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Bewußtsein und Kommunikation

Leitung: Oliver Jahraus

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Oliver Jahraus
Bewußtsein und Kommunikation

4. Bewußtsein

Um dies deutlich zu machen, ist es notwendig, auch einen Blick auf die Einzelbegriffe zu werfen. Denn die Systemtheorie führt im Konzept der strukturellen Kopplung nicht nur zwei Modelltraditionen zusammen, sie führt sie auch sehr unterschiedlich zusammen. Während nämlich der Kommunikationsbegriff eine radikale Umdeutung erfährt (subjektlose Kommunikation), zeigt sich auf seiten des Bewußtseins, daß wesentliche Konstituenten einer idealistischen Vorstellung des Bewußtseins aus Transzendental- oder Subjektphilosophie in die Systemtheorie übernommen wurden (auch wenn dies nirgends explizit nachgezeichnet wurde; vgl. Luhmann: Die Autopoiesis des Bewußtseins).

Gerade das transzendentalphilosophische Paradigma ist aber als Begründungsunternehmen aufgetreten, um über Bewußtsein so etwas wie ein Subjekt, ein Ich oder ein Individuum zu rechtfertigen. Die Geschichte der entsprechenden Bewußtseinsmodelle zeigt jedoch nicht nur, daß diese Ansätze letztendlich gescheitert sind und nichts anderes als die Aporien dieser Denkbewegungen zutage gefördert haben (Düsing: Selbstbewußtseinsmodelle), sie offenbart auch die entscheidenden Konstituenten, die das Modell dem Bewußtsein unterstellt, da die Begründungsfunktion immer unmittelbar mit der jeweiligen Modellierung verbunden ist.

(1) Einerseits ist Bewußtsein unhintergehbar. Es läßt sich schlechterdings nichts annehmen, was nicht schon durch die Annahme allein zum Gegenstand des Bewußtseins geworden wäre. Ob man dies nun in der Kantischen Formel vom "Ich denke", das alle Vorstellungen begleiten können muß, oder in der mathematischen Formel von Danto faßt, wonach das >Bewußtsein von etwas< immer zugleich das >Etwas des Bewußtseins< ist (F(b)=b(F)) (Arthur C. Danto: Sartre, S.75), in jedem Fall ist das Bewußtsein unabdingbar mitinvolviert. Für das Bewußtsein selbst ist es gleichermaßen unmöglich, an jenen imaginären Ursprungspunkt zurückzugehen, an dem dieses Etwas noch >ohne Bewußtsein< existierte, weil dieser Rückgang, wenn er denn unternommen wird, eine Bewußtseinsoperation ist, die Bewußtsein dort plaziert, wo gerade angenommen wurde, daß (noch) kein Bewußtsein sei. Bewußtsein kann sich nicht ohne Bewußtsein vorstellen, weil die Vorstellung selbst Bewußtsein ist.

(2) Andererseits ist Bewußtseins uneinholbar. Von Peter Fuchs wurde dieses Theorem der Uneinholbarkeit unter den weiter gespannten Begriff der Unerreichbarkeit gefaßt. Unerreichbarkeit meint zunächst, daß es für ein Bewußtsein keinen unmittelbaren Zugang zu einem anderen Bewußtsein gibt. Dieses Theorem muß aber in zweifacher Weise radikaler gefaßt werden.

(2a) Erstens hat Peter Fuchs (Die Erreichbarkeit der Gesellschaft) das Theorem der Unerreichbarkeit auch auf die Gesellschaft selbst angewandt: Die Gesellschaft als solche ist unerreichbar, weil jede Operation, die dies versucht, selbst eine gesellschaftliche Operation ist. Damit wiederholt sich die Beobachtungskonstitution, wonach ein Beobachter alles beobachten kann, nur sein eigenes Beobachten nicht; immer gibt es eine Lücke im Beobachteten, wie total auch immer man den Beobachtungshorizont aufspannen mag.

Rückübertragen auf das Bewußtsein bedeutet dies, daß ein Bewußtsein nicht nur für andere Bewußtseine (und umgekehrt) unerreichbar ist, sondern auch für sich selbst (Intransparenz des Bewußtseins). Für ein denkendes Bewußtsein ist dies kein Problem, sondern eine Prozeßeigenschaft, die gerade die Voraussetzung für das Prozessieren des Bewußtseins darstellt. Nur in dem Fall, wo das Bewußtsein versucht, sich seiner selbst bewußt zu werden, also Selbstbewußtsein zu instatiieren, führt diese Bewegung zur Selbstaporetisierung.

Das Bewußtsein kann nicht Gegenstand und Prozeß zugleich sein. Hat sich Bewußtsein selbst als Gegenstand erfaßt, ist sein eigener Prozeß um ein weiteres Phasenmoment in der Zeit vorgerückt. Der Wettlauf von Hase und Igel kann insofern als Metapher dienen, weil er die Idee der Verspätung anschaulich macht. Bewußtsein, das sich selbst zu fassen sucht, kommt immer zu spät zu sich selbst.

(2b) Zum zweiten gilt es, diese Unerreichbarkeit insofern zu radikalisieren, als man die negativ konnotierte Begrifflichkeit einer Defizienzerfahrung des >zu spät< und der >Unerreichbarkeit< des (Selbst-)Bewußtseins relativiert und statt dessen zu erkennen versucht, wie gerade diese Unaufhebbarkeit der Differenz von Prozeß und Gegenstand zur Konstitutionsbedingung von Bewußtsein schlechthin wird. Diese Differenz ist die Disposition zur prozessualen Reproduktion von Bewußtsein, weil jeder Prozeß (Denken) dem Gegenstand (Gedachtes) vorausgeht, bevor es selbst zum Gegenstand werden kann. Immer neue Gegenstände faßt das Bewußtsein, während sich immer neue Prozeßmomente aneinanderreihen.

Allerdings ist dieses Bewußtseinsmodell als Selbstbewußtseinsmodell aporetisch, weil es zur unaufhebbaren Paradoxie der Identifikation des Nicht-Identifizierbaren, des schlechterdings Differenten führt. Mit Bezug auf Fichte haben dies eingehend Dieter Henrich und Manfred Frank am Beispiel des Reflexionsmodells des Bewußtsein diskutiert. Dieses Modell bestimmt die Differenz zwischen beiden Ebenen als Reflexion und die Identifikation von Prozeß und Gegenstand als reflexive Rückwendung des Bewußtseins auf sich selbst (sich selbst denken). Insbesondere Frank schlägt statt dessen ein irreflexives Bewußtseinsmodell vor, bei dem jedoch dann nicht mehr deutlich werden kann, wie unterschiedliche Prozeßebenen, die für eine Selbstreproduktion als unabdingbar angenommen werden müssen, noch ins Verhältnis gesetzt werden können (Frank: Selbstbewußtseinstheorien; Düsing: Selbstbewußtseinsmodelle). Der Ausweg, den Vollzug von Bewußtsein selbst als ineffabile zu begreifen, kann nicht befriedigen. Denn die Frage, wie Bewußtsein sich vollzieht, bleibt damit kategorisch unbeantwortet.

Gegenüber Düsing gilt es jedoch hervorzuheben, daß das Reflexionsmodell nicht aufgrund einer immanenten Konzeptualisierung in Aporien mündet, sondern daß das Reflexionsmodell quasi exemplarisch steht für jegliche Modellbildung über das Bewußtsein, insbesondere wenn man sich vor Augen hält, daß Modellbildung nichts anderes als wiederum Bewußtseinsvollzug ist und somit selbst einem Muster der Identifikation des schlechterdings Differenten folgt. Nicht das Reflexionsmodell, sondern die Modellbildung über das Bewußtsein ist aporetisch, weil sie in Paradoxien mündet, nämlich Bewußtsein gleichzeitig als Prozeß zu vollziehen und als Gegenstand zu behandeln.

Damit ist eine insgesamt paradoxale Situation gegeben: Entweder man nimmt den Bewußtseinsvollzug als nicht mehr hinterfragbare Tatsache an, die selbstevident ist, weil ja bereits für eine solche Frage ein sich vollziehendes Bewußtsein vorausgesetzt sein muß, oder aber man betrachtet die Differenz der Prozeßebenen als Konstituente, kann dann aber nicht mehr erklären, warum sich Bewußtsein überhaupt noch vollzieht. Die Selbstvergegenwärtigung des Bewußtseins müßte eigentlich zu seiner Selbstblockade führen, obschon sie doch auch ein Moment des Selbstvollzugs, der Selbstreproduktion ist.

Bis zu diesem Punkt läßt sich Bewußtsein vollständig als System systemtheoretisch rekonzeptualisieren. Die spezifischen Momente können dabei nahtlos im Autopoiesis- und Beobachter-Konzept aufgefangen werden. Bewußtsein als autopoietisches System (siehe nochmals Luhmann: Die Autopoiesis des Bewußtseins) und als Beobachter par excellence zu konzeptualisieren bedeutet, die Konstituenten von Unhintergehbarkeit und Uneinholbarkeit (Unerreichbarkeit) dergestalt zu reformulieren, daß weitergehende Konzeptualisierungen anschließbar sind. Wenn also erst einmal der status quo der Bewußtseinsmodellierung systemisch reformuliert wurde, dann wird es möglich, die Aporien, die aus den in der Bewußtseinsmodellierung auftretenden Paradoxien resultieren, zu umgehen.

Die strukturelle Kopplung ist jenes Theorieelement, mit dessen Hilfe die Aporien produktiv und instruktiv umfunktionalisiert werden können, weil sie ein zweites System mit ins Spiel bringt, das wesentliche Funktionen erfüllt.

  1. Dieses zweite System ist verantwortlich dafür, daß die Dynamik der phasenweisen, also ereignisbasierten Umkonstellierung von Momenten aus den beiden differenten Prozeßebenen immer wieder neu angestoßen wird.

  2. Diese Funktion kann es aber nur deswegen übernehmen, weil im umgekehrten Fall das Bewußtsein gerade in seiner durch Differenz konstituierten Autopoiesis dieselbe Funktion für eben dieses System erfüllt.

Dieses System ist ausschließlich Kommunikation.

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Konzeption und Empirie
Symmetrie und Asymmetrie in der strukturellen Kopplung
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