Gordon Pask stellt in "An Approach to Cybernetics" (1961) "learning machines" vor. "Eucrates" (1955) bezeichnet Pask als "simulating a pupil-teacher system". 1 Das Verhalten von "real neurones" und ihrer "`absolute refractory period´" 2 wird nachgestellt. "Motor-elements" reagieren unterschiedlich auf Input, da sich eine Schwelle verschiebt: Nach dem ersten Input erhöht sich die Schwelle so, dass Lernenden ein weiterer Input erst mit dem Fall der Schwelle wieder möglich wird. Auf den Output der "motor-elements" reagieren "`memory´-elements". Die "`memory´-elements” sind nach dem Vorbild von "the synaptic connections of a neurone" 3 konstruiert: "Now it is obvious that various modes of activity and various forms of interaction [zwischen Lernendem und Lehrer oder Lernmaschine] will build up the network." Dies schreibt Pask nach einer kurzen Analyse möglicher "interconnections" zwischen "motor-elements" und den Lernaktivitäten im "network". Überlebensfähig sind in diesem "network" nur die Verbindungen, die "mediate a favourable behavior". 4
Pask, Gordon: Solartron EUCRATES II, ca. 1956 (Pask: Approach 1961, pl.I 8(i)).
"Musicolour" (1953-57, mit Robin McKinnon-Wood) war ein reaktives
System für Theateraufführungen. Der analoge Rechner des Systems
wurde von Aufführung zu Aufführung gefahren.
Pask, Gordon: Musicolour, Boltons Theatre Club, South Kensington 1954.
Links: Bühne mit Projektionsfläche für Musicolour.
Rechts: Moon-Music, Programmheft (Rosen: Control 2008, S.139).
Ein Musiker lieferte "Musicolour" über ein Mikrofon Input, worauf das System mit visuellem Output reagierte "a predetermined vocabulary of visual symbols". Das "visual vocabulary" konnte von Aufführung zu Aufführung variiert werden. 5 Nach Pask enthielt das System "a rudimentary learning facility" 6, welche die Ton-Bild-Relation im Verlauf der Aufführung ändern konnte. Wenn die Musik ausblieb, reagierte das System zunehmend empfindlicher auf jede Art Geräusch. In der Praxis mußte diese gesteigerte Sensibilität durch einen "arbitrary gain control circuit" gezügelt werden. "Musicolour" reagierte auf "repetitive input" einige Zeit mit gleichem Output und hörte dann auf, zu reagieren. Der Musiker mußte seinen Vortrag ändern, um wieder visuellen Output zu erhalten. Ein Musiker konnte über "several gambits" 7 aus den Reaktionen der Maschine lernen und den audiellen Input so zu modifizieren versuchen, dass er Einfluss auf die audio-visuellen Zusammenhänge erhält.
Klänge werden von "property filters"
nach verschiedenen, veränderbaren Kriterien ausgewählt. Einerseits
können die gefilterten Klänge von Speichereinheiten für
jeden Filter aufbewahrt und dazu eingesetzt werden, das "power level"
des visuellen Outputs zu beeinflussen. Andererseits können die gefilterten
Klänge über "averagers" und "adaptive threshold
devices" mit "internal feedback loops" verarbeitet werden.
Die "threshold devices" legen eine untere Schwelle fest, ab
der zu schwacher Input unterdrückt wird. Die Zusammenführung
der verarbeiteten und gespeicherten Klänge beeinflusst das visuelle
Output, von dem sich wiederum der Musiker anregen lässt. Der visuelle
Output wird von Lichtprojektionen auf eine Projektionsfläche gelenkt.
Das Licht wird durch Farb- und Musterfilter in Form von steuerbaren Rädern
oder Reflektoren geschickt. 8
Zwischen 1954 und 1957 wird für "Musicolour"
ein "electro-chemical display" entwickelt, mit dem das Licht
modifiziert wird. Schalen werden auf rotierende Unterlagen gesetzt. In
den Schalen sind Elektrolytlösungen und Indikatoren: Durch Elektrolysen
wird der pH-Wert der Lösungen verändert. Diese Veränderungen
aktivieren Elektroden, die an die Schalen montiert sind. Die aktivierten
Elektroden wiederum steuern die Farbmusterprojektionen. Pask stellt bei
seiner Beschreibung dieses "display" keine Bezüge zum oben
beschriebenen Reaktionssystem her. 9
Den Musiker bezeichnet Pask als "converse participant" des "learning mechanism" von "Musicolour". 10 In den Aufführungen sollten sich Maschine und Musiker wechselseitig anpassen: Beide Seiten `lernen´. 11 Wie Redundanz durch Modifikationen vermieden werden kann, hängt einerseits von Veränderungen in den Reaktionsweisen von "Musicolour" ab 12, andererseits von "the observer´s [bzw. des Musikers] frame of reference" 13: Musiker eruieren die Reaktionsfähigkeiten des "Musicolour Systems" und ziehen daraus für weitere Aktionen ihre Schlüsse.
Pask liefert mit "Musicolour" ein "responsive environment" 14, das sich als Teilsystem mit Teilnehmer in umfassendere Aufführungssysteme integrieren lässt. Pask wird mit "Musicolour" zum Pionier der Computer Art.
II.3.1.2 Nicolas Schöffers "CYSP 1"
Nicolas Schöffer realisiert 1956 "CYSP
1" als mobile kinetische Skulptur. Runde und rechteckige Aluminiumscheiben
drehen sich in einem Stahlgerüst, während der Sockel des Gerüsts
durch einen Ausstellungs- oder Außenraum fährt. Kleine Motoren
bewegen die Scheiben. In den Sockel sind Elektromotoren für eine
Fortbewegung in zwei Geschwindigkeiten auf vier Gummirädern, Akkumulatoren
für die Stromversorgung und ein "Elektronengehirn" («cerveau
électronique» mit Röhrentechnik) von Philips eingebaut,
das die Steuerung zwischen Hindernissen und die Bewegung der Aluminiumscheiben
organisiert. 15
Das "Elektronengehirn" enthält einen
Zufallsgenerator, der für die Eigenbewegung sorgt. Wird die Selbststeuerung
um Hindernisse in einer Umwelt überfordert, so kann von einem Steuerpult
aus eingegriffen werden, das über Radar mit der Skulptur verbunden
ist. Dieser Darstellung von Reuben Hoggett widerspricht Jean-Noël
Montagné, der an der vor Kurzem erfolgten Restauration von "CYSP
1" in Schöffers ehemaligem Atelier beteiligt war. Demnach hatte
nur eine erste Version von CYSP 1 eine Antenne. Der mit dieser erprobte
"capacity sensor" zur Erfassung von Hindernissen wurde wieder
entfernt, weil "the electronic has too many natural and in-board
parasites". "CYSP 1" war nach Montagné entweder
selbststeuernd oder über eine Kabelverbindung fernlenkbar. 16
Schöffer, Nicolas: CYSP 1, 1956. Links: Ausstellung Institute of Contemporary Arts, London 1960.
Photoelektrische Zellen und ein
Mikrophon dienen als Sensoren, die Veränderungen von Farben, Lichtintensität
und Lautstärke registrieren. Diese Sensoren liefern den Input für
die Steuerung der sich bewegenden Teile. Das "Elektronengehirn"
organisiert die simultane Steuerung der Geschwindigkeit der Scheibendrehung
bis zu "stroboskopischen Effekten" und der Sockelbewegung. 17
Die Koordination des "Elektronengehirns" variiert durch "Störungsparameter"
18 die Reaktionen von "CYSP 1" auf die Umwelt
und vermeidet Vorhersehbarkeit.
Der Entwickler des in "CYSP 1" eingesetzten
"Elektronengehirns" Jacques Bureau und der Künstler verwenden
Ashbys Begriffe der "Homöostase" und "Homeostat" (s. Kap. II.1.5, II.2.1)
für Bewegungs- und Adaptionsfähigkeiten, wie sie "CYSP 1" aufweist. 19
Die Eigenbewegung des Systems durch Zufallsgeneratoren und die begrenzte
Adaptionsfähigkeit an Umweltbedingungen sind Eigenschaften, die "CYSP
1" mit Ashbys "Homeostat" teilt. Schöffer schafft
nicht nur ein bewegtes dreidimensionales Objekt und damit kinetische Kunst,
sondern erzeugt auch eine Relation zur Umwelt kybernetisch durch ein adaptionsfähiges
System mit Eigenbewegung.
Bei "CYSP 1" übersetzt ein "Elektronengehirn"
Input der Sensoren aus mehreren Umweltfaktoren in ein Bewegungs- und Navigationsprogramm.
Der "Homeostat" weist dagegen nur eine Versuchsanordnung mit
Reglern auf, über die Menschen für die Störungen sorgen,
welche in "CYSP 1" durch sich verändernde Umweltbedingungen
entstehen. Bei "CYSP 1" wird die interne Ausbalancierung, die
beim "Homeostat" vier aufeinander reagierende Subsysteme leisten,
von einem elektronischen Steuerungssystem abgelöst. Auf die Selbststeuerung
von William Grey Walters Robotern (s. Kap. II.2.3) folgt in "CYSP
1" die Selbststeuerung mittels programmierter Elektronik.
II.3.2 "Cybernetic Serendipity"
II.3.2.1 Die Londoner Ausstellung
Jasia Reichardt begann im Herbst 1965 auf Anregung des deutschen Philosophen Max Bense mit den Vorbereitungen für die Ausstellung "Cybernetic Serendipity". 20 August bis Oktober 1968 wurden im Londoner Institute of Contemporary Arts überwiegend Beispiele für die Anwendung von Computern in Kunst, Literatur und Musik gezeigt. Nach Reichardt besuchten 60.000 Menschen die Ausstellung über "The Computer and the Arts". 21 Neben Schöffers bereits zwölf Jahre altem "CYSP 1" waren die kybernetischen Skulpturen von Edward Ihnatowicz und Gordon Pask zum ersten Mal in "Cybernetic Serendipity" zu sehen. Sie zeigten die 1968 erreichte Entwicklung von auf Besucheraktionen reagierenden dreidimensionalen Werken.
Der Katalog und zwei folgende, von Reichardt herausgegebene oder geschriebene Publikationen dokumentieren die Entwicklung der Kunst für und mit Computer. 22
II.3.2.2 Edward Ihnatowiczs "SAM" und "Senster"
Edward Ihnatowiczs "Sound Activated Mobile", kurz "SAM" (1968), reagierte auf leisere Töne. Ein Klangreflektor aus Fiberglas enthielt vier kreuzförmig angeordnete kleine Mikrophone. Die acht hydraulisch gesteuerten, aus Aluminium gegossenen Wirbel eines mechanischen Rückgrats drehten sich und richteten den Reflektor dem Input der Mikrophone folgend aus. Die zwei vertikal und die zwei horizontal zueinander angebrachten Mikrophone waren mit je eigenen analogen Systemen verbunden. Indem diese zwei Systeme die Zeitunterschiede zwischen beiden Mikrophonen maßen, `erkannten´ sie die Richtung, aus der das Klangereignis kam. "SAM" konnte über die Hydraulik der Wirbel seines `Rückgrats´ den Reflektor in diese Richtung lenken.
Ihnatowicz, Edward: SAM, 1968, Ausstellung "Cybernetic Serendipity", Institute of Contemporary Arts, London 1968.
Den analogen Schaltkreis zur Messung des audiellen Inputs entwickelte John Billingsley, während Ihnatowicz das `Rückgrat´, dessen Hydraulik und den die Bewegungen koordinierenden, im Sockel versteckten Analogrechner ausführte. Die Technik des hydraulischen Servosystems orientierte sich an biologischen Vorbildern. Der Reflektor konnte wie ein Kleeblatt oder eine Blume, aber auch wie ein Kopf erscheinen.
Ihnatowicz, Edward: SAM, 1968 (Ihnatowicz: Cybernetic Art 1986, Cover).
Ihnatowicz unterhielt das Publikum mit überraschenden Fertigkeiten eines umweltsensitiven Systems. Er führte weniger ein Modell menschlicher Intelligenz vor, wie William Grey Walter seine Roboter verstand (s. Kap. II.2.3). 23
Ihnatowicz kündigte in seinem Katalogbeitrag zu "Cybernetic Serendipity" eine "large structure" an, "to be operated by a computer." 24 Zu dieser Zeit bereitete Ihnatowicz The Senster vor, das September 1970 auf einem runden Sockel im Foyer des "Evoluon", einem Technischen Museum auf dem Eindhovener Werksgelände von Philips, installiert wurde und bis Dezember 1973 täglich auf Geräuschproduktionen und Bewegungen von Besuchern reagierte. Ihnatowicz programmierte im Evoluon einen Computer Philips P 9201 über Lochkartenbänder in Assemblersprache von September bis Dezember 1970 und setzte die Besucher als Versuchspersonen ein. 25
Ihnatowicz, Edward: The Senster, 1970, im Evoluon, Eindhoven.
"Senster" war eine Stahlrohrkonstruktion aus drei statischen Beinen, auf denen ein bewegliches Gestell installiert war. Die Stahlrohre dieses Teils wurden von sechs unabhängigen elektrohydraulischen Servosystemen bewegt. Der Tank und die Pumpen der hydraulischen Systeme befanden sich unter dem Sockel. Der Computer steuerte die Hydraulikzylinder und die Potentiometer der Servosysteme. Das über die Beine weit nach vorne ragende bewegliche Teil richtete sich nach dem Input von Sensoren. Diese Sensoren waren in einem ebenfalls beweglichen Teil am auskragenden Ende des beweglichen Gestells untergebracht.
Ihnatowicz, Edward: The Senster, 1970, im Evoluon, Eindhoven.
Ihnatowicz dienten Hummerscheren als Vorbild für die Gelenkkonstruktion, weil sie Bewegungen mit sechs einfachen Drehgelenken erstaunlich leicht ausführen können. Der Künstler konstruierte das bewegliche Gestell von "Senster" als große Hummerschere, deren Zange durch eine bewegliche Befestigung von Sensoren ersetzt wurde.
Zwei Doppler Radareinheiten auf zwei links und rechts der Mikrophone auskragenden Armen konnten Bewegungen von Besuchern erfassen. Durch die paarweise Anordnung der vier Mikrophone zwischen den Dopplern konnte das technische System die Richtung, aus der ein Klang kommt, erkennen. "Senster" bewegte zuerst nur die Mikrophone, dann bei länger anhaltenden Geräuschen auch die beweglichen Teile der Stahlrohrkonstruktion in die Richtung von Klangereignissen. Laute Geräusche und schnelle Körperbewegungen führten zu zurückweichenden Bewegungen des beweglichen Gestells. Besucheraktionen unter den Schwellen, unterhalb derer audieller und Radar-Input nicht mehr berücksichtigt wird, führten zu Wendungen in eine Richtung, in der "Senster" stärkeren Input erfassen konnte. Nach Ihnatowicz bestimmten die Bewegungen von "Senster", nicht seine Form, das Verhalten der Besucher. 26
Ihnatowicz, Edward: The Senster, 1970, vier Mikrophone.
Besucher des Evoluon fühlten sich wegen des
Lärms gestört, den andere Besucher erzeugten, um "Sensters"
Fähigkeiten zu erkunden. Ohne Rücksprache mit dem Künstler
wurde deshalb das Programm von "Senster" geändert und die
so uninteressant gewordene kybernetische Skulptur schließlich 1973
abgebaut. 27
Während Ihnatowicz in "SAM" und "Senster" an der Programmierung von auf Umwelt reagierenden Bewegungen maschineller `Körper´ arbeitete und mit den durch Sockel abgegrenzten Werkräumen die etablierte Trennung zwischen Kunstraum und Umgebung nur modifizierte, realisierten Gordon Pask (s. Kap. II.3.2.3) und James Seawright (s. Kap. II.3.3) mit Installationen, die auf Beobachteroperationen reagierten, neue Konzepte der Integration von Beobachtern in den Werkraum.
II.3.2.3 Gordon Pasks "Colloquy of Mobiles"
Gordon Pasks "Colloquy of Mobiles" war
eine fünfteilige Installation, mit der Besucher von "Cybernetic
Serendipity" mittels Taschenlampen interagieren konnten. Fünf
aufgehängte Objekte steuerten ihre Bewegung wechselseitig durch Lichtstrahlen
und Lichtreflexe. Drei organisch geformte Objekte hingen an den angeschnittenen
Ecken eines dreieckigen, von der Decke horizontal abgehängten Elements.
Zwischen diesen Objekten hingen zwei Mobiles aus anorganisch geformten
Elementen an einem weiteren, kleineren sich horizontal drehenden Element,
das an dem großen dreieckigen Element befestigt war. Diese fünf
Objekte hingen an von Elektromotoren getriebenen vertikalen Achsen. Pask
bezeichnete die Mobiles aus anorganisch geformten Elementen als "Males"
und die drei mit Fiberglaskörpern organisch verkleideten Elemente
als "Females". Die von innen beleuchteten, semitransparenten
Fiberglaskörper entwarf Yolanda Sonnabend. 28 Die
"Males" bildeten ein inneres Rotationssystem, vor dem die "Females"
mit je eigenen Systemen kreisten.
Pask, Gordon: Colloquy of Mobiles, 1968, Ausstellung "Cybernetic Serendipity", ICA London 1968 (rechts hinten: Schöffer, Nicolas: CYSP 1, 1956) .
Die "Males" und "Females"
sind so programmiert, dass sie durch Lichtstrahlen und Lichtreflexe Kontakte
zwischen sich herstellen. Wenn sich diese Kontakte ergeben, dann reagieren
die bewegten Objekte mit veränderten Bewegungsabläufen. Die
Bewegungen der "Males" und "Females" werden von einem
Computer gesteuert, der außerhalb der Installation steht. Kabel
verbinden die Installation über das statische Deckenelement und die
Decke mit dem Computer. 29 Die "Males" enthalten
Fotozellen und Elemente, die oranges oder dunkelrotes Licht emittieren.
In Öffnungen der "Females" sind lichtreflektierende Objekte
befestigt. Die "Males" können sich sowohl durch die Bewegungen
des mobilen Deckenelementes als auch durch ihre Eigenbewegungen den "Females"
nähern. Die "Males" können in Positionen geraten,
in denen Einer von ihnen seine Ziele nur weiter verfolgen kann, wenn er
den Anderen behindert. 30
Pask, Gordon: Colloquy of Mobiles, 1968, Ausstellung "Cybernetic Serendipity", ICA London 1968 (Pask: Comment 1971, S.97, Fig.40).
Nach Phasen der Inaktivität werden die Fiberglaskörper der "Females" durch Lichter in ihrem Inneren erhellt und die "Males" beginnen, Lichtstrahlen zu senden, die auf die Spiegel in den Öffnungen der Fiberglaskörper von "Females" treffen können. Bestimmte Lichtinteraktionen provozieren bei den "Males" einen Wechsel der Lichtfarbe und des Rotationstempos, wenn die "Females" die Lichtstrahlen der "Males" auf deren Fotozellen zurücklenken. Im Verlauf solcher Lichtinteraktionen geben beide Seiten Tonsignale. Von den "Males" gesendete Tonsignale werden von einem kooperierenden "Female" empfangen und mit einem korrespondierenden Ton beantwortet. 31 Auf diese audielle Kooperation kann wiederum eine Phase visueller Kooperation folgen.
Die mobilen Elemente verfolgen "Ziele" wie zum Beispiel die `heterosexuelle´ Kooperation in einer der beiden Rotationstempi 32 in einem System, das Kooperation auf mehreren Ebenen organisiert: Die Ziele werden in "Unterziele" ("sub-goals") aufgegliedert. Die "Females" and "Males" verfolgen "Ziele" unabhängig voneinander. Sie können deshalb bei der Ausführung von "Zielen" nicht nur miteinander konkurrieren, sondern auch sich behindern. 33
Pask, Gordon: Colloquy of Mobiles, 1968, Grund- und Aufriss der mobilen Elemente (Pask: Comment 1971, S.90, Fig.34).
Die mobilen Elemente benötigen zur Kooperation Gedächtnis, um speichern zu können, welches Element in welcher Aktionsphase mit ihren Zielen korrespondierte. Mit dem "Kurzzeitgedächtnis" ("short-term memory") wird die aktuelle Kooperationsphase bis zur nächsten Phase erinnert. Das "Langzeitgedächtnis ("long-term `memory´") speichert ältere Kooperationserfahrungen und Lernprozesse. Die verschiedenen Vorlieben, die mobile Elemente entwickeln, kann sich der potentielle Partner merken und sich auf sie einstellen. 34.
In dieses "aesthetically
potent social environment" 35 konnten Besucher
von "Cybernetic Serendipity" mit Taschenlampen oder Spiegeln
und Klangaktionen eingreifen. Die Interaktion zwischen "Females"
und "Males" konnten Besucher durch Interventionen beeinflussen
und an Hand der Reaktionen des Systems dessen Programmierung zu eruieren
versuchen. 36 "Colloquy of Mobiles" war offenbar
hinreichend komplex zu reagieren in der Lage, um das Interesse von Menschen
längere Zeit wecken zu können. Die Komplexität der systeminternen
Reaktionsfähigkeiten zwischen den fünf bewegten Objekten war
die Voraussetzung für die systemexternen Anschlußmöglichkeiten
und damit für die Internventionen der Besucher.
Pask liefert nach Ashbys "Homeostat" (s. Kap. II.1) ein weiteres
Modell für dessen "Law of requisite variety" (s. Kap. II.1.5),
nach dem die systeminterne (System/System-Beziehungen) Ausdifferenzierung
die Voraussetzung für die System/Umwelt-Beziehungen liefert. Die
vier Subsysteme des "Homeostat" sind sich wechselseitig Umwelt:
Der "Homeostat" kann in Folge der Unterteilung in interne System/Umwelt-Verhältnisse
auf bestimmte externe Umweltereignisse reagieren. Dies trifft ebenso auf
"Colloquy of Mobiles" zu. So wie die internen Elemente von "Colloquy
of Mobiles" voneinander lernen, so ist die Installation auch fähig,
von externen Beobachteroperationen zu lernen: Das Werk reagiert auf externe
Ereignisse wie auf die Aktionen der eigenen Elemente.
Pasks Modell enthält jetzt auch die von den Teilnehmern der neunten Macy Conference 1952 an Ashbys "Homeostat" monierte, weil fehlende Lernfähigkeit durch Gedächtnis (s. Kap. II.2.2). Die Aufteilung auf mehrere interne, voneinander unabhängig operierende Subsysteme und die Gliederung in Kurz- und Langzeitgedächtnis ergeben die "requisite variety" der Rechenprozesse, deren Zusammenhänge Beobachter über die sicht- und hörbaren Ereignisse rekonstruieren können. Die Schnittstelle/das Interface zwischen Mensch und Maschine besteht aus den Licht- und Spiegelaktionen als Möglichkeiten für humanen Input und den sicht- und hörbaren Aktionen als maschinellem Output. Die Möglichkeiten für humanen Input ergeben sich durch Rekonstruktionen der maschinellen `Konversation´ zwischen Mobiles, die zugleich als ein rudimentäres Modell sozialer Interaktion verstanden werden kann. Rudimentär ist das Modell als Testfall der Kommunikation, weil es auf der Ebene von Funktionen auslösenden Signalen, nicht auf der Ebene der symbolischen Interaktion operiert.
II.3.3 Licht- und Klanginstallationen von James Seawright und Vladimir Bonacic
Für die Ausstellung "The Magic Theatre"
realisierten 1968 Künstler und Musiker wie Stephen Antonakos, Terry
Riley, Charles Ross und Robert Whitman Installationen, die Licht- und
Klangereignisse erzeugten. James Seawright errichtete "Electronic
Peristyle" 37: ein ungewöhnliches Werk für
eine ungewöhnliche Ausstellung.
Er installierte "power supplies" in einem Sockel unter einer
Kugel ("central sphere") aus durchsichtigem Plastik, die 12
Fotozellen enthielt. Zwischen Plastikkugel und Sockel befand sich ein
Metallring mit 12 "light beam projectors". Die Elektronik in
dieser vertikalen Struktur mit runden Segmenten "was either digital
(the earliest family of Motorola RTL logic chips)" oder enthielt
"conventional analog transistor circuits." Diese Elektronik
steuerte unter anderem "several electronic synthesizer modules"
zur Klangerzeugung, die Robert Moog entwarf. Moog installierte sein analoges
Equipment in Seawrights Installation.
Seawright, James: Electronic Peristyle, 1968, Ausstellung
"The Magic Theatre", William Rockhill Nelson Gallery of Art,
Kansas City/Missouri 1968. Foto oben: Larry B. Nicholson (Davis: Experiment
1975, S.96). Foto unten: James Seawright.
Die vertikale Einheit mit Plastikkugel bildete die Mitte eines von 12
Stelen mit schwarzer Resopalbeschichtung gebildeten Kreises. Im 21 Fuß
(bzw. 6,4 Meter) großen Kreis bewegten sich die Besucher auf einem
erhöhten zweiten Boden, unter dem die Stützstruktur aus Stahl
für die Stelen und die technische Ausrüstung ("multi conductor
cables") verstaut war. Die von dem Ring unter der "central sphere"
aus zu den Stelen gesendeten Lichtstrahlen trafen dort auf Fotozellen,
wenn dies nicht von Beobachtern, welche die Sockelzone betreten haben,
verhindert wurde. Die Fotozellen bildeten zusammen mit Spiegeln die "receptors"
der Stelen. Die Spiegel reflektierten die Lichtstrahlen. Diese Reflexe
registrierten die Fotozellen in der Plastikkugel. Auf die von Beobachtern
erzeugten Unterbrechungen des Lichtstrahls und seiner Umlenkungen reagierte
das von den Fotozellen mit Input gefütterte "shift register".
Die "circuit boards" des "shift register" befanden
sich in der "plastic sphere" hinter den Fotozellen.
Dessen "twelve data bits" wurden "at varying rates"
zwischen "twelve stages" "clockwise" durchgereicht.
Die "12 stages" des "shift register" waren "connected
in a circle". Eine "12-bit binary number" wurde über
einen "pulse" im "circle" von "stage" zu
"stage" weiter gereicht. Die "12 stages of the shift register"
korrespondierten mit den 12 Stelen. Die "numbers" jeder "stage"
lasen die von Robert Moog entworfenen "electronic synthesizer modules",
darunter "two 8-bit input voltage-controlled oscillators, two 6-bit
voltage controlled amplifiers (envelope generators, intermodulators and
a voltage controlled filter)."
Die daraus resultierenden Daten "could be patched into the shift
register outputs in a wide range of possibilities": Mit der Programmierung
eines "permanent setup" wählte Seawright eine der technischen
Möglichkeiten, "shift register" und "synthesizer modules"
zu koordinieren. Die von "stage" zu "stage" zirkulierenden
"12-bit binary numbers" ergaben "digital values",
zu denen ein "output of the synthesizer modules" mit "appropriate
values" aufgerufen wurde: "differing pitches in the case of
digital oscillators, different loudness values in the case of amplifiers
(or level controls) and so forth, including the timing intervals of the
shift register's shifts. A digitally controlled filter" konnte das
"overall timbre,etc." ändern, bevor das "mixed audio
signal" an die Lautsprecher der Stelen geschickt wurde. Beobachter
konnten beim Gehen auf dem Sockel "...the constantly changing data
decoded into a melodious, background of sound" hören.
Auch von Besuchern verursachte, von den Fotozellen der Stelen erfasste
Lichtunterbrechungen lösten Klänge erzeugende Prozesse aus:
Langsam lauter werdende "low frequency tones" waren aus Lautsprechern
mit "a few Hz" Differenzen zueinander zu hören "so
that the sounds `beat´ against each other". Wenn diese Töne
eine bestimmte Schwelle erreichten, dann schalteten sich die "tone
generators" ab. Dieses Abschalten wiederum aktivierte Ventilatoren
in den Stelen, die auf Fußhöhe Luftbewegungen erzeugten.
Der von der vertikalen Einheit mit Plastikkugel zu den Stelen gesendete
"composite audio output" wurde in jeder Stele mit den in ihr
erzeugten "low frequency tones" gemischt. Diese Mischungen waren
aus den Lautsprechern jeder Stele zu hören.
Die von Beobachtern erzeugten und von den Fotozellen in der "plastic
sphere" registrierten Licht(reflex)unterbrechungen "change the
state of the data bits in the stages of the shift register": Technisch
gesehen wird die Zirkulation der Daten zwischen den "stages"
sowohl systemintern durch einen "pulse" als auch extern durch
Besucher erzeugt. Räumlich gesehen aber handeln die Besucher nicht
von einem Standpunkt außerhalb des Werkes, sondern bewegen sich
im Stelenring: Sie agieren und reagieren im Environment auf den Systemoutput.
"A rotating scanner" über der Plastikkugel überschrieb
die Daten im "shift register" alle 2 Minuten, um mit einem Neustart
zu vermeiden, dass die "twelve bits" des "shift register"
"to get set to all ones or all zeros" und damit das System blockieren
würden.
Paare mit weißen und gelben Leuchten in der Plastikkugel zeigten
"the instantaneous state of each stage of the shift register"
an. Vom Stand eines "bits" zeigte die gelbe obere Leuchte "1"
und die untere weiße Leuchte "0" an. Für jeden "state"
gab es ein Leuchtenpaar, das mit "1" oder "0" anzeigte,
ob es eine von Besuchern bewirkte Aktivierung einer Fotozelle in der Plastikkugel
gab (Fotozelle "state" Leuchtenpaar). Außerdem
gaben die Leuchtenpaare die vom "shift register" erzeugten Veränderungen
der "states" an. Weitere "sets of [green and red] lamps"
informierten über "states of the digital inputs to the audio
synthesizer modules".
Seawright integrierte den Beobachter in die Installation,
indem er ihn nur von dort aus die Wind-, Licht- und Klangfunktionen stören
und aktivieren ließ. Beobachter konnten an Hand der Klangveränderungen
und der Leuchten in der Plastikkugel kontrollieren, ob ihre Bewegungen
zwischen Stelen und Plastikkugel Veränderungen im System erzeugten.
38
Seawright, James: Electronic Peristyle, 1968, "central
unit" außerhalb der Installation. In der unteren Hälfte
der von einem "metal band" geteilten Plastikkugel ist "the
circuitry of the sound synthesizer" sichtbar untergebracht. Darüber
sind die 12 Fotozellen erkennbar, "looking a bit like little cannons".
In einem "black metal drum" sind die Leuchten untergebracht,
die Zustände des "shift register" und der "audio synthesizer
modules" anzeigen. Darüber sind die Kabel des "patch panel"
zu sehen, über dem sich der "rotating scanner" befindet
(Foto und Zitate: James Seawright).
Vladimir Bonacic setzte früh Minicomputer ein. Er begann 1969 in Zagreb mit Miro Cimerman, auf den Computern PDP-8 der Digital Equipment Corporation (DEC) und SDS 930 von Scientific Data Systems mit "selbstgebauter Elektronik" "Pseudo-Zufalls-Transformatoren und -Generatoren" mittels Galois-Feldern zu erzeugen. 39 Die berechneten polynomischen Gleichungen (aus Abstrakter Algebra) wurden in "die elektronischen Schaltkreise eines Steuergerätes implementiert" 40, das Lichtsequenzen auf Rasterfeldern mit teilweise verschieden farbigen Elementen erzeugte.
In "G.F.E. (16,4)" (1969-71) konnten Besucher Lichtsequenzen über Regler oder über Fernsteuerung (mittels Radiowellen) modifizieren. Die Sequenzen erzeugten drei Galoisfeldgeneratoren auf 1024 Leuchtelementen in 16 Farbtönen. Die Leuchtelemente bildeten ein 1,78 x 1,78 x 0,20 Meter großes "dynamisches Objekt". 41 64 Klangoszillatoren, die mit den Galoisfeldgeneratoren interagierten, erzeugten Töne, die über 2 Stereoverstärker hörbar wurden. Nach Bonacic konnte das "dynamische Objekt...1 048 576 verschiedene Bilder" je nach Einstellung am Schnellsten in 6 Sekunden und am Längsten in 24 Tagen erzeugen, wobei "mit jedem Bild...ein besonderer Ton" erklang. 42
Bonacic, Vladimir: G.F.E. (16,4), 1969-71.
Bonacic differenzierte im Vergleich zu Seawrights "Electronic Perystyle" die Licht- und Klangvariation weiter aus, nicht aber die Integration des Beobachters in den Werkraum durch ungewöhnliche Interfaces und Anordnungen der Werkteile.
Seawrights "Network III" wurde 1971 im Walker Art Center in
Minneapolis installiert. Besucher erzeugten beim Gehen auf Sensoren Muster
auf einem Deckenlichtraster, das sich über den Sensoren befand. 6
x 6 Reihen drucksensibler Elemente, wie sie für automatisch sich
öffnende Türen verwendet wurden, lagen unter einem 20´
x 20´ [6,09 x 6,09 m] großen Teppich. 400 Glühbirnen
hingen an einem "grid of web-belting" in Abständen von
11´´ (28 cm) zueinander.
Ein unter einer weißen Kiste verdeckter Minicomputer PDP
8-L bereitete den Input der Bodensensoren programmierte Algorithmen
ausführend zur Umsetzung in Lichtmuster vor. Der Computer
konnte jedes der 400 Lichter ansteuern.
Das Programm konnte auf die Bewegungen von ein bis
zwei Besuchern durch Lichtmuster reagieren. Seawright programmierte in
der "PDP8 assembly language" einen Kreis mit 2 Fuß (60,96
cm) Durchmesser, der auch als "blinking circle " erscheinen
konnte. "A cross or plus sign" konnte auch "rotating"
aufleuchten. Außerdem erschien bei bestimmtem Sensoreninput "a
solid square box".
Betraten drei oder mehr Besucher die Sensorenfläche, dann meldetete
sich das Programm mit "a spectacular blowup" ab. Die Rechen-
und Speicherkapazität des Minicomputers reichte für eine Lichtmusterprogrammierung
für mehrere Personen nicht. Das Programm identifizierte die Personen
"target 1" und "target 2" auf den Sensoren
und wies ihnen verschiedene Muster zu. Falls beide Personen sich in angrenzenden
Sensorbereichen bewegten, dann "the overhead patterns" für
"target 1" und "target 2" "would superimpose".
Danach konnte es vorkommen, dass die Lichtmusterprogrammierung "target
1" und "target 2" vertauschte. 43
Seawright, James: Network III, 1971, Walker Art Center, Minneapolis 1971. Foto: Eric Sutherland (Davis: Experiment 1975, S.195).
Mit den drucksensitiven Bodensensoren und mit der
räumlichen Koordination von Beobachtern zwischen Input- und Outputflächen
nahm Seawright in "Network III" Interfaces von computergestützten
Installationen der neunziger Jahre vorweg (s. Kap V.1). Die Licht- und
Klangmuster Seawrights werden dann von Computersimulationen dreidimensionaler
Räume ersetzt und Interfaces wie zum Beispiel Bodenplatten werden
zum Interface zwischen Real- und Bildräumen. 44
II.3.3 Nicolas Negroponte, die Architecture Machine Group und "Seek"
Die von Nicolas Negroponte im Urban Systems Laboratory des MIT (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge/Massachusetts) geleitete "Architecture Machine Group" entwickelte 1967 mit "URBAN5" ein computergestütztes Entwurfssystem für Architekten, das als Mittel zur Verbesserung von Planungsverfahren einsetzbar sein sollte. Das System war bedienbar über Tasten auf einer Konsole und über einen Lichtstift, mit dem auf einem Bildschirm Funktionen abgerufen werden konnten. Das Graphische System verwendete Kuben als Basiselemente. "URBAN5" war Negroponte für einen Wandel von Entwurfsstrategien nicht komplex genug. 45
The Architecture Machine Group: URBAN 5, 1967.
Die beabsichtigte Integration der Umgebung in Entwurfsverfahren
war mit "URBAN 5" noch nicht möglich. 46
"The Architecture Machine" war ein lernfähiges System mit
einer mobilen Einheit, die Fotozellen enthielt und Umwelteigenschaften
unterscheiden konnte, sowie einem von StudentInnen konstruierten Roboterarm,
mit dem stereometrische Elemente auf einem Tisch bewegt werden konnten.
Das am M.I.T. entwickelte "Minsky/Papert-Auge"
war in der Lage, stereometrische Elemente zu erkennen. So sollten die
Konturen von Körperkonstellationen auf dem Tisch in eine Datenlandschaft
übersetzt werden können. Ein Minicomputer Interdata Model 3
leistete die Datenverarbeitung. Die Parameter des lernfähigen Roboters
sollten in Interaktion mit einem Architekten "develop its own conditioned
reflexes." 47 So weit das auf "Architectural
Intelligence" 48 ausgerichtete Entwicklungsziel.
Minsky/Papert Eye, M.I.T. (Negroponte: The Architecture Machine 1970, S.106).
Jack Burnham kuratierte 1970 die Ausstellung "Software" im New Yorker Jewish Museum. "The Architecture Machine Group" schuf in der Installation "Seek" für 500 Wüstenspringmäuse eine Umgebung aus Aluminiumklötzen in einem oben offenen Glasbehälter. Ein fahrbarer Arm mit einem Magneten konnte auf zwei über dem Glasbehälter montierten Schienen Klötze hin und her bewegen. Über druckempfindliche Sensoren erkannte das von einem Interdata Model 3 Computer geleitete System, wenn Mäuse die Klötze aus der rasterförmigen Ausrichtung verschoben. Der Rechner aktivierte dann den fahrbaren Arm, der die Klötze in eine neue, am rechten Winkel des Rasters ausgerichtete Ordnung versetzte. 49
The Architecture Machine Group: Seek, 1970, Ausstellung "Software", The Jewish Museum, New York 1970 (Negroponte: Architecture 1975, S.46, Fig.1).
Die angestrebte "artificial intelligence" 50 führte offenbar zu der Erwartung, dass der computergesteuerte Arm direkt auf das Verhalten der Mäuse reagieren würde. 51 Der Katalogbeitrag der Architecture Machine Group weist jedoch auf die noch nicht überbrückte Distanz zwischen "Seek" und dem Projekt "artificial intelligence": "...`Seek´ deals with elementary uncertainties in a simple-minded fashion." 52
Die Gruppe führt mit der Tier/Maschine-Relation
in "Seek" ein rudimentäres Modell eines sozialen Systems
vor, das maschinengesteuert flexibel auf das Verhalten der sich im System
bewegenden Lebewesen reagiert. Damit antizipiert The Architecture Machine
Group das Modell flexibler Architektur, das in den siebziger Jahren zum
Leitbild vieler Architekten wurde und in Projekten wie Cedric Prices "InterAction
Centre" (Kentish Town, 1976-Abriss 2003) sowie in Renzo Piano und
Richard Rogers Centre
Pompidou (Paris, 1977) realisiert wurde. Während diese Bauten
vor allem eine flexible Nutzung durch innerhalb von Traggerüsten
versetzbare Teile erlaubten, so planten Cedric Price, John und Julia Frazer
1976-79 im "Generator Project" Sensoren, auf die vier Computerprogramme
reagieren, und einen permanent installierten mobilen Kran zur Bewegung
von Bauteilen. Der Kran soll von den Computern geplante Änderungsvorschläge
umsetzen. Die Änderungsvorschläge reagieren auf den Input der
Sensoren. Der Input besteht aus Daten über die Nutzung der Bauelemente.
Die Computerprogramme sollen nach John Frazer den Nutzern des Hauses mit
besseren Vorschlägen zuvorkommen, als diese sie selbst ausarbeiten
können: Gordon Pasks "Learning machines" (s. Kap. II.3.1.1)
und "The Architecture Machine" mit dem sich mit seiner Nutzung
ändernden Environment werden zum Vorbild für die Weiterentwicklung
von flexiblem Bauen. 53
Das Projekt einer Expansion von
Skulptur zum Environment und zur Aktion ist in den sechziger Jahren auf
verschiedene Weise realisiert worden. Die Entwicklung von "responsive
environments" als Vorstufe zur "responsive architecture"
54 wird unter anderem von computergestützten Organisationsmöglichkeiten
geprägt. Hier werden Grenzen der Kunst durch die Demonstration eines
nicht realisierbaren architektonischen Konzepts überschritten. Das
vom MIT in der Ausstellung "Software" installierte Modell "Seek"
antizipierte umfangreichere Zukunftsprojekte und artikulierte Aufgaben
für die Forschung. Durch den Versuchsstatus der Tiere erhielt "Seek"
eine Brisanz, welche von der Kunstkritik aufgegriffen wurde, nicht ohne
das Forschungsziel in Frage zu stellen. 55
Dr. Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München. Homepage
mit zahlreichen kunstkritischen Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und
Intermedia Art.
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Sie uns eine E-Mail.
Anmerkungen
1 Pask: Approach 1961, S.32, pl. I(i). "Eucrates"
wurde 1955 von C.E.G. Bailey, T. Robin McKinnon Wood und Gordon Pask konzipiert
(Pask: Approach 1961, S.67). zurück
7 Pask: Comment 1971, S.80. Vgl. Pickering: Brain 2010, S.316.
Pask: Comment 1971, S.78 über den Musiker: "The musical performer (who may, incidentally, be replaced by a small group or band) must first be able to see the visual display and second be able to modify his performance according to what he sees. The latter condition can be satisfied in various ways. At one extreme, the performer has a (usually memorized) score and he modifies his performance by giving a different interpretation to the piece. At the other extreme, he improvises in a fashion that is only constrained by canons of music and his own disposition." zurück
8 Pask: Comment 1971, S.78ff.; Pickering: Brain 2010, S.314, Fig. 7.2, S.316; Rosen: Control 2008, S.136. zurück
9 Pask: Comment 1971, S.86.
Gordon Pasks "electro-chemical display" ist Teil einer Forschung der Relationen zwischen "stability and variety" in "self-organizing systems", die ihn zu "chemical computers" führt: "Chemical computers arise from the possibility of `growing´ an active evolutionary network by an electro-chemical process." (Pask: Approach 1961, S.105) Über die Einsichten in Emergenz, die Pask dabei gewann: Cariani: Emergence 1991, S.789; Cariani: Ear 1993; Pickering: Brain 2010, S.334-343; Whitehead: Metacreation 2004, S.223. zurück
11 Pask: Comment 1971, S.86: "From the performer´s point of view, training becomes a matter of persuading the machine to adopt a visual style which fits the mood of his performance. At this stage in the development of the rapport, the performer conceives the machine as an extension of himself, rather than as a detached or disassociated entity." zurück
12 Pask: Approach 161, S.48: "A system is `self-organizing´ if the rate of change of its redundancy is positive." zurück
13 Pask: Approach 1961, S.48. "Observer" ist in diesem Fall der Musiker.
Pask beschreibt "observers" als "men, animals, or machines able to learn about their environment and impelled to reduce their uncertainty about the events which occur in it, by dint of learning." (Pask: Approach 1961, S.18) "Some simplified abstractions from the real world" sind als Grundlage von Vorhersagen falsifizierbar: "Any observation of the real world is fallible..." (Pask: Approach 1961, S.19) Lernen wird zur Voraussetzung, um ausreichende "requisite variety" (Pask: Approach 1961, S.51ff.; s. Kap. II.1.5) für adäquate Reaktionen auf Umweltereignisse zu erreichen. zurück
15 Bruinsma, A.H.: Practical Robot Circuits. A Philips
Technical Publication. Zit. in: Hoggett: CYSP 1 2009. Jean-Noël Montagné
in einem e-Mail vom 27.10.2013 an den Autor.
Der Name "CYSP" ist eine Abkürzung. Sie besteht aus den ersten beiden
Buchstaben von «cybernétique» und «spatiodynamique»
(Cassou/Habasque/Ménétier: Schöffer 1963, S.50).
Zu einer berechtigten Kritik des Begriffs "Elektronengehirn"
in der 1951 zum Londoner "Festival of Britain" vom Science Museum
in South Kensington herausgegebenen Broschüre: s. Kap. VII.1.1 über
"Ferranti NIMROD". zurück
16 Hoggett: CYSP 1 2009; Schöffer: Apparitions
2009 und Jean-Noël Montagné in einem e-Mail vom 27.10.2013
an den Autor. Nach Montagné war "CYSP 1" selbststeuernd,
aber "not programmable...but there were 2 speeds possible for the
main moving motors". Die externe Steuerung wird in Cassou/Habasque/Ménétrier:
Schöffer 1963, S.50-57 nicht gezeigt und nur indirekt beschrieben
(S.137). zurück
17 o.A.: CYSP 1. In: Reichardt: Cybernetic Serendipity 1968, S.45: "...the sculpture consisting of combined travel and animation. For example: it is excited by the colour blue, which means that it moves forward, retreats or makes a quick turn, and makes its plates turn fast; it becomes calm with red, but at the same time it is excited by silence and calmed by noise. It is also excited in the dark and becomes calm in intense light." zurück
18 Nicolas Schöffer am 30.9.1983 zu Hans-Jürgen Buderer. In: Buderer: Kinetische Kunst 1992, S.191 (vgl. Buderers Kommentar, ebda, S.127f.).
Vgl. Jacques Bureaus "Anmerkungen der Firma Philips..." (1955). In: Cassou/Habasque/Ménétrier: Schöffer 1963, S.45: Eine "Indifferenzzelle" sorgt für einen "Ungewißheitsfaktor" (Vgl. Cassou/Habasque/Ménétrier: Schöffer 1963, S.50,60,136). zurück
19 Buderer: Kinetische Kunst 1992, S.124f.,190,193f.
(Schöffer 1983, s. Anm.18); Schöffer: Spatiodynamisme 1955 (Ich
danke Jean-Noël Montagné für den Hinweis). Bureau entwarf
das in "CYSP 1" eingesetzte "Elektronengehirn" und
stellt es in "Anmerkungen der Firma Philips..." (s. Anm.18)
als "Homöostat" vor (Cassou/Habasque/Ménétrier:
Schöffer 1963, S.45f.). zurück
20 Klütsch: Computergrafik 2007, S.198ff.; Mason: Computer 2008, S.101-110; Prince: Women 2003, S.3f.; Reichardt: Serendipity 1968, S.5. zurück
21 Reichardt: Cybernetics 1971, S.11. 45.000 Besucher nannte dagegen der damalige Direktor des Institute of Contemporary Arts Michael Kustow (Usselmann: Dilemma 2003, Anm.4). "Cybernetic Serendipity" war als Wanderausstellung auch 1969 in der Corcoran Art Gallery (Washington, D.C.) und im Exploratorium in San Francisco zu sehen (Henning: Museums 2006, S.87ff.; Mason: Computer 1968, S.212). zurück
25 Philips P 9201: Klon des Minicomputers Honeywell DDP-416 (ab 1967. Siehe Zivanovic: Technical Info o.J.; Zivanovic: SAM 2005, S.4). Der Computer stand sichtbar neben dem Sockel. zurück
27 Mason: Computer 2008, S.91; Zivanovich: SAM 2005,
S.5. Weitere Literatur zu Senster: Benthall: Ihnatowicz 1971; Gardner:
Elephants 1983, S.143-146; Ihnatowicz: Forty 2008, S.114f.; Zivanovic:
Technologies 2008, S.100-107. zurück
28 Ausführung der Fiberglaskörper: Pip und Adele Youngerman (Rosen: Control 2008, S.167 mit Anm.128). zurück
29 Pask: Comment 1971, S.97 mit Fig. 40, S.98. Elektronik: Mark Dowson. Elektromechanik: Tony Watts. Den Computer bauten Pask, Dowson und Watts aus "elektro-mechanischen Relais und einfacher Elektronik" (Rosen: Control 2008, S.168 mit Anm.129). zurück
36 Zum Problem der Vorinformationen als Voraussetzung für die Besucher, die Programmierung durch die Erprobung der maschinellen Reaktionen zu entschlüsseln: Rosen: Control 2008, S.172 mit Anm.136. Vgl. dagegen Pickering: Brain 2010, S.360 über Besucher ohne Vorwissen, die mehrere Stunden mit "Colloquy of Mobiles" interagiert haben sollen. zurück
37 Gruppenausstellung "The Magic Theatre",
William Rockhill Nelson Gallery, Kansas City/Missouri 1968. Danach in
den Kunstmuseen von St. Louis/Missouri und Toledo/Ohio. In: Davis: Experiment
1975, S.93,96,194; Ehrlich: Magic Theatre 1969. Dauereinrichtung der Installation
"Electronic Peristyle", seit 1997: New Jersey State Museum,
Trenton/New Jersey. zurück
38 Zitate: James Seawrights Kommmentare in e-Mails
vom 28.9.2013, 7.10.2013, 10.10.2013 und 17.10.2013 an den Autor.
Weitere Literatur zu "Electronic Peristyle": Kostelanetz: Soho 2003,
S.153; Light: Peristyle 1997; Seawright: Art 1970, S.89,91ff. zurück
39 Rosen: Maschinen 2007, S.50. Programmiert wurde der SDS 930 in FORTRAN und Assemblersprache (Frits: Work 2011, S.51). zurück
41 Bonacic: Mensch 1973, S.216: "Das dynamische Objekt GF E 16-4/69-71...wurde aus 1024 quadratischen Aluminiumröhren hergestellt. Die Röhren sind von unterschiedlicher Länge, so daß das Objekt ein Relief bildet. Am Ende einer jeden Röhre befindet sich durchsichtiges Glas in jeweils einer von 16 verschiedenen Farbtönen (Antik-Glas aus Westdeutschland). In jeder Röhre ist eine Lampe, die unabhängig von der arithmetischen Einheit des Computers gesteuert wird." zurück
42 Bonacic: Mensch 1973, S.217. Vgl. Fritz: Work 2011,
S.52f.; Shanken: Art 2009, S.67. zurück
43 Zitate: James Seawright in e-Mails vom 6.10.2013
und 10.10.2013 an den Autor.
Seawright über die Programmierung: "The
programming was all mine, with considerable advice and hand-holding from
computer professionals and hackers. The language was PDP8 assembly language.
The program was coded in ASCII on paper tape, and read in using the teletype
which came with the computer. Loading or reloading the program took over
4 hours!"
Seawright erweiterte das Programm für die Installation in der Gruppenausstellung
"The Responsive Environment", New Jersey State Museum, Trenton/New
Jersey 1972.
Weitere Literatur: Davis: Experiment 1975, S.195; Goodman: Visions 1987,
S.142; Kac: Telepresence 2005, S.176f. zurück
44 Vgl. Weibel, Peter: Zur Rechtfertigung der hypothetischen
Natur der Kunst und der Nicht-Identität in der Objektwelt, 1992 (s.
Kap. V.1); Rogala, Miroslav: Lovers
Leap, 1995. In: Druckrey: Lovers Leap 1995. zurück
45 Negroponte: The Architecture Machine 1970, S.70-99. zurück
46 Negroponte: The Architecture Machine 1970, S.63. zurück
47 Negroponte: The Architecture Machine 1970, S.100-117.
"The M.I.T. Minsky/Papert eye": Negroponte: The Architecture Machine 1970, S.105ff. Marvin Minsky und Seymour Papert entwickelten am MIT Artificial Intelligence Lab unter anderem 1969 "The Logo Turtle" (Hoggett: Logo Turtle 2010), eine Weiterentwicklung von William Grey Walters Robotern (s. Kap. II.2.3) auf der Basis von "LOGO". Dies ist eine 1967 entwickelte, auf LISP basierende Computersprache ("LOGO"-Entwickler: Wally Feuerzeig, Seymour Papert).
Zu Papert, Minsky, Negroponte und "The Architecture Machine" als Belege für Zusammenhänge zwischen Kunst und "Artificial Intelligence": Burnham: Aesthetics 1970, S.111-114. zurück
49 The Architecture Machine Group: Seek 1970 (Studenten des M.I.T. bauten "Seek" als Mitglieder der "Architecture Machine Group"); Davis: Experiment 1975, S.121,124,129; Goodman: Visions 1987, S.40f.,43; Hess: Gerbils 1970; Montfort/Wardrip-Fruin: Reader 2003, S.247; Negroponte: The Architecture Machine 1970, S.104f.,112f.; Pickering: Brain 2010, S.376f., Fig. 7.27. zurück
50 The Architecture Machine Group: Seek 1970. zurück
51 Davis: Experiment 1975, S.124; Goodman: Visions 1987, S.40. zurück
52 The Architecture Machine Group: Seek 1970. zurück
53 Zum "InterAction Centre": Mathews: Agit-Prop 2006, Teil 2 und 3.
Zum "Generator Project": Pickering: Brain 2010, S.372f.; Steenson: Cedric Price 2007. zurück
54 Grünkranz: Phenomenology 2009.
Zur Expansion der Kunst der sechziger Jahre vom isolierten Objekt zum Environment und zur Architektur: Claus: Expansion 1970, bes. S.54-109; Krauss: Sculpture 1979. zurück