IASL Diskussionsforum online Georg Jäger 3.2 Zu Funktion und Rolle der literarischen Intelligenz in Deutschland nach 1945 Nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren Schriftsteller im Projekt der geistigen Umerziehung ("reeducation") der Deutschen tätig und als Sinnvermittler in einer Situation gefragt, in der es um "Vergangenheitsbewältigung", eine neue Standortbestimmung und Identitätsfindung ging. Der "Anspruch auf Geistesführerschaft" 85 wurde von Literaten aller Richtungen erhoben. So sah es Peter Suhrkamp als Aufgabe der "Geistigen" an, "wieder ein moralisches menschliches Klima zu schaffen". 86 Im Nachkriegsdeutschland war quer durch die Fraktionen "die Aufgabe der Literatur primär ethisch bestimmt", 87 trat der Schriftsteller als "Gewissen der Nation" 88 auf und knüpfte damit an die spezifisch deutsche Rede von der >Kulturnation< an. Der Kalte Krieg veranlaßte viele Schriftsteller, in einer moralischen Sprecherrolle aufzutreten, der jedoch durch die politische Definition und propagandistische Indienstnahme zentraler humanistischer Werte objektiv gesehen der Boden entzogen wurde (Kap. 2.4b). Selbst der seinen Statuten gemäß unpolitische PEN, die einzige internationale Schriftstellervereinigung, die manche Mitglieder als "eine moralische Macht" 89 ansahen, zerbrach auf deutschem Boden 1951 in ein west- und ostdeutsches Zentrum. Wie lange hielt die literarische Intelligenz an einer kulturellen Einheit Deutschlands fest, und ab wann ging sie in ihren Legitimationsstrategien von der politischen Teilung aus? Erhielten sich gemeinsame substantielle Wertvorstellungen für ein >gutes menschliches Zusammenleben in einem Staat< jenseits der politischen Fronten (worauf Vorstellungen eines "dritten Weges" hindeuten)? Die folgenden Bemerkungen gehen von zwei unterschiedlichen Intellektuellen-Diskursen in beiden deutschen Staaten aus. Gehen Sie zum nächsten Kapitel ... ... oder springen Sie mit Hilfe des Inhaltsverzeichnisses:
1. Zielsetzung und Leitlinien der Argumentation Anmerkungen Die mit der Angabe "in diesem Band" zitierten Aufsätze finden sich in dem Sammelband Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg. 85 Helmut Peitsch: Politisierung der Literatur oder "geistige Freiheit"? Materialien zu den Literaturverhältnissen in den Westzonen. In: Nachkriegsliteratur in Westdeutschland 1945-1949: Schreibweisen, Gattungen, Institutionen. Hg. von Jost Hermand (Literatur im historischen Prozeß, N.F. 3; AS 83) Berlin: Argument 1982, S.165-207. Hier S.165. zurück 87 Peitsch: Politisierung der Literatur, S.189. zurück 88 Keith Bullivant: Gewissen der Nation? Schriftsteller und Politik in der Bundesrepublik. In: Literaturszene Bundesrepublik ein Blick von draußen. Hg. von Ferdinand van Ingen, Gerd Labroisse (Amsterdamer Beiträge zur Neueren Germanistik 25) Amsterdam: Rodopi 1988, S.59-78. zurück 89 So im PEN-Zentrum Bundesrepublik Richard Friedenthal, vgl. seinen Bericht über die Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees in Rom am 1. November 1961. Zit.n. Sven Hanuschek: Die Geschichte des PEN-Zentrums (Bundesrepublik) 1951-1990 (Typoskript, Publikation in Vorbereitung). zurück |