IASLonline Lektionen in NetArt


Thomas Dreher

Andyland / Artcontext (Deck)


Andrew C. Deck (*1968, lehrt z. Zt. an der School of Visual Arts, New York) offeriert auf seinen Websites andyland und artcontext "conceptual and collaborative Web art" und einige Texte, die Folgen korporativ organisierter Marktstrategien vom Standpunkt des "open resource movement" kritisieren.

Space Invaders Act 1732 (1995-98, Prix Ars Electronica 1998, Honorary Mention) ermöglicht es Usern, durch Eingabe von Webadressen eine Datei mit Links zu Sites anzulegen, "that exposes a menacing corporation".

Deck und Joe Dellinger verzichten in dem ebenfalls informationsorientierten Webwork Commission Control (1999) auf Interaktivität. Sie offerieren Hintergrundinformationen (Dokumente der NATO, der U.S. Air Force, des Weißen Hauses, des Internationalen Gerichtshofes u. a.) und Bilder zum Kosovo-Krieg:

...the authorsī perspective is not neutral, but above all their aim is to focus attention on the war in Yugoslavia, encouraging people to investigate beyond the blind suppositions of >clean< war ...

Tilman Baumgärtel hat in "Klick dich durch den Krieg" (Spiegel online, 25.5.1999) dieser Website einen herausragenden Platz im Vergleich zu anderen Websites, die Reaktionen von Künstlern auf den Kosovo-Krieg zeigen, eingeräumt.

In dem interaktiven Webwork Icontext (1999) ermöglicht es Deck dem User, entweder über das Beschreiben einer Buchstabenfläche oder das Bearbeiten einer Bildfläche aus vielen kleinen Quadraten (Pixel) zu einem Bild-Buchstaben-Paar zu gelangen: Die Eingaben auf einer der beiden Flächen erzeugen Korrelate auf der anderen Seite. Das Korrelationsprinzip besteht – auch beim ebenfalls möglichen Abladen von externen GIF-Dateien – aus einer isomorphen übersetzung der Farbquadrate via XPM-Bildformat in Buchstaben und umgekehrt.

Die User können sich entweder darauf beschränken, die Möglichkeiten des Systems, auf Eingaben zu reagieren, privat zu erforschen, oder mit anderen Usern interagieren.

In Icontext und weiteren Webworks (s. u.) nimmt Deck Rücksicht auf das spielerische Verhalten von Usern:

Iīve tried to figure out ways to use interaction between people in such a way that it wonīt fall flat if they just doodle, which is what people tend to do. I would like to demonstrate that there is a potential for doing interesting things together online, collaboratively.(Mirapaul, Matthew: Exploring the Aesthetics of Plain Old Text . In: The New York Times, 30.9.1999).

In Icontext wie in Decks rein graphischen re- und interaktiven JAVA-Programmen

lassen sich – anders als in Graphic Jam (s. u.) – die Beiträge von Mitspielern speichern. Die graphischen Paletten, aus denen der mit der Maus zeichnende User in Blackboard und Open Studio Farbformen wählen kann, antizipieren das "collaborative graphic tool" von Graphic Jam;, dem Mark Napiers scribble software hinzugefügt wurde. Graphic Jam ist der vorläufige Höhepunkt von Decks 1995 begonnener ongoing research into...drawing software - und das gerade durch die Reduktion von Programm-Möglichkeiten wie Speicher- und Löschfunktionen.


Graphic Jam

Graphic Jam haben Andy Deck und Mark Napier gemeinsam entwickelt und 1999 vorgestellt. In der linken Spalte befinden sich die Bottons für Farbformkombinationen, die in der Bildfläche rechts eingesetzt werden können. Ein weiterer Botton dient der Funktion, eine sofort ablaufende Sequenz, welche die zuletzt entstandenen Zeichnungen vorstellt, anhalten zu können. Da aus praktischen Gründen nur die letzten Eingaben gespeichert werden können, ist der >Film< ephemer, in ständiger Veränderung. Der >Film< erscheint als grellbunter experimenteller Zeichentrickfilm voller Sprünge: Free Jazz, der seinen Rhythmus durch den Farbformwechsel erhält.

Während der Eingabe arbeiten User an der Veränderung des letzten oder eines früheren, angehaltenen Bildes des >Zeichentrickfilmes<, bei der erneuten Ansicht des >Filmes< dagegen erscheinen die vorletzte und die letzte, eigene Zeichnung nacheinander.

Wieviele Benutzer gleichzeitig Graphic Jam visitieren, wird in der linken Spalte angezeigt. Maximal zehn Benutzer können simultan an einer Zeichnung arbeiten. Es gibt anders als in Icontext keine Möglichkeit für User, sich aus der kollektiven Anwendung der bewußt einfach gehaltenen graphischen Funktionen auszublenden.

Graphic Jam liefert eine sehr einprägsame Lösung für eine anonyme, rein graphische Interaktivität im Netz, die von Usern weder besondere artistische Fähigkeiten verlangt noch Programmierkenntnis voraussetzt (zwei Hemmschwellen, die für die Kollaboration bei SITO durch das Niveau der bereits gespeicherten Beiträge und durch die Voraussetzungen entstehen, die beim Abspeichern erfüllt werden müssen, siehe vorletzter NetArt Tip) - Mark Napier: "Hier können Leute zusammenarbeiten, die sich nicht als Künstler betrachten." (Tilman Baumgärtel: Digitale Graffiti. In: Telepolis, 3.3.1999)


Playout

In der Zweiteilung von informationsorientierter und Medienmöglichkeiten erprobender Strategie wiederholt sich in Decks Netzkunstpraxis die Aufteilung in sozial orientierte, dokumentierende und kunstreflexive Konzeptuelle Kunst, wie sie noch Anfang der siebziger Jahre vorzufinden war.

Ansätze zu einer Verbindung beider Seiten sind in Playout (2000) erkennbar, das Deck mit Andrej Tisma (*1952) realisiert hat. Abstrakte Muster teilen das Monitorbild in Felder und verwandeln sich durch Anklicken in simultan erscheinende Bilder und Kurzfilme aus den Bereichen Militär und Pornographie. Der User findet in der Menge der Bildfenster auch eines mit der Aufforderung, Bilddateien eigener Wahl (bis 20 KB) abzuladen. Ein Bildfenster zeigt "Recent Uploads" von ehemaligen Usern.

Die Autoren kündigen Playout in einer e-Mail-Information reißerisch an:

PLAYOUT makes mediated war-porn erotica almost as fun and engaging as all-out global aggression. It is sure to be one of your Web favorites. (14.1.2000)

In der Information – wie auch in der Einleitung zu Playout – wird die reißerische Sprache der Werbung adaptiert, während der Titel in eine andere Richtung weist: Konträr zur Semantik der von Deck und Tisma den Mustern zugeordneten Fragmenten, die als Stellvertreter etablierter Systeme leicht erkennbar sind, arbeitet die "patented ad hoc link structure": Wechselseitige Affirmationen und Spannungen zwischen Militär und Pornographie werden in indifferentes Nebeneinander überführt.

Playout läßt den User in Informationsfluten anders schwimmen als dies massenmediale Spektakel-Organisationen tun: Den Versuchen der wechselseitigen Überbietung durch Spektakelreihen steht die durch indifferentes Nebeneinander bewirkte Zerstreuung der Lust am sich steigernden Effekt - erzeugt durch Gewalt und Sex – und an der Zerstreuung (als Zerstreuung der Lust an der Zerstreuung), bewirkt durch Häufung des Angebots – gegenüber: Die neben- und übereinander erscheinenden Bildrahmen provozieren zwar die Aufmerksamkeit, sind aber zugleich desorientierend und neutralisieren den Inhalt.

Tonsequenzen erscheinen sowohl in Verbindung mit ihrem Rahmen, seit dessen Erscheinen sie gleichzeitig zu hören sind, als auch im Gesamtzusammenhang der simultanen Rahmen vom Ursprung losgelöst, disloziert.

Weiteres Anklicken der erscheinenden Bilder bewirkt häufig nach ein bis zwei Bildern das Wiedererscheinen der abstrakten Muster, die zuerst zu sehen waren. Erkundungen der Websites, von denen die Bilder stammen, sind nicht möglich, da dem User die "link structure" nicht zugänglich ist.


Gegen korporativ organisierte Restriktionen im Netz

Möglichkeiten der Verbindung von sozialem Engagement und Medienreflexion, wie sie im Laufe der siebziger Jahre von Art & Language und Victor Burgin entwickelt wurden, liefert Deck vor Playout vor allem in Texten, die restriktive Auswirkungen der korporativ entwickelten und distribuierten Software reflektieren (Regressive Tendencies, Ground Work).

Das Interesse von Deck und Napier, den Programmierern von Graphic Jam (s. o.), an möglichst einfachen Programmen für kollaborative Bildkreation und ihr kritisches Engagement gegen restriktive Einflußnahmen auf das Internet sind komplementär – denn: Interaktion setzt restriktionsfreie Räume voraus und das wiederum heißt, daß Systeme, die Korporationen für Interaktion vertreiben, nicht ohne Alternativen bleiben dürfen – mit Andy Deck:

Ich will den Leuten zeigen, daß es Alternativen zu den interaktiven Systemen gibt, die von den großen Firmen entwickelt wurden. (Tilman Baumgärtel: Digitale Graffiti, s. o.)

Still an artistic, experimental vein of creative work - - programming, design, conceptualization - - is needed to broaden the vocabulary of public interactive systems, and, in so doing, reveal the authoritarian and cynical tone that already predominates.

Restriktionen von Entwicklungsmöglichkeiten, die sich aus dem korporativ organisierten Einfluß auf Programmentwicklung und -distribution ergeben, sind Decks wichtigster Kritikpunkt. Er erweitert in Control-shift Option (2000) seine Kritik um eine Problematisierung, wie Korporationen Suchsysteme – als deren kommerziell orientierte Betreiber wie als deren User – beeinflußen. NetArt wird nach Deck auf der Produktionsseite durch die etablierten Browser und auf der Distributionsseite durch die auf Werber ausgerichteten Suchsysteme eingeschränkt. Gegenüber dieser zweiseitigen Einschränkung verhalten sich "artists and public institutions", so Deck, zu passiv:

Lacking solidarity and enacting the poor theater of reactive survival, they contribute to the centralization of control over Internet culture.


Copyright und "the open source movement"

Mit dem Copyright von Autoren setzt sich Deck in Scrapbook (1999) auseinander, da er ohne Genehmigung von Autoren gefundene Texte über Aspekte der Medien und der Politik zugänglich macht, die sich auch mit Copyright-Fragen auseinander setzen (Michael Albert, Noam Chomsky, Beiträge in "Disinformation"):

While it may seem that my appropriations violate some copyright laws, I feel that because I have clearly marked the questionable links, it is you who make the choice to reproduce these materials. After all, if you donīt copy them, then they are just documents on my hard drive, and I know of no laws (as yet) that restrict my hard drive.
Hier wird das Copyright-Problem vom Urheber der Abspeicherung an den User übergeben, der nur vor dem Gebrauch gewarnt werden muß – ob dieser Standpunkt sich in der Rechtsprechung durchsetzen läßt?

Napier hat 1998 in einem transkribierten "realtime chat" mit Terry Fisher über Intellectual Property in Cyberspace sich dazu bekannt, daß nach seiner Ansicht Websites kopiert werden dürfen, aber bei Übernahmen der Urheber des Appropriierten genannt werden sollte. Napiers Haltung setzt den nichtkommerziellen Charakter seiner Internetpraxis voraus: Was nach Abzug von Verdienstmöglichkeiten bleibt, ist Reputation. Aus Napiers Position läßt sich für Graphic Jam schließen, daß Kopien des Webwork mit Nennung der Autoren erfolgen sollen, während die User-Interaktivität anonym bleibt.

Die auf den Websites von Deck und Napier (siehe letzter Tip des Monats) problematisierten Copyright-Aspekte provozieren zu folgender Frage: Ist in Kreisen der nichtkorporativen User des Internet der Verzicht auf Copyrightansprüche von Softwareentwicklungen (LINUX) gewollt, um Urhebern von Programmanwendungen Selbstdarstellungen zu erleichtern? Die Forderung auf den Verzicht auf urheberrechtliche Ansprüche bei Programmen verbindet Deck mit Hinweisen auf nichtkorporative Entwicklungsverfahren von LINUX ("the open source movement"): Die Internetgemeinde erschafft sich ihre eigenen, frei verfügbaren Werkzeuge.

Frei zugängliche Programme und die Achtung von Urheberrechten der Programmanwender sind komplementäre Forderungen von Deck an einen Verhaltenscodex des Internet. Dieser Verhaltenscodex stellt Übertragungen bestehender Copyright-Gesetze auf das Internet in Frage, da er den Anspruch möglichst allgemeiner Verfügbarkeit auch auf Kosten der Verwertung von Copyrightansprüchen zum Imperativ erhebt (Im europäischen Kontext hieße das, Patentrechte bei Webprogrammen auszusetzen und Urheberrechte an Resultaten, die mit diesen Programmen erzielt wurden, zu achten).

Doch wie steht es mit Möglichkeiten der Durchsetzung einer Priorität der Programmnutzung vor Verwertungsrechten im Rechtsstreit? Da Marktstrategien ohne rechtliche Handhabe nicht dauerhaft aufgehalten werden können, liegt das Hauptproblem für die Durchsetzung eines wirtschaftliche Interessen beschränkenden Verhaltenscodex darin, ob Entscheidungsträger in Instanzen der Gesetzgebung dessen sozialen Anspruch schrittweise in Rechtspositionen umsetzen.


Dr. Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München.

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Übrigens: Drehers Homepage bietet zahlreiche kunstkritische Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und Intermedia Art.



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