IASL online Forum. JAEGER: Schriftsteller als Intellektuelle

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Geschichte und Kritik der Intellektuellen

Leitung: Britta Scheideler


Georg Jäger
Schriftsteller als Intellektuelle

2. Zur Phänomenologie des Intellektuellen

2.2 Der Intellektuelle als Spezialist für das Wort
und die sich daraus ergebenden Konsequenzen:

Distanz zur Realität, Mangel an praktischer Erfahrung, Neigung zur Kritik ...

Der Intellektuelle als "der Mensch, der nicht aufhören kann, zu denken" 12 und zu sprechen, bezieht seine Identität aus Diskursen. Er ist medial und nicht gesellschaftlich sozialisiert. Seine Heimat bildet das "intellektuelle Gemeinwesen" - ein Begriff, mit dem Ralf Dahrendorf 13 die öffentlichen Diskurse und die sie tragenden Institutionen wie Verlage, Zeitschriften, Zeitungen, audiovisuelle Medien etc. zusammenfaßt.

Die klassische Argumentationsfigur, die die Haltung des Intellektuellen aus seiner sozialen Lage ableitet, geht auf Karl Mannheim zurück. Die "sozial freischwebende Intelligenz", "eine relativ klassenlose, nicht allzufest gelagerte Schicht im sozialen Raum", 14 sei auf die perspektivische Standortgebundenheit politischen Denkens nicht festgelegt. Auf Grund ihrer Lage entwickle sie im besonderen Maße "soziale Sensibilität" und schaffe ein "homogenes Medium" für Dynamik, Vielstimmigkeit und Widerstreit sozialer Prozesse. 15

Seit Mannheim wird der Intellektuelle immer wieder durch "Abstand" und "Distanz" charakterisiert: durch "Zweifel" im geistigen, durch "Gebrochenheit" im sozialen Bereich. 16 In bezug auf die politischen und ideologischen Formationen ist der Intellektuelle ein stets unsicherer Kandidat, ein potentieller Abweichler und >Verräter<. Als "Aufklärer und Moralist auf eigene Rechnung und Gefahr", stellt der kritische Intellektuelle die Frage nach der Wahrheit und dem Rechten und ist somit der "geborene Widerpart des Ideologen". 17 "Speaking Truth to Power", 18 ohne dabei dogmatisch zu werden, ist ihm moralische Verpflichtung.

Im Nachkriegsdeutschland war die Begriffsbestimmung durch Arnold Gehlen, 19 die an Joseph A. Schumpeter 20 anschloß, von großem Einfluß. Danach haben als Intellektuelle diejenigen zu gelten, "die die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes handhaben, im Schwerpunkt also die Publizisten und engagierten Schriftsteller". 21 Sie werden durch drei Merkmale charakterisiert:

  1. "das Fehlen der direkten Verantwortlichkeit für praktische Dinge",
  2. "das Fehlen jener Kenntnisse aus erster Hand, wie sie nur die tatsächliche Erfahrung geben kann"
  3. sowie die daraus resultierende "Neigung zu einer kritischen Haltung". 22

Themen des Intellektuellen-Diskurses: Intellektuelle als Spezialisten des Wortes. "Die Intellektuellen und die anderen", die soziale "Heimat-" und "Ortlosigkeit", "das Zwischen-den-Stühlen-Sitzen" 23 des Intellektuellen. Die Intellektuellen und die Macht, Diffamierung und Verfolgung. Der Intellektuelle und die Praxis, Reden und Handeln.


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2.3 Der Intellektuelle als Sprecher allgemeinverbindlicher Werte

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1. Zielsetzung und Leitlinien der Argumentation
2. Zur Phänomenologie des Intellektuellen
2.1 Die Definition des Intellektuellen ist die Diskussion um seine Definition
2.4 Der kritische Intellektuelle als Moralist
3. Der Schriftsteller als Intellektueller
3.1 Die Geburt des Schrifstellers als Intellektueller in der Dreyfus-Affäre
3.2 Zu Funktion und Rolle der literarischen Intelligenz in Deutschland nach 1945
3.2.1 DDR
3.2.2 BRD
4. "Intellektuellendämmerung?"
Ausblick auf die Mediengeschichte des Intellektuellen

(Anschrift des Autors, Copyright)
5. Literatur


Anmerkungen

Die mit der Angabe "in diesem Band" zitierten Aufsätze finden sich in dem Sammelband Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg.

12 Lepenies: Das Ende der Utopie, S.18. zurück

13 Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München: Piper 1967, S.308-324. Hier S.323. Für eine spezifische Autorengruppe, die stilkonservativen "Priesterdichter" von Friedrich Griese bis Ernst Wiechert, vgl. Ulrike Haß: Militante Pastorale. Zur Literatur der antimodernen Bewegungen im frühen 20. Jahrhundert. München: Fink 1993. Das Buch erscheint als der "soziale Ort des Schreibenden" schlechthin und sei demnach als "Sozialphänomen" zu begreifen. Nach Erhard Schütz: Zur Modernität des "Dritten Reiches". In: IASL 20/I (1995), S.116-136. Hier S.126. zurück

14 Karl Mannheim: Ideologie und Utopie (Schriften zur Philosophie und Soziologie 3). Bonn: Cohen 1929, S.123. Dazu Arnhelm Neusüss: Utopisches Bewußtsein und freischwebende Intelligenz. Zur Wissenssoziologie Karl Mannheims (Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft 10) Meisenheim am Glan: Hain 1968. zurück

15 Ebd., S.123f. zurück

16 Martin Greiffenhagen: Die Intellektuellen in der deutschen Politik. In: Der Monat 233 (1968), S.33-43. zurück

17 Heinz-Winfried Sabais: Der Intellektuelle. Versuch einer moralischen Definition. In: Studium Generale Jg.12, H.11, 1959, S.690-693. Hier S.691. zurück

18 Edward W. Said: Representations of the Intellectual. The 1993 Reith Lectures. New York: Pantheon Books 1994, Kap.V. Deutsch u.d.T.: Götter, die keine sind. Der Ort des Intellektuellen. Berlin: Verlag Berlin 1997. zurück

19 Vgl. Arnold Gehlen: Das Engagement der Intellektuellen gegenüber dem Staat. In: Merkur 1964/5, S.401-413, mit der sich anschließenden Diskussion: Die Intellektuellen und der Staat. Zu Arnold Gehlens Beitrag. In: Ebd.1964/ 7, S.653-670. Wiederabdruck: A. G.: Einblicke. Frankfurt a.M.: Klostermann 1978, S.9-24. zurück

20 Joseph A. Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Bern: Francke 1946, S.235-251. zurück

21 Gehlen: Einblicke, S.11. zurück

22 Ebd., S.10. zurück

23 Uwe Westphal: Versuch einer Bestandsaufnahme. Weshalb heute noch ein Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland? In: Fritz Beer / U. W. (Hgg.): Exil ohne Ende. Das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Essays, Biographien, Materialien. Gerlingen: Bleicher 1994, S.40-66. Hier S.66. Der Schriftsteller sei "ein intellektuell Heimatloser mit globalem Nichtwohnsitz" geworden. zurück

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