Mit den Ego-Shootern wird ein wichtiger Teil der Entwicklung von Computerspielen, wie Kapitel VII.1.3 zeigt, von "Immersion" (s. Kap. VII.1.3.2, Anm.76) bestimmt: Entscheidend für die "Involvierung" (s. Kap. VII.1.3.2, Anm.76) ins Spiel ist, wie sich Spieler zwischen Eingabeelementen und dem Monitor mit der Simulation der Spielwelt verhalten. Spieler können sich trainieren im Erkennen von Zusammenhängen zwischen der Spielwelt auf dem Monitor und den von Konsolen, Joysticks, Mäusen und/oder Manuals gebotenen Möglichkeiten, so zu agieren, dass Spielanforderungen erfüllbar und Gewinnchancen erarbeitbar sind.
Mit der Ausklammerung der an Eingabegeräten und Monitor (technisches
Interface) nicht geforderten Körperteile folgen Computerspiele der
Reduktion von Arbeitsprozessen auf den Gebrauch von Augen und Händen.
1 Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Weiterentwicklung
der maschinell organisierten Reduktion von Arbeitsprozessen auf wenige
involvierte Körperteile auch in der Digitalisierung von Organisationsprozessen
ein wichtiger Faktor. Dagegen bieten die in Kapitel V erläuterten
reaktiven Installationen der ersten Hälfte der neunziger Jahre Interfaces
für eine umfassendere Körperkoordination: Der bewegte Körper
ist nicht mehr nur mit koordinierten Augen- und Handbewegungen in das
Werk integriert.
In Christian Möllers "Space
(im)Balance" (1992) 2 bewegen sich Beobachter
auf einer brückenähnlichen Plattform. Sie verändern durch
Gewichtsverlagerung die Neigung der Brücke. Mit der Veränderung
der Brückenneigung betätigen die Beobachter das Interface zu
zwei Projektionen einer 3D-Welt. Die Projektionen auf zwei gegenüberliegenden
Längsseiten der Brücke zeigen Kugeln, die sich in einem simulierten
Gang abhängig von der Brückenneigung bewegen. Auf die Änderungen
der Neigung wiederum müssen Beobachter mit einem Ausgleich ihrer
Balance reagieren, um die aufrechte Körperhaltung beibehalten zu
können. Beobachter koordinieren ihren Balanceausgleich und die
zwischen beiden Projektionen verlaufenden Kugelbewegungen miteinander.
Wenn Beobachter ihren Standpunkt auf der Brücke verändern, um
den Kugelbewegungen zwischen beiden Projektionen zu folgen, verändern
sie auch die Neigung der Brücke: Mit dem untrennbaren Zusammenhang
zwischen Bewegung auf der Brücke und Bildsimulation sind für
Beobachter Einschränkungen der Sicht auf den Kugelverlauf verbunden.
Wenn die Brückenneigung durch Körperbewegungen verändert
wird, um die Projektionen aus einem anderen Blickwinkel zu erfassen, dann
ändert sich auch der Kugelverlauf: Beobachter sind agierend der Sicht
auf den Kugelverlauf immer voraus, da jede Korrektur der Körperposition
zur Verbesserung der Sicht auf die Projektionen wieder Veränderungen
der Projektion auslöst.
Möller, Christian: Space (im)Balance, 1992, Pavillon mit reaktiver Installation im Innenraum, Donaulände, Linz.
Oben: Aufriß (Möller: Space 1992, S.158).
Unten: Innenraum des Pavillons mit einer der beiden Projektionen und Beobachterin auf der Plattform mit veränderbarer Neigung.
In "Sonic
Pong" von Time´s Up (1999) werden aus Möllers Brücke
zwei in der Neigung mit den Füßen veränderbare kleine
Platten. Aus der 2D-Tennis-Darstellung des Atari-Klassikers "Pong"
(1972, s. Kap. VII.1.2) wird eine Lichtprojektion der drei Zeichen
zwei Balken für zwei Schläger und ein Kreis als Ball begleitet
von Klängen. Die auf den Boden projizierten Leuchtbalken werden über
Veränderungen der Neigung der Platten gesteuert. Die mit den Händen
bedienbaren Schaltelemente zur Tonregulierung sind auf einem Board befestigt.
Der Ballprojektion folgt der Ton aus einer Lautsprecherreihe, die zwischen
den beiden Interfaces für Hände und Füße aufgestellt
ist.
Time´s Up: Sonic Pong, 1999, reaktive Installation.
Die Steuerung der Pong-Projektion erfordert auch hier eine Schwerkraftverlagerung, um eine aufrechte Körperhaltung beibehalten zu können. Die auf vertikalen Stangen über den bewegbaren Platten befestigten Boards geben Spielern Halt und erleichtern die Bemühungen, die aufrechte Haltung des Oberkörpers beizubehalten.
Sobald Spieler den Eindruck gewinnen, die Installation sei zur Steuerung des Klangs gebaut worden, erkennen sie, dass die einzige Möglichkeit, die Klangerzeugung aus Samples von Tönen alter Computerspiele aufrecht zu erhalten, die Fortsetzung des Spiels ist. Die mit zwei Kipphebeln und einem Druckschalter steuerbare Klangerzeugung ist tasächlich so interessant, dass die modifizerten Pong-Elemente als Interface zur Klangerzeugung verstanden werden können. 3
Nach der Entwicklung
von Internetspielen mit vielen Teilnehmern beginnt eine weitere Phase
der Verräumlichung von Spielen. Viele Teilnehmer spielen in Massively
Multiplayer Online Games (MMOG) 4 gegeneinander. Diese
Spiele werden auf mehreren Servern in verschiedenen Sprachen angeboten.
In dem Online-Rollenspiel "Neverwinter
Nights" (Massively Multiplayer Online Role Game 5,
1991-1997) konnten 1991 noch 200, dann 1997 bis zu 500 Spieler allein
oder in Teams mit Spielleitern gegeneinander spielen. Die 3D-Simulation
zeigte die Fantasy-Spielwelt im "Third Person Overview". Mit
"World War II
online" wurde im Juni 2001 ein "First Person Shooter"
(s. Kap. VII.1.3.1) vorgestellt, in den Aspekte von Rollenspielen eingingen,
wie sie bislang in Online-Spielen wie "Ultima
Online" (ab 1997) aus der Perspektive des "Third Person
Overview" gezeigt wurden. 6
Bereits im April 2001 und damit zwei Monate vor "World War
II online" wird von It´s Alive das Pervasive Game "BotFighters"
für Mobiltelefone freigegeben, die in einer 2D-Darstellung Spielern
die Standorte der Gegner anzeigen. "BotFighters" nimmt mit dem
Angebot an Spieler, ihre Rolle als Kämpfer in einer der Parteien
(Rebellen gegen "Global Nations") zu wählen, die Kombination
von Rollenspiel-Elementen und Shooter in "World War II online"
zwar vorweg, reduziert aber die 3D-Simulation mit einer Radarschirm-Darstellung
auf dem Display des Mobiltelefons jeden Spielers auf eine diagrammatische
2D-Aufsicht von Spielfeldern mit Icons, den Avataren für Spieler.
Die Perspektive des Spielers in Ego Shootern ersetzt in dem Science Fiction-Kampfspiel
"Botfighters" der sich im Realraum bewegende Spieler.
It´s Alive: BotFighters 1, ab April 2001, Ansicht des
Bildschirms des Mobiltelefons.
Die diagrammatische Anzeige auf dem Bildschirm ist Teil des technischen Interface, dessen Informationen die Spieler mit ihrer Orientierung und Aktion in der Welt (Weltbeobachtung) koordinieren müssen: Das technische Interface des Mobiltelefons (Interface 2) und die Weltbeobachtung (Interface 1) werden vom Spieler miteinander in der Koordination seiner `Spielzüge´ vermittelt (Interface 3, s. Kap. VII.2.2). Die Koordination der Bewegung im Realraum mit der virtuellen Spielwelt setzt die parallele Selbstverortung des Spielers in der realen Welt und im virtuellen Kampfplatz voraus: Dabei ist das Mobiltelefon zugleich Spielstandsanzeiger und der virtuelle Teil des Kriegsschauplatzes. Es sind zwar nur bestimmte Aspekte der Orientierung und Bewegung im Realraum für das Spielsystem relevant, dennoch muss der Spieler seine Orientierung und Körperkoordination als Ganze zur Bewegung im Realraum mobilisieren.
It´s Alive: BotFighters 1, ab April 2001, Pervasive
Game, Ansichten der Website und des Bildschirms des Mobiltelefons.
Die Lokalisierung der Funkzelle, in der sich die Mobiltelefone der Spieler
befinden, nutzt die Cell-ID-Positioning Technology des Mobilfunks. Wenn
sich Gegner im Bereich derselben Funkzelle befinden, dann wird dies via
SMS mitgeteilt. Mit einem Klingeln des Mobiltelefons kann sich ein Gegner
zu jeder Tages- und Nachtzeit anmelden. Im Kampf zwischen Rebellen und
"Global Nations" kann ein Spieler auf der von ihm gewählten
Seite sein Guthaben aufbessern.
Das Guthaben und die Reihenfolge der Spieler sind auf der Website von "BotFighters" zu finden. 7 Auf der Website des kommerziellen Spiels können Teilnehmer auch die Ausrüstung ihres Avatars verbessern. 8
Der 2D-Datenraum liefert Spielern die notwendigen Informationen für die Koordination von Aktionen im Realraum. Mehr Informationen oder gar eine in 3D ausgearbeitete virtuelle Welt 9 würde Spieler in ihrer Koordination von Spielzügen im Stadtverkehr nur stören: Mit der spielorientierten Selbstorientierung im Realraum bei gleichzeitiger mobiler Vernetzung werden die bei Computerspielen für Spielzüge an der Konsole üblichen "Immersion" und "Involvierung" in virtuelle Spielräume von einem funktionalen Gebrauch der Bildschirmdaten in Spielstrategien und -zügen abgelöst. Doch die Rückversetzung der vormals im simulierten Bildraum erforderlichen Navigation in den Realraum führt für Spieler nicht mehr zur Neuauflage einer Selbstorientierung in der Art von nicht vernetzten Straßenspielen. 10
Mit der auf "BotFighter" folgenden Entwicklung von Pervasive Games wurde die Anlehnung an Computer Games zuerst vertieft 11, und dann überwunden. Auch die pädagogischen Möglichkeiten wurden erprobt.
Elf- bis zwölfjährige Schüler des Lehrgangs IVKO (Individueel
Voorgezet Kunstzinnig Onderwijs) der Amsterdamer Montessori Scholengemeenschap
(Vereinigung der Montessori-Schulen) bilden beim Pilotversuch von "Frequency
1550" (7.-9.2.2005) sechs Teams mit je vier Teilnehmern. Zwei
Spieler eines Teams bleiben im Hauptquartier in De
Waag (ehemaliges Stadttor Sint Antoniespoort, 1488). Die beiden anderen
Teammitglieder werden Pilger, die sich 1550 auf Bußreise nach Amsterdam
zur Hostie van het
Mirakel begeben.
Waag Society: Frequency 1550, Februar 2005, Pervasive Game, Pilotversuch.
Eine Hostie, die ein Kranker am 15.11.1345
vor seinem Tod erhielt, wurde in der Asche seines verbrannten Nachlasses
gefunden. Dieses Wunder wurde zum Anlass für Pilgerfahrten und
führte zum Bau einer Kapelle sowie zu einer jährlich wiederholten
Prozession, die auch nach der Konvertierung von Amsterdam 1578 zum Protestantismus
fortgesetzt wurde. Sie wird von Katholiken seit 1881 als Stille Prozession
ohne religiöse Attribute abgehalten.
Die Teilnehmer des Spiels sollen in ihrer Rolle als Pilger
die (im Spiel) verschwundene Hostie wieder finden und ein Kloster bauen.
Die Baugenehmigung erhalten sie nur, wenn sie Amsterdamer Bürger
werden. Die beim Erfüllen der Spielaufgaben erreichten Punkte bringen
die Spieler ihrem Ziel näher, als Amsterdamer Bürger
anerkannt zu werden.
Ein Stadtplan des 16. Jahrhunderts (aus dem Gemeentearchief Amsterdam)
ist in verschiedene Spielsektoren aufgeteilt, die den Teams zugeteilt
werden. Die Teams sind mit je zwei Mobiltelefonen ausgestattet: Auf
dem Monitor eines Nokia 6600 GPRS-Handy erscheint der alte Amsterdamer
Stadtplan. Videostreams mit Informationen zu Spielaufgaben Handlungsanleitungen
und Fragen erscheinen über UMTS auf dem zweiten Mobiltelefon,
einem Sony Ericsson Z 1010. Die Teams im Stadtraum erhalten über
ihr erstes Mobiltelefon via GPRS Aufforderungen, die Informationen zur
nächsten Spielaufgabe über das zweite Mobiltelefon via UMTS
abzurufen.
Die Straßen-Spieler tragen GPS-Empfangsgeräte, von denen
eine schnurlose Bluetooth-Verbindung zum GPRS-Mobiltelefon führt,
über das die Daten zum Spielserver geschickt werden. Die vom Spielserver
bearbeiteten Daten werden zu den GPRS-Mobiltelefonen der Straßen-Spieler
geschickt. Auf deren Screens erscheint dann die GPS-Lokalisation über der Amsterdamer Stadtkarte des 16. Jahrhunderts.
Ein Laptop präsentiert im Hauptquartier die Standorte aller Teilnehmer.
Die TeilnehmerInnen im Hauptquartier können die Standorte der Teams auf einem
aktuellen Stadtplan (in Flash) verfolgen und zum Stadtplan des Gemeentearchiefs
umschalten. Die Teammitglieder in den Amsterdamer
Straßen gleichen den alten Stadtplan auf dem Bildschirm des GPRS-Mobiltelefons
mit den aktuellen Zuständen ab, was besonders sowohl bei
zugeschütteten Kanälen als auch bei abgerissenen und neuen
Brücken für Irritationen sorgt.
Spieler im Hauptquartier können den Teammitgliedern im Stadtraum
bei Fragen zum aktuellen Straßenverlauf (mittels aktuellem Stadtplan)
und bei der möglichst schnellen Lösung der Spielaufgaben (mittels
Anfragen in Suchsystemen im Internet) helfen. Die Spieler im Außenraum
schicken Fotos und Filme über UMTS via e-Mail als Belege für
gelöste Aufgaben an das Hauptquartier.
Die über die GPRS-Mobiltelefone vermittelte Lokalisierung kann von
Gegnern mittels "GPS-boobytraps" für 10 Minuten außer
Kraft gesetzt werden, wobei allerdings die Kartenansicht erhalten bleibt.
Wenn die Teammitglieder trotz außer Kraft gesetzter Lokalisierung
vor Ablauf der Sperrfrist einen bestimmten Ort erreichen, endet die Sperrung
früher.
Das Spiel dauerte in der Pilotfassung zwei Tage. Am dritten Tage wurde
in De Waag geprüft, wie viel sich die TeilnehmerInnen von der Amsterdamer
Stadtgeschichte merken konnten. Das Testresultat soll die Erwartungen
übertroffen haben. 12
Spieler erfahren an einem Beispiel aus der Religionsgeschichte die Stadt als wachsendes, verschiedene Strukturen (Religion, Städtebau, Verkehr u.a.) verbindendes Kräftefeld.
In den folgenden Pervasive Games liefern Körperzustände der sich bewegenden Spieler dem mitgeführten Equipment Daten. Das mobile Equipment nimmt Daten auf, verarbeitet oder leitet sie in Netzwerken weiter an Server. Spielern wird auf den Bildschirmen der mobilen Geräte angezeigt, ob sie sich mit ihren Bewegungen an die gesetzten Limits halten oder diese überschreiten.
Spieler koordinieren den technisch implementierten Teil der Spielregeln
mit den nicht implementierten Teilen der Regeln. Dabei versuchen Spieler
ihre Körperbewegungen an die Informationen der Bildschirme des mobilen
technischen Equipments anzupassen, während sie ihre Strategie befolgen,
das Spielziel erfolgreich zu erreichen. In Stadträumen müssen
die Spieler teilweise auf Verkehrssituationen gerade dann achten, wenn
auch die Bildschirme des Mobilen Equipments Aufmerksamkeit erfordern.
Die nicht leistbare simultane Aufmerksamkeit für Screens und Stadtverkehr
muss häufig unter Zeitdruck in eine sequentielle umgewandelt
werden.
In "`Ere
by Dragons" (2005) 13 müssen Spieler ihren
Puls beachten, da die mobile Spieltechnik darauf reagiert und sich bei
zu hoher wie zu niedriger Herzfrequenz nach zwei Minuten abschaltet.
Teilnehmer erhalten PDAs (Personal Digital Assistant von Hewlett Packard:
HPiPAQ) mit GPS-Empfänger und Herzfrequenzmesser (Herzschläge
pro Minute). Zwei Elektrokardiogramme (EKG-Kontakte) eines EKG-Monitors
sind an einem Gürtel befestigt. Sie werden um den Bauch geschnallt.
Ein leichter Sensor-Bus (Science Scope Sensor Slave) koordiniert die Verbindung
der beiden Input-Systeme GPS und EKG mit dem PDA. Der EKG-Monitor (von
Science Scope) ist drahtlos mit dem Sensorbus verbunden.
Active Ingredient/Lansdown Centre for Electronic Arts
und London Institute for Sport and Exercise, Middlesex University, London/Mixed
Reality Laboratory, Nottingham Trent University: `Ere be Dragons, Projekt,
Nottingham, Februar und Dezember 2005/Singapur, November 2005/Berlin,
Oktober 2006.
Ein Flash-Programm reagiert auf die vom EKG erfasste Herzfrequenz durch den Aufbau isometrischer Ansichten von vegetativen Welten, die Spieler auf dem Bildschirm des PDA sehen. Die Ansichten koordinieren bestimmte Landschaftsmotive mit bestimmten Standorten: Wenn ein Spieler am selben Standort wieder vorbeikommt, erscheint auf dem Bildschirm dasselbe Landschaftsmotiv.
Vor Spielbeginn wird die Spieler- und Alters-adäquate Herzfrequenz ermittelt. Die optimale Herzfrequenz bestimmt dann die Abstimmung der technischen Ausrüstung für jeden Spieler. Solange ein Spieler diese Frequenz einhält, erscheint auf dem Bildschirm des PDA eine Landschaft aus Gras, Bäumen und Blumen. Bei zu niedriger Frequenz zeigt der Bildschirm eine Wüste, während zu hohe Frequenz einen undurchdringbaren Wald erzeugt. Beim Verlassen des optimalen Herzfrequenzbereichs erfolgt eine Warnung und nach zwei Minuten die Abschaltung. Tonsignale erleichtern dem Spieler die Kontrolle seines Pulses, wenn er auf den Verkehr achten muss und dem Bildschirm keine Aufmerksamkeit widmen kann. Ein "Client-Server-System" liefert Informationen über die Standorte anderer Spieler.
Das zur Aktivierung des Körpers und als Mittel gegen Fettleibigkeit gedachte Spiel lässt die Spieler nach dem "Konzept des offenen Spiels" 14 über Regeln entscheiden.
Jonas Hansens (früher: Hielscher) "Wanderer" (2005) 15 reagiert auf die Geschwindigkeit der Spieler. Spieler müssen dann auf Instruktionen wie "too fast, go slower" oder "too slow, go faster" reagieren.
Die Spieler sind mit Laptop, GPS-Empfänger und Kopfhörer unterwegs.
Die Geschwindigkeit des Spielers wird über GPS-Messungen ermittelt.
Ein Pieptonrhythmus erleichtert es Spielern, ihr Tempo anzupassen (Lauftempo
3-4 km/h). Hindernisse müssen schnell umgangen werden. Gelingt dies
in wenigen Sekunden und kann der Spieler die vom Spielsystem in Zufallsoperationen
generierten Anweisungen für Richtungswechsel (zum Beispiel "Turn
left now") befolgen, dann erhöht er sein Punktekonto. Die geschickt
auf Spielanforderungen reagierende und Umwelthindernisse umgehende Bewegung
wird in "`Ere by Dragons" und "Wanderer" belohnt.
Hansen, Jonas: Wanderer, September 2005, Pervasive Game.
Mit der Spatialisierung von "Pong" in "Sonic Pong"
zur Verlegung eines MMORPGs in "BotFighters" in den Außenraum
schritt die Entwicklung vom Spiel in einem Ausstellungsraum zum Spiel
im Stadtraum. Während in "BotFighters" und in "Frequency
1550" in zwei Ebenen gespielt wird, deren Anforderungen Spieler miteinander
koordinieren, werden in "`Ere by Dragons" und "Wanderer"
die Körperzustände und -aktionen in die Vermittlungen integriert,
die ein Spieler zwischen Stadtraum und technischem Equipment bei Planung
und Ausführung von Spielzügen vornimmt.
Die Reaktionen eines Spielers auf Situationen im Stadtverkehr durch zu schnelles Laufen oder erhöhte Herzfrequenz registriert das technische Equipment, was wiederum beim Spieler zur Korrektur der weiteren Spielzüge führt: Indem der Spieler seinen Körper mit den vom technischen Interface angezeigten Kriterien in seine Steuerung von Spielzügen integriert, integriert er die Veränderungen seines Körpers zwar auf dieselbe Weise wie andere Teile der sich wandelnden Umweltbedingungen und agiert so als Spielzüge Steuernder (spielorientiertes Welt-Interface, Interface 3), gleichwohl kann er aber auf diese zu ihm gehörende Umwelt anders in weiteren Spielzügen zugreifen, als er das in der Adaption auf Verkehrsbedingungen und andere Hindernisse kann (in-/externe Umwelt). Der Teil des mobilen Equipments, der bestimmte Körperzustände und -aktionen in das spielorientierte Welt-Interface (Interface 3) rückzukoppeln erlaubt, kann wie eine Körperprothese in die Körperkoordination integriert werden. Die Vermittlung zwischen Körperkoordination zur Umweltorientierung (Welt-Interface, Interface 1) und Körperkoordination für den Input des mobilen Equipment (technisches Interface, Interface 2) verläuft über die Koordination steuerbarer Aktionen (Kognition) mit messbaren Körpereffekten (biologischer Zustand). Spieler vollziehen eine zweifache Reorientierung an den sich ändernden Umweltbedingungen und an den sich ändernden Daten über den eigenen Körper: Die spielorientierte Weltbeobachtung (Interface 3) muss laufend in Reorientierungsprozessen zwischen einerseits der Selbstverortung durch Orientierung in einer Umgebung (Interface 1) sowie andererseits den Spielregeln und den Anforderungen des technischen Equipments (Interface 2) vermitteln.
VII.2.2 Spielorientiertes Welt-Interface
Spieler berücksichtigen in der Entwicklung von Strategien für Pervasive Games einerseits die Körperkoordination zur Orientierung im Realraum sowie andererseits den Umgang mit der Technik und den Spielregeln: Das `Interface 1´ besteht aus der Schnittstelle des Beobachters zur Welt, das `Interface 2´ ist die Schnittstelle zur Spieltechnik und den Spielregeln. Das `Interface 3´ konstituieren Vermittlungsleistungen von Spielern, ihre Orientierung in der Umwelt inklusive Verkehrsbedingungen (Welt-Interface, Interface 1) mit den Spielanforderungen (Interface 2) durch die Entwicklung von Strategien zu koordinieren.
Das ´Welt-Interface´ oder `Interface 1´ ist die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Kognition, Propriozeption und Sensomotorik einerseits und Handlungsfeldern unter wechselnden Umweltbedingungen andererseits.
Beobachter bewegen sich in einer Umgebung und bilden sich ihre Vorstellung von der sie umgebenden Welt aus Erfahrungen, die meist im Gehen gesammelt werden: Der Beobachter agiert in der Welt, die er beobachtet (weltinterner Beobachter). 16 Die Beobachteroperation der Körperbewegung in der Welt ist rückgekoppelt an die Bewegung koordinierenden Beobachtungsoperationen. 17 Die Beobachtungsoperationen sind kognitiv im Sinne einer Steuerung von Erkenntnis, Interesse und Aufmerksamkeit sowie neurobiologisch im Sinne der Körperkoordination durch präreflexive Koordinationsweisen, wie sie zum Beispiel das Gehen voraussetzt: Nicht jede einzelne Laufbewegung muss koordiniert werden, sondern lediglich Gehrichtung und Lauftempo. Nur bei Störungen größerer Gehirnbereiche muss beim Versuch, die ausgefallene präreflexive Körperkoordination von intakten Gehirnarealen übernehmen zu lassen, jede Bewegung bewusst und ausschließlich visuell gesteuert werden. Das erfordert bereits bei einfachen Bewegungen hohe Konzentration und schließt Bewegungskoordination bei Dunkelheit aus. 18 Der Körper wiederum meldet über Aktivierungen der auf audielle, taktile und visuelle Außenreize empfindlichen Nerven Input aus der Umwelt an die mit diesen Sinnen verbundenen Gehirnareale. Diese integrieren Umweltdaten in ihrem Aufbau von "Reizmustern", "Schemata" und "Wendemarken" 19 in die Weltbeobachtung. Daraus wiederum ergeben sich Änderungen der Steuerung weiterer Bewegungen in der Welt durch Körperkoordination. Die Rückkoppelung von Bewegungen des Körpers beim Sammeln neuer Informationen über die Umgebung/Welt an die Bildung von Weltvorstellungen konstituiert das `Interface 1´ beziehungsweise die Schnittstelle des Beobachters zur Welt.
Das `Interface 2´ oder `Spiel-Interface´
konstituieren Spielregeln, die in Pervasive Games teilweise oder ganz
technisch implementiert sein können. Bei voller technischer Implementierung
der Spielregeln erkennen Spieler, wenn sie ohne Kenntnis der Regeln agieren,
an den Reaktionen der Technik, ob sie gegen Regeln verstoßen. Auch
wenn Pervasive Games, welche die Regeln in vollem Umfang in technische
Funktionen umsetzen, Umweltfaktoren nur selektiv in das Spielsystem integrieren,
müssen dennoch Spieler auf ihr `Welt-Interface´ in ganzem Umfang
zurückgreifen, um das System mit den erforderlichen, nur durch Aktionen
in Umwelt gewinnbaren Daten versorgen zu können: Ohne die in Weltbeobachtung
erworbenen Möglichkeiten der Selbstorientierung und der Steuerung
der Aktion in Umwelt (Interface 1) kann ein Spieler die Regeln und Funktionen
von Pervasive Games nicht in Spielzüge umsetzen. Spielstrategien
sind Resultate der Planung, wie in urbanen Situationen unter Spielbedingungen
reagiert werden soll. In Spielzügen werden dann Strategien unter
den in der Umwelt vorgefundenen Bedingungen (z.B. Verkehr) ausgeführt.
20
Die Aufmerksamkeit eines gehenden Spielers auf einen Bildschirm kann nur kurzfristig anhalten, da Geradeausgehen ohne immer wieder erfolgende Sichtkontrolle auf den eigenen Körper und seine Relation zur Umgebung nicht möglich ist 21: Relationen zwischen Propriozeption und Außenwahrnehmung in der Körperkoordination sollten beim Design von Pervasive Games beachtet werden.
Das `Interface 3´ oder `spielorientierte Welt-Interface´ bilden Strategien, die Spieler für erwartbare Umweltbedingungen entwickeln, um Gewinnchancen in Spielzügen realisieren zu können. Im `Spiel(zeichen)handeln´ 22 entwickeln Spieler eine spielorientierte Weltbeobachtung durch Vermittlungen zwischen `Interface 1´ und `Interface 2´. Diese Vermittlungen lassen sich mit Charles Sanders Peirce als Vermittlungen von "a first and a second" in einem "third" verstehen:
Third is the conception of mediation, whereby a first and a second are brought into relation. 23
Pervasive Games provozieren Spieler, `Interface 1´ und `Interface 2´ in `Interface 3´ durch "Einbettungen, Funktionalisierungen, Reduktionen, Hierarchisierungen, Rückkoppelungen und Festlegungen" aufeinander zu beziehen. 24
Dr. Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München. Homepage
mit zahlreichen kunstkritischen Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und
Intermedia Art.
10 Vgl. das "New Games Movement" der siebziger Jahre mit dem Ziel, Spiele "as the vehicle for change" einzusetzen und das Augenmerk vom Wettbewerb weg und auf die kooperativen Spielaktionen hin zu lenken. Lit.: Flanagan: Play 2009, S.183f.; Fluegelman: Games 1976; Pearce/Fullerton/Fron/Morie: Play 2007, Kap. 2; Salen/Zimmerman: Rules 2004, S.528f.; Turner: Games 2006. zurück
11 Siehe PacMan-Wiederaufnahmen: Mixed Reality Lab: Human Pacman, Singapur, 2003-2004 (Dreher: Sammeltipp 2, Teil 1 2005-2008); New York University´s Interactive Telecommunications Programme: Pac Manhattan, New York, April 2004 (Dreher: Sammeltipp 2, Teil 2 2005-2008); InfoLab21, Department of Communication Systems, Lancaster University: Pac-Lan, Bailrigg/Lancaster, Dezember 2005-Februar 2006 (Dreher: Sammeltipp 2, Teil 3 2005-2008). zurück
12 Der Server, in dem (über Internet) alle Daten zusammenliefen, wurde
mit KeyWorx, einer Plattform der
Amsterdamer Waag Society, programmiert. Die Software konnte frei in nichtkommerziellen
Projekten verwendet werden, wenn die Quelle genannt wurde (Triple license
Mozilla Public License/
GNU GPL/
Creative Commons 1.0 Niederlande). Lit.: Dreher: Sammeltipp 2, Teil 2 2005-2008. zurück
13 Von Active Ingredient/Lansdown Centre for Electronic Arts und London Institute for Sport and Exercise, Middlesex University, London/Mixed Reality Laboratory, Nottingham Trent University, Nottingham. Lit.: Dreher: Sammeltipp 2, Teil 2 2005-2008. zurück
14 Cooke/Davis/Jacobs/Moar/Riddoch/Watkins: Ere 2006, S.159f. zurück
21 Gallagher: Body 2005, S.76: "...there is cortical integration of information concerning self-motion, spatial orientation, and visuomotor functions." zurück