3. Funktionen der Autorkritik

Es mag erstaunen, warum die poststrukturalistische Kritik den Autor als Interpretationskategorie so nachhaltig desavourieren konnte, denn andere Theorien haben vergleichbar fundamentale Einwände gegen den Autor formuliert, ohne eine ähnliche Wirkung erzielt zu haben. Neben den genannten könnten auch konstruktivistische Ansätze wie etwa Varianten der Empirischen Literaturwissenschaft genannt werden, die ja ebenfalls grundsätzlich die Möglichkeit bestreiten, Textbedeutungen durch Rückgriff auf den Autor erschließen zu können: Einmal deshalb, weil für sie Literatur aus Handlungen und nicht aus Intentionen besteht. Nur Handlungen können empirisch, und das heißt vor allem sozialwissenschaftlich und psychologisch analysiert werden. Der Autor ist dabei nur ein Leser des Kommunikats Text neben anderen, ohne daß ihm für die Untersuchung ein privilegierter Status zukäme. Zum anderen deshalb, weil Literatur subjektabhängig ist. Kein Autor kann invariante Bedeutungen in einen Text encodieren, weil Bedeutungszuschreibungen von ständig wechselnden Bewußtseinszuständen abhängen, denen des Autors während des Schreibens oder denen der Leser bei der Lektüre. Kommunikation und Bewußtsein sind in dieser theoretischen Modellierung in einer Art Unschärferelation nicht gleichzeitig befriedigend zu untersuchen.[41] Dennoch haben solche und vergleichbare Einwände gegen den Autor einen ungleich geringeren Einfluß auf die literaturwissenschaftliche Arbeit als die Polemiken von Barthes und Foucault. Warum ist das so?

Eine befriedigende Antwort wird man nur geben können, wenn man den Rahmen der Theoriedebatte verläßt und auf die historische und wissenschaftspolitische Situierung der poststrukturalistischen Autorkritik durch Barthes und Foucault blickt. Ihre Kritik erschien im Umfeld der 68er Bewegung. Das war für die Durchsetzung der Theorie von erheblicher Bedeutung. Denn der Gestus beider Schriften wendet sich nicht zufällig in einer bis dahin ungewohnten Grundsätzlichkeit gegen die disziplinären Regeln der Wissenschaft, und beide gewinnen sie ihre Glaubwürdigkeit gerade aus einer Kritik, die nicht auf methodische Detailfragen beschränkt blieb.[42] Das mußte in Frankreich um so mehr Brisanz besitzen, als hier mit der explication de texte eine seit dem Jahrhundertbeginn staatlich sanktionierte Instruktion umfassende Geltung für Schulen und Universitäten beansprucht hatte.[43]

Erst das Zusammentreffen von theoretischer Kritik und gesellschaftlichem Umbruch hat die selbstverständliche Geltung dessen auflösen können, was bis dahin als disziplinär legitimierter Umgang mit dem Wissen um den Autor gegolten hatte. Daß sich die Durchsetzung der Autorkritik nicht zuerst konzeptuellen Überlegungen verdankt, sondern Veränderungen im Verhältnis von Gesellschaft und Wissenschaft, das geht auch daraus hervor, daß inzwischen »der Tod des Autors« zu einer Kurzformel geworden ist, die theoretische Positionen zu vereinen scheint, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben.[44] Konzeptuelle Differenzen und Unterschiede in der Begründung sind offensichtlich dem Gestus der Kritik untergeordnet. Wenn aber heterogene Konzepte und Kritiken zu einer Kritik des Autors kompiliert werden können, dann ist die Kritik des Autors weniger Argument als Symptom für einen wissenssoziologisch beschreibbaren Wandel der Literaturwissenschaft, ihres Selbstverständnisses und ihres Milieus. Analoges läßt sich auch etwa für den Begriff des Textes zeigen.[45]

Akzeptiert man eine solche wissenssoziologische Erklärung, dann lassen sich Funktionsbeschreibung entwerfen, wie sie die Rede vom »Tod des Autors« erfüllt. Die Vermutung ist hier: Die Autorkritik ist Teil einer Verknappung von Sinnangeboten, mit der die Literaturwissenschaft auf den Verlust ihres symbolischen Kapitals Literatur reagiert. Der Geltungsschwund der Literatur als Faktor der sozialen Differenzierung ist ja oft beschrieben worden.[46] Die Literaturwissenschaft muß darauf reagieren, und sie tut dies vor allem dadurch, daß sie ihre Interpretationspraxis schroff von einer als >naiv< bezeichneten absetzt. Das gilt auch und gerade für den Umgang mit dem Autor. Nur so kann sie verhindern, daß der Geltungsschwund auf ihre Legitimation ausgreift. Deshalb kanonisiert sie bestimmte Theoriepositionen zu sogenannten >Meisterdiskursen<. Und Kanonisierung heißt dann auch, daß wenige Namen, formelhafte Zitate und Soziolekte an die Stelle von Begründungen treten. Zu Recht hat deshalb Renate von Heydebrand angemerkt, »daß die autoritäre Vorordnung von Theorie vor Literatur nur die faktische Schwäche von Literatur als kulturellem Kapital signalisiert.«[47]

Die skizzierten Veränderungen im Umgang mit dem Autor haben natürlich Rückwirkungen auf die literaturwissenschaftlichen Disziplinen. An die Stelle konsensbestimmter Annahmen über die zulässigen Umgangsweisen mit dem Autor ist eine offene Situation getreten. Sie ist keineswegs schon per se aufgeklärter und reflektierter als die alte. Eher kann man beobachten, daß die Theoriedebatte um den Autor und die literaturwissenschaftliche Praxis nebeneinander herlaufen. Das vor allem deshalb, weil die Situation durchaus auch Vorteile für die Disziplin mit sich bringt. Gerade die Ausweitung des Rahmens dessen, was als wissenschaftlich gelten kann, erleichtert es, Innovationen oder auch Moden Aufmerksamkeit zu verschaffen, und eröffnet neuen Gruppen die Etablierung innerhalb der Disziplin. Zugleich schottet es das Fach vor Irritationen von außen ab, reduziert den Arbeitsaufwand, weil ganze Forschungstraditionen als >naiv< ignoriert werden können, und bekräftigt damit das Selbstbild der Literaturwissenschaftler von der Originalität ihrer eigenen Arbeit. Der skizzierte Zustand ist für die Literaturwissenschaften ebenso bequem wie er ehrlicherweise unbefriedigend ist. Er verleitet das Fach zu einer unaufgeklärten Schizophrenie über das eigene Tun.

Wenn es einen Konsens der hier versammelten Beiträge gibt, dann diesen, daß es im Gegensatz zur gegenwärtigen opinio communis ausgesprochen lohnenswert ist, die theoretischen Voraussetzungen des Autorproblems zu prüfen, seine Konzeptualisierungen durch die Literaturwissenschaft zu untersuchen und die offensichtlichen Diskrepanzen zwischen Theoriedebatte und Interpretationspraxis zu diskutieren. Das ist kein nur akademisches Problem angesichts der globalen Medienkommunikation und ihrer nachhaltigen Auswirkungen auf Autorbegriff, Urheberrecht[48] und die Funktionserweiterungen des Autors bei der Neustrukturierung unseres kulturellen Wissens.
 
 

Zu Abschnitt 4:  Typische Verwendungsweisen des Autorkonzepts in den Literaturwissenschaften

 


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[41] Siegfried J. Schmidt: Der Radikale Konstruktivismus. Ein neues Paradimga im interdisziplinären Diskurs. In: S. J. S. (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987, S. 11-88. Hier S. 67: »Autorintentionen sind unzugänglich, da Autorkommunikat und Autortext nicht einfach identifiziert werden können«. Trotz dieser Kritik des Autors interessiert sich die Empirische Literaturwissenschaft für die kognitiven und sozialen Bedingungen der Literaturproduktion. Man vergleiche dazu den Beitrag von Colin Martindale in diesem Band.
[42] Vgl auch Axel Spree: Kritik der Interpretation. Analytische Untersuchungen zu interpretationskritischen Literaturtheorien. Paderborn u.a.: Schöningh 1995, S. 137.
[43] Friedel Thiekötter: Explication de texte. In: Heinz Ludwig Arnold / Volker Sinemus (Hg.): Grundzüge der Literatur- und Sprachwissenschaft. Bd. 1: Literaturwissenschaft. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1973, S. 371-374.
[44] So wird es als Diskussionsstand inzwischen von Lexika multipliziert, z.B. Heinz Antor: s.v. »Autor, historischer«, »Tod des Autors«. In: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe. Stuttgart - Weimar: Metzler 1998, S. 29 und S. 534f.; vgl. kritisch dazu den Beitrag von Fotis Jannidis in diesem Band.
[45] Vgl. Klaus Weimar: Annotationen zu David Wellberys Thesen. In: Lutz Danneberg / Friedrich Vollhardt (Hg.): Wie international ist die Literaturwissenschaft? Methoden- und Theoriediskussion in den Literaturwissenschaften. Stuttgart - Weimar: Metzler 1995, S. 142-144; zum Entstehungskontext von Barthes' Aufsatz vgl. Molly Nesbit: What Was an Author? In: Yale French Studies 73 (1987), S. 229-257.
[46] Empirisch, statt nur kulturkritisch z.B. von Wim Knulst / Gerbert Kraaykamp: Trends in Leisure Reading. Forty Years of Research on Reading in the Netherlands. In: Poetics 26 (1998), S. 21-41.
[47] Renate von Heydebrand: Kanon soll sein - aber wie und wozu?. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 235 (1998), S. 349-357. Hier S. 356.
[48] Dorothee Thum: Das Territorialitätsprinzip im Zeitalter des Internet. Zur Frage des auf Urheberrechtsverletzungen im Internet anwendbaren Rechts. In: Michael Bartsch / Bernd Lutterbeck (Hg.): Neues Recht für neue Medien. Karlsruhe: O. Schmidt 1998, S. 117-144.