2. Kritiken des AutorsObwohl der Autor kaum jemals als einzig relevante Verstehensnorm literarischer Texte angesehen worden ist, kann das Mißtrauen gegenüber dem Autor als Interpretationskategorie, wie es heute mehr oder weniger als communis opinio in der Literaturwissenschaft vorzufinden ist, von einer recht kleinen Zahl von Kritiken hergeleitet werden, die in den letzten fünfzig Jahren vorgetragen wurden. Es scheint, daß vor allem vier Angriffe die Debatte der letzten Jahrzehnte bestimmt haben. Sie bilden keinen homogenen Diskussionszusammenhang. 1. Autorintention vs. Textbedeutung. An chronologisch erster Stelle ist William K. Wimsatts und Monroe C. Beardsleys 1946 veröffentlichter Aufsatz »The Intentional Fallacy« zu nennen. Darin verwahren sich die Autoren gegen eine Interpretationsmethode, die die Bedeutung eines literarischen Textes aus den Intentionen seines Autors abzuleiten oder in ihr zu begründen sucht. Warum, so fragen sie, sollte der Interpret versuchen herauszufinden, was der Autor sagen wollte? »If the poet succeeded in doing it, then the poem itself shows what he was trying to do. And if the poet did not succeed, then the poem is not adequate evidence, and the critic must go outside the poem - for evidence of an intention that did not become effective in the poem.«[27] Nicht der Autor mit seiner historisch-biographischen Individualität und seinen Intentionen, sondern der literarische Text selbst (»the poem itself«) sei der einzig legitime Bezugspunkt der Interpretation. Obwohl also der Autor der Urheber des Textes ist, sei dessen Bedeutung von seinem Ursprung unabhängig: »The poem is not the critic's own and not the author's (it is detached from the author at birth and goes about the world beyond his power to intend about it or control it). The poem belongs to the public«.[28] Die Interpretation literarischer Texte dürfe deshalb auch nicht durch text-externe Evidenzen wie Eigenkommentare des Autors oder durch Bezug auf die biographischen Entstehungsumstände des Textes begründet werden, sondern allein durch textinterne Evidenzen (»internal evidence«): »through the semantics and syntax of a poem, through our habitual knowledge of the language, through grammars, dictionaries, and all the literature which is the source of dictionaries, in general through all that makes a language and culture«.[29] 2. Autor vs. Erzähler. Während Wimsatt und Beardsley vor allem einen auf die Intentionen des Autors bezogenen Umgang mit lyrischen Texten kritisiert haben, gelingt in den fünfziger Jahren Wolfgang Kayser anhand des neuzeitlichen Romans die Durchsetzung der Unterscheidung zwischen dem Autor und dem Erzähler fiktionaler Erzählwerke. In einer Reihe von Aufsätzen behandelt Kayser diese Unterscheidung, die schon 1910 Käte Friedemann in ihrem Buch Die Rolle des Erzählers in der Epik vorgenommen und die in ähnlicher Form, etwa zeitgleich mit Kayser, auch Käte Hamburger getroffen hat.[30] »Ein Erzähler«, so schreibt Kayser, »ist in allen Werken der Erzählkunst da, im Epos wie im Märchen, in der Novelle wie in der Anekdote«.[31] Aus dem Umstand, daß der Erzähler, im Unterschied zum Autor, seine Sätze mit Wahrheitsanspruch behauptet, folgert Kayser, »daß der Erzähler in aller Erzählkunst niemals der bekannte oder noch unbekannte Autor ist, sondern eine Rolle, die der Autor erfindet und einnimmt«.[32] Kaysers systematische Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler setzt den Autor als Bezugsbegriff der Interpretation allerdings - anders als es bei Wimsatt und Beardsley geschieht - keineswegs außer Kraft. Es ist eine verbreitete, aber unzutreffende Annahme, Kaysers Methode der sogenannten >werkimmanenten Interpretation< weise textexternen Sachverhalten bei der Interpretation eine ähnlich geringfügige Rolle zu wie der immanente Ansatz des New Criticism. Kayser erklärt vielmehr ausdrücklich, »daß die rechte Erfassung eines Werkes sehr oft von der Kenntnis seines Verfassers abhängt«.[33] Dennoch hatte Kaysers - theoretisch knapp gehaltene, dafür fachgeschichtlich wirksame - Argumentation zur Folge, daß die Relevanz des Autors bei der Erklärung literarischer Texte in einer wichtigen Hinsicht eingeschränkt wurde. Denn als Sprecherinstanz in fiktionalen Texten mußte nun grundsätzlich die Figur eines fiktiven, vom Autor imaginierten Erzählers vorausgesetzt werden. Die Behauptungen des Erzählers in fiktionaler Rede konnten so nicht mehr als direkter Ausdruck der Autormeinung verstanden werden. Kayser zog damit methodologische Konsequenzen aus einem Sachverhalt, der implizit zum Umgang mit fiktionalen Texten gehört, seit sich das Phänomen der Fiktionalität kulturell etabliert hat, also etwa seit der Antike, und erneut, unter den Bedingungen einer christlichen Poetik, seit dem 12. Jahrhundert.[34] 3. Realer Autor vs. implied author. Ebenfalls in enger zeitlicher Nachbarschaft zu Wimsatt/Beardsley und Kayser führte 1961 Wayne C. Booth in seinem Buch The Rhetoric of Fiction den einflußreichen Begriff des implied author ein. Booth fügt damit zwischen dem Erzähler - den er ebenso wie Kayser als die fiktive Sprecherinstanz des Textes bestimmt - und dem realen Autor eine dritte Instanz hinzu. In den verschiedenen, nicht immer einheitlichen Begriffsbestimmungen Booths erscheint der implied author als Textimplikat, nämlich als der Autor, insofern er sich in seinem Text ausdrückt. Im Grunde aber ist diese Instanz bei Booth eine anthropomorphisierende Bezeichnung für die umfassend verstandene Bedeutung des Textes:
4. Tod des Autors. Die wirkungsmächtigste Kritik am Autor als maßgeblichem Bezugspunkt der Interpretation literarischer Texte erfolgte in den sechziger Jahren in Frankreich. In einem Aufsatz mit dem prägnanten Titel La mort de l'auteur erklärt Roland Barthes: »L'écriture est destruction de toute voix, de toute origine«,[36] und fügt hinzu:
Barthes führte hier eine Kritik fort, die kurz zuvor bereits von Julia Kristeva in ihrem Aufsatz Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman (1967) aufgebracht worden war. Kristeva erklärte dort den Autor zu einem bloßen Schnittpunkt von Diskursen: »en fait l'auteur n'est qu'un enchaînement de centres«.[38] Kristeva und Barthes bestimmten den Autor intertextuell als Repetitor fremder Rede. Aus dem angeblich unvermeidlichen Zitatcharakter seiner Texte schlossen sie auf seine allenfalls kompilatorische, im Grunde aber verschwundene Funktion: Barthes ersetzt den »Auteur-Dieu« durch den »écrivain« als bloßen Verknüpfer von Zitaten (»mêler les écritures«); bei Kristeva erscheint der Autor nurmehr als die >Verknüpfung< (»enchaînement«) selbst. Dem passiven Autor wird nun der aktive >Text< gegenübergestellt. Dieser sei nicht als ein Ergebnis der Tätigkeit eines Autors, sondern selbst als eine Tätigkeit zu verstehen: »tout texte se construit comme mosaïque de citations, tout texte est absorption et transformation d'un autre texte«.[39] Nicht der Autor produziere den Text, sondern der Text bringe sich selbst hervor - als Wiederholung anderer Texte. Im selben Umfeld und nicht weniger wirkungsmächtig hat es 1969 Michel Foucault in seinem Aufsatz Qu'est-ce qu'un auteur? unternommen, den Autor historisch zu relativieren. Der Autor erscheint ihm als ein in der Epoche der Moderne obsolet gewordener Begriff. Er sei eine Funktion, mit dessen Hilfe bestimmte Texte als >Werke< klassifiziert und mit besonderen Eigenschaften versehen werden können. Er reguliert und diszipliniert den Umgang mit Literatur:
Zu Abschnitt 3: Funktionen der Autorkritik
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