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Bewußtsein und Kommunikation

Leitung: Oliver Jahraus

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Oliver Jahraus
Bewußtsein und Kommunikation

3. Die subjektphilosophische Erbmasse: Begründungskategorien

Wer Bewußtsein und Kommunikation diskutiert, kommt zwar um den systemtheoretischen Theoriebaustein der strukturellen Kopplung nicht herum. Es gilt aber genauso, auf die begrifflichen Problemtraditionen zu achten, die sich unabhängig einer systemtheoretischen Rekonzeptualisierung mit diesen Begriffen >Bewußtsein< und >Kommunikation< verbinden. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit und auf welche Weise diese Rekonzeptualisierung solche Problembestände mit aufgenommen hat. Welchen Beitrag leistet diese Rekonzeptualisierung von Bewußtsein und Kommunikation in struktureller Kopplung für die Beantwortung von Fragen aus der bewußtseins- und kommunikationstheoretischen Problemtradition?

Löst man also die Klammer der strukturellen Kopplung und betrachtet beide Begriffe in ihrer philosophischen und soziologischen Entwicklungsgeschichte, so tritt dahinter eine andere Klammer zutage, die beide Begriffe doch noch in ein Verhältnis setzt, nämlich die des Subjekts.

Will man sich nun vergegenwärtigen, in welchen Dimensionen die strukturelle Kopplung zu einer Neudefinition der Begriffe Bewußtsein und Kommunikation führt, so bietet es sich an, auf die Begründungsfunktionen und Begründungszusammenhänge zu achten, die in der Tradition mit den beiden Begriffen jeweils verbunden waren und auf das Subjekt bezogen wurden.

In diesem Sinne hat Habermas die Luhmannsche Systemtheorie zu einer Erbin der subjektphilosophischen Erbmasse erklärt (Der philosophische Diskurs der Moderne, S.426 ff.; Theorie des kommunikativen Handelns, Bd.I, S.518 ff.). Habermas skizziert dabei einen Paradigmenwechsel von einem zentrierenden Subjekt zu einer funktional differenzierten und somit azentrischen Gesellschaft. Die Nichthintergehbarkeit des Subjekts werde dabei durch die Nichthintergehbarkeit der System-Umwelt-Differenzierung abgelöst. Daß hier nicht jede beliebige System-Umwelt-Differenzierung in Frage kommen kann, darauf machen u.a. auch Kneer / Nassehi (Verstehen des Verstehens, S.347) aufmerksam, wenn sie von einer "Ersetzung des Subjektsbegriffs durch das Konzept des autopietischen Systems" sprechen. Wo also die System-Umwelt-Differenz allein nicht ausreicht, um eine subjektphilosophische Erbmasse anzutreten, wird deutlich, daß durch das Autopoiesis-Konzept eine notwendige Blickrichtung auf die entsprechenden Systeme, Bewußtsein und Kommunikation, die jeweils füreinander konstitutive Umwelt sind, vorgegeben ist.

Betrachtet man die drei Begriffe, Bewußtsein, Kommunikation und Subjekt(ivität), so lassen sich verschiedene traditionelle Begründungshierarchien angeben:

(1a) Eine erste geht vom Bewußtsein als Letzthorizont menschlichen Wissens aus (die idealistische Tradition, fußend insbesondere auf Fichte und Hegel) und stützt darauf den Subjektbegriff (Ebeling, Henrich, Frank). Diese Begründungshierarchie läßt sich unter dem Stichwort der Transzendentalphilosophie, bzw. der Subjektphilosophie oder des Subjekt-Paradigmas (Peter Bürger: Das Verschwinden des Subjekts, S.11) erfassen.

(1b) Eine spezifische Variante dieser Hierarchie zeigt sich dort, wo man Subjektivität herausgreift und diese wiederum als Begründungskategorie für Kommunikation in Anschlag bringt. Diesem Muster, meist unter völliger Ausblendung und stillschweigender Vorausetzung von Bewußtsein, folgen Kommunikationstheorien, die Subjekte (oder Personen oder Menschen) voraussetzen, die kommunizieren.

(2) Eine andere Begründungshierarchie würde Kommunikation oder zumindest Sprache als Letztbegründungsebene bestimmen (wie z.B. in der analytischen Sprachphilosophie) und darauf Bewußtsein und schließlich Subjektivität als nur sprachlich zugänglich oder auch sprachlich konstituiert stützen (Tugendhat). Diese wiederum ließe sich als Sprachparadigma (Bürger) kennzeichnen.

Betrachtet man nun wieder Bewußtsein und Kommunikation in struktureller Kopplung, so zeigt es sich, daß die Systemtheorie als Gesellschaftstheorie nicht auf ein reines Kommunikationsparadigma festzulegen ist. Zwar versteht sie sich selbst als Theorie sozialer Systeme und definiert die konstitutiven Ereignisse sozialer Systeme als Kommunikationen, so daß man von einer Identifikation von Kommunikation und sozialem System auszugehen hat, dennoch reicht Kommunikation allein nicht aus, um als Begründungskategorie ein Paradigma nach traditionellem Muster abzugeben. Nun könnte man gegenüber Habermas sagen, daß die Systemtheorie das Paradigma des Subjekts (bzw. des Bewußtseins), wenn schon nicht durch das Kommunikationsparadigma, so doch durch das Paradigma der strukturellen Kopplung ersetzt, doch gilt es dabei zu bedenken, daß die in der Rede vom Paradigma implizierten Begründungsfunktionen aufgehoben werden. An die Stelle der idealistischen Begründungshierarchie tritt die prozessuale und heterarchische Autokonstitution von Bewußtsein und Kommunikation.

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