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Bewußtsein und Kommunikation

Leitung: Oliver Jahraus

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Oliver Jahraus
Bewußtsein und Kommunikation

5. Kommunikation

Der Grund, warum Kommunikation nicht ähnlich nahtlos als System wie Bewußtsein (aus der subjektphilosophische Erbmasse) rekonzeptualisiert werden kann, läßt sich auf die veränderte Position in der Begründungshierarchie zurückführen. Während Bewußtsein eine Letztbegründungsebene darstellt, ist Kommunikation das durch Bewußtsein über das Subjekt Begründete. Bewußtsein muß daher immer schon mit dem konstitutiv unlösbaren Problem der Selbsteinholung und Selbsthintergehbarkeit gedacht werden, wohingegen Kommunikation - jedenfalls in den meisten traditionellen Modellen - erst auf einer Ebene konzeptualisiert wird, die ein begründetes und begründendes Subjekt, das kommuniziert, voraussetzt.

Will man vor diesem Hintergrund das entscheidende Moment der Umkonzeptualisierung auf den Punkt bringen, so kann man sagen, daß sich das systemtheoretische Kommunikationskonzept gegenüber traditionellen Kommunikationsmodellen durch eine radikal veränderte Frage der Begründung auszeichnet. Und diese Frage der Begründung spitzt sich im Subjekt zu. Schon allein, weil Systemtheorie Bewußtsein und Kommunikation in ein gleichrangiges Verhältnis setzen muß - denn anders ist strukturelle Kopplung mit ihren wechselseitigen Konstitutionsfunktionen nicht zu denken -, kann sie eine asymmetrische bzw. unidirektionale Begründungshierarchie nicht aufrechterhalten. Wenn nun aber Bewußtsein und insbesondere das durch (Selbst-)Bewußtsein konstituierte Subjekt als Begründungsebene für Kommunikation nicht zur Verfügung steht und damit das Modell einer externen Begründung ohnehin hinfällig wird, kann sich Kommunikation nur noch selbst begründen, d.h., sie kann nur subjektlos modelliert werden (siehe hierzu das Diskussionsforum von Nina Ort: Der Kommunikationsbegriff). Die subjektlose Selbstbegründung von Kommunikation verändert den Begründungscharakter und bedeutet im Grunde genommen nichts anderes als Selbstprozessualisierung von Kommunikation.

Bei dieser Ausgangslage erscheint es stringent und zwingend, Kommunikation gleichermaßen als System zu konzeptualisieren, das sich selbst reproduziert, also mithin als ein autopoietisches System mit exemplarischer Beobachtungsfunktion. Jene Konstituenten, die man für ein System in struktureller Kopplung in Anschlag bringen muß, decken sich vollständig mit jenen Konstituenten, die man für Kommunikation in Anschlag bringen muß, sofern man sie subjektlos konzipiert. Subjektlose Kommunikation und Kommunikation in struktureller Kopplung sind konzeptionell deckungsgleich.

Gegenüber einem Alltagsverständis von Kommunikation ist hier ein Abstraktionsniveau erreicht, das eine kontraintuitive Zumutung darstellt. Daher ist es um so notwendiger, sich die Konzeptionsebenen zu vergegenwärtigen. Die Provokation von Luhmanns Diktum, daß nur die Kommunikation, nicht jedoch die Menschen kommunizieren (Luhmann: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?, S.884), verschwindet weitgehend, wenn man Konzeptionsebene und Zurechnungsebene strikt voneinander trennt.

Die Frage, wer denn kommuniziere, der Mensch oder die Kommunikation, läßt sich nur mit einem Jenachdem beantworten. Auf der Konzeptionsebene kommuniziert nur Kommunikation, weil ein Mensch als relevante Instanz auf dieser Ebene gar nicht vorkommt. Sie ist die Prozeßebene, auf der nur solche Momente greifbar werden, die konstitutiv für den Prozeß sind. Dazu gehört in dieser Konzeption jedoch nicht der Mensch. Es gibt indessen Ansatzpunkte, von denen aus der Überstieg zu einer Ebene, auf der durchaus von menschlicher Kommunikation gesprochen werden kann, möglich ist, und der über Zurechnung bewerkstelligt wird.

Auch hier sei an Luhmanns Verhältnisbestimmung von Kommunikation und Handlung erinnert, wonach ein Kommunikationssystem sich selbst im Zuge seiner Selbstsimplifikation als Handlungssystem ausflaggt (Luhmann: Soziale Systeme, Kap.4, bes. S.226). Kommunikation wird als Handlung auf Subjekte zugerechnet, die im engeren Kommunikationskontext als Alter Ego und Ego auftreten und im weiteren Alltagsverständnis auch mit dem Begriff des Menschen belegt werden können. Mensch oder Subjekt, so verstanden, sind Zurechnungs- und keine Begründungskategorien. So können Kommunikation und Mensch gar nicht in ein theoriebautechnisches Konkurrenzverhältnis kommen, weil beide Begriffe auf völlig unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind.

Wenn man also für eine Konzeption wirbt, die entweder den Menschen (S.J.Schmidt) oder die Kommunikation (Luhmann) als Instanz der Kommunikation wählt, so geht ein Argument, das sich auf empirische Evidenz stützt, ins Leere. Ob Mensch oder Kommunikation, ist keine Frage der Empirie, sondern der Theoriearchitektur. Diese Entscheidung kann frei getroffen werden und unterliegt nur den Kriterien der konzeptionsinternen Anschließbarkeit.

Das bislang elaborierteste Modell einer subjektlosen Kommunikation hat Peter Fuchs (Moderne Kommunikation) auf der Basis der Luhmannschen Kommunikationstheorie entwickelt.

Die Subjektlosigkeit bedingt einen ganz bestimmten Prozeßtypus, d.h. eine spezifische Form, in der kommunikative Ereignisse zu einem prozessierenden System verbunden werden. Peter Fuchs nennt dieses Modell die "Dreizügigkeit von Kommunikation" (Fuchs: Moderne Kommunikation; auf der Basis von W.L. Schneider: Die Beobachtung von Kommunikation). Demnach wird ein kommunikatives Ereignis nicht durch sich selbst zu einem Ereignis, sondern durch ein Folgeereignis. Prozessuale Ereignisse sind prinzipiell durch ihre Differentialität gekennzeichnet. Man muß also zumindest ein weiteres Ereignis annehmen. Der Unterschied von Information und Mitteilung (siehe hierzu Luhmann: Soziale Systeme, Kap.4, S.191 ff.), der bereits im ersten Ereignis - wenn auch aufgrund seiner Differentialität nur als Disposition - angelegt ist, wird erst im Folgeereignis aktualisiert. Subjektlose Kommunikation heißt, daß kein Ereignis eine Differenz zwischen Information und Mitteilung ist, sondern daß erst ein Folgeereignis diese Differenzierung übernimmt. Daß jedoch das Folgeereignis sich auf ein vorhergehendes Ereignis bezieht, kann erst durch ein drittes Ereignis bestimmt werden. "Das Folgeereignis aktualisiert im Blick auf das vorangegangene Ereignis die Differenz von Information und Mitteilung so, daß ein weiteres Ereignis das >mittlere< als bestimmten Anschluß versteht." (Peter Fuchs: Moderne Kommunikation, S.31)

Diese Dreizügigkeit der Kommunikation stellt ein Moment dar, das sich phasenweise in der Kommunikation mit dem Kommunikationsprozeß verschiebt. Hieran zeigt sich die konstitutive Dimension der Zeit: Das Phasenmoment verschiebt sich immer um ein Ereignis, so daß jedes Ereignis im Durchlauf einmal jede Stelle im Prozeßschema einnimmt. Ein erstes Ereignis wird zu einem zweiten, dieses zu einem dritten und wieder von vorn usw. Immer wird zwischen Information und Mitteilung unterschieden, und immer wird dies als bestimmter Anschluß ausgewiesen.

Was also kommunikativ als Information und was als Mitteilung behandelt wird, läßt sich im Kommunikationslauf variieren; das heißt, Kommunikation besitzt auf operativer Ebene die Möglichkeit, das Verstehen zu steuern, indem es Anschlußmöglichkeit an die Unterscheidung von Information und Mitteilung verschiebt. Fuchs nennt diese operative Möglichkeit Displacement: "Das >Verschieben< oder >Ver-rücken<, das wir Displacement nennen, nimmt seinen Ausgang im Verstehen, im Beobachten mithin der Unterscheidung von Information und Mitteilung an einem Vorereignis." (S.154) Das Displacement hebt er zur Verdeutlichung von einem Normalarrangement ab und unterscheidet zwischen drei konkreten Formen des operativen Displacements: Wird die Mitteilung als Information behandelt, spricht Fuchs von einer romantischen Kommunikation (Fuchs, 102); wird hingegen die Informationsseite "prämiert" (Fuchs, 132), handelt es sich um eine aufklärerische Kommunikation; wird weder Information als Information noch Mitteilung als Mitteilung behandelt, ergibt sich eine nebulose Kommunikation (S.145).

Entscheidend ist zu sehen, daß die Möglichkeit eines operativen Displacements an die Differentialität der Kommunikation gebunden ist - eine Differentialität übrigens, die strukturgleich mit der Differentialität des Bewußtseins gedacht werden muß, da ansonsten weder strukturelle Kopplungen zwischen den beiden Systemtypen noch das Re-entry dieses Unterschiedes auf beiden Seiten möglich wären.

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Strukturelle Kopplung
Die subjektphilosophische Erbmasse: Begründungskategorien
Bewußtsein
Symmetrie und Asymmetrie in der strukturellen Kopplung
Die >Ur-Differenz< von Bewußtsein und Kommunikation
als Fundament der Systemtheorie

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