V.1 Beobachteroperationen auf dem Interface zur Bildsimulation
Die unten vorgestellten reaktiven Installationen von Myron Krueger, Jeffrey Shaw und Peter Weibel entstanden zwischen den siebziger und frühen neunziger Jahren. Die Installationen reagieren auf Beobachteroperationen 1: Beobachter können durch Körperbewegungen vor Kameras sowie auf speziell konstruierten Interfaces Reaktionen eines technischen Systems provozieren. Die computergestützten Systeme verändern Projektionen zwei- (Krueger) und dreidimensionaler (Shaw, Weibel) Bildwelten in Reaktionen auf den von Beobachtern erzeugten und von Sensoren registrierten Input. Die Aktionen, die Beobachter auf einem Interface ausführen können, um die Projektionen zu verändern, provozieren Fragen nach Zusammenhängen der Selbstverortung im Bild- und Realraum.
Die Beobachteroperationen auf dem Interface im Realraum bewirken Veränderungen in einem nicht betretbaren virtuellen Raum: Vom Realraum aus wird unter Gravitationsbedingungen am Interface die Navigation im schwerelosen Bildraum koordiniert. Beobachter koordinieren ihre Aktionen an der technischen Schnittstelle zur Bildwelt in Rekursionen: In kognitiven Reaktionen (Beobachtungsoperationen) auf ausgelöste maschinelle Reaktionen können die Systemmöglichkeiten rekonstruiert werden. In weiteren Explorationen dieser Möglichkeiten werden die Aktionen am Interface (Beobachteroperationen) zur Auslösung maschineller Reaktionen modifiziert, die wiederum zu Modifikationen der kognitiven Rekonstruktion der Systemmöglichkeiten (Beobachtungsoperationen) führen. Die Suche nach Antworten auf die Frage, ob durch diese Korrekturen das System adäquat rekonstruiert wird, führt zu weiteren Beobachteroperationen.
Beobachter können einen Plan konstruieren, der die technischen Funktionen stark vereinfacht so wiedergibt, wie es für Explorationen der Bildwelt am Interface notwendig erscheint. In Rekursionen zwischen Beobachtungs- und Beobachteroperationen werden die erkennbaren Folgen der Algorithmen eruiert, welche die Bildwelten steuern. Beobachter können einen zweiten Plan konstruieren, der die Relationen zwischen den kognitiven Rekursionen, mit denen exploratives Verhalten gesteuert wird, und dem technischen Interface wiedergibt.
Die Künstler und Programmierer der unten besprochenen Installationen
haben die Codes für die technischen Funktionen und Animationen nicht
veröffentlicht. Also lässt er sich nur in seinen Auswirkungen
durch Aktionen am technischen Interface erfahren.
Myron Krueger installierte "Psychic Space" 1971 in der Memorial Union Gallery der University of Wisconsin. Ein vom Ausstellungsraum durch installierte Wände abgegrenzter Raum enthielt 48 schwarze drucksensitive Bodenplatten und eine Projektionsfläche. Die Längswände bestanden aus schwarzem Polyäthylen. Beobachter konnten sich auf den Bodenplatten zwischen den Rückprojektionen auf einer Schmalseite und der mit phosphoreszierender Farbe bestrichenen anderen Schmalseite bewegen. Sie lösten dabei ein Klang- und ein Bildprogramm aus. Ein Minicomputer PDP-11 (ab 1969) der Digital Equipment Corporation (DEC) übertrug den Input der drucksensitiven Bodenplatten an einen Moog Synthesizer (ab 1964) zur Klanggenerierung. Ein Adage AGT-10 Graphic Display Computer lieferte den Grundriss eines Labyrinths zur Rückprojektion. In dem Labyrinth konnten Beobachter eine Raute durch Veränderungen ihres Standortes auf den Bodenplatten bewegen nicht ohne dabei Klänge auszulösen.
Die Klanggenerierung reagierte auf Betreten und Verlassen der Bodenplatten ebenso wie auf Springen oder Heben eines Fußes. Die beiden zuletzt genannten Beobachteroperationen führten zum Aussetzen der Klangerzeugung. Wenn Beobachter nach einer explorativen `Spielzeit´ erkannten, dass sich die Bodenplatten wie die Tastatur eines Musikinstrumentes bedienen liessen und dass hohe und tiefe Klänge auf verschiedenen Seiten auslösbar waren, dann konnte sich die Verteilung der Tonhöhe auf den Platten um 90 Grad drehen.
Der Monitor des Adage Graphiksystems wurde von einer Kamera aufgenommen, deren Bilder die Rückprojektion im Environment bewegten. Beobachter sahen beim Betreten des Environments lediglich die Rückprojektion eines Quadrates. Auf dieses Quadrat konnte die Raute durch Wechsel des Drucks auf die Bodenplatten zugeführt werden. Mit der Annäherung der Raute an das Quadrat erschien das Labyrinth. Blieben Beobachter bei der Bewegung der Raute im projizierten Labyrinth nicht in dessen Grenzen, so löste sich die Spielfigur auf. Das Erreichen des Ziels wurde durch das Auftauchen weiterer Hindernisse in Form neuer zielführender Begrenzungen erleichtert. Doch löste sich das Labyrinth auf, bevor dessen Innerstes hätte erreicht werden können. 2
Krueger, Myron: Videoplace, ab 1974, Film, Studio im
Museum of Natural History, Vernon/Connecticut 1988.
In
"Videoplace",
das Krueger ab 1974 bis in die neunziger Jahre entwickelte 3,
wird die Closed-Circuit-Video-Installation, wie sie Nam June Paik 1969
in "Participation TV II" realisierte 4, aufgegriffen
und verändert: Die Beobachter können in Paiks Installation an
einem Schaltpult das Videobild, welches von Kameras gespeist wird, manipulieren.
Paiks Interface (Pult und Kameras) ersetzt Krueger durch eine Serie von
Programmen, die Aufnahmen einer s/w-Überwachungskamera umformen.
Die unter der Projektionsfläche angebrachte Kamera sieht Beobachter
und ihre Operationen "against a brightly backlit sheet of translucent
plastic". Die Software auf einem Rechner mit parallel aktiven "specialized
processors" erfasst diesen Input als "binary image", das
die Umrisse der Beobachter in ein Feld mit Einsen und Nullen für
erkannte/nicht erkannte Beobachteroperationen verwandelt. Die Software
erkennt Bewegungen von Köpfen, Händen, Finger, Beinen und Füßen.
5 Daran schliessen die Programme an, welche die Umrisse
der Beobachter auf verschiedene Weise verwandeln und kolorieren. Wenn
sich Beobachter aus dem Einzugsbereich der Kamera entfernen, schaltet
das System auf ein anderes Bildprogramm. 6 Die Programme
und das Umschaltsystem von "Videoplace" ersetzen Paiks Funktionen
des Videosynthesizers und des Schaltpults.
Krueger, Myron: Videoplace, ab 1974, Vorführung von Programmen 1985.
Das für "Videoplace" entwickelte Programm "Individual Medley" (ab 1976 in s/w, ab 1979/80 in Farbe) verwendet Überschneidungen von nacheinander aufgenommenen und gespeicherten 8 Umrissen ("sampling-rate"), um sie je nach Programmvariante verschieden zu kolorieren und mit Klängen zu begleiten. Um das Programm der Bildverarbeitung zu aktivieren und `in Gang´ zu halten, müssen Beobachter sich bewegen:
...a participant creates feedback for himself only as long as he keeps moving. 7
In "Critter" können Beobachter mit ihrem Umriss mit und gegen eine Zeichenfigur aus einem Kreis als Kopf mit 2 kleinen Kreisen als Augen und 4 Strichen als Beinen agieren: Ein Dialog zwischen Maschinenwesen und Beobachter entsteht von Seiten der Beobachter auf der Basis von Körpersprache, ohne Schaltpult oder Manual. 8 "Individual Medley" und "Critter" sind nur zwei von 14 Beispielen, die Krueger 1991 in "Artificial Reality II" vorstellt. 9
Krueger installierte "Videoplace" 1975 zum ersten Mal im Milwaukee Art Museum: Zwei Installationen aus Kamera-Rechner-Projektor-Einheiten standen in zwei Räumen 300 Fuß voneinander entfernt. In jedem Raum waren die Umrisse von Personen zu sehen, die sich vor den in beide Installationen integrierten Kameras bewegten. Beobachter sahen sich und Beobachter der anderen Installation: Beobachter beider Räume kommunizierten über die Projektionen miteinander. 10
Krueger, Myron: Videoplace, ab 1974, mit Videodesk, 1987.
Vorführung von Programmen.
1987 entwickelte Krueger "Videodesk" für einen mit dem
"Videoplace"-System vertrauten "Operator". Wenn "Videoplace"
mit "Videodesk" gekoppelt wird, dann kann der Operator die Beobachter
in "Videoplace" auf verschiedene Weise zu Interaktionen provozieren.
Der Videodeskoperator sitzt an einem Tisch. Auf einem Monitor hinter dem Tisch sieht er die Umrisse seiner Hände, die eine über dem Tisch hängende Kamera aufnimmt und diesen Input an das "Videoplace"-System weiterleitet. Für Interaktionen zwischen den Körperumrissen der Beobachter in "Videoplace" und den Handaufnahmen von "Videodesk" sind einige Programme entwickelt worden.
In "Man-Ipulate" kann
eine Hand des Operators die Projektion einer Beobachtersilhouette durch
einen Stoß auf deren Oberkörper umfallen lassen, während
in "Telecision" Beobachter den Umriß vom Arm des Operator
teilen können, als ob sie dessen Hand vom Körper trennen wollen.
11 In "Artwheels" bewegen Beobachter ihre
Silhouetten zwischen den Händen des Operators. 12
Jeffrey Shaw entwickelt seit 1983 reaktive Installationen mit Bildprojektionen. 13 Koordinationen zwischen Realraumorientierung und Bildraumorientierung werden in "Legible City" (Varianten für Manhattan, Amsterdam und Karlsruhe, 1989-91) und in "The Virtual Museum" (1991) mehrschichtig: Beobachter werden dazu provoziert, durch Körperbewegungen auf dem Interface Veränderungen im Bildraum auszulösen und zu kontrollieren. Die Navigation im virtuellen Raum mit dreidimensionalen `schwerelosen´ Elementen ist durch Körperbewegungen möglich, die sich unter Bedingungen der Schwerkraft ausführen lassen.
Shaw, Jeffrey: The Legible City, reaktive Installation, 1989-91.
In "Legible City" ersetzen Buchstaben die Häuser einer Stadtsimulation. Die Buchstaben erscheinen (in den Versionen für Amsterdam und Karlsruhe) in der Höhe der Häuser, die sie ersetzen, und sind Teil eines Textes, der die von der Simulation nachgestellten urbanen Situationen beschreibt. Vor der Projektionswand ist ein Fahrrad am Boden so befestigt, dass die Lenkstange drehbar und die Pedale tretbar sind. Mit einem Potentiometer am Lenkrad wird der Einschlag gemessen. Ein Tachometer am Hinterrad misst die Geschwindigkeit.
Ein Personal Computer gibt diese Informationen digitalisiert an eine Silicon Graphics Personal IRIS 4D/20TG Workstation (ab 1988) weiter, welche die zur Radlerposition passenden Orte im virtuellen Stadtraum errechnet. 14 Beobachter mit Ortskenntnis können sich, während sie sich tretend durch die Stadtsimulation bewegen, die realen Straßenverläufe vorstellen, da sie von einem Stadtplan unterstützt werden, der auf einem am Fahrradlenker befestigten Flüssigkristalldisplay präsentiert wird: Das Display zeigt den Standort als wandernden Punkt an. 15
Shaw, Jeffrey: The Virtual Museum, reaktive Installation, 1991, Vorführung durch den Künstler im Francisco Carolinum, Linz 1992.
Diese Selbstverortung an einem installationsexternen Ort wird in "The
Virtual Museum" durch die Selbstverortung im Installationsraum ersetzt.
Der Beobachter sitzt vor einem Monitor auf einem Stuhl. Den drehbaren
Sockel, auf dem sich Monitor und Stuhl befinden, und die Bildprojektion
bewegt der Beobachter durch Körperbewegungen im Stuhl. Sensoren reagieren
auf Drehungen des Stuhls und Bewegungen der Rückenlehne. Auf die
Informationen der Sensoren reagieren wiederum die Bildprojektion und der
Sockel.
Alle Wände des Realraums sind 1992 im Oberösterreichischen
Landesmuseum Francisco Carolinum (Linz) mit einem schwarzen horizontalen
Streifen circa einen Meter über dem Boden bemalt. Dieser Streifen
und ein Bild des Drehsockels erscheinen im ersten Bildraum. Bewegt ein
Beobachter den Stuhl so, dass er sich im Bildraum auf den schwarzen Streifen
zu bewegt, dann kann er diesen als Schnittstelle zu vier virtuellen Räumen
verwenden. Drei Räume verweisen auf Kunstgattungen wie Malerei, Bildhauerei
und Kino, während ein vierter Raum Eigenschaften computeranimierter
Umgebungen an Hand von schwebenden, sich ziellos bewegenden Zeichen ("A",
"2", "Z") thematisiert. Die schwebenden und hüpfenden
Zeichen beleuchten den virtuellen Raum.
Einem Beobachter, der sich gerade auf dem Interface
des "Virtual Museum" nieder gelassen hat, erscheint der erste
virtuelle Raum als Nachbildung des Ausstellungsraumes inklusive Drehsockel
mit Stuhl und Monitor, aber ohne Beobachter. Bewegt sich der Beobachter
im virtuellen Ausstellungsraum auf den schwarzen Streifen zu, so erkennt
er, dass dieser als Switch zu weiteren virtuellen Räumen dient, die
wiederum den Ausstellungsraum nachbilden, allerdings ohne Drehsockel.
Der schwarze Streifen im Realraum lässt sich jetzt als Ankündigung
seiner Switchfunktion in der Simulation `lesen´.
Mittels dieser Switchfunktion, die sich in den über sie erreichbaren
virtuellen Räumen wiederholt, erscheint eine Raumfolge, wie es sie
nur im Virtuellen geben kann: Der Switch über den schwarzen Streifen
in den nächsten virtuellen Raum führt nur vom aktuellen zum
folgenden Raum, liefert aber keine in Grundrisse übersetzbare Relationen
zwischen ihnen. Simulierte Durchgänge (Türen, Wandöffnungen)
mögen zwar an die Wege im Francisco Carolinum zu angrenzenden Räumen
erinnern. Dennoch sind die Nachbildungen dieser architektonischen Elemente
auf digitaler Ebene funktionslos.
Shaw über die Abrufbarkeit einer virtuell beliebig erweiterbaren Raumfolge
in einem Ausstellungsraum:
My installation of `The Virtual Museum´ embodies
the idea of a single-room museum whose quantity of the virtual exhibition
rooms can be infinitely extended. 16
Die Installation reduziert die beliebig fortsetzbare
Folge virtueller Räume auf wenige, Eigenschaften `alter´ Medien
rekonstruierende Räume. Diese "remediation" 17
in drei virtuellen Räumen erleichtert es Shaw im vierten Raum, die
Eigenschaften digitaler 3D-Simulation zu exponieren. Die vier Räume
erscheinen in der beliebig erweiterbaren Raumfolge als Einfaltungen einer
erweiter- beziehungsweise ausfaltbaren Medienentwicklung.
"Zur
Rechtfertigung der hypothetischen Natur der Kunst und der Nicht-Identität
in der Objektwelt" entstand am Institut für Neue Kunst in der
Frankfurter Städelschule unter der Leitung von Peter Weibel. Die
Installation vereinigt vier Bildwelten, die von Mitarbeitern des Instituts
konzipiert und programmiert wurden. In die 1992 in der Kölner Galerie
Tanja Grunert präsentierte Installation gelangt der Beobachter über
einen dunklen Gang in einen Raum, den eine reaktive, computergesteuerte
Bildprojektion erhellt, sobald Bodensensoren aktiviert werden. In eine
5 x 5 Meter große Bodenfläche sind Kontaktmatten eingelassen.
Der eintretende Beobachter hat die Projektion bereits aktiviert, wenn
er die 32 auf Druck reagierenden Sensoren im Boden und ihr Verhältnis
zu den Bildprogrammen erkennen kann. Eine Textwelt aus Buchstaben (Constanze
Ruhm/Bob OKane), eine Architektur- bzw. Raumwelt (Dieter Beck/Christian
Möller), eine Objektwelt (Akke Wagenaar) und eine Gaswelt (Gideon
May/Laurent Mignonneau) kann der Beobachter über vier farbige Bodensensoren
wählen.
Weibel, Peter a.o.: Zur Rechtfertigung der hypothetischen
Natur der Kunst und der Nicht-Identität in der Objektwelt, reaktive
Installation, 1992. Oberösterreichisches Landesmuseum Francisco Carolinum,
Linz 1993.
Der Beobachter betätigt beim Betreten des Installationsraumes einen der dem Eingang nächsten vier farbigen Sensoren, über die eine der vier Programme/Welten aufgerufen wird. Bis er weitere, graue Sensoren betätigt, sieht er das Anfangsbild. 25 Sensoren koordinieren Skalierung, Proportion und Rotation. Weitere drei Sensoren steuern Twirl-, Twist- und Wavefunktionen. 18
Beobachter können die virtuellen Welten über die Bodensensoren unterschiedlich stark beeinflussen. Vor allem die "Gas-Welt" hat ein ausgeprägtes Eigenleben und demonstriert damit eine eigene Variante des "Artificial Life" in Evolutionärer Kunst (s. Kap. IV.3.1-IV.3.2). Weibel bezeichnet die sich selbst entfaltende "Variabilität" virtueller Welten als "Viabilität". 19
Beobachter müssen ihre Distanz zur Bildprojektion ändern, wenn sie diese über die Bodensensoren modifizieren oder wechseln wollen: Sensorenaktivierung und Beobachterstandpunkt sind gekoppelt. Die Aufmerksamkeit wechselt von der Körperkoordination im Realraum zur Konzentration auf den Bildraum und umgekehrt.
Weibel, Peter u.a.: Zur Rechtfertigung der hypothetischen
Natur der Kunst und der Nicht-Identität in der Objektwelt, reaktive
Installation, Galerie Tanja Grunert, Köln 1992 (Schuler: Weibel 1997, S.246, Fig.113.6).
Vor Barnett Newmans großen längsrechteckigen Bildern mit monochromen Flächen und vertikalen Streifen switchen Beobachter zwischen Raumbild und Bildraum: Durch Standortverschiebungen im Realraum lässt sich die beste Position für einen Switch in den Bildraum ermitteln. Mit der Aufmerksamkeitsverschiebung auf den Bildraum lässt sich der Übergang von Realraumorientierung mit peripherer Wahrnehmung des Bildes als Wandobjekt (Raumbild/Bildraum) zur Bildraumorientierung mit mitlaufender Realraumorientierung (Bildraum/Raumbild) vollziehen. Dieser Übergang markiert die Schnittstelle zwischen Real- und Bildraumbeobachtung. 20
Barnett Newman und Beobachterin vor "Cathedra" (Öl und Magna auf Leinwand, 244 x 541 cm, 1951) in Newmans Front Street Studio, New York. Foto: Peter A. Juley and Son. Smithsonian American Art Museum, Washington D.C.
(Anfam: Abstract Expressionism 1990, S.147, Fig.110).
Die Installation "Zur Rechtfertigung..."
schließt an diesen Raumbild/Bildraum-Switch durch ihre technische
Schnittstelle an. Sie provoziert Refocussierungen und Rekonzeptualisierungen
durch explorative Bewegungen zwischen den Sensoren im Realraum und Focussierungen
der Aufmerksamkeit auf den Bildraum. Der Raumbild/Bildraum-Switch ist
das kognitive Korrelat zur technischen Schnittstelle.
Um die Bildfunktionen zu erfahren, die sich über die verschiedenen
Sensoren auslösen lassen, switchen Beobachter von primärer Realraumselbstverortung
zu primärer Bildraumverortung, von der Realraum-/Bildraum zur Bildraum/Realraum-Verortung.
Die kognitiv am technischen Interface zu bildende Schnittstelle zwischen
Real- und Bildraum setzt einen Innen/Außen-Wechsel in der Relationierung
von Raumbild und Bildraum voraus: von der Selbstverortung im Bildraum
als `Innen´ und der Realraumverortung als `Außen´ zur
Körperkoordination für die Sensorenbetätigung im Realraum
(`Innen´) mit Beachtung der so erzeugten Veränderungen im Bildraum
(`Außen´), und umgekehrt. Nach einem Wechsel der Bildwelten
folgen wiederholte explorative Durchläufe von Handlungssequenzen
mit Real- und Bildraumrefokussierungen mittels Innen/Außen-Switch.
Die Installation "Zur Rechtfertigung..." fokussiert die Aufmerksamkeit der Beobachter auf den Innen/Außen-Wechsel in einem "Duo-Pluriversum", welches das Raumbild eines Beobachters mit mehreren, nacheinander veränderbaren Bildräumen konfrontiert. Das mit dem "Duo-Pluriversum" vorgeführte operative Verhältnis von technischem und kognitivem Interface ist ein Modell für "Weltbeobachtung". 21 Theoretisch begründet Weibel dieses Modell einer "Exo/Endo-Schnittstelle" des Beobachters zur Welt mit Otto Eberhard Rösslers Entwurf des "expliziten internen Beobachters" in der "Endophysik":
Die virtuellen Welten sind...ein Spezialfall der Endophysik." 22
Dr. Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München. Homepage
mit zahlreichen kunstkritischen Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und
Intermedia Art.
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Sie uns eine E-Mail.
Anmerkungen
1 Beobachter- (physisch: Körperbewegung) und Beobachtungsoperationen (kognitiv: Wahrnehmungsschemata, Handlungskoordinierung, Selbstorientierung): Dreher: Performance 2001, S.20-23 mit Anm.12 und 14. zurück
4 Paik, Nam June: Participation TV II, Video-Closed-Circuit,
drei Kameras kombiniert mit Paik/Abe-Video Synthesizer und vier Monitoren,
Galleria Bonino, New York 1971: Davis: Experiment 1975, S.189; Decker:
Paik 1988, S.65f.,151; Kacunko: Circuit 2004, S.187f. zurück
6 Videoplace-Hardware: "...the system consists of two general-purpose computers and a number of highly specialized processors including one that executes forty million instructions per second." (Krueger: Videoplace 1985, S.147)
Die Software wurde zum größten Teil in C geschrieben (Dinkla: Pioniere 1997, S.80; Oelinger: Sinn 1999, Kap. I: Aktion und Reaktion). zurück
7 Krueger: Reality 1991, S.48. Vgl. Dinkla: Pioniere 1997, S.81; Heim: Realism 1998, S.103; Krueger: Videoplace 1985, S.149; Krueger: Videoplace 1989, S.210,213; Popper: Art 1993, S.113 mit Ill.190f. zurück
8 Krueger: Videoplace 1985, S.148f.: "There are approximately 100 states that determine CRITTER behavior...Synthesized sound communicates the personality of the creature." Vgl. Dinkla: Pioniere 1997, S.84-87; Kacunko: Circuit 2004, S.235; Krueger: Reality 1991, S.46f.; Krueger: Videoplace 1989, S.210f.; Oelinger: Sinn 1999, Kap. I: Aktion und Reaktion. zurück
15 Kooperation von Jeffrey Shaw mit Dirk Groeneveld. Software in C für Silicon Graphics Computer: Gideon May. Software für Personal Computer: Lothar Schmidt. Hardware: Analog-Digital Interface: Charly Jungbauer. Umrüstung des Fahrrads: Version Manhattan: Tatje van Vark; Versionen Amsterdam und Karlsruhe: Huib Nelissen (Colpaert/Shaw: Legible City 1990, o.P.). Lit.: Dinkla: Pioniere 1997, S.114-123; Klotz/Weibel: Shaw 1997, S.126-129,169; Manovich: Language 2001, S.260f.; Paul: Digital Art 2003, S.6f.,72f.; Popper: Art 1993, S.110f., Ill.180-182; Shaw: Modalitäten 1989, S.209. zurück
16 Shaw: Home 1994.
Computer: Silicon Graphics 4D/310VGX. Software: Gideon May. Hardware: Huib Nelissen, Bas Bossinade. Lit.: Dinkla: Pioniere 1997, S.126f.; Dreher: Kunst 1994, S.101ff.; Klotz/Weibel: Shaw 1997, S.132f.,171; Shaw: Museum 1992. zurück
18 Die Beschreibung von "Zur Rechtfertigung der
hypothetischen Natur der Kunst und der Nicht-Identität in der Objektwelt"
ist fast wörtlich übernommen aus: Dreher: Beobachter 1996, S.418.
Architektur der Installation: Christian Möller.
Verbindung der Bodensensoren über ein "circuit board" zu den 32 Schaltern einer "button box": Bob O´Kane.
Koordination der virtuellen Welten mit der "button box": Gideon May.
Computer: Silicon Graphics 4D/320 VGX.
(Craemer: Rechtfertigung 1992, S.6f.; Möller: Architektur 1994, S.28ff.; Schuler: Weibel 1997, S.288). zurück
19 Weibel: Welt 1994, S.46,51; Weibel: Kunst 1997. Vgl. Hünnekens: Betrachter 1997, S.60ff. zurück
20 Siehe Dreher: Weibel 1997, S.52f. mit Anm.62 über Barnett Newmans Beschreibung der Relation Raumbild ("environment") und Bildraum ("sense of space"). zurück
21 "Duo-Pluriversum": Dreher: Weibel 1997, S.44ff.
"Weltbeobachtung": Dreher: Performance 2001, S.27 mit Anm.24, S.407f. zurück
22 Weibel: Welt 1992, S.10. Vgl. Dreher: Weibel 1997, S.48ff. und Rössler: Endophysik 1992 (Herausgeber: Peter Weibel). zurück