4. Typische Verwendungsweisen des Autorkonzepts in den Literaturwissenschaften

Ein solches Forschungsprogramm auch nur ansatzweise umzusetzen, übersteigt die Möglichkeiten dieser Einleitung bei weitem. Als erste Schritte auf diesem Weg sollen aber im folgenden einige typische Verwendungsweisen des Autorkonzepts in literaturwissenschaftlichen Arbeitsbereichen aufgeführt werden. Sie zeigen, daß die Literaturwissenschaft zwar auf den Begriff >Autor< verzichten kann, kaum aber auf die Funktion, die er in ihren Argumentationen innehat. Auch dies mag das Auseinandertreten von Theorie und Praxis erklären und als ein weiteres Argument für eine eingehendere Rekonstruktion und Prüfung der die Praxis leitenden Regeln genommen werden.


Literaturtheorie

Auch wenn eine »konsistente Theoriedebatte« um Autorkonzeptionen nach wie vor anzumahnen ist,[49] finden die literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen um deren Bestimmung und Relevanz für den Umgang mit Literatur doch meistens in Form theoretischer Debatten statt, deren oftmals fehlende Verbindung zur Praxis hier bereits konstatiert worden ist. Die Differenzen zwischen verschiedenen Positionen sind daher auch am prägnantesten zu erkennen, wenn man Literaturtheorien betrachtet. Neben rahmentheoretischen Unterschieden und Abweichungen im Literatur- und Textbegriff ist es die Einschätzung, welche Rolle der Autorinstanz für das Verstehen oder Interpretieren literarischer Texte zukomme, die diese Theorien charakterisiert. Literaturtheoretiker können zwar darauf verzichten, den Begriff >Autor< zu definieren, nicht aber darauf, ihn auf spezifische Weise zu verwenden.

Um Autorkonzepte zu differenzieren, sind sie daraufhin zu untersuchen, in welchem theoretischen Rahmen sie begründet und damit auch inhaltlich bestimmt werden,[50] und es ist nach ihren Funktionen in Bedeutungs- und Interpretationskonzeptionen zu fragen. Beides kann hier nur exemplarisch geschehen.

Wie auch die oben skizzierten historischen Autormodelle zeigen, können Annahmen über den Autor auf mindestens zwei Arten begründet werden: Sie können zum einen als Bestandteil allgemeiner theoretischer Annahmen über die Funktionsweise von Sprache, Gesellschaft, Geschichte etc. auftreten. Diese Annahmen prägen die inhaltliche Füllung des Begriffs >Autor<. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die etwa bei Dilthey formulierte geistesgeschichtliche Auffassung, der Autor habe die Aufgabe, das sich in Ereignissen objektivierende Leben durch seine besondere Einbildungskraft zum Erlebnis umzuformen und symbolisch zu gestalten,[51] hängt unter anderem von geschichtsphilosophischen Grundannahmen und zugleich von psychologischen Konzeptionen über Mechanismen der Weltwahrnehmung ab. Wenn dagegen der Autor nicht mehr als handlungs- beziehungsweise sprachmächtiges Subjekt, sondern als Konstrukt verstanden wird, das zur Reglementierung von Diskursen eingesetzt wird,[52] dann ist diese Bestimmung im Zusammenhang mit diskurstheoretischen Thesen über die Funktions- und Verwendungsweise von Sprache und mit subjektkritischen erkenntnistheoretischen Prämissen zu sehen.[53] Zum anderen - nicht immer trennscharf vom ersten Begründungstyp zu unterscheiden - können Autorkonzepte im Rahmen weltanschaulicher Annahmen oder Normen fundiert sein. Das oben erläuterte Modell (1.) des poeta vates mit seiner Anbindung an eine göttliche Instanz ist hierfür das bekannteste Beispiel.

Von diesen Annahmen hängt es unter anderem ab, welche Funktionen für die Konstitution von Bedeutung in literarischen Texten und für ihre Interpretation Autorkonzepten jeweils zugeschrieben werden.

Im Rahmen von Bedeutungskonzeptionen bilden die Auffassungen, wie relevant der Autor für die Konstitution von Bedeutung sei, ein Spektrum, das von >gar nicht< bis >zentral< reicht. In konstruktivistischen wie auch in dekonstruktivistischen Modellen wird der Autor aus der Menge bedeutungskonstituierender Instanzen ausgeschlossen: Bedeutung wird einem Text im Akt der Lektüre verliehen, indem Individuen (>Normalleser< oder Experten) Textelemente und Kontexte variabel fokussieren.[54] Schreibt ein Autor seinem Text Bedeutung zu, so tut er dies nur als ein Leser und keineswegs als privilegierter Interpret. In allen anderen Modellen, in denen die Bedeutung eines Textes mit Bezug auf eine überindividuelle Instanz bestimmt wird, erhält der Autor zumindest eine Minimalfunktion. Dazu zwei Beispiele. In strukturalistischen Konzeptionen etwa wird davon ausgegangen, daß Bedeutung im Prozeß der Text-Codierung unter anderem durch Differenzen im Sprachsystem entsteht; damit kann dem Autor als >Codierer< immerhin die Funktion zukommen, Konstitution von Bedeutung raum-zeitlich zu fixieren (Funktion 1). In derselben Funktion wird der empirische Autor in rezeptionsästhetischen Ansätzen verwendet, in denen es um die Rekonstruktion einer >angemessenen< Textbedeutung geht. Diese wird zwar, zum Beispiel bei Hans Robert Jauß, in erster Linie durch Textmerkmale, den »Erwartungshorizont« und andere leserbezogene Faktoren bestimmt, der Autorbezug dient aber (mindestens) zur Ausgrenzung historisch nicht adäquater Rezeptionsergebnisse.[55] Eine weitergehende Funktion wird dem Autor in rezeptionsgeschichtlichen Modellen zugeschrieben, die ohne normative Auszeichnung bestimmter Konkretisationen die Bedeutung eines literarischen Textes als Summe aller Rezeptionszeugnisse bestimmen.[56] Die bedeutungskonstitutive Leistung des Autors ist hier eine unter vielen. Seine Funktion ist bildlich gesprochen die, Bestandteil einer offenen Reihe von Bedeutungszuschreibungen zu sein (Funktion 2). Die zentrale Rolle dagegen spielt der Rekurs auf den Autor bekanntermaßen in autorintentionalistischen Bedeutungskonzeptionen, deren einfachste Variante besagt, daß die Bedeutung eines Textes die von seinem empirischen Autor beabsichtigte sei.[57] Seine Funktion ist es hier, Bedeutung festzulegen (Funktion 3). Dieselbe Funktion, wenn auch mit anderer Begründung und abweichender Rekonstruktion, kommt dem empirischen Autor in literaturpsychologischen Modellen zu, nach denen ein Text das bedeute, was er >hinter dem Rücken< seines Autors ausdrücke.[58] Wenn auch voraussetzungsgemäß die Bedeutung des Textes nicht die vom Autor gewollte sein kann, sind es doch seine >psychischen Mechanismen<, die bedeutungskonstitutiv wirken. Zu den komplexeren Varianten einer autorintentionalistischen Bedeutungskonzeption zählen darüber hinaus rezeptionsästhetische Ansätze, die, wie gesagt, dem empirischen Autor nur die minimale Funktion der historischen Fixierung zuerkennen. Eine abstrakt verstandene Autorinstanz jedoch, der >implizite< oder >abstrakte< Autor, fungiert hier ebenfalls als Bezugspunkt für die Rekonstruktion von Textbedeutung.[59]

Diese vorgängigen Bestimmungen legen Annahmen über Beschaffenheit, methodische Relevanz und Funktion des Autorbezugs für die Interpretation literarischer Texte fest. Solche Annahmen manifestieren sich zum Beispiel in der hermeneutischen Suchregel, daß historische Informationen zu Autor und Entstehungszeit oder >Parallelstellen< in anderen Texten des Autors einzubeziehen seien, um einen literarischen Text zu interpretieren. Die Autorintention stellt hier ein Rekonstruktionsziel dar, an das, durchaus auch kritisch, weitere Ziele angeschlossen werden können. In den Such- und Beziehungsregeln einer Interpretationskonzeption hat das Autorkonzept immer die Funktion, Kontexte zu selegieren (Funktion 4), und es kann die Funktion haben, diese Wahl zu legitimieren (Funktion 5). Dies ist naheliegenderweise nur dann der Fall, wenn >dem Autor< im Rahmen der jeweiligen Interpretationstheorie ein entsprechendes Gewicht zugeschrieben und/oder die Bedeutung eines Textes mit Bezug auf ihn bestimmt wird, wie etwa in hermeneutischen und manchen psychologischen, nicht aber in strukturalistischen oder diskursanalytischen Ansätzen. Entsprechend variieren auch die Auffassungen darüber, welchen argumentativen Stellenwert eine Bezugnahme auf den Autor haben kann: Sie kann dazu herangezogen werden, Interpretationshypothesen zu plausibilisieren oder nur zu illustrieren, oder sie kann eingesetzt werden, um Bedeutungszuschreibungen zu überprüfen (Funktion 6).[60] In dieser letzten Variante bilden Autorkonzepte - um eine Formulierung Klaus Weimars aufzunehmen -[61] ein fachspezifisches Äquivalent für die Validierungsstrategien anderer Disziplinen.

Auch wenn zu den theoretischen Aspekten literaturwissenschaftlicher Verwendung des Autorkonzepts die meisten Forschungen vorliegen, sind noch viele Fragen nicht oder nicht befriedigend beantwortet; einigen haben sich die Beiträger dieses Bandes angenommen: So sind zum einen die Verwendungsweisen von Autorkonzepten in bestimmten Literatur- oder Interpretationstheorien[62] und über die Grenzen einzelner Theorien hinweg[63] zu sichten und zu analysieren. Dabei ist es wichtig, die verschiedenen theoretischen Positionen vergleichbar zu machen, indem häufig und abweichend verwendete zentrale Termini wie >Autorkonzept< und >Autorfunktion< begrifflich rekonstruiert und expliziert werden.[64] Zum anderen ist es der vieldiskutierte, aber noch nicht befriedigend geklärte Begriff der Autorintention in seinen verschieden weiten Varianten, dessen sachliche Diskussion ansteht.[65] Nach wie vor offen ist etwa die Frage, welche Bedeutungskonzeptionen ein intentionalistisches Autorkonzept fordern und welche mit ihm unvereinbar sind. Eng mit dem Intentionalitätsproblem hängt die Frage zusammen, welche Bedeutung für Bestimmung und Verwendung des Autorkonzepts der fiktionale Status der meisten literarischen Texte hat.[66] Und schließlich gilt es, Konzepte wie das des >impliziten Autors< oder des >lyrischen Ichs< zu untersuchen, da sie - häufig unreflektiert - als >Stellvertreter< des empirischen Autors im literarischen Text eingesetzt werden.[67]


Interpretation

Welche Autorkonzepte in Interpretationen literarischer Texte verwendet und in welchen Funktionen sie dort eingesetzt werden, ist bislang kaum und schon gar nicht systematisch untersucht worden.[68] Da nicht ohne weitere Prüfung davon auszugehen ist, daß die theoretischen Bestimmungen und Funktionalisierungen dieser Konzepte tatsächlich auch eins zu eins in die Praxis übertragen werden, muß umfangreiches Material an Literaturinterpretationen auf die verschiedenen Verwendungsweisen des Autorkonzepts hin ausgewertet werden. Die Ergebnisse werden zwar nur den disziplinären >Ist-Zustand< dokumentieren, zugleich aber erst die Grundlage liefern, auf der die Angemessenheit oder Unangemessenheit pauschaler Praxisschelten beurteilt werden kann.

Um hier dennoch einen ersten Überblick zu versuchen, scheint es sinnvoll zu sein, verschiedene Typen literaturwissenschaftlicher Interpretationen nach ihren Zielen zu differenzieren[69] und nach den jeweiligen Autorkonzepten sowie den Funktionen der Bezugnahme auf die Autorinstanz zu befragen. Besonders beachtet werden soll dabei, welche der im vorigen Abschnitt erarbeiteten Funktionen übernommen und wie sie variiert werden.

In Interpretationen, deren Ziel es ist, das Strukturprinzip zu ermitteln, nach dem die Bestandteile eines Textes geordnet sind,[70] wird der empirische Autor als Urheber in einem >minimalen< Sinne gesehen: Er hat den Text produziert, und die Bezugnahme auf ihn dient zur historischen Fixierung der lexikalischen Kontextualisierung (Funktion 1). Seine >Intentionen< im Sinne von >Absichten< haben für die Interpretation keine Bedeutung. Dasselbe gilt für »stilbestimmende« Interpretationen, in denen die einem Text eigentümlichen lexikalischen und syntaktischen Besonderheiten und deren Funktionen rekonstruiert werden sollen.[71] Über die Funktion der historischen Fixierung hinaus kann die Autorinstanz hier auch dazu herangezogen werden, den Vergleich mit anderen Texten (desselben Verfassers) zu legitimieren (Funktion 5), um Besonderheiten des einen Werks hervorzuheben. In einem dritten Interpretationstyp geht es, verbunden mit den verschiedensten inhaltlichen Fragestellungen, um eine Rekonstruktion der vom Text vorgegebenen Normen. Hier ist es das Konzept des >impliziten Autors<, das die Interpretation leitet und auf das hin alle Texteigenschaften bezogen werden (Funktion 3), während der empirische Autor nur in seiner Minimalfunktion (1) eine Rolle spielt.[72]

In weiterreichenden Funktionen wird das Autorkonzept in drei anderen Interpretationstypen verwendet. Soll ein Text epochenspezifisch zugeordnet und gedeutet werden, beziehen sich Interpreten unter anderem auf den empirischen Autor,[73] um die Menge potentiell zu berücksichtigender historischer Kontexte einzugrenzen (Funktion 4). Zudem kann in diesen literarhistorisch orientierten Interpretationen aber auf seine >Intentionen< rekurriert werden, wenn diese in erster Linie als zeitspezifisch und weniger als individuell geprägt angesehen werden (Funktion 3).[74] Der Bezug auf eine übergeordnete Größe - etwa die >Ideen< einer Zeit - wird hier als Korrektiv eingesetzt. Im Gegensatz dazu geht es in »psychologischen Textinterpretationen um eine individuelle Größe, um explizite und besonders um >verdeckte Intentionen< eines Autors. Um einen Text mit Bezug auf den psychischen Zustand des Autors zum Zeitpunkt des Verfassens interpretieren zu können,[75] gilt es als legitim, Äußerungen des Autors und Informationen über seine Verhaltensweisen zur Kontextualisierung einzubeziehen (Funktion 5). In >autorenphilologischen Interpretationen< werden literarische Texte im Kontext eines Werkkomplexes oder des Gesamtwerks eines Autors gedeutet. Hier kann die Autorinstanz zum einen eingesetzt werden, um die Kontextualisierungsmöglichkeiten zu begrenzen beziehungsweise die Wahl der Kontexte zu begründen, zum Beispiel wenn nur Werke des Autors aus einer bestimmten Schaffensperiode oder nur explizite Referenztexte einbezogen werden (Funktion 5). Zum anderen kann sie dazu dienen, Interpretationen zu prüfen, indem Aussagen des Autors - seien es Selbstdeutungen oder vom Interpreten erst auf den Text bezogene Aussagen - zur Bestätigung oder Widerlegung eigener oder fremder Deutungshypothesen herangezogen werden (Funktion 6). Worin sich dieser Interpretationstyp von den bisher behandelten unterscheidet, sind weniger die Funktionen, welche die Bezugnahme auf die Autorinstanz erfüllen soll, als vielmehr die Menge und die Heterogenität des zugelassenen Textmaterials, dem die Fähigkeit zugeschrieben wird, diese Funktionen zu erfüllen.

Diese Kurzcharakteristiken treffen allerdings wohl nur auf interpretatorische Idealtypen zu. In der Praxis herrschen Mischformen und, so ist anzunehmen, Interpretationen vor, in denen aus pragmatischen Gründen autorbezogene Kontexte ad hoc einbezogen werden, weil sie - zum Beispiel aufgrund der Textlage - plausibel erscheinen, auch wenn sie von der impliziten Literaturtheorie her nicht oder zumindest nicht primär zu den legitimierten Informationseinheiten gehören.[76] Daß man sich dabei in der Regel weniger an theoretischen Grundsätzen orientiert als vielmehr nach akuten Begründungsnotständen richtet, wird besonders deutlich, wenn man poststrukturalistische Interpretationen oder >Lektüren<[77] betrachtet, in denen der Autorbezug keine Rolle spielen dürfte: Hier werden dem theoretisch postulierten Verzicht auf den Autor zum Trotz in der Praxis dann doch des öfteren biographische und werkbezogene Informationen über den empirischen Autor funktionalisiert,[78] und zwar wiederum zur historischen Fixierung und um die Wahl von Intertexten und Kontexten zu plausibilisieren.[79]

Fazit: Interpreten literarischer Texte beziehen sich auf den Autor, um die oder eine Textbedeutung zu ermitteln und/oder Texte gesellschaftlich, geistesgeschichtlich, medial etc. zu kontextualisieren. Dabei kann der Autorbegriff die empirische Person bezeichnen, eine intentionsfähige und intentionale Instanz oder die Funktion eines Sprechers, einer >Ich-Origo< im Text. Die Bezugnahme auf die Äußerungen des empirischen Autors - seien es Aussagen oder Handlungen - dient dann dazu, Interpretationshypothesen zu belegen beziehungsweise zu plausibilisieren und die Vielzahl potentiell einbeziehbarer Kontexte zu begrenzen. Unser grober Überblick hat ergeben, daß Autorkonzepte in den Funktionen, die ihnen Literaturtheorien zuschreiben, auch die Interpretationspraxis bestimmen, wenn auch in unterschiedlichen Argumentationszusammenhängen. In welchen Funktionen Autorkonzepte darüber hinaus noch eingesetzt werden, müßte in den eingangs schon geforderten Interpretationsanalysen erst noch erarbeitet werden.[80]

Ebenfalls klärungsbedürftig ist das Verhältnis zwischen Autorbezug und Texteigenschaften: Auf welche Textmerkmale wird Bezug genommen, um die Autorintention oder die Interpretationsinstanz des >impliziten Autors< zu rekonstruieren? Und welche dieser Bezugnahmen sind legitim oder auch nur plausibler als andere? Wenn zum Beispiel in einem literarischen Text systematisch von sprachlichen Normen abgewichen wird und dieser Normbruch als beabsichtigt rekonstruierbar ist, warum sollte ein Interpret dann darauf verzichten, diese Textmerkmale als potenziert bedeutungstragende in seine Deutung einzubeziehen und diese Operation über den Rekurs auf die Autorintention zu begründen?[81]

Darüber hinaus wäre der Begriff >Autor< im Kontext literaturwissenschaftlicher Interpretationen zu differenzieren. Es wäre jeweils anzugeben, ob man vom Autor als Urheber oder Schreiber eines Textes spricht oder von der aus dem Text erschlossenen Absicht, den Zielen, dem Anliegen des Autors.[82] Die erste Verwendungsweise kommt, wie dargestellt, in allen Interpretationstypen vor und ist in der Regel unproblematisch, für die Interpretation aber auch nicht sehr ergiebig. Aussagen des zweiten Typs dagegen sind immer Konstruktionen des Lesers beziehungsweise Interpreten und lassen sich nicht im strengen Sinne prüfen, sind aber plausibilisierbar.
 
 

Zu Abschnitt 4 Teil 2:  Textkritik u.a.

 


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[49] So Erich Kleinschmidt: Autorschaft (Anm. 2), S. 11.
[50] Für das Beispiel hermeneutischer Autorkonzeptionen vgl. den Beitrag von Lutz Danneberg in diesem Band.
[51] Vgl. Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung (Anm. 24).

[52] Etwa bei Michel Foucault: Qu'est-ce qu'un auteur? (Anm. 1).
[53] Zu den Implikationen der Autorkritik für den Anspruch zahlreicher poststrukturalistischer Literaturwissenschaftler, politisch-emanzipatorisch tätig zu sein, vgl. den Beitrag von Seán Burke in diesem Band.
[54] Zu einer konstruktivistischen Position vgl. etwa Gebhard Rusch: Autopoiesis, Literatur, Wissenschaft. Was die Kognitionstheorie für die Literaturwissenschaft besagt. In: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S. 374-400. Hier bes. S. 393-396. Zur dekonstruktivistischen Auffassung vgl. zusammenfassend Jonathan Culler: Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie. Reinbek: Rowohlt 1988, S. 123-149.
[55] So z.B. Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: H. R. J.: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974, S. 144-207. Hier bes. S. 173-199.
[56] Vgl. dazu zusammenfassend und kritisch Hans-Harald Müller: Wissenschaftsgeschichte und Rezeptionsforschung. Ein kritischer Essay über den (vorerst) vorletzten Versuch, die Literaturwissenschaft von Grund auf neu zu gestalten. In: Jörg Schönert / Harro Segeberg (Hg.): Polyperspektivik in der literarischen Moderne. Studien zur Theorie, Geschichte und Wirkung der Literatur. Frankfurt/M. u.a.: Lang 1988, S. 452-479. Hier bes. S. 466f.
[57] Vgl. dazu genauer Lutz Danneberg / Hans-Harald Müller: Der >intentionale Fehlschluß< - ein Dogma? Systematischer Forschungsbericht zur Kontroverse um eine intentionalistische Konzeption in den Textwissenschaften. Teil I und II. In: Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie XIV (1983), S. 103-137, 376-411.
[58] Eine Zusammenstellung von Beispielen findet sich bei Walter Schönau: Einführung in die psychoanalytische Literaturwissenschaft. Stuttgart: Metzler 1991, S.  94-100.
[59] Vgl. dazu zusammenfassend Gunter Grimm: Rezeptionsgeschichte. Grundlegung einer Theorie. München: Fink 1977, S. 49-60 und 280f.
[60] Ein Beispiel für diese stärkste Variante ist Eric D. Hirsch: Validity in Interpretation. New Haven: Yale University Press 1967.
[61] In der Abschlußdiskussion der Tagung »Rückkehr des Autors?«, 7.-10. Oktober 1997 im Kloster Irsee.
[62] Für hermeneutische Theorien Lutz Danneberg, für die der Stilinterpretation zugrundeliegende Theorie Ekaterini Kaleri, beide in diesem Band.
[63] Im vorliegenden Band unternehmen dies Werner Strube und, für die feministischen Diskussionszusammenhänge, Sigrid Nieberle.
[64] In diesem Band z.B. bei Fotis Jannidis und Bernhard F. Scholz.
[65] Vgl. dazu die Beiträge in Sektion I dieses Bandes.
[66] Vgl. dazu den Beitrag von Axel Bühler in diesem Band.
[67] Vgl. dazu Jörg Schönert über den Begriff des >lyrischen Ichs< und Tom Kindt / Hans-Harald Müller über die Kategorie des >impliziten Autors<, beide in diesem Band.
[68] Es liegen lediglich Studien vor, in denen im Rahmen einer Untersuchung einzelner Interpretationskonzeptionen und der auf ihnen beruhenden Praxis auch die Funktion des Autorkonzepts betrachtet wird; z.B. Werner Strube: Analytische Philosophie der Literaturwissenschaft. Definition, Klassifikation, Interpretation, Bewertung. Paderborn u.a.: Schöningh 1993, in Ansätzen Axel Spree: Kritik der Interpretation (Anm. 42).
[69] Zugrundegelegt wird hier die Typologie Werner Strubes, der zu den wenigen Forschern gehört, die - nach den wissenschaftstheoretisch motivierten Studien der 1970er Jahre - überhaupt Interpretationen auswerten; vgl. Werner Strube: Analytische Philosophie der Literaturwissenschaft (Anm. 68), S. 67-96. Seine Typologie wird hier um unspezifischere (da nur von ihren Zielen, nicht aber von den impliziten Literaturtheorien her zu bestimmende), dafür aber in der Praxis häufig anzutreffende Interpretationstypen erweitert.
[70] Zu diesem Typ der »strukturbestimmenden Textinterpretationen« vgl. ebd., S. 71-75.
[71] Vgl. dazu ebd., S. 75-80.
[72] Vgl. dazu z.B. Hannelore Link: Rezeptionsforschung. Eine Einführung in Methoden und Probleme. Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1976, S. 22 und 40.
[73] Nur behauptet sei hier, daß auch das Konzept des >impliziten Autors< mit einem solchen historischen Anliegen kompatibel ist.
[74] Zu den »literaturhistorischen Textinterpretationen« vgl. Werner Strube: Analytische Philosophie der Literaturwissenschaft (Anm. 68), S. 86-94.
[75] Vgl. dazu ebd., S. 80-85.
[76] Vgl. dazu schon Gerhard Pasternack: Theoriebildung in der Literaturwissenschaft. Einführung in Grundfragen des Interpretationspluralismus. München: Fink 1975, S. 154 und öfter.
[77] Genauer gesagt: die textuell fixierten Ergebnisse professioneller Lektüren.
[78] Vgl. dazu den Beitrag von Gerhard Lauer in diesem Band.
[79] Als Beispiele vgl. die diskursgeschichtliche Kleist-Deutung Friedrich A. Kittlers: Ein Erdbeben in Chili und Preußen. In: David E. Wellbery (Hg.): Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists »Das Erdbeben von Chili«. München: Beck 1985, S. 24-38, oder, als ein Exempel >poststrukturalistischer Autorenphilologie<, die Fontane-Monographie von Claudia Liebrand: Das Ich und die andern. Fontanes Figuren und ihre Selbstbilder. Freiburg/Br.: Rombach 1990.
[80] Vgl. dazu den Beitrag von Fotis Jannidis in diesem Band.
[81] Vgl. dazu das Mandel'stam-Beispiel bei Willie van Peer; andere empirisch nachweisbare >Markierungen< des Autors in seinem Text zeigt Colin Martindale auf, beide Beiträge in diesem Band.
[82] Vgl. dazu den Beitrag von Klaus Weimar in diesem Band.