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Bewußtsein und Kommunikation

Leitung: Oliver Jahraus

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Oliver Jahraus
Bewußtsein und Kommunikation

2. Strukturelle Kopplung

>Strukturelle Kopplung< ist mittlerweile zum Lemma einschlägiger Glossare und Lexika geworden (Art.: Strukturelle Kopplung. In: Baraldi/Corsi/Esposito: GLU, S.186-189; und Art.: Kopplung. In: Krause: Luhmann-Lexikon, S.124), so daß ein Grundverständnis vorausgesetzt werden kann. Ich wiederhole die wichtigsten Konstituenten für eine strukturelle Kopplung:

  1. Strukturell gekoppelt sind Systeme (keine Entitäten, Gegenstände, Zustände, Phänomene als solche).

  2. Strukturell gekoppelt sind Systeme, die sich selbst prozessieren, also Systeme, die sich in der Zeit vollziehen und daher ereignisbasiert sind.

  3. Strukturell gekoppelt sind Systeme, die sich ausschließlich in ihrer Selbstprozessualisierung auch selbst reproduzieren und somit in diesem Selbstvollzug operativ geschlossen sind, somit überschneidungsfrei operieren, also autopoietische Systeme.

  4. Strukturell gekoppelt sind Systeme, die - im Grunde genommen eine tautologische Formulierung - die Prozessualisierung des anderen Systems unabdingbar für ihre eigene Prozessualisierung voraussetzen. In diesem Sinne präzisiert und radikalisiert das Konzept der strukturellen Kopplung den Begriff der Interpenetration. Wo diese definiert wird als Inanspruchnahme fremder Komplexität zum Aufbau eigener Komplexität in einem System, zeigt dieses Konzept, daß die Inanspruchnahme selbst wiederum prozessual vonstatten gehen muß.

  5. Von struktureller Kopplung kann gesprochen werden, wenn ein Beobachter zunächst sieht, wie in einem System Ereignisse im Prozeß der Selbstreproduktion so produziert werden, daß diese im anderen System wiederum jeweils systemspezifisch ko-produziert werden, sodann, daß diese Ko-Produktion wiederum im anderen System als Eigenproduktion abläuft, und schließlich, daß Produktion und Ko-Produktion jeweils wechselseitig austauschbar sind, sofern man das zeitliche Verhältnis der Produktionsverzögerung umkehrt.

  6. Strukturelle Kopplung ist, wo sie auftritt, notwendig und konstitutiv. Wo also strukturelle Kopplung greift, greift sie notwendigerweise und definiert eben dadurch den Prozeßcharakter der jeweiligen Systeme. Strukturelle Kopplung determiniert und konstituiert die strukturell gekoppelten Systeme. Strukturell gekoppelt zu sein ist keine akzidentelle, sondern eine substantielle Systemeigenschaft, eine conditio sine qua non. Das bedeutet aber auch: Strukturelle Kopplung kommt entweder zustande, oder aber die Systeme, die strukturell gekoppelt sein sollten, sind als solche gar nicht sichtbar. Strukturelle Kopplung ist niemals potentiell, immer nur aktuell zu haben.

Auch wenn alle Systeme, die diese Bedingungen erfüllen, für strukturelle Kopplung in Frage kommen und damit automatisch als strukturell gekoppelte in Erscheinung treten, also beobachtbar sind, so werden theoretisch zunächst einmal nur jene drei Systeme interessant, die paradigmatisch Autopoiesis konstituieren und realisieren: das organische System (der Körper eines Lebewesens), das psychische System (Bewußtsein) und das soziale System (Gesellschaft als Kommunikationssystem). So kann man unterstellen, daß zwischen den drei Systemen jeweils strukturelle Kopplungen in drei Zweierrelationen bestehen. Jedes wäre - jeweils gesondert - mit den beiden anderen strukturell gekoppelt.

Doch schon allein aufgrund der unterschiedlichen Autopoiesis-Konzepte, die für Lebewesen einerseits (so wie dieses Konzept ursprünglich von Varela und Maturana im biologischen Kontext entwickelt wurde) und für psychische bzw. soziale Systeme andererseits (wie es durch eine deutliche Umdefinition durch Luhmann im systemtheoretischen Kontext ausgearbeitet wurde) in Anschlag gebracht werden, kann man erkennen, daß diese Trias wiederum in zwei Gruppen zerfällt. Während sich lebende, organische Systeme materiell reproduzieren, existieren psychische und soziale Systeme als autopoietische ausschließlich als der Prozeß, in dessen Verlauf sie sich selbst reproduzieren. Während also organische Systeme zwar notwendigerweise strukturell gekoppelt sind, aber dennoch auch ohne die strukturelle Kopplung beobachtet werden können, können psychisches und soziales System nur als strukturell gekoppelte beobachtet werden, oder gar nicht.

Das läßt nun den Schluß zu: Bewußtsein und Kommunikation stellen eine ausgezeichnete strukturelle Kopplung dar. So gilt zwar, daß es kein Bewußtsein und keine Kommunikation ohne Lebewesen gibt, denen Bewußtsein und Kommunikation unterstellt werden kann. Aber dies gilt nicht umgekehrt; die Autopoiesis von Lebewesen läßt sich durchaus ohne Bewußtsein und / oder Kommunikation denken. Daraus ließe sich nun die Frage ableiten, ob denn Bewußtsein und Kommunikation, auch wenn sie faktisch nicht ohne gleichzeitige Kopplung mit Lebewesen beobachtbar sind, nicht doch ohne die Notwendigkeit einer solchen Kopplung konzipiert werden könnten. In jedem Fall aber sind Bewußtsein und Kommunikation notwendig, unabdingbar und konstitutiv miteinander strukturell gekoppelt!


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