IASLonline Lektionen in NetArt


Thomas Dreher

unendlich, fast...:
Holger Friese


Warten, Shoppen und Ballern

Holger Frieses (*1968) unendlich, fast... ist nicht nur seit Mai 1995 über The Thing Vienna, sondern auch über Vuk Cosics Kopie der Website der documenta X (Kassel 1997) erreichbar. Die Kopie wurde von Cosic angelegt, da die Website der documenta X trotz ihrer Popularität mit dem Ende der Ausstellung am 26.9.1997 vom Netz genommen wurde.

In der Abteilung Surfaces & Territories der documenta X irritiert neben aufwändigen Projekten wie Without adresses von Blank & Jeron die monochrom blaue Fläche von <unendlich, fast...>: Neben jenen vielteiligen Projekten mit internen Links erscheint Frieses einteiliges Projekt ohne Links, das sich selbst als Territorium vorführt, auf dessen Oberfläche User beliebig mit dem Cursor auf der Suche nach Zeichen und Funktionen gleiten können. An einer Stelle (horizontal: rechts, vertikal: Mitte) erscheinen Sterne und Gruppen aus je drei kurzen parallelen Linien. Nach Friese handelt es sich bei diesen Zeichen um "die Grafik eines Bildschirmfotos einer EPS-Datei des Unendlichzeichens." 1

Holger Friese: Unendlich fast...1995

Friese, Holger: unendlich, fast..., 1995, Webprojekt (Screenshot 2010).

Seit 1.6.1997 irritiert Antworten User durch Warteschleifen statt Antworten. Das von Friese und Max Kossatz programmierte Netzprojekt übersetzt das in öffentlichen Ämtern angewandte Prinzip der Organisation von Warteschlangen mittels Nummern ins Internet: User werden über die Nummer informiert, die gerade behandelt/bedient wird. Was verhandelt wird oder welche Dienstleistung geboten wird, findet keine Erwähnung. Dem User wird eine Nummer zugeteilt. Die Warteschlange wird im Drei-Minuten-Takt abgebaut. Während er wartet, bis die Differenz zwischen der bedienten niedrigeren Nummer und der eigenen höheren Nummer geringer wird, ertönt ein Soundloop. Dieser beruhigt nicht, sondern nervt durch den harten Bruch zwischen Ende und Neuanfang. Wer auf der Webseite bleibt, bis seine Nummer an der Reihe ist, erfährt, dass er nicht angenommen wird, sondern entweder die bediente Nummer auf eine niedrigere Zahl zurückgestellt wird, oder die Meldung erscheint, er habe den Aufruf seiner Nummer verpasst und ihm wird eine höhere Wartenummer zugeteilt. Nach 100 Sekunden erscheint (nicht bei jedem Netzanschluss) der Satz "Möchten Sie etwas schreiben oder etwas lesen während Sie warten?" 2 Ein Klick auf "schreiben" führt zu einer (benutzbaren und) an <fragen@antworten.de> zu sendenden e-Mail, während "lesen" zu umfangreichen Statistiken über Userwege zu "www.antworten.de" führt. Eine weitere Seite informiert über die Irreführung der Erwartungshaltung durch den Titel <Antworten> und die "endlose Zeitschleife". Das Netzprojekt expliziert, was es Usern zumutet.

Dem User der Website der documenta X kann das dort mittels Link vorgestellte Antworten-Projekt mit seiner Warteschleife als Komplement zu <unendlich, fast...> erscheinen: Die Warteschleife versetzt den User in einen vorprogrammierten Prozess, der kein Ende kennt, während die blaue Fläche dem User keinen Weg vorschreibt, sondern er sich frei bewegen kann, bis er ohne Hinweise doch an einem Ziel ankommt, das sich als Nicht-Ziel erweist. User warten in <Antworten> nicht nur "fast" unendlich: Die Unendlichkeit sichern CGI-Skripte und weitere Skripte "im Crontab des Servers". Dank Cookies, die 8 Stunden funktionieren, müssen User nicht online warten, sondern können laufend nachfragen, ob ihre Nummer aufgerufen wird.

Die Homepage des Shoppingsystems In meiner Nähe (18.4.1999) offeriert "den schnellsten Zugriff auf Geschäfte und Dienstleister". Sobald der User seine Adresse eingibt, erhält er Zugang zu einer Liste mit Unternehmen – Geschäfte, Handwerksbetriebe, Büros u. a. – in alphabetischer Reihenfolge. Angeblich ist die Liste angezeigter Unternehmen Resultat einer Suche in einem Archiv, der die eingegebene Postleitzahl zugrunde liegt. Der Aufruf einzelner Offerten führt jedoch bald zur Erkenntnis, dass sich "in meiner Nähe" nicht auf Unternehmen in dem Bereich bezieht, den die Postleitzahl kennzeichnet, sondern auf die Nähe des Monitors, der die Seiten fiktiver Unternehmen projiziert, zum User.

Die fiktiven Unternehmen erscheinen teilweise wie Hybriden zwischen realitätsnah typisierten und phantastievoll die Elemente der Wirklichkeit variierenden Modellen von Unternehmen. Dies zeigen vor allem die Illustrationen: Wie Werbegraphik zwischen Typisierung und Phantastischem häufig pendelt und computergestützte Bildverarbeitung Modellwelten hervorzuzaubern erlaubt, die Traumwelten des Massenkonsums schaffen, so erscheint auch <In meiner Nähe> trotz der einfachen, betont musterhaften Vorstellung von Waren (mit Graphiken ohne aufwändige Simulationen von Lichtreflexen) nicht selten als Bad im Konsumrausch. Die Geschäftswelt erscheint in ihrem glatten, von Alterserscheinungen abgelösten Traumzustand, der ihrem realen Image entspricht.

Die Links in den Unternehmens-Features irritieren, da sie häufig zu realen Konkurrenzunternehmen führen. Viele nicht mehr funktionierende Links zeigen, wie wenig sich auch die Netzwirklichkeit alterslos geben kann, sofern nicht Linkadressen von Anfang an Fakes waren und nirgendwo hin führten. Der Firmenkontakt wird nicht mittels Bestellformularen und Warenkorb, sondern mittels beliebig beschreibbarer e-Mail-Seite mit der Adressenvariation "...@inmeinernaehe.de" hergestellt, als wäre das Shoppingsystem ein Zusatzangebot eines Providers, dessen Internetzugang alle aufgeführten Unternehmen verwenden. Der Empfänger aller e-Mails ist Friese, der sie "groesstenteils beantwortet." (H.F., e-Mail an d. A., 9.11.01)

Die Unternehmens-Seiten hat Friese aus dem Großen Data Becker Homepage Paket kopiert und Adressen entfernt. Friese stellte in einer Internetpräsentation (shift e.V., Berlin, 23.1.1999) nicht nur das <Homepage Paket> und eine Präsentationsfassung von <In meiner Nähe> vor, sondern auch Beispiele des Programmgebrauchs, die er mittels Suchsystemen fand. Da Suchsysteme die <HEAD><TITLE>-Angaben im Quelltext erfassen und in ihre Listen übernehmen, konnte Friese Websites vorführen, die Seiten mit Titeln des <Home Pakets> enthalten: Friese zeigte Seiten von Unternehmens-Sites, in denen die für Suchsysteme relevante, im Ausdruck sichtbare Überschrift, die im <Homepage Paket> den Namen eines virtuellen Unternehmens enthält, nicht ersetzt wurde. Auch über Copyright-Angaben der am <Homepage Paket> beteiligten Designer im WYSIWYG Editor und über Namen von Bild-Dateien konnte Friese <Homepage Paket>-Anwender mit Suchsystemen ausfindig machen.

oT.bsp-Quake Level (Dezember 1999) besteht aus einer abladbaren Erweiterung des "multiplayer-game" Quake 1.0, dessen Quellcode von ID Software freigegeben wurde. 3 Friese verändert die Räume der Spielvorlage: Er vereinfacht die Architektur der Spiellevel zu grossen, unverstellten blauen Räumen mit schwebenden Objekten. Außerdem ersetzt er die Texturen der dunklen `Kampf´-Räume durch grafische Elemente aus seinem Bildarchiv: Muster von Küchenhandtüchern, Rauhfasertapeten etc.

Frieses Quake Level bleibt ein Ballerspiel, allerdings führt er Kampfhandlungen ad absurdum. Decken und Wände bewegen sich und erschweren die Orientierung. Räume ohne Ein- oder Ausgänge verschaffen Zugang zu viel Munition, obwohl kein Gegner zu erwarten ist. "Wurmlöcher" bzw. "unsichtbare Teleporter" versetzen User unerwartet in andere Räume. Abläufe zwischen Spielfiguren erscheinen absurd und die Auslösung von Suizid ist manchmal die einzige Offerte zur Fortsetzung des Spieles. Frieses <Level> problematisiert das Interesse für Ballerspiele innerhalb der vorprogrammierten Schießfunktionen mit Verstößen gegen Konstruktionen attraktiver Kampfsituationen.

Während <In meiner Nähe> den Kontext von Shoppingsystemen aus ready made übernommenen und nur geringfügig modifizierten Vorlagen konstruiert, integriert <oT.bsp-Quake Level> das Programm der Vorlage und modifiziert dessen Anwendung: War vorher die Modifikation peripher, wird sie jetzt zentral.

Friese führt Usern ihr Verhalten in einer zunächst an Erwartungshorizonte anschliessenden, sie dann unterwandernden Weise vor, die zu reflexiver Selbstorientierung in und zwischen Seiten (oder Spielebenen) seiner Projekte provoziert.


Medienbeobachtung und/oder Anschlussformen

In NetArt: Einführung schrieb d. A. im Kapitel Medienformen:

Eine populistisch orientierte Kritik kann Netzprojekten Aufmerksamkeit verschaffen, die einfacher zu rezipieren sind, weil sie dominant von Anschlussformen an Gattungsnormen 4 und/oder an Codes beziehungsweise narrative Elemente der Pop Kultur 5 geprägt sind...
Dieser Textabschnitt und die Erwähnung von Holger Frieses <unendlich, fast...> (Anm.16 bzw. hier der relevante Textabschnitt mit Anm.4) führten zwischen 22. und 28. Februar 2001 zu einer e-Mail-Diskussion zwischen Künstler (HF) und Autor (TD), die hier (leicht verändert: mit Korrekturen, Anmerkungen und wenigen Kürzungen) wiedergegeben wird.

HF: habe heute per zufall ihren text [NetArt: Einführung] im netz gefunden und gelesen.

sie fuehren meine arbeit <unendlich, fast...> als beleg fuer die gattung "gut geklaut ist halb beruehmt" an. das moechte ich dann doch so nicht stehen lassen:

sie mag vielleicht auf den ersten blick als "hommage an yves klein" erscheinen (die einzige mir bekannte quelle, die diesen bezug herstellt ist eine bildunterschrift in einem beitrag der illustrierten "bunte" zur dX) doch diese rezeption greift ein bisschen kurz. besser gesagt sie uebergeht den "medienimmanenten" teil der arbeit, die scrollbars.

denn wenn man diese sieht und dann auch noch bedient kann man durch scrollen feststellen, dass es keine monochrome farbflaeche ist.

TD: Ihre Zusammenfassung "gut geklaut ist halb berühmt" halte ich für eine inadäquate Wiedergabe meiner Erörterung: Ich behaupte, dass Netzprojekte, die an Gattungsnormen anschliessen, eine populistisch orientierte Netzkritik leichter dazu verwenden kann, Aufmerksamkeit für Netzkunst zu erzeugen. Seit wann gilt der künstlerische Einsatz von Vorcodiertem als "geklaut"?

In der medienhistorischen Fragestellung des Abschnitts über Medienformen erscheinen Netzprojekte mit "Anschlussformen an Etabliertes" problematisch (sie können mit dieser Problematik auch erfolgreich umgehen), doch hat das nichts mit der Wertung "geklaut" zu tun. Vielmehr halte ich mir die Überlegung offen, wie notwendig leicht(er) rezipierbare Netzprojekte für die Rezeption von NetArt sind beziehungsweise welche Spuren Werke, die zu Beginn einer neuen Medienform ihr Publikum fanden, im Werk nachfolgender KünstlerInnen hinterlassen.

Sie schließen in Ihrer Kritik auf Werturteile, wo mein Text Ihr Netzprojekt durch eine Anmerkung lediglich einem Problemfeld zuordnet. Ihre medienimmanenten Abweichungen von Monochromie habe ich als medienspezifische Varianten der malerischen Abweichungen von Monochromie durch Farbschichten beurteilt: Wie viele monochrome Bilder sind reine Monochromie? Ebensowenig zeigt <unendlich, fast...> ein rein monochromes Feld.

HF: nun ob das wirklich eine zusammenfassung ist, es [der Satz "gut geklaut ist halb beruehmt"] war eher eine saloppe formulierung. sorry, wenn sie sich durch diese formulierung getroffen fuehlten.

gut lassen sie uns ueber populistische netzkritik reden. wie unterscheidet sich diese form der netzkritik von anderen? welche kritiker wuerden sie in diese gattung einordnen? ich fuer meinen teil denke dass dieser teil der kritik dem publikum nicht hilft, da er das wesen der arbeiten selten erfasst und daher auch nicht vermitteln kann oder will. ich lasse mich da aber auch gerne vom gegenteil ueberzeugen.

die entscheidende frage ist ob die arbeit [<unendlich, fast...>] in dieses problemfeld [der Anschlussformen an Gattungsnormen, hier der monochromen Malerei] passt.

fuer mich stellt es sich als ein nicht besonders gegluecktes beispiel ihrer these dar, denn es wird als beispiel weder der etablierten gattung noch ihrer anschlussform gerecht.

1. handwerkliche / technische momente

bei der betrachtung eines yves klein werks, oder jedem anderen bild das in die sparte monochrom eingeordnet werden kann sind der duktus, die farbabstufungen und insbesondere das reflexionsverhalten der pigmente teil der rezeption des werkes. (all dieses ist bei der representation als jpg bild schon so gut wie weg, daher koennte man auch fragen ob es sinn macht gemalte bilder im internet verfuegbar zu machen)

bei <unendlich, fast...> ist all dies nicht vorhanden, es ist einfach ein rgb wert der ueber die flaeche gezogen wird. da chanchiert nix. kann ja auch nicht, wenn ich die arbeit malerisch beschreiben wollte, muesste ich das blau als hintergrund (= leinwand) sehen: technisch gesehen ist es das auch (body bgcolor="#000088"). so gesehen ist die leinwand industriell blau gefaerbt und mein gestalterischer eingriff ist die plazierung eines kleinen gemalten bildes rechts an der seite.

2. visuelle momente

wenn sich mein blau mit yves kleins messen muss, dann sieht mein blau einfach besch....en aus. denn die intensitaet des IKB auf dem computermonitor abzubilden muss auf grund der technischen gegebenheiten scheitern.

3. inhaltliche momente

dass es eine gewisse naehe gibt, wenn man blau und blau vergleicht ist unbestritten. aber warum hat die seite dann scrollbars? um mir blau nach rechts und unten an zusehen? das waere dann wirklich einfach fuer den betrachter, aber leider auch fuerchterlich langweilig.

nein, es geht um den moment "da ist irgendwo irgendwas", und dann sind wir weg von yves klein.

ein vorschlag:

ersetzen sie <unendlich, fast...> durch http://www.piffle.demon.co.uk/browsing/browsing.html [David Barrett: just browsing].

denke dann bin ich zufrieden und fuer den leser wird es klarer.

TD: Unsere Diskussion könnte sich bei folgenden Punkten festfahren:

1. Sie wollen festlegen, was als Anschlussform verstanden werden kann, und beziehen sich auf den Unterschied zwischen Bildobjekt und HTML-Programmierung: So können sie immer einen Unterschied zwischen (fast) monochromer Malerei und Präsentationsformen mit (fast) monochromen Flächen im Netz herstellen (Das gilt auch für David Barretts <just browsing>). Ich verwende den Begriff Anschlussform mit Rücksicht auf Beobachtungsoperationen, die subjektiv oder mittels Konventionen festlegen, was als `anschließend´ auf der Basis vergleichbarer Eigenschaften betrachtet werden kann. Da Anschlussform nicht meint, dass Anschließendes identisch mit einer Vorgabe oder einem Musterfall sein muss, hilft es mir auch nicht weiter, wenn Sie Differenzen zwischen monochromer Malerei und <unendlich, fast...> aufzählen. Übrigens kann auch Barrett Differenzen geltend machen (s. u.).

2. Aus der Aufzählung von Abweichungen ergibt sich noch kein überzeugendes Argument dafür, dass "unendlich, fast..." ein überzeugendes Modell eines Netzgebrauchs (bzw. für ein künstlerisches Beobachtungsmodell des (Trans-)Mediums Internet 6) sei: Die Abweichungen müssten zu einer De- und/oder Rekonstruktion von Medienbeobachtung führen. Also helfen Sie sich am besten mit Interpretationsvorschlägen. Wie können Scrollbars und Störfaktoren in Blau Erkenntnisinteresse wecken? Worin liegt der Unterschied von "da ist irgendwo irgendwas" bei einem (fast) monochromen Gemälde und Ihrem Netzprojekt? Sind nicht alle monochromen Gemälde fast monochrom und nur Barretts elektronische Flächen sind als programmierte Monochromie auch reine Monochromie? Hebt Barrett nicht hierin und in der Präsentationsform von Flächen, die Bildern entlehnte Ausmasse besitzen, einen entscheidenden Unterschied zwischen Bild und Netz hervor, und liefert damit immerhin so etwas wie ein Minimalmodell einer Internetbeobachtung in künstlerischer/kunsthistorischer Perspektive? Allerdings wird dadurch das Netz noch nicht zu einem aufregenden Medium, sondern eher ist eine Pflichtübung absolviert worden. Was bieten Sie mehr?

Eine überzeugende Antwort auf Frage 2. macht das in Frage 1. angesprochene Problem nicht überflüssig: Warum sollten Modelle für Medienbeobachtung, die mit Anschlussformen arbeiten, unergiebig für User sein, die nach Netzprojekten suchen, welche Vorstellungen von netzimmanenten Möglichkeiten erweitern?

HF: ich will garnix festlegen. wenn sie meine arbeit in diesem kontext sehen ist das ihr gutes recht. ich sehe nur meine arbeit nicht im kontext "monochrome malerei", denn fuer mich ist der vergleich nicht schluessig.

– [Zum Kriterium "Anschlussform" bei künstlerischen Netzprojekten:]

denke es gibt durchaus anschlussformen die fuer den user erhellend sein koennen.

z.b. wenn ein kuenstler der primaer in anderen medien oder techniken arbeitet auch arbeiten in medium netz erstellt (erstellen laesst). und somit ausgehend vom "klassischen werk" eine reflektion beim user ueber verbindendes und trennendes einsetzt. also die anschlussform im eigenen werk.

– [Zur Frage, ob nicht David Barretts <just browsing> das adäquate Beispiel für Anschlussformen von NetArt an monochrome Malerei ist:] um hier noch einmal auf die technik zurueck zu kommen, wenn jemand sich identisch mit einer vorgabe auseinander setzen wuerde und eine kopie eines kleins von der leinwand ins netz transportieren wollte, dann wuerde er eine grafikdatei (denn nur in der waeren die malerischen abstufungen, eventuell sogar teile des duktus abbildbar) benutzen. nur waere diese datei so gross dass der betrachter bis zum sankt nimmerleins tag (ich weiss ich uebertreibe) warten muss bis die datei auf seinem monitor erscheint. und das waere dann meiner meinung nach auch nicht mehr netzimmanent.

wenn barrett keine differenzen haette, wurde er klein ja nur kopieren.

– [Zum Problem der Abweichungen, die zu einer De- und/oder Rekonstruktion von Medienbeobachtung führen sollten:]

hmmmmm ging es darum? muss ich beweisen dass meine arbeit toll ist? die aufzaehlung bezog sich darauf unterschiede zwischen "objekten" auf zuzeigen, nicht meine arbeit groesser, schoener, schneller zu machen. gut aber wenn es ihnen sinnvoll erscheint koennte ich ihnen gerne ein paar argumente liefern (die haben nur alle nix mit monochromer malerei zu tun).

– [Zur Frage: Was bieten Sie mehr?]

meine schlagsahne ist meistens bitter. und sie ist deshalb bitter da mein anschluss nicht yves klein ist, sondern die gestaltung kommerzieller websites. sie reflektiert den umgang der gesellschaft mit dem medium: das suchen, das warten, die erwartungshaltung. (und auch ihr zweites beispiel every icon ist fuer mich eher als anschlussform an windows oder MacOS zu sehen, als an den grid in der malerei). das referenzsystem beider arbeiten ist nicht primaer kunstgeschichtlich zu sehen.

das netz wird nicht erst durch kunst - ob als anschlussform, oder neue form - zum aufregenden medium.

denke das wirklich aufregende ist immer noch der zugriff auf informationen (oder auch die moeglichkeit der kommunikation, wie wir sie hier pflegen). kunst ist nur das sahnehaeubchen.

TD: Das Hauptproblem der Diskussion könnte in Ihrem Satz (und dem Kontext, den Sie ihm geben) liegen. Ich zitiere Sie:

das referenzsystem beider arbeiten ["unendlich fast..." und "just browsing"] ist nicht primaer kunstgeschichtlich zu sehen.
Anschlussformen können ein Konzept auch verkleiden und den User auf eine falsche Fährte locken. Außerdem gibt es nicht nur einen Anschluss an Vorangegangenes, sondern es können mehrere Anschlüsse sein; und das, woran angeschlossen wird, kann aus verschiedenen Kontexten/Kontexturen 7 stammen. Entweder ergeben sich daraus verschiedene Rezeptionsebenen, oder die verschiedenen Referenzpunkte dienen zur Schaffung einer Problemzone (die auch aus Relationen zwischen Kontexturen bestehen kann).

Offensichtlich versuchen Sie die bei Netzkunst schwer vermeidbare Frage nach neuer Programmierung oder Programmanwendung 8 tiefer zu hängen und die Funktion von Werken/Netzprojekten, Diskussionsanlass zu sein, höher. Die Lieferung von Diskussionsanlässen durch die Täuschung von Erwartungshaltungen ist offensichtlich eines Ihrer Anliegen, das Ihrer Ansicht nach bei "unendlich fast..." durch den Hinweis auf Formen, die Erinnerungen an etablierte Medienformen der Kunst aufkommen lassen, gestört wird.

Charles Harrison und Fred Orton thematisierten in den "Painted by Mouth"-Bildern von Art & Language ("Portraits of V. I. Lenin in the Style of Jackson Pollock") den Unterschied zwischen Beobachtern, die das Werk primär formal (also an abstrakte Kunst, hier vor allem an Pollock, anschließend) oder primär darstellend (also an realistische Traditionen anschließend) sehen (wollen und können), indem sie zeigten, wie sehr die beiden (einseitigen) Rezeptionen das Grundlegende verfehlen: die Frage, wie Kunst (re)konzeptualisiert werden kann, wenn die einseitigen Beobachtungsweisen beider Richtungen hinterfragt werden. 9

Wir können weiter gehen und fragen, wie kann Kunst als Denkanstoß wirken, wenn sie sich nicht allein auf Subsysteme des Kommunikationssystems Kunst verlassen kann, und auch kein anderes `Dachsystem´ als Hauptreferenzpunkt existiert? Ergibt es sich nicht bei Intermedia Art, dass nicht nur Kunst-, sondern auch Medienbeobachtung 10 und Aspekte der Weltbeobachtung (die sich nicht direkt aus der jeweiligen Medienbeobachtung ergeben) eine Rolle spielen?

Wer von vorcodierten Weisen der Kunstbeobachtung aus <unendlich, fast...> rezipieren will, soll offenbar zu einem Einstellungswechsel auf Medienbeobachtung umgelenkt werden. 11 Dass dazu nicht allein das Netzprojekt verhelfen kann, weil es nur Rezeptionsbedingungen durch Formen und Funktionen schafft, aber keinen verbalen Hinweis enthält, und dass das Netzprojekt auf kritische Rezeption setzt, die Sie notfalls beeinflussen können (wie es hier geschieht, warum nicht), ist offensichtlich Teil Ihrer Strategie.

HF: lieber herr dreher wir kommen der sache naeher.



Dr. Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München.

Copyright © by the author, November 2001. All rights reserved.
This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and IASL online.
For other permission, please contact IASL online.

Wollen Sie dazu Stellung nehmen oder einen eigenen Tip geben? Dann schicken Sie uns eine E-Mail.

Übrigens: Drehers Homepage bietet zahlreiche kunstkritische Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und Intermedia Art.


Fußnoten

1 Holger Friese, zit. nach: Vannuchi, Hélia: eine Untersuchung des kreativen Prozesses im Werk "Unendlich, fast...", Auszüge in: "sub fiction", 3. Werkleitz Biennale 1998, Konsumgebäude Tornitz, Internetpräsentation 1, vorgestellt von Joachim Blank und den KünstlerInnen. In: URL: http://www.werkleitz.de/sub-fiction/text/cat/friese.html. Die Dauer von 100 Sekunden ist "über eine refresh schleife fest eingebunden." Die Dauer der Anzeige der aktuellen Zahl "wird ueber ein skript gesteuert" (Friese, e-Mail an d. A., 9.11.2001) zurück

2 "Antworten" gehört Hans Dieter Huber und Hannelore Pawlik-Huber. Die Webadresse mit öffentlichem Zugang ist nach Verkaufsvertrag vom 23.11.1998 Teil des Projektes. Kündigt der Sammler den Domainnamen, dann hat der Künstler "das Recht, den Domainnamen zu übernehmen". Friese und Kossatz orientieren sich im Verkaufsvertrag, wenn sie für sich 15 % Gewinnbeteiligung an zukünftigen Wertsteigerungen festlegen, an Seth Siegelaubs Mustervertrag vom 24.2.1971 (Szeemann, Harald (Hg.): Documenta 5. Kat. Ausst. Museum Fridericianum und Neue Galerie Schöne Aussicht. Kassel 1972, S.18.15-18.38).

Der Sammler unterstützt mit seinem Kauf den Programmierer und löst damit ein, was schon Joseph Kosuth für die Concept Art und ihre Vorläufer reklamierte: "When someone `buys´ a [neon work of Dan] Flavin he isn´t buying a light show, for if he was he could just go to a hardware store and get the goods for considerably less. He isn´t buying anything. He is subsidizing Flavin´s activity as an artist." (Kosuth, Joseph: Art after Philosophy, part I, in: Studio International, October 1969, S.137, Anm.17). Hubers Interpretation von "Antworten" verleiht diesem an Konzepten und nicht an besitzbarem Material orientierten Sammlerverständnis Nachdruck: Ders.: Crash Test Dummies oder Die Philosophie des Wartens: www.antworten.de. In: Kuni, Verena (Hg.): Netz.Kunst. Institut für moderne Kunst Nürnberg. Jahrbuch `98/`99. Nürnberg 1999, S.40f. Auch in: URL: http://www.hgb-leipzig.de/artnine/huber/aufsaetze/antworten.html. Huber zum Problem des Sammelns von NetArt: Ders.: Netzkunst und Sammlertätigkeit der Kunstmuseen. In: URL: http://www.hgb-leipzig.de/artnine/huber/aufsaetze/netzmus.html. zurück

3 Den Internet-Zugang für beliebig viele Spieler ermöglichte bei Reload-Ausstellungen ein dafür eingerichteter Server. Voraussetzung für diese Zuschaltung war, dass die Spieler auf ihrem Rechner eine Quake 3-Version und Frieses "Level" abgespeichert hatten. zurück

4 Vgl. Holger Friese-unendlich fast (1995), an "IKB (International [Yves] Klein Blue)"-Monochrome anschließend (Wember, Paul: Yves Klein. Köln 1969, S.11-14,72-75); John Simon Jr.-Every Icon (1997), an das "Grid" als Paradigma in der Malerei des 20. Jahrhunderts und als "emblem of modernity" anschließend (Krauss, Rosalind: Grids, You Say. In: Glimcher, Arnold/Hoffeld, Jeffrey (Hg.): Grids. Format and Image in the 20th Century Art. Kat. The Pace Gallery. New York 1978, o. P.). zurück

5 Vgl. die Website der schweizer Künstlergruppe etoy (1995); Napier, Mark: Distorted Barbie (1996). In: http://ezone.org/ez/e7/articles/napier/barbie.html. zurück

6 "Transmedium": Sandbothe, Mike: Transversale Medienwelten. Philosophische Überlegungen zum Internet. In: Vattimo, Gianni/Welsch, Wolfgang (Hg.): Medien - Welten Wirklichkeiten. München 1998, S.59. Abweichende Fassung in: URL: http://www.uni-magdeburg.de/iew/html/body_dgfe_seite.html. zurück

7 "Kontexturen": Baecker, Dirk: Kalkül der Form. Frankfurt am Main 1993, S.162f.,185ff.,193-196; Fuchs, Peter: Die Erreichbarkeit der Gesellschaft. Zur Konstruktion und Imagination gesellschaftlicher Einheit. Frankfurt am Main 1992, S.48ff.,77,119 mit Anm.7; Klagenfurt, Kurt: Technologische Zivilisation und transklassische Logik. Frankfurt am Main 1995, S.49-56,80f.,140f.; Luhmann, Niklas: Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1995, S.60,495. zurück

8 "new media avantgarde", in: Manovich, Lev: Avant-garde as Software (1999), abladbar von URL: http://www.manovich.net/texts_00.htm. zurück

9 Harrison, Charles/Orton, Fred: A Provisional History of Art & Language. Paris 1982, S.69. Übertragen auf die Debatte HF/TD: Sowohl der Anschluss an monochrome Malerei als auch netzspezifische Kriterien (Scrollbars, HTML-Farbcode) sind relevant für Rekonstruktionen des Konzepts von <unendlich, fast...> zurück

10 also: Beobachtung der jeweiligen Medienkombination und - wenn gegeben - des Transmediums (s. Anm.6), das diese Medienkombination ermöglicht. zurück

11 Die Umlenkung setzt ein Userinteresse an <unendlich, fast...> wegen seiner Verwandtschaft mit monochromer Malerei voraus, während HF jeden Bezug zur Malerei ablehnt. zurück


vorige Lektion | Überblick aller Lektionen | nächste Lektion
Anfang | Home | Index NetArt