Zeilen erscheinen allerdings neue Webseiten. 
      Bei Zeilen, die nicht aus "html pages" im Web stammen, erscheint 
      nach Anklicken eine die Quelle substituierende Webseite. 
      
      Da die Assoziationen, die die Zeilen auslösen, und die narrativen 
        Ebenen der durch Klicks abgerufenen Webseiten auch dann kaum miteinander 
        in Verbindung zu bringen sind, wenn eine Webseite die Quelle einer Zeile 
        war, entsteht der Eindruck, daß die fortlaufende Zeilenanzeige und 
        die jeweils aufrufbaren Webseiten zwei unabhängige Internet-Welten 
        sind, in denen zufällig dieselben Elemente wiederkehren. Durch die 
        laufende Verschiebung der nach Klicks aufscheinenden Webseiten wird dieser 
        Eindruck zweier parallel laufender Datenströme, zwischen denen der 
        User springen kann, verschäft. Allerdings ist nur ein Text produzierender 
        Datenstrom im Fließprozess verfolgbar, während die anklickbaren 
        Webseiten wie Momentaufnahmen aus einem zweiten, umfassenderen Datenfluss 
        erscheinen.
      Da der umfassendere Datenfluss zwar den Text produzierenden Datenstrom 
        speist, letzterer aber abgekoppelt von seiner Datenresource erscheint, 
        ergibt sich ein Verhältnis der Ebenentrennung und der Ebenenverbindung, 
        das in "Turnstile" vor allem vom Prozesscharakter der Datenströme 
        geprägt wird. Die Zeitdimension erschwert die Vorstellung einer hierarchischen 
        Ebenentrennung: Durch den nach wiederholtem Anklicken von Textzeilen sich 
        ändernden Zugriff auf Webseiten entsteht der Eindruck sich zueinander 
        laufend verschiebender Ebenen.
      In "Scanlink" (1998) werden User mit der "navigation panel" 
        konfrontiert, die aus einem vertikalen Block von horizontalen <Schiebern> 
         "sixty scrollbars"  besteht. Nach einer bestimmten 
        Rechenzeit erscheinen beiderseits dieses Blocks Daten: In der "activity 
        panel" links erscheinen Titel von Sites, die durch Links mit einer 
        bestimmten Site in Beziehung stehen, und in der "history panel" 
        rechts erscheint eine Anzahl von URL-Adressen, die eine Auswahl aus einer 
        größeren Anzahl gefundener Adressen sind und die ebenfalls 
        Links auf eine oben angegebene URL-Adresse enthalten. Da die Titel von 
        Sites auf der linken Seite und die URL-Adressen rechts in direkter Beziehung 
        zueinander stehen, erscheint beiderseits der "navigation panel" 
        die gleiche "Number of Sites found": "There is a one-to-one 
        mapping between the left and the right column." (M. W., e-Mail, 20.10.2000) 
        Bei einer hohen Anzahl gefundener Sites wird eine geringere "Number 
        of sites collected" (ca. 28-48) links und rechts präsentiert. 
        Durch Klick auf die Adressen lassen sich deren Webseiten öffnen.
      Die rechte Spalte zeigt die "Number of sites collected" aller 
        vorangegangener Verschiebungen für die Dauer einer Sitzung, während 
        links nur die Resultate der letzten Suche erscheinen. Anders als in "Turnstile 
        II" können User in "Scanlink" die vorangegangenen 
        Prozesse im Verlauf einer Sitzung überblicken. Außerdem erzeugen 
        User erst durch Veränderungen der Schieber-Positionen ("navigation 
        panel") einen Datenstrom. Mit der Veränderung der Schieber-Positionen 
        ist der Datenstrom auch steuerbar. Allerdings ist die Navigation nur bedingt 
        möglich: Modifikationen der Schieber-Positionen müssen ausgeführt 
        werden, ohne die Veränderungen im Datenstrom sogleich in der linken 
        und/oder rechten Spalte erkennen und gegebenenfalls gegensteuern zu können, 
        was eine den Datenzugriff präzisierende Navigation ermöglichen 
        würde. Zwischen Schieberpositionen und Datenströmen läßt 
        sich keine Rekursion herstellen, die eine fortlaufende Präzisierung 
        der Navigation auf eine gesuchte oder im Suchprozeß ausgewählte 
        Webadresse erlauben würde. "Scanlink" kann zwar Anreize 
        zum Surfen liefern, doch liefert es mit dem Retracing der Links zu einer 
        Website auch einen Ansatz zum Nachvollzug vergangener, in Webpräsentationen 
        aufbewahrter Selektionsprozesse, die natürlich durch Klicks auf URL-Adressen 
        der rechten Spalte als Anfang weiteren Browsens genutzt werden können: 
      
Scanlink is a Web application for browsing the Web backwards. 
        Scanlink starts with a Web page and traces all the links to that page. 
        (M.W., e-Mail, 20.10.2000)
      
      
      
      Wisniewskis 
        Netomat ist eine 
        abladbare Software 1, die in ihrem Zugriff auf Internet-Daten 
        einem Browser entspricht, in der Art jedoch wie sie diesen ausführt 
        und präsentiert, gezielten Datenzugriff verweigert. Nach Herstellung 
        einer Internet-Verbindung und Abruf der abgeladenen Software beginnt Netomat 
        mit einem aus Beobachterperspektive willkürlichen Datenzugriff. 2 
        Rechts unten erscheinen Angaben, wie viele Texte ("txt"), Bilder 
        ("img") und Tondokumente ("snd") aktiviert sind. 3

	Wisniewski, Maciej: Netomat, 1999, Browser (Foto vom Bildschirm, Oktober 2000).
      Bilder und Texte tauchen als gerichteter Datenstrom auf und werden wieder 
        ausgeblendet. Die Fließrichtung und das Tempo des Bild-Text-Datenstroms 
        können durch Verschieben des Cursors mit der Maus beeinflusst werden. 
        So verlaufen die Bewegungsrichtungen des Datenstroms konträr zu Cursorbewegungen. 
        Der Datenstrom bewegt sich am schnellsten, wenn der Cursor zu den Bildrändern 
        gelenkt wird. Beruhigen lassen sich der Datenfluss und das Tempo der Ein- 
        und Ausblendungen durch Cursorverschiebungen zur Mitte des Bildfeldes. 
        Da sich die Ein- und Ausblendungen auch in der ruhigsten Cursorstellung 
        nicht abstellen lassen, stehen Beobachtungsoperationen auch im beruhigten 
        Datenfluss unter Zeitdruck. Ausdruck- oder Speicherfunktionen von Zuständen 
        gibt es nicht.
      Die unterste Zeile ist für Texteingaben vorgesehen. Nach einer Eingabe 
        und Betätigung der Enter-Taste errechnet Netomat einen neuen Zugang 
        und nach einer Pause erscheint der neue Datenstrom. Der neue Datenstrom 
        löst den alten dank einer "Memory"-Funktion nicht vollständig 
        ab, sondern modifiziert den bisherigen Datenabruf.
      Die den Datenstrom präsentierende Bildfläche enthält keine 
        Klickfunktionen: Es gibt keine Verbindung zu den Websites, aus deren Resourcen 
        die gezeigten Elemente stammen. Netomat verweigert direkten Datenzugriff 
        auf Webpages, die er als Quelle verwendet: Netomat kennt keine additiven, 
        seitenähnlichen Informationsgliederungen. Der Browser verhindert 
        zielgerichtete Recherche, die innerhalb solcher Gliederungen bestimmte 
        Gruppen und Untergruppen aufsuchen will.
      Dekontextualisierte Textteile, Bilder und Töne werden im Datenfluss 
        rekontextualisiert. Dieser Datenfluss schafft einen Montageprozess, der 
        von Filmmontage in folgenden Punkten abweicht: in seiner Aufsplitterung 
        in simultane Abläufe vor schwarzem Grund und in Überlagerungen 
        statt >Schnitten<.
      Die im Datenfluss aufkommenden Partikel können einen Bewusstseinsstrom 
        aus Assoziationen zwischen heterogenen Elementen provozieren, deren Zusammenhang 
        mit ihrem gleichzeitig im Internet existenten Ursprungskontext so gut 
        wie gekappt ist, weil er ohne Hilfe von Zufallstreffern nicht zu finden 
        sein dürfte.
      Begriffe, die in den vorbeifließenden Textteilen auftauchen, können 
        zur Modifikation des Datenstroms in der untersten Zeile eingegeben werden. 
        Zur zielgerichteten Navigation können solche Eingaben aber nicht 
        führen, da die nicht abschaltbare "Memory"-Funktion zu 
        nicht kalkulierbaren Durchdringungen zwischen neuen und alten Resourcen 
        führt. Die Bereitschaft des Users, sich auf Überraschungen einzulassen, 
        wird getestet.
      Wisniewski will "nml (netomatic markup language)" 
        als "open source software" zur Verfügung stellen, und so 
        Usern die Möglichkeit bieten, den "sortierenden Algorithmus" 
        des Netomat selbst zu definieren: "An online guide for writing netomatic 
        files will be available online soon." 4
      
      
      Wisniewski hat Netomat als "meta-browser" bezeichnet und Ron 
        Wakkary beschreibt in seiner Einleitung 
        den Eindruck, den der Datenfluss hinterlässt, als "the feel 
        of an anti-browser." Die Begriffe "meta-" und "anti-browser" 
        auf der Website des Netomat haben in der Rezeption durch die Presse 
        deutliche Spuren hinterlassen.
      So modifiziert der Begriff "le navigateur conceptuel" 
        5 Wisniewskis Begriff "meta-browser": Der Begriff 
        <konzeptuell> impliziert nach seinem Gebrauch als Bezeichnung für 
        Conceptual 
        Art der sechziger und siebziger Jahre sowohl einen semantischen Anstieg 
        zur Reflexivität (Reflexion der Reflexion) als auch eine Problematisierung 
        jeden Anspruchs auf eine finale, nicht durch eine höhere übersteigbare 
        Reflexionsebene. Der Begriff «le navigateur conceptuel» lässt 
        offen, ob Netomat als medienreflexiver "meta-browser" verstanden 
        werden soll, der Aspekte des Datenflusses im Internet aufzeigt, oder eher 
        als eine Präsentationsform, die die Konstruktion von Metaebenen als 
        beliebige Brechung in einer nichthierarchischen, also auch nicht zu höheren 
        Reflexionsstufen führenden Ebenenfolge erkennbar macht. Ist Letzteres 
        nicht eine Folge einer Präsentation, die die Verbindung zu gliedernden 
        und sortierenden Verfahren demonstrativ abbricht, und die springend assoziierendes 
        (Zeitungs-)Sehen-Lesen und Bewusstseinsströme provoziert?
      Ein Plädoyer für eine kritische Position zur Finalität 
        der Brechung in Metaebenen liefert die Informationsarchitektur des Netomat. 
        Wisniewski erläutert: 
      
Ich produziere <fliegende Kunst> ... 
        Es handelt sich ... um einen Prozess, nicht um ein Produkt ... Insgesamt 
        ist das Netz dann eigentlich eher ein Meer an Informationen als ein geordneter 
        Informationspool. Es ist sehr chaotisch in seiner Definition. 6
      Was sichtbar gemacht wird, und wie dies geschieht, läßt 
      sich  dies zeigt Netomat  nicht trennen: Sind nicht die Fragen, 
      wie Netomat auf Daten (>Was<) im Internet zugreift, und wie er eine 
      Präsentationsform für sie schafft, zwei Seiten einer Medaille? 
      Die Art des Datenzugriffs führt zu einer Präsentationsform, die 
      sich als Eintauchen in einen fließenden Strom beschreiben läßt. 
      Die Präsentationsform beeinflußt die Sicht auf das Vorgestellte 
      und umgekehrt: Die Untrennbarkeit von Wie und Was ist die konzeptuelle Seite 
      des Netomat. 7 Demnach sind Eigenschaften des Datenflusses 
      im Netz und die Art, wie Netomat diese Eigenschaften durch seine Präsentationsweise 
      sichtbar macht, nicht voneinander trennbar - denn: Wie könnten wir 
      ohne eine veranschaulichende Präsentation Eigenschaften des Internet 
      als User-relevant erkennen? 
      
      Wisniewski legt in der folgenden Äußerung ein Verständnis 
        des Internet als unteilbare Einheit nahe, aus dem sich seine Darstellung 
        des Netomat ergibt: Wisniewski stellt seinen Netomat als Mittel zur Präsentation 
        von Eigenschaften des Internet vor, die andere Browser nicht erkennen 
        lassen. Somit weist er Wakkarys Begriff "anti-browser" als eine 
        zeitbedingte Bezeichnung aus, da sich "anti" auf den Internethorizont 
        bezieht, den derzeit aktuelle Browser schaffen: 
      
The typical browser is based on the page 
        metaphor, but thatīs really just a suggestion. Itīs only one way of accessing 
        and interacting with the network that is the Web ... The Web is not only 
        a database or a static, flat file-storage system. Itīs one big application. 
        8
      Sieht Wisniewski Browser in der Funktion, Eigenschaften des Internet erkennbar 
      zu machen, oder besteht das Internet nicht aus einer Einheit aus Programmen, 
      Rechneraktivitäten und Interfaces für User? Anders ausgedrückt: 
      Kann das Internet für uns mehr als das sein, was Browser von ihm sichtbar 
      machen? Wenn Browser eine dienende Funktion erfüllen sollen, die aus 
      der Oberflächenerzeugung für Funktionen besteht, die auf der Programmebene 
      vorhanden sind Funktionen stehen sollen, dann müsste es eine programmierte 
      Funktionalität der Datenflüsse geben, die erst durch Browser eine 
      pragmatische Komponente der Aktivierbarkeit von Funktionen durch User erhält. 
      In diesem Fall würden nur Rechner mit Rechnern kommunizieren und wäre 
      ein Mensch-/Maschine-Interface überflüssig beziehungsweise nur 
      eine externe und periphere Zusatzfunktion. 
      
      Dass Rekursionen zwischen der Programmierung der Rechnervernetzung und 
        Useraktivitäten auch zu einer Revision der Programmierung führen 
        können, die Programmierung sich also auch an Möglichkeiten von 
        Interfaces für menschliche Beobachteroperationen ausrichtet, ist 
        ein Vorgang, der ausgeschlossen wird, wenn Browser sich nur in dienender 
        Funktion der Programmierung der Rechnervernetzung unterordnen sollen. 
        Eine Fragen für die Zukunft, die ein konzeptueller Browser wie Netomat 
        durch die von ihm aufgezeigten Aspekte des Datenzugriffs stellt, zielt 
        auf umfangreicher als bisher die Webpage-Programmierung und die Rechnervernetzung 
        ausforschende Interfaces/Browser und damit auch auf ein durch Browser 
        erweitertes Netzverständnis, das wiederum neue Anforderungen an die 
        Programmierung der Websites und der Rechnervernetzung stellen kann.
      Netomat verlegt die Kunst vom abladbaren datensortierenden Produkt auf 
        die Programmebene: 
      
Der Netomat ist nicht mehr Browser-Kunst, 
        sondern ein Kunst-Browser ... Software kann also Kunst sein, hat sozusagen 
        ein Kunst-Potential. 9
      Dank der Art der Präsentation von Daten durch Netomat 
      wird das Internet als "one big application" (s. o.), als unteilbarer 
      Datenfluss, kunstrelevant. Dies geschieht in Form einer die Möglichkeiten 
      des Internet zugleich aufweisenden und im Aufweis gestaltenden Interface-Kunst. 
      
      Das Programmatische des experimentellen Ansatzes und die Alternativen, 
        die er aufzeigt, bestimmen den Charakter des Netomat als Denkmodell für 
        Weisen der Beobachtung des Internet. Das Denkmodell ist nicht nur Provokation 
        zur Reflexion, sondern enthält auch eine Neues antizipierende pragmatische 
        Komponente: Netomat ist ein Experiment, das Bestandteile enthält, 
        die auch Komponenten zukünftiger Browser werden können.
      Die Geschichte der künstlerischen Avantgarde, die sich vom Wandel 
        der Kunstformen in Lebensformen zum Wandel der Lebensformen beeinflussenden 
        Medienformen entwickelte 10, setzt Wisniewski fort, 
        wenn er Möglichkeiten vorführt, die in alltagstaugliche Browser 
        erst noch zu integrieren sind.
      
      Dr. Thomas Dreher
        Schwanthalerstr. 158
        D-80339 München.
      Copyright © by the author, November 2000/September 2006 (as 
        defined in Creative 
        Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany).
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      Übrigens: Drehers Homepage bietet 
        zahlreiche kunstkritische Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und Intermedia 
        Art. 
      
      Fußnoten:
      1 Die Netomat-Software muss, um den Internet-Anschluß 
        aufnehmen zu können, auf dem Laufwerk installiert werden, auf dem 
        auch die DFÜ-Programme installiert sind (normalerweise Laufwerk C:). 
        zurück
      2 Soundfiles können nur bei schnellen Verbindungen 
        aufgerufen werden. Die Verbindung zu Soundfiles muß eventuell abgeschaltet 
        werden, um die Funktionen des Netomat beim Abruf von Text- und Bilddaten 
        nicht zu behindern. Wenn der Cursor der Zeile am untersten Bildrand steht, 
        kann auf eine Netomat-Version ohne Soundfiles umgeschaltet werden. zurück
      3 Ron Wakkary schreibt in seiner Einleitung zu Netomat: 
        "netomat (TM) can retrieve almost all types of data that resides 
        on the Internet, including RealAudio, jpegs, gifs, aiff, wav, html, xml 
        and plain text." zurück
      4 Wisniewski, Maciej: Netomat, FAQ. In: URL: http://www.netomat.net/faq.html 
        (nicht mehr im Netz, 30.9.2006). Vgl. Wisniewski in: Hadler, Simon: Informations-Choreografie 
        als Netzkunst. In: ORF On Kultur. URL: http://www.orf.at/orfon/kultur/991217-2586/2588txt_story.html 
        (nicht mehr im Netz, 30.9.2006). zurück
      5 o. A.: Un artiste invente le navigateur conceptuel. 
        In: DVD & MP 3 Belgium. 1.7. 1999. In: URL: http://www.clicmp3.com/week01_04_07.htm 
        (nicht mehr im Netz, 30.9.2006); Ploton, Frédéric: Un artiste 
        invente le navigateur conceptuel. In: ZD Net, 1.7.1999. URL: http://www.zdnet.fr/actu/logi/a0009916.html 
        (nicht mehr im Netz); Romagnolo, Salvatore: Netomat, il primo browser 
        concettuale. In: Apogeo online, 20.7.1999. URL: http://www.apogeonline.com/ 
        riflessi/art_138.html zurück
      6 Wisniewski in: Hadler, Simon: Informations-Choreografie 
        als Netzkunst. In: ORF On Kultur. In: s. Anm.4 zurück
      7 Ein entscheidender Beitrag von Art & Language zur Geschichte 
        Konzeptueller Kunst besteht darin, bis 1972 dem Diskurs, in dem die Fragen 
        des Wie (und Warum) erörtert werden, den Vorrang vor dem Was (im 
        materiellen Sinn) gegeben zu haben (Burn, Ian: Conceptual Art as Art. 
        In: Art and Australia. September 1970, S.168), um dann ab 1973 die Wechselseitigkeit 
        zwischen Wie und Was (im pragmatischen Sinn der Präsentationsform) 
        zu thematisieren:
      Die Wechselseitigkeit aus theoretischem Programm (Frage des Wie und Warum) 
        und Präsentationsweise (damals vorrangig eine Frage der Materialisierung, 
        des Was) wird als unhintergehbares Problem erkannt (Dreher, Thomas: Art 
        & Language: Kontextreflexive Kunst im Kunstkontext. Plurifunktionale und 
        mehrschichtige Diskursmodelle. In: Institut für soziale Gegenwartsfragen. 
        Freiburg i. Br./Kunstraum Wien (Hg.): Art & Language & Luhmann. Wien 1997, 
        S.41-84. Neu in: URL: http://dreher.netzliteratur.net/ 
        3_Konzeptkunst_Art_Lang.html; Ders.: Konzeptuelle Kunst in Amerika 
        und England zwischen 1963 und 1976. Diss. Ludwig-Maximilians-Universität, 
        München/Frankfurt am Main 1992, S.309-319).
      Wisniewski beschreibt sein Vorgehen im Transmedium Internet als Präsentation 
        einer "Informations-Choreographie" (in: Hadler, Simon: Informations-Choreografie 
        als Netzkunst. In: ORF On Kultur. In: s. Anm. 4): Ist dies nicht auch 
        eine Art, den unteilbaren Zusammenhang von Syntax/Semantik und (Rhetorik 
        sowie) Pragmatik zu betonen? zurück
      8 Wisniewski in: Jana, Reena: Netomat: The Non-Linear 
        Browser. In: Wired News. 30.6.1999. URL: http://www.wired.com/ 
        news/ culture/ 0,1284,20473,00.html 
      Mit der Infragestellung des Begriffs "database" als Kriterium 
        des Internet stellt Wisniewski auch die Schlüsselrolle in Frage, 
        die Lev Manovich diesem Begriff in "Database as a Symbolic Form" 
        (1998). URL: http://www.manovich.net/ 
        DOCS/ database.rtf gibt. zurück
      9 Wisniewski in: Hadler, Simon: Informations-Choreografie 
        als Netzkunst. In: ORF On Kultur, s. Anm.4 zurück
      10 Vgl. Lev Manovich über "old" und "new 
        media avantgarde" in: Ders.: Avant-garde as Software (1999). URL: 
        http://www.manovich.net/ 
        DOCS/ avantgarde_as_software.doc  zurück