IASL Diskussionsforum online
Geschichte und Kritik der Intellektuellen


Leitung: Britta Scheideler



Lisette Gebhardt

Der Medienintellektuelle als "Medium" kultureller Identität.
Anmerkungen zu einem Soziotypus der japanischen Gegenwartskultur


Abstract

In Japan hat sich ebenso wie im Westen der "Medienintellektuelle" als Vertreter des "Intellektuellenstandes" etabliert. Medienintellektuelle sind Beiträger des gegenwärtigen japanischen Kulturdiskurses, der sich vorrangig dem Thema der Identitätsfindung widmet. Als "spirituelle Intellektuelle" beteiligen sich bekannte japanische Literaten, Kritiker und Denker (shisôka) an einer kulturalistischen Argumentation, die die "Schmerzen der Moderne" und die Nostalgie nach dem "traditionellen Japan" artikuliert. Wie hier als Arbeitshypothese angenommen wird, wird diese Stimmungslage, die aus der modernekritischen Grundhaltung vieler japanischer Denker erwächst, zu einem großen Teil auch durch die "Identitätsindustrie" und die ihr angegliederten Medien erzeugt.

Inhalt


1. "Intellektuelle", "Medien", "Medienintellektuelle" in Japan: Einführende Überlegungen
1.1 Ein japanspezifisches Intellektuellentum?
1.2 Vom "Denker" zum "Entertainer"
1.3 Mishima Yukio als früher Medienintellektueller und sein "japonesquer" Tod

2. Prototypen des japanischen Medienintellektuellen in den Zeiten des Bubble-Narzißmus
2.1 Indigene Identität als Ware der Identitätsindustrie
2.2 Der "spirituelle Intellektuelle", der "spiritual old boy" und die japanische "Medienreligion"
2.3 Der "postmoderne Schamane"

3. Die japanische Medienlandschaft als Spielfeld insulärer Akteure
3.1 Gleitende Positionen zwischen "links" und "rechts"
3.2 Der Übervater als Moralinstanz
3.3. Intellektuelle, Medien, Macht

4. Literatur



1. "Intellektuelle", "Medien", "Medienintellektuelle" in Japan:
Einführende Überlegungen


1.1 Ein japanspezifisches Intellektuellentum?

Karatani Kôjin, der bekannte japanische Literaturwissenschaftler und Kulturkritiker, äußert sich in einem Artikel zum japanischen "Intellektuellenstand" wie folgt: "Kaum jemand würde sich selbst heutzutage einfach als Intellektuellen bezeichnen, und wenn nähme ihn wohl keiner ernst" (Karatani 1998: 50). Daß sich das Bild und das Selbstverständnis der Intellektuellen in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben – von einer zunächst offensichtlich positiven Einschätzung bis hin zur Verlautbarung, daß man den Terminus "Intellektueller" eher vermeiden wolle – ist eine Entwicklung, die Japan mit dem Westen teilt.

Die Entstehung einer japanischen intellektuellen Szene ist um 1900 anzusetzen. Karatani konstatiert, daß die "ersten japanischen Intellektuellen" vermutlich in der Taishô-Zeit (1912-1926) aktiv wurden. Die Denker der vorangegangenen Dekaden wären sich des Problems, von der "Masse" isoliert zu leben, nicht bewußt gewesen und hätten als Wissensaristokratie, ohne die eigene Rolle in Zweifel zu ziehen, an ihre Vorherrschaft geglaubt. Karatani macht das Wesen des Intellektuellen als das eines gesellschaftskritischen Denkers mit sozialem Gewissen "in seiner emotionalen Gestimmtheit" aus und betont seine "romantische" Herkunft (Karatani 1998).

Der renommierte Politikwissenschaftler und Beiträger zur japanischen Intellektuellendebatte Maruyama Masao (1914-1996) vertrat die Ansicht, daß die Zeit von der Meiji-Restauration (1868) bis zum Jahr 1888 als die Geburtsphase des modernen Intellektuellen in Japan zu betrachten wäre. Maruyama weist bei seiner Darstellung der Geschichte der japanischen Intellektuellen (1982; Kindai Nihon no chishikijin) darauf hin, daß es im japanischen Fall schwierig sei, ein einheitliches Bild der Intellektuellen als einer bestimmten Schicht oder Gruppe innerhalb der Gesellschaft zu zeichnen. So gebe es in Japan schon mehrere Benennungen dafür, was man im Westen mit dem Begriff "Intellektueller" bezeichnen würde.1 Maruyama nennt die Begriffe gakusha (Gelehrter/Wissenschaftler), gakushikisha (Gelehrter), yûshikisha (Gebildeter), chishiki kaikyû (Intelligenz-Klasse), interi (Intellektuelle; Maruyama 1988: 90). Hier könnte man allerdings einwenden, daß man sich im westlichen Bereich ebenso nicht unbedingt auf den Terminus Intellektueller allein beschränkte und das "Intellektuelle" und seine Vertreter aus Wissenschaft, Literatur und Kunst in einem ähnlich breiten Wortfeld angesiedelt waren. Für Japan hält Maruyama fest, daß es aufgrund der landesspezifischen Gesellschaftsstruktur, ihrer Ständehierarchie, der getrennten Denkwelten der verschiedenen Berufsgruppen und der raschen Spezialisierung von Kunst- und Wissenschaftszweigen kaum oder nur temporär zur Bildung einer intellektuellen Gemeinschaft (die Intellektuellenvereinigung der frühen Meiji-Zeit/Meirokusha 1874-1879, die japanischen Marxisten, die "Reuegemeinschaft" der japanischen Intellektuellen nach dem Zweiten Weltkrieg) im Sinne einer "freischwebenden sozialen Schicht" (Mannheim) gekommen wäre (Maruyama 1988: 103). Anstelle einer intellektuellen Debattenkultur herrsche in Japan das Prinzip des "Krakentopfs" (takotsubo) vor, in dem die gefangenen Kraken festsitzten und nicht miteinander kommunizieren (S. 75, 88). Diese Metapher versinnbildlicht das Fehlen eines "Orts der Begegnung" für den Gedankenaustausch, das Maruyama für japantypisch erachtet, ebenso wie das Fehlen einer "Denktradition, die die Rolle einer Koordinatenachse für die verschiedenen Ideen hätte übernehmen können" (S.14).

Für eine endgültige Aussage hinsichtlich der japanischen Intellektuellen, ihrer Geschichte, ihrer Wirkung oder ihrer – weitaus häufiger zitierten – Ohnmacht 2 und für eine schlüssige Einschätzung im Bezug auf eventuelle japanische Besonderheiten ist es zu früh. 3 Obschon es zahlreiche Studien zu Einzelpersönlichkeiten, Philosophen, Literaten und sogenannten Denkern (shisôka) gibt, 4 wie auch Analysen zu prägenden Entwicklungsabschnitten der Moderne (Begegnung mit dem Westen im 19. Jahrhundert, Kriegs- und Nachkriegszeit) und zu bestimmten Themenbereichen 5 (Rezeption des Christentums/des "westlichen" Individualismus, sozialistische Bewegung, Marxismus, Nationalismus, Krieg und Kriegsverantwortung), 6 fehlt es an zusätzlichen Detailuntersuchungen und an übergreifenden, systematisierenden Darstellungen, die aus interdisziplinärer Perspektive das intellektuelle Geschehen im modernen Japan in seiner Gesamtheit und Prozeßhaftigkeit abbilden würden. Wichtig wäre es, Rezeptionen und Begegnungen zu rekonstruieren, Entwicklungslinien des Gedankenaustauschs und intellektueller Strömungen nachzuzeichnen, die sich auf internationaler Ebene entfalteten und in den zeitgenössischen literarischen, philosophischen, politischen und akademischen Gruppierungen 7 Japans zirkulierten. Noch bleiben viele Beobachtungen zu eng auf den Textkosmos eines Denkers beschränkt und fragen nicht nach seinem Stellenwert als denkender Zeitgenosse.

Hinsichtlich der konstatierten Spezifika eines japanischen Denkens muß man einwenden, daß diese oft in der Absicht einer negativen oder positiven Bewertung des Japanischen vorgetragen und oft vorschnell postuliert werden. Die Postulierung eines großen west-östlichen Unterschieds – unter den Stichworten Orientalismus und Selbstorientalismus – ist aber bereits Teil der Selbst- und Fremdbildproduktion der Moderne, an der sich die Intellektuellen aus Ost und West seit dem 19. Jahrhundert beteiligten, wie die positiven oder negativen Bewertungen von Japanizität ein Echo auf die Stimmungslage der betreffenden Jahre darstellen.


1.2 Vom "Denker" zum "Entertainer"

Mögliche Beschreibungen eines japanischen Intellektuellen hätten vor allem die zeitspezifische Dimension zu berücksichtigen, die auch Maruyama miteinbezieht, wenn er von den Intellektuellen der Meiji- und der Taishô-Ära und den Nachkriegsintellektuellen spricht. Die Informationen über das intellektuelle Leben in Japan werden freilich immer spärlicher, je weiter man sich von den Dekaden vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entfernt. Während die Diskussionen um politische, philosophische und religiöse Fragen der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre relativ gut erschlossen sind, 8 finden sich nur wenige Betrachtungen der Situation der sechziger und siebziger Jahre. Eine umfassende Studie über die so wichtige japanische Studentenbewegung und ihren ideologisch-intellektuellen Hintergrund bleibt bis heute zu vermissen. Die achtziger Jahre und die postmoderne japanische Szene 9 sind ebenso kaum kommentiert, wie man auch nur selten auf schlüssige Einschätzungen intellektueller Strömungen der neunziger Jahre und des Millenniums trifft.

Die Veränderung der Intellektuellenrolle in der Industrie- und Mediengesellschaft wird in Deutschland verstärkt seit den siebziger Jahren diskutiert. Arnold Gehlen weist in dieser Dekade auf den Wandel des Intellektuellen von einem authentischen Denker zum Entertainer des Publikums hin (siehe den Beitrag von Georg Jäger zum Diskussionsforum). Maruyama Masao zeigt seinerseits auf, wie sich im Nachkriegsjapan der Intellektuelle (chishikijin) in den sogenannten bunkajin (wörtlich: "Kulturmensch") transformiert und hält fest, daß die neue (abwertend verstandene) Kategorie symptomatisch sei für die Veränderungen in der Nachkriegsgesellschaft.

Die "rapide Entwicklung der Massenmedien, wie sie besonders vom Fernsehen repräsentiert wird", und der soziale Aufstieg von Unterhaltungskünstlern stellen nach Maruyama die Grundbedingung für das Entstehen des bunkajin dar. Maruyama betont den Einfluß der Massenmedien, den er wie Gehlen als verderblich für einen – ideal gedachten – kritischen Denker ansieht und konstatiert, daß sich zum einen die interi in Unterhaltungskünstler verwandelt hätten, die Unterhaltungskünstler ihrerseits zu interi geworden wären (S. 98-99). Der Politikwissenschaftler spricht von "Talent-Intellektuellen", Universitätsprofessoren, Oberschullehrern, Kritikern und Journalisten, "die im Fernsehen als ständige Mitarbeiter Zeitfragen kommentieren" und sich, so vermutet Maruyama, eventuell durch ihr gemeinsames Auftreten mit Prominenten aus der Unterhaltungsbranche einen Namen gemacht hätten. Die Bezeichnung bunkajin kann in etwa mit dem Terminus "Medienintellektueller" gleichgesetzt werden, der sich in den letzten Jahren im deutschen Journalismus etabliert hat (z.B. Rudolf Walther 1998).


1.3 Mishima Yukio als früher Medienintellektueller
und sein "japonesquer" Tod

Wie sich in Japan der Wandel vom "Denker" zum "Unterhaltungskünstler" vollzogen hat und wer diesen Wandel repräsentiert, erörtert Maruyama nicht näher. Eventuell wäre es aufschlussreich, eine Person des öffentlichen Lebens wie den Schriftsteller Mishima Yukio (1925-1970) im Zusammenhang mit dem Phänomen des Medienintellektuellen zu sehen. Mishima, der literarisch – mit ersten Arbeiten in der Nachkriegszeit – die Linie der japanischen Neoromantik fortsetzte, pflegte einen publikumswirksam inszenierten dandyhaften Lebensstil in einem westlichen Interieur,10 während er in vielen seiner Texte, besonders deutlich in den späten Arbeiten, eine von ihm imaginierte asiatische Tradition wiederzugewinnen trachtete.

Sein Selbstmord durch seppuku im November 1970 war eine in den Debatten um die Entwicklung des intellektuellen Japan in den Nachkriegsdekaden oft problematisierte, befremdliche Tat und bedeutete nach Meinung vieler Kritiker, Literaten und Künstler einen entscheidenden Einschnitt in der zeitgenössischen japanischen Kultur. Mishima, der eine paramilitärische Gruppe von national gesinnten Getreuen befehligte, war in das Hauptquartier der Selbstverteidigungskräfte (Jieitai) im Tokyoter Stadtviertel Ichigaya eingedrungen und hatte vom Balkon des Gebäudes aus eine Rede im patriotischen Duktus gehalten, die die Nation zur Rückkehr zu den japanischen Werten aufforderte. Zur Bekräftigung der Lauterkeit seiner Motive schied er, zusammen mit seinem Adjutanten Morita, nach der überlieferten Manier japanischer Krieger aus dem Leben – indem er sich den Bauch aufschlitzte und sich danach enthaupten ließ.

Mit seinem "traditionellen" Tod rief Mishima in weiten Kreisen Unverständnis hervor. Gewissermaßen war er aber Trendsetter einer Zeit, in der in der intellektuellen und künstlerischen wie auch in der Warenwelt eine Retrowelle einsetzte. Man feierte eine Renaissance japanischer Ästhetik und griff dabei auf die hybridisierte, west-östliche Ästhetik der Moderne zurück (Stichwort "japonesque"). Dies war unter anderem ein Anzeichen dafür, daß es in der Moderne keine "reine" japanische Kultur mehr gab und man sich auf intellektueller und künstlerischer Ebene also bereits innerhalb einer Hybridkultur über sich selbst verständigte. Der intellektuelle Atavismus Mishimas korrespondierte mit der damaligen Mode der "indigenen" Identitätsfindung, mit der die Suche nach der "ethnischen Linie" der Japaner zum Hobby von Freizeitarchäologen wurde, ebenso wie sich Kritiker und Schriftsteller in dieser Dekade verstärkt darum bemühten, "japanische Tradition" wiederzuentdecken. 11

Mishimas Selbstentleibung führte dem Publikum gewissermaßen einen "japonesquen" Tod vor, in einer Dekade, in der die Entdeckung des genuin "Japanischen" als ethnoromantische Fiktion von der japanischen Identitätsindustrie großflächig vermarktet wurde. Mishima hatte sich bereits in seinen Photoserien als "japanischer Körper" in Szene gesetzt und auch die japonesque Todesinszenierung war medial – zunächst als Text, dann als Film – vorweggenommen worden. Im Film "Riten der Liebe und des Todes" aus dem Jahr 1965 spielte Mishima selbst den japanischen Hauptmann aus seiner Kurzgeschichte Yûkoku (1959; Patriotismus), der aus Gefolgschaftstreue seppuku begeht. Ob es in Mishimas Absicht gelegen hatte, mit dieser konsequenten Umsetzung eines Traditionsmotivs die Möglichkeit der Realisierung von (medialen) Visionen anzudeuten oder ob die Tat als eine zwangsläufige Folge seiner persönlichen Neigungen (politischer, ästhetischer und sexueller Art) zu sehen ist, ist nicht klar nachzuweisen. Bezeichnend ist, daß dem Autor, der es am 25. November 1970, dem Tag seines Selbstmordes, nicht versäumt hat, Journalisten zu kontaktieren, mittlerweile ein Mishima Yukio Cyber-Museum gewidmet wurde. 12



2. Prototypen des japanischen Medienintellektuellen
in den Zeiten des Bubble-Narzißmus

Die antimoderne (han-kindai) Attitude, die Mishimas Lifestyle, seine Ideenwelt und seinen theatralischen Abschied aus dem Leben bestimmte, ist ein wesentliches Merkmal der japanischen intellektuellen Szene seit der Nachkriegszeit. Das Ressentiment gegenüber der westlichen Moderne und einem japanischen System, das mit einer scheinbar bedingungslosen Adaption des "Westlichen" seine "indigenen" Ursprünge verleugnet, begleitet seit geraumer Zeit die Argumentation japanischer Intellektueller, die im Rahmen eines dichotomischen Ost-Westmodells nach der Phase engagierter Auseinandersetzung mit westlichem Gedankengut eine Wende zum "Japanischen" vollziehen. 13

Ein Phänomen, das man Bubble-Narzißmus nennen könnte, kennzeichnete die achtziger Jahre in Japan. Die Produkte der japanischen Identitätsindustrie gingen in dieser Dekade sozusagen in die Serienproduktion. Während der Wunsch nach einem Konzept von japanischer Identität zum einen dem gestärkten Selbstbewusstsein durch die immensen wirtschaftlichen Erfolge (als baburu=Seifenblase bezeichnet) zuzuschreiben ist, bringen die achtziger Jahre zum anderen ein neues Bedürfnis nach Wertorientierungen hervor, das die Sinnkrise einer Wohlstandsgesellschaft artikuliert.


2.1 Indigene Identität als Ware der Identitätsindustrie

Bereits im japanischen Kulturdiskurs der fünfziger und sechziger Jahre wurde das Regionale mit dem Schlüsselwort dochaku oder minzoku dochaku als folkloristisches Konzept des "indigenen Japan" installiert. Das Regionale und Rurale erstand als Zone optimistischer Imaginationen des kraftvoll Archaischen und als Identifikationsangebot eines "unschuldigen" Japan ohne die Sünden des Imperialismus. Japanische Intellektuelle hatten nun die Möglichkeit, jenseits der vom Imperium dominierten Kultur der Hauptstadt wieder eine japanische Kultur zu finden, die Rückhalt, Geborgenheit und – in der Meinung vieler – eine gute Basis für eine zukunftsgerichtete Entwicklung des Landes geben konnte. 14

Seit den siebziger Jahren wurde die Selbstbesinnungswelle zunehmend von Kommerzialität geprägt. Repräsentativ ist hier die Werbekampagne der damals noch bestehenden japanischen Staatsbahn Mitte und Ende der siebziger Jahre, die unter dem Slogan "Discover Japan" einen neuen innerjapanischen Reisetrend in ein noch unentdecktes, "exotisches" Japan lancierte. Dieser Trend wurde begleitet von einer Selbstreflexion über die japanische Identität, einem "Japanologie-Boom", einer neuen Renaissance des Volkskundlers Yanagita Kunio und von einem "Japan-Boom" in der jüngeren Generation, die ein neues Interesse für die schon in Vergessenheit geratenen "japanische Dinge" entwickelte. Diese Phänomene eines Heimatlichmachens der japanischen Moderne kommentieren etwa die Anthropologinnen Jennifer Robertson und Marilyn Ivy (1995). Robertson analysiert in mehreren Beiträgen die sozio-psychologische Bedeutung der sogenannten furusato-Bewegung im gegenwärtigen Japan als Konstruktion "symbolischer Enklaven eines authentischeren Japan", die die Erfahrung von "Heimat", Geborgenheit und Innerlichkeit in einer sich zunehmend kompliziert darstellenden Gesellschaft ermöglichen soll (Robertson 1996: 172-193).

Daß ein mehr oder weniger eingängig formuliertes Bekenntnis zur Heimat eine eingängige Botschaft ist, die die Medien bereitwilliger aufgreifen als differenzierte Analysen der inländischen Situation, wäre eine mögliche Erklärung für die offensichtliche Durchsetzungskraft des nostalgischen nationalutopistischen Retrotrends, der die intellektuellen und kommerziellen Welten des Inselreichs bestimmt. Andererseits ist der Erfolg der Botschaft des Indigenen auch Resultat des geistigen Lebens in Japan, das – trotz einer Vielfalt gegenwärtiger Einstellungen und global orientierter Lebensstile der Bürger – durch die politischen Vertreter, durch die Bürokratien, die Inselzentriertheit intellektueller Eliten und zahlreicher Vertreter der Geschäftswelt 15 stagniert. Dies liegt vor allem an den tradierten Verfahrensweisen der Politik in ihrem Zusammenspiel mit den Informationskartellen der Medien. 16


2.2 Der "spirituelle Intellektuelle", der "spiritual old boy" und die japanische "Medienreligion"

Der japanische Medienintellektuelle – in erster Linie der der letzten beiden Dekaden – ist zu einem nicht unwesentlichen Teil auch "spiritueller Intellektueller". Dieser Begriff, der eine wichtige Tendenz der gegenwärtigen japanische Kultur pointiert zum Ausdruck bringt, wurde von dem Religionswissenschaftler Shimazono Susumu (Universität Tokyo) geprägt. Er bezeichnet eine lose Formation von Kritikern und Akademikern, die seit den späten siebziger Jahren eine intellektuelle Strömung repräsentieren, deren Vertreter sich auf die "japanische Spiritualität" berufen, mit der es, ihrer Ansicht nach, möglich sein wird, zukunftsweisende Perspektiven jenseits der westlichen Moderne zu finden und damit die konstatierte Sinnkrise im Lande zu überwinden.

Inken Prohl erörtert in der Einführung zu ihrer Arbeit "Die 'spirituellen Intellektuellen' und das New Age in Japan" wie die Intellektualität der "spirituellen Intellektuellen" Japans beschaffen ist. Sie folgert, indem sie sich auf Max Webers Ausführungen zur intellektuellen Rückkehr zur Mystik als Ausweg einer rational nicht lösbaren Sinnsuche beruft, daß auch die japanischen Intellektuellen das Irrationale beschwören, um "Sinn" zu konstituieren (Prohl 2000: 10-11). Die Religionswissenschaftlerin und Japanologin betont, wie eng gerade das Wirken der "spirituellen Intellektuellen" mit den japanischen Massenmedien verflochten ist. Mit ihrem immer wieder unter anderen Etiketten avisierten "spirituellem Diskurs" kommen diese der Medienindustrie entgegen, die sich den ihr eigenen Mechanismen nach genötigt sieht, stets neue Themen anzubieten (S.114).

Einer der bekanntesten Medienintellektuellen der achtziger Jahre ist der Religionsforscher und Philosoph Umehara Takeshi (geb. 1925). Umehara ist symptomatisch für den japanischen Medienintellektuellen, der seit den späten siebziger und den achtziger Jahren immer präsenter wurde. Konservative Denker und "spiritual old boys" wie Umehara Takeshi, dessen kulturalistische Selbstbehauptungsdiskurse sich insbesondere auf die japanische Religiosität bezogen, entsprachen dem Zeitgeist, auch weil Umehara geschickt seinen konservativen Japandiskurs mit Inhalten aus der damals einsetzenden populären esoterischen Strömung verband. Im Zuge des Wirtschaftshochs in den achtziger Jahren konnte Umehara, der die Auffassung vertrat, Japan solle sich dem Westen nicht nur mit seinen materiellen Erfolgen, sondern auch mit seinen geistigen Gütern anempfehlen, seine Position ausbauen. Mit ihm prägten (und prägen) eine Reihe von omnipräsenten Meinungsführern, unter ihnen Yamaori Tetsuo (geb. 1930; Themen: indische Philosophie, japanische Religion) den japanischen Kulturdiskurs. Sie äußerten sich in vielen Publikationen und Fernsehbeiträgen zu Fragen der japanischen Identität und ihrer Basis, der "japanischen", wahlweise "asiatischen Spiritualität". 17

Ihre Stellungen in einflußreichen gesellschaftlichen Institutionen ermöglichen den "spiritual old boys" einen leichten Zugang zu Tageszeitungen und Fernsehsendern. Nicht selten werden die Publikationen und Veranstaltungen der "spirituellen Intellektuellen" von Konzernen und einflußreichen religiösen und politischen Vereinigungen gefördert. Von einem "Okkultkapitalismus" spricht in diesem Zusammenhang der japanische Journalist Saitô Takao, der in seinem Band von 1997 darlegt, wie renommierte Wirtschaftsunternehmen und Technologiekonzerne (Sony, Kyocera) und Förderer des 'Okkulten' aus den Neuen Religionen (z.B. Funai Yukio) das Interesse am Übernatürlichen zu Marketingzwecken nutzen.

In einigen Fällen finanzieren die religiösen Vereinigungen und die Konzerne Verlagshäuser und deren einschlägige Projekte, die sich vor allem an japanische Firmenangestellte wenden. So wird die "Engel-Bücherei" der von Matsushita Kônosuke gegründeten PHP-Gruppe 18 und ihres Verlags auch vom Süßwarenmagnaten Morinaga gefördert, der Technikkonzern Fujitsu sponsert Bände zum Thema "animistische" japanische Natursicht (vgl. Prohl 2000: 103-109). Higuchi Hirotarô (Asahi Brauerei) versteht sich auf interkulturellen Foren als Missionar "japanischer Spiritualität", die er als Zukunftskonzept propagiert (vgl. Gebhardt 2001). Für eine sich mehr als Avantgarde verstehende Leserschaft publiziert der der neureligiösen Vereinung Agonshû zugehörige Verlag Hirakawa Shuppan in Zusammenarbeit mit Persönlichkeiten der publizierenden Szene wie etwa Aramata Hiroshi "spirituelles" Gedankengut, in das trotz subversiver Rhetorik gegen die Leistungsgesellschaft eine die Normen bestätigende Haltung eingewebt ist.

Der Bezug auf Medien und Vermarktung eines intellektuellen "spirituellen Diskurses" läßt sich den hier angestellten Beobachtungen zufolge in die Richtung eines Angebots interpretieren, das zum einen durch seine Warenästhetik dem anhaltenden japanischen Retrotrend entgegenkommt und dazu eine gesteigerte Erlebnisdichte verspricht, wie sie in den "Erlebnisgesellschaften" (Gerhard Schulze) gesucht wird. Zum anderen verspricht die medial aufbereitete "Religion" in Japan – in Magazinen und Büchern, man denke aber auch an die zahlreichen Sendungen des Fernsehsenders NHK – Identitäts- und Sinnfindung.

Hier wäre anhand von eingehenden Untersuchungen noch näher zu überlegen, ob die Darstellungen des Religiösen in Printmedien und im Fernsehen bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Dies zum einen unter ästhetischen Gesichtspunkten (Stichworte: Japonesque; japanischer Neo-Barock, Retrotrend, Kitsch) und zum anderen im Hinblick auf inhaltliche, ideologische Gesichtspunkte, bzw. unter der Fragestellung, ob die japanische "Medienreligion" 19 als Facette des Kulturdiskurses auch systemstabilisierende Funktionen beinhaltet. Eine weitere Frage wäre, welche Organisationen oder Interessenverbände hinter den "Bildern" stehen, die die japanische Öffentlichkeit von "Religion" vermittelt bekommt.

Die Inszenierung des Religiösen als Performanz von Identität gehört seit geraumer Zeit zu den Posen, die ein Teil der japanischen Meinungsführer und die interkulturell engagierte Salonfraktion des akademischen Lebens einnimmt. Auch in der Interaktionsachse Japan-Deutschland gewinnt diese Strömung zunehmend an Gewicht, und man sollte sich im Interesse einer der intellektuellen Redlichkeit verpflichteten Wissenschaftsauffassung fragen, ob diese Wallfahrten zum "Tempel des Selbstorientalismus" in unser aller Interesse liegen.


2.3 Der "postmoderne Schamane"

Der medienwirksame Typus der japanischen Postmoderne ist der des "postmodernen Schamanen", wie ihn Nakazawa Shin'ichi (geb.1950) verkörpert. Nakazawa wurde von dem bekannten Nachrichtenredakteur und Personalityshow-Master ("News 23") Chikushi Tetsuya als Ikone des Spirituell-Intellektuellen in seinem Band "Wakamonotachi no kamigami" (1985; "Die Götter der Jugendlichen") eindrucksvoll photographisch in Szene gesetzt. In Nakazawas Arbeiten artikuliert sich die Kritik am modernen westlich-rationalen Wissensverständnis, an den etablierten Wissenschaften, ihren Verfahrensweisen und Hierarchien. Hierzu ließ sich Nakazawa auch durch die Lektüre von Carlos Castañedas Don Juan-Zyklus – einem Kultbuch der westlichen esoterischen Szene – anregen, dessen Weg zu akademischen Ehren und dessen gleichzeitige Unterminierung des akademischen Systems und seines Wissenschaftlichkeitsanspruchs Nakazawa wohl zu einem ähnlichen Ansatz inspirierten. Nakazawa beruft sich in seinen Arbeiten auf den Kanon des westlichen postmodernen Schrifttums, den er heranzieht, um seine Modernekritik zu untermauern. Dabei hatten seine Schriften, in denen er sich für "alternative", "andere Wirklichkeiten" einsetzt, weniger die philosophische Fachwelt zum Ziel, sondern waren daraufhin angelegt, neue Akzente in den damaligen Kulturdiskurs einzubringen.

Während Nakazawa zum bohémien der japanischen Postmoderne avancierte, entbrannte um seine akademische Qualifikation ein heftiger Streit an der Universität Tôkyô, für die ihn eine Fraktion gegen den Widerstand der anderen als Lehrkraft gewinnen wollte. Im Mai 1988 eskalierten die Auseinandersetzungen. Durch diesen Zwischenfall wurde Nakazawa zur zentralen Figur einer innerjapanischen Diskussion um Wissenschaftlichkeit. Die Universität Tôkyô lehnte Nakazawa als Kandidaten ab, was zur Folge hatte, daß die Professoren, die Nakazawa unterstützt hatten, von ihren Posten zurücktraten, darunter Nishibe Susumu, ein Vertreter der konservativen Richtung. Mit dem Anschlag der neureligiösen Vereinigung Aum Shinrikyô vom März 1995, verlor Nakazawa, der die Vereinigung als alternatives Modell zur kapitalistischen und tennôzentristischen Gesellschaft Japans gepriesen hatte, seine Glaubwürdigkeit, und seine Attraktivität für die Medien ließ rapide nach. Der Fall des spirituellen Playboys und postmodernen Schamanen illustriert, wie in den achtziger Jahren postmoderne und "spirituelle" Argumentationen zu einer Botschaft zusammengefügt wurden, die die intellektuelle Schickeria mit der Unterstützung der Medienwelt verbreitete – als Lehre der "anderen Moderne" Japans.

Die Akteure des postmodernen "Intellectual Japonesque" mögen sich durchaus bewußt gewesen sein, daß sie ein Posieren im "japanischen Kostüm" betreiben, das wohl keine Lösungen für die konstatierte Sinnkrise des modernen Japan bereithält. Die Pose in "indigener Gewandung" besticht mehr durch ihre Bühnenqualität, als daß sie sich in der gesellschaftlichen Realität bewähren würde. Unter japanischen Intellektuellen, die sich seit den Studien des Kulturanthropologen Yamaguchi Masao zum Karnevalesken selbst gern als liminale Existenzen und "trickster" sehen, dient die Pose als Signal für Protest. Mit ihr geht sowohl – nach außen gerichtete – Ablehnung der modernen Zivilisation westlicher Prägung einher sowie die – nach innen – gerichtete Opposition gegen die Befürworter eines materialistischen, leistungsorientierten Systems, die als Satrapen des Westens wahrgenommen werden. Nakazawas Ansatz ist charakteristisch für das Verhältnis der japanischen Postmoderne zur Religion und zur japanischen Religion im besonderen. In erster Linie hat "Religion" hier eine abgrenzende Funktion zum westlichen Denken inne. Sie dient dazu – quasi als Genußmittel – intensive Erlebnisse zu "erfahren" und einen inneren Raum wiederzugewinnen, den die westliche Moderne usurpiert habe.





3.1 Gleitende Positionen zwischen "links" und "rechts"

In diesem Diskurs und im Bereich seiner Medienrepräsentation begegnen sich seit den achtziger Jahren auf den ersten Blick konträre Positionen wie der kulturalistische Diskurs nationalkonservativer Denker, die Postmoderne und das japanische New Age scheinbar problemlos. Der Verfasser eines Artikels über die okkulten Strömungen der japanischen Kulturszene, der Journalist Kimura Tatsuo, beschreibt die esoterische Welle als eine Reaktion auf das Scheitern der Studentenbewegung und ihrer Ideale (Kimura 1998). Mit dem Niedergang der Studentenbewegung Anfang der siebziger Jahre begaben sich die engagierten Intellektuellen Japans in die innere Emigration. Die Besinnung auf das "Spirituelle" löse ein realitätsbezogeneres gesellschaftspolitisches Engagement ab, so lautete ein häufiges Deutungsmuster. Man befaßte sich mit der eigenen Befindlichkeit und der Frage nach der japanischen Identität, dem "ursprünglichen Japan", dessen Konzept, wie bereits ausgeführt, schon in den fünfziger Jahren als Alternative zum ungewollten "System" erdacht worden war.

Wenn "Spiritualität" zunächst ein Kampfbegriff gegen den Kapitalismus und ein stagnierendes System gewesen sein mag, dient sie seit den siebziger Jahren als Leitmotiv für den pseudo-alternativen Lifestyle (Stichwort Gegenkultur) bestimmter gesellschaftlicher Schichten und Gruppen. Sie verbinden mit dem "Spirituellen" eine Protesthaltung, die sich im Grunde aber nur noch als Etikett im Supermarkt von Sinnangeboten wiederfindet.

Während die "spirituelle" Argumentation jüngerer "spiritueller Intellektueller" noch vom Mythos des Alternativen getragen wurde, transportierten die Botschaften vom "ursprünglichen" religiösen Japan, die die "spiritual old boys" vortrugen, moralische Unterweisungen, 20 die zum Teil dem Ethos des Kollektivs aus der Vorkriegszeit entsprachen. Gerade diese Verquickung – nicht nur von ehemals linksorientierten Standpunkten mit "spirituellen", sondern die von linksorientierten und scheinbar freiheitlich progressiven mit konservativen und nationalistischen Positionen – ist ein Muster, das den Beobachter der japanischen intellektuellen Szene erstaunen muß.

Der Germanist Mishima Ken'ichi bemerkt in diesem Zusammenhang:

Dieses Hin- und Hergerissensein einerseits zwischen Europa und Ostasien, andererseits zwischen politisch linken und politisch rechten Positionen kennzeichnet meines Erachtens die Geschichte der Intellektuellen im modernen Japan, und besonders in den letzten Jahren scheinen sich japanische Intellektuelle infolge ihrer Unentschiedenheit zunehmend wieder in einem Netz ethnozentristischer Diskurse verfangen zu haben.
Im Vergleich mit Entwicklungen in Deutschland (erwähnt wird die Renaissance von Denkern wie Heidegger und Jünger, S.116) fügt Mishima hinzu:
Während man sich in Deutschland zwar einerseits – und hoffentlich vergeblich – darum bemüht, ein Forum für die "selbstbewußte Nation" zu installieren, aber andererseits – und das erscheint mir wichtiger – noch kein einziger Versuch gelungen ist, die zum Teil hochtrabenden und mit großem intellektuellem Ehrgeiz geäußerten Plädoyers für eine Konservative Revolution in eine einfache und volkstümliche Sprache zu übersetzen, scheint bei uns in Japan die Nation weitgehend mit dem Jargon des Ethnozentrismus infiltriert und von ihm verseucht zu sein (Mishima 1996: 87, 117).


3.2 Der Übervater als Moralinstanz

Mishima Ken'ichis mit Emphase vorgetragener Befund enthält eine Reihe von Verweisen auf in der Tagespresse geäußerte Bekenntnisse zur "traditionellen" japanischen Weltanschauung bekannter japanischer Denker, darunter der "spirituelle Intellektuelle" Yamaori Tetsuo, der – in Verleugnung der Geschichte des Buddhismus – am fünfzigsten Jahrestag der Kapitulation Japans, am 15. August 1995, dazu aufrief, allein die dem Gedanken des Friedens verpflichtete buddhistische Weltsicht zu reetablieren. Yamaori scheint auch fünf Monate nach dem Giftgasanschlag der Aum Shinrikyô seine Position als medienpräsenter Intellektueller nicht eingebüßt zu haben. Und dies obwohl der Anschlag die japanische Gesellschaft und das Selbstverständnis Japans als wohlbehütete Fortschrittsnation erschütterte und Kritik an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – wie Yamaori – laut werden ließ, die die Vereinigung durch wohlwollende Kommentare unterstützt hatten.

Der Aum-Anschlag und seine Darstellung in der Presse sowie der Tadel, der nach den Geschehnissen um Aum die "spirituell" engagierten Intellektuellen traf, ist bezeichnend für die japanische Medienlandschaft. Hatte man zunächst das "Spirituelle" als Botschaft der konservativen Riege und als Lifestyle-Attribut einer jüngeren Generation vermarktet, wurde nun der okkult-spirituellen Kammer ein "Sicherheitsriegel" vorgeschoben, zumindest für einige Zeit, bis sich die Wogen wieder geglättet hatten. Unklug, wer sich in dieser Phase noch ausdrücklich zu seinem Engagement bekannte – wie zum Beispiel Nakazawa Shin'ichi, den man daraufhin fallen ließ.

Intellektuellenschelte ist allgemein ein beliebtes Motiv der japanischen Massenmedien. In vielen Fällen verwundert diese Kritik freilich, ist doch der soeben abgemahnte bunkajin (Medienintellektuelle) nicht selten ein Meinungsführer, dessen Kommentare laufend in der Presse oder im Fernsehen verlautbart werden. Die Muster der Kritik und der Begünstigung in den verschiedenen Foren und durch die beteiligten Diskutanten sind ebenso schwer nachzuvollziehen. Wer, überspitzt formuliert, gestern noch die Position eines Denkers tadelte, kann sich heute als Gleichgesinnter entpuppen. Dies ist wohl auch in dem Umstand begründet, daß es in Japan auf engem Raum verhältnismäßig viele Personen gibt, die meist als nicht fest angestellte Kritiker, Kommentatoren, Journalisten, als publizierende oder im Fernsehen auftretende bunkajin auf dem freien Markt der Meinungen und der Unterhaltung bestehen müssen.

Im Fall des Kritikers Fukuda Kazuya, eines neuen Talents der neunziger Jahre, spricht die bekannte Gerüchtepostille "Uwasa no shinsô" ("Das wahre Gesicht des Gerüchts") in ihrer Ausgabe zum Thema bunkajin-Tadel vom August 1998 von einem Interessenverbändler (sôkaiya) der öffentlichen Meinung. Der Kritiker würde durch eine geschickte Manipulation seiner Gesprächspartner aus sowohl links- wie rechtsorientierten journalistischen, literarischen und politischen Kreisen die jeweils für ihn selbst günstigste Position anvisieren. Durch eine ausgeklügelte Pflege sozialer Kontakte, die tröstendes Schulterklopfen und Essenseinladungen eines brüskierten Gegenübers ("aftercare" genannt) beinhalte, sei Fukuda der fulminante Aufstieg gelungen, obwohl er kaum ein intellektuelles Profil aufzuweisen habe (Uwasa no shinsô, S.225).

Die Kritik am Medienintellektuellen in einer kommerziellen Zeitschrift, die auf Sensationsjournalismus basiert, ist freilich nicht unkritisch zu beurteilen, insbesondere was den moralisierenden Ton betrifft, den das Magazin in seiner bunkajin-Schelte anschlägt. Der Moralfocus ist im übrigen das Moment, in dem sich japanische Presseorgane unterschiedlichster Konvenienz und Ausrichtung treffen. Die paternalistische moralisierende Rede bildet das Grundmotiv vieler Verlautbarungen in den japanischen Medien und wirkt als integrierender Faktor in einer Medienstruktur, die ihre Prioritäten nicht im Bereich von Aufklärungsarbeit sieht, sondern in der Harmonisierung gesellschaftlicher Strömungen.

Laurie Anne Freeman stellt in ihrer Untersuchung des japanischen Pressesystems heraus, daß die Medien in Japan eine Homogenisierung von Nachrichten und Meinungen betrieben und weniger als "agenda setters" wirkten, als daß sie die Funktion von "social managers" innehätten. Diese Neigung wird mit der engen Anbindung der Medien an die Politik erklärt, mit den Geschäftsstrukturen der japanischen Medienwelt, der historischen Entwicklung des japanischen Verlagswesens, das schon früh von der Zensur reglementiert worden sei, mit dem Selbstverständnis der Medienproduzenten als Volksunterweiser mit staatlichem Auftrag und mit ihrer Rolle als Propagandaträger des imperialistischen Japan (Freeman 2000: 168-171). 21

Die von paternalistischer Warte aus geäußerte Kritik an persönlichem Fehlverhalten und an Einstellungen, die am Beispiel einer bestimmten Person verurteilt werden, mag ein bewährtes Mittel innerhalb des japanischen Pressesystems sein, da dieses Mittel, anders als aufwendige Recherchen es wären, jederzeit verfügbar und deshalb auch aus ökonomischen Gründen zu bevorzugen ist. Geht man davon aus, daß die japanischen Medienvertreter ihr Wirken in erster Linie als integrativen, harmonisierenden Akt verstehen müssen und wollen, ist der öffentliche Tadel ein Mittel, dem Bürger den Eindruck der "Gerechtigkeit" der Gesellschaft, in der er existiert, zu vermitteln.

Das Gerechtigkeitsideal ist die eine Seite, die andere, ein Forum zu installieren, das es erlaubt, Frustrationen und Schadenfreude auszuleben. So mag die Abmahnung einer Person zu einem gewissen Maß den Mißmut der Bürger kanalisieren und besänftigen, sie erreicht aber selten eine metakritische Ebene, die Strukturen bloßlegen und somit eine höhere Ebene der Aufklärung eröffnen würde. Die Schelte des "medialen" Vaters trifft gleichwohl alle Kinder im Inselstaat, den rechten Marktschreier, elitäre Intellektuelle und sogar den Ministerpräsidenten, wenn dieser seine "Vaterpflichten" 22 nicht erfüllt, und sorgt damit für ein Kollektivgefühl (das sich im Bestraftwerden einstellt) und zugleich für eine Verkleinerung des Diskussionshorizonts.


3.3. Intellektuelle, Medien, Macht

Der konstatierte Formwandel des japanischen Kritikers und Intellektuellen vom authentischen Denker zum "Interessenverbändler", der in seiner intellektuellen Haltung keine Konsistenz mehr aufweist, ist sicher kein Phänomen, das – wenn es sich denn so bestätigen ließe – allein auf Japan beschränkt wäre. Schon eingangs wurde erwähnt, daß man im Westen eine der Sprecherrolle des Intellektuellen abträgliche Sozialstruktur der Erlebnisgesellschaft (oder der polykontextturalen Gesellschaft, siehe den Beitrag von Georg Jäger) registriert und den Medien eine negative Auswirkung auf den "Intellektuellenstand" und seine Daseinsbedingungen zuschreibt. Auch der Medienintellektuelle, wie er etwa im deutschen Fernsehen zu beobachten ist, zeigt sich in den letzen Jahren zunehmend verpackt in eine gefällige Hülle pc-imprägnierten Cellophans.

Noch liegen zu wenige Untersuchungen über die Strukturen der öffentlichen Meinungsbildung und die japanischen Medien 23 in ihrer soziopolitischen Wirkung vor, um klare Aussagen dahingehend tätigen zu können, wie sich im gegenwärtigen Japan die Interaktion zwischen Medien, Politik/Macht und Intellektuellen gestaltet. Vergleichende Studien, innerhalb derer – unter Einbeziehung des reichhaltigen Materials zur Situation in westlichen Ländern – verschiedene Differenzierungen vorzunehmen wären, die z.B. für den westlichen Bereich Siegfried J. Schmidt (Schmidt 2000) anregt, gibt es kaum. Daher sind die hier angestellten Überlegungen zu den japanischen Medienintellektuellen, ihrem Stellenwert und ihrer Funktion als Einstieg in ein komplexes Thema zu verstehen.

Ob die Medienintellektuellen in Japan eigene Überzeugungen vertreten oder sich mit Berechnung populistischer Mittel bedienen, um die Aufmerksamkeit der Verlagswelt und eines breiten Publikums zu genießen 24 sowie darüber hinaus um mit einer Wende zum Konservatismus Begünstigungen durch bestimmte einflußreiche politische und wirtschaftliche Kreisen zu erlangen, und ob und inwieweit diese Kreise "Macht" ausüben, die japanischen Medien kontrollieren und mit ihnen "die Meinung" im Lande beeinflussen, sind Fragen, die weiter erörtert werden müssen.

Bei Feststellungen hinsichtlich der Funktion der Medienintellektuellen und der Themen, die sie behandeln – etwa die "japanische Spiritualität" als identitätsstiftendes Element – sowie möglicher manipulativer Absichten bestimmter Beiträger der Debatten sind sicher noch weitere Differenzierungen angebracht ebenso wie Bezugnahmen auf die Medientheorie. Schmidt merkt für die Diskussion um Medien und Macht an, daß hier zunächst die Differenzierung nach

Typen und Formen von Macht, Machthabern und Machtunterworfenen, nach Mitteln und Formen der Machtausübung, Akzeptanz und Legitimation von Macht, Dispositiven und der Mikrophysik der Macht (Foucault), nach intendierter, technischer oder struktureller Macht, nach empirisch benennbaren Machthabern (Aktanten, Eliten) vs. in Gang gesetzten Entscheidungen (auch über die Köpfe von Aktanten hinweg) und nach Beobachtungen bzw. Sinndeutungen solcher Entwicklungen
vonnöten sei (Schmidt 1999: 117).

Watanabe Takesato benennt in seinem Aufsatz von 1996 die machtausübenden Instanzen als Firmen, die mit finanziellen Beteiligungen Medien lenkten – etwa die Firma Kyocera, die in die Kyoto Broadcasting Station Co. investiere und kritische Äußerungen gegen Kyocera und seine Aktivitäten unterbinde. Sowohl detaillierte Untersuchungen in diesem und in ähnlichem Umfeld wie auch theoretisch ambitionierte Reflexionen gesellschaftlicher Medienwirkungen 25 sind ein Desiderat für zukünftige Analysen und können im Fall der japanischen Intellektuellen und ihres Auftretens in den Medien weitere Klärung bringen.






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PD Dr. Lisette Gebhardt
FB II – Japanologie
Universität Trier
E-mail: L.Gebhardt@t-online.de

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Anmerkungen

1 Sicher ist vorauszuschicken, daß auch der Intellektuelle im Westen seit seiner Charakterisierung anläßlich der Dreyfus-Affäre von 1898 als ein (ungebührlich) die Politik kritisierender Schriftsteller verschieden definiert und unterschiedlich beurteilt wurde. zurück

2 Etwa Arima Tatsuo (1969). In ihrem Prolog zu dem Band "Intelli" spricht auch Steffi Richter von den "schwachen" Intellektuellen, die für Japan charakteristisch seien – im Gegensatz zu dem von Maruyama visionierten Idealtyp des "starken" Intellektuellen westlicher Modernen (Richter 1998: 20-21). Richter leitet das Konzept des "schwachen Intellektuellen" zum einen aus den soziopolitischen Gegebenheiten eines hierachischen Inselstaates (in dem nicht systemkonforme Denker eleminiert wurden) ab, zum anderen aus Überlegungen der japanischen Postmoderne, die das "Fragile" als japanisches Denk- und Kommunikationselement sieht. Freilich ist die Klage über die Schwäche und das Unvermögen auch eine Konstante der westlichen Debatte über die Intellektuellen (siehe Georg Jägers Beitrag zu diesem Forum), die eine Kritik an der Gesellschaft (die den Intellektuellen keine Chance läßt) enthält und insofern einen Intellektuellen visioniert, der einem idealen Bild entspricht. Der Band, der eine Reihe von Personen aus der japanischen Ideengeschichte, der Kunst, der Literatur, der Medienwelt und der Kritik vorstellt (z.B. Watsuji Tetsurô, Sano Manabu, Inose Hiroshi, Murai Jun, Nishibe Susumu, Hiromatsu Wataru, Matsuoka Seigô, Yokoo Tadanori und Tezuka Osamu) verdeutlicht die Probleme der sinnvollen Zuordnung eines intellektuellen Moments. zurück

3 Auch die Geschichte der Intellektuellen im Westen ist noch nicht erschöpfend bearbeitet worden, ebenso wie die Überlegungen zur Definition des Intellektuellenbegriffs fortgesetzt werden müssen (siehe etwa Britta Scheidelers Einleitung und Jost Schneiders Beitrag zum Diskussionsforum). zurück

4 Als Beispiel sei hier nur auf den kürzlich ins Deutsche übersetzten Band "Japanische Denker im 20. Jahrhundert" (im Original: Nihon no shisô, 1998) von Ueyama Shunpei verwiesen (Ueyama 2000). zurück

5 Der Band "Modern Japanese Thought", 1998 herausgegeben von Bob Tadashi Wakabayashi, enthält eine Reihe von repräsentativen Beiträgen bekannter Forscher zu den Themen Sozialismus, Marxismus, Rezeption westlicher Ideen, Rückbesinnung auf "das Japanische" (z.B. Hirakawa Sukehiro, Kenneth B. Pyle, Peter Duus, Irwin Scheiner, Tetsuo Najita, H.D. Harootunian und Andrew E. Barshay). zurück

6 Zum Thema Intellektuelle im imperialistischen Japan siehe etwa den Beitrag von Tsurumi Shunsuke (1986). zurück

7 Insbesondere auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte sind noch viele Bereiche unerforscht. zurück

8 Die Debatte um den sogenannten Gesinnungswandel (tenkô), den viele Schriftsteller und politisch Engagierte in den dreißiger Jahren unter dem Druck des Militärregimes vollzogen, ist ein häufig – wenn auch nicht erschöpfend – behandeltes Thema. Texte von wichtigen Beiträgern zur Nachkriegsdebatte (z.B. die Literaten Kobayashi Hideo und Haniya Yutaka) sind in Einzeluntersuchungen vorgestellt worden. zurück

9 Einen kürzeren, metakritischen Kommentar zur japanischen Postmoderne gibt Johann P. Arnason (Arnason 1995). Miyoshi Masao editierte 1989 einen Band zur Postmoderne in Japan (Miyoshi 1989), der u.a. Beiträge von ihm, Tetsuo Najita, Naoki Sakai, Karatani Kôjin und Asada Akira enthält. Alle genannten Wissenschaftler sind aber zugleich auch Vertreter der Postmoderne und verfolgen postmodernetypische, postkoloniale Argumentationsstrategien. zurück

10 Mishima richtete sich eine Villa in Jiyûgaoka ein, die vor allem mit Abgüssen antiker Statuen und (reproduziertem) antiken Mobiliar verschiedener Stilrichtungen bestückt war; die Einrichtung stellte sozusagen den Versuch dar, sich die europäische Kultur in Form eines Privatmuseums anzueignen. Mishima ließ sich – eine frühe japanische Homestory – in seinem Zuhause von der Presse photographieren; seine Villa diente ebenso als Kulisse für die Photoserie Barakei, die Mishima in verschiedenen (erotischen) Posen zeigte und die wohl als einmaliges Dokument eines japanischen Schriftstellers gelten kann, auch wenn man berücksichtigt, daß durchaus photogene Autoren wie Akutagawa Ryûnosuke (1892-1927) und Dazai Osamu (1909- 1948) schon "Stars" ihrer Zeit waren und in den Medien als solche erschienen. Mishima zeigte sich jedoch im gesamten Verlauf seiner Karriere medienbewußt und stand in engem Kontakt mit diversen Medien. zurück

11 Das Stichwort "japonesque" (bzw. "The Neo-Japonesque") bringt die Anthropologin Marilyn Ivy mit ihrem Band von 1995 in die Japanforschung ein. Den Trend der gegenwärtigen japanischen intellektuellen Szene zum Regionalen, "Indigenen" und Ethno-Esoterischen sowie die ethno-romantische Welle der Dekaden nach dem Krieg diskutiert Gebhardt (1996, 2001 und 2001a). zurück

12 Die Adresse lautet: http://www.vill.yamanakako.yamanashi.jp/bungaku/ mishima /index-e.htmlzurück

13 Das Phänomen des sogenannten Nihon kaiki (Rückkehr nach Japan) läßt sich bis in die japanische Moderne um 1900 zurückverfolgen. Japanzentristische Argumentationen waren in den dreißiger und vierziger Jahren (unter dem Stichwort "Überwindung der Moderne") an der Tagesordnung. Während man in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg darum bemüht war, den Nationalismus "aufzuarbeiten", setzte bereits in den fünfziger Jahre eine restaurative Tendenz ein, innerhalb derer man sich wieder auf japanische Werte und Traditionen berief, eine Tendenz, gegen die sich etwa auch Maruyama Masao wandte (siehe Maruyama 1988: 14-15). Den Versuch einiger japanischer Denker am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erneut die ("westliche") Moderne überwinden zu wollen, kommentiert ein 1996 von Irmela Hijiya-Kirschnereit herausgegebener Band. zurück

14 Die Umbewertung des elitären kaiserlichen Volks in ein einfaches "indigenes Volk" ermöglichte die Idee eines japanischen Kollektivwesens, das sozusagen ursprünglich und rein wiedererstand. Es hatte nichts mehr gemein mit dem Kollektiv, das den Krieg betrieben und ihn verloren hatte. Sicher beabsichtigten viele Intellektuelle eine Kritik am Tennô-System. Mit der Formulierung des vom Tennô-System mißbrauchten "indigenen Japan" hatte man aber auch eine Projektionsfläche geschaffen, auf der neue Einheitsvisionen und ein neuer, zumindest auf seiner Oberfläche von imperialistischer Ideologie bereinigter Kulturdiskurs entstehen konnten. zurück

15 In seiner soziologischen Studie "Cultural Nationalism in Contemporary Japan" untersucht Kosaku Yoshino nationalkonservative Tendenzen unter Geschäftsleuten (businessman) und teilweise auch unter intellektuellen Eliten (Yoshino 1992). zurück

16 Für die Praxis der "Ämtervererbung" siehe die Arbeiten von Verena Blechinger (z.B. Blechinger 1998), zu den Strukturen der japanischen Presse und den charakteristischen Journalistenclubs (die ein Informationsmonopol innehaben) die aktuellen Studien von Laurie Anne Freeman (Freeman 2000) und Ellis S. Krauss (Krauss 2000). zurück

17 Insofern ist der "spirituelle Diskurs" auch Teil des japanischen Asienbooms, den das Land seit den achtziger Jahren verzeichnen kann und der mit den zahlreichen Verlautbarungen zum kommenden asiatisch-pazifischen Zeitalters noch einen Aufschwung erfuhr. zurück

18 PHP steht für "Peace and Happiness through Prosperity"; die PHP-Gruppe veröffentlicht nach Prohl durchschnittlich 40 neue Titel im Monat; dazu kommen zahlreiche Periodika wie "PHP" (Auflagenzahl monatlich 1, 5 Millionen Exemplare), "Voice", "The 21" oder "Asia 21". zurück

19 Wie "Religion" im Fernsehen, in den Printmedien und in der Werbung eingesetzt wird, ist tatsächlich eine aktuelle und wichtige Frage, zu der es noch nicht viele Untersuchungen gibt. Im westlichen Bereich ist das Schlagwort "Medienreligion" seit circa fünf Jahren im Umlauf, wobei häufig behauptet wird, "Medienreligion" sei eine kulturelle Entwicklung der Postmoderne. Im aktuellen Band Schmidts wird zu Recht bemerkt, daß sich die "Medienreligion", speziell die "Fernsehreligion" zunächst nur als etwas Gerüchtehaftes manifestiere. Schmidt unterscheidet verschiedene Aspekte, unter denen man Medien und Religion in Bezug zu setzen hätte (Schmidt 2000: 199). Für den Fall Japan sind ähnliche Untersuchungen noch kaum angestellt worden. Wie verhalten sich hier Medien und Religion zueinander? Wie präsent ist das Thema Religion in den Medien? Ist "Religion" ein prominenter Teil des Medienangebots? Oder übernehmen Medienangebote religiöse Funktionen? zurück

20 Die Botschaften des New Age enthalten im allgemeinen, ungeachtet ihrer "alternativ" oder antiautoritär anmutenden Oberfläche, Leitsätze, die denen der modernen kapitalistischen Ethik nicht fremd sind. zurück

21 Die Verfasserin relativiert ihre Bewertungen mit Verweisen auf das englische und das amerikanische Pressewesen ("No country has an entirely free and open marketplace for information […] "; S.170) und hält damit ihre Feststellungen hinsichtlich eines von der Politik und der Unterhaltungsindustrie bestimmten japanischen Medienwesens gemäßigter aufrecht als Ivan Hall in "Cartels of the Mind: Japan's Intellectual Closed Shop" (1998). zurück

22 Der freie Journalist Minoguchi Tan bemerkt in einer persönlichen eMail-Mitteilung, daß man in der japanischen Presse das Scheitern des Ministerpräsidenten Mori im wesentlichen an seinem Verhalten anläßlich des U-Boot Zwischenfalls festmache: Der Grund, warum Mori zurücktreten müsse, bestehe nun darin, daß er weiter Golf gespielt habe, anstatt eilfertig in seine Staatskanzlei zurückzukehren und eine "betroffene Miene zu machen", als die Nachricht von dem durch das US-U-Boot ausgelösten Schiffsunfall bei Hawaii eintraf. Den Fernsehjournalisten gab Mori die – zwar einleuchtende, aber mit dem japanischen paternalistischen Ethos unvereinbare – Auskunft: "Was hätte ich tun können, wenn ich im Büro gesessen hätte […] ich spiele Golf für meine Gesundheit". Der Journalist merkt an: "Also wird er zurücktreten, nicht als Politiker, sondern als >Raben-Vater<, der sich vergnügt hat, als seine >Kinder< ertranken." Minoguchi stellt im übrigen auch Erwägungen zu den Unterschieden der deutschen und der japanischen Presseberichterstattung an (siehe http://home.munich.netsurf.de/Tan.Minoguchi/shinbun.htm). zurück

23 Die japanische Medienkultur ist in ihrer Gesamtheit und in ihrer Geschichte noch nicht erfaßt worden. Gegenwärtig liegt eine begrenzte Anzahl japanischer, englisch- und deutschsprachiger Analysen oder Essays über einzelne Medien (Presse, Fernsehen, "Fernsehdrama"/soap=Projekt H. Gössmann / Universität Trier, Film, Zeitschriften, Frauenmagazine, Internet, Video), über die Geschichte der Massenmedien, über die Kommunikationsindustrie bzw. kommunikationstechnisches Handeln (Inose Hiroshi / NACSIS, staatliches Monopoldenken; Murai Jun / freenet, Internet-Begründer in Japan Anfang der neunziger Jahre, community-Denken, globale Konnektivität), Medienkritik (Menschenrechte in den japanischen Medien, Schwächen der selektiven Berichterstattung) und Medienphänomene, die die Gesellschaft prägen (z.B. otaku) vor. Innerhalb der japanischen Medientheorie und Medienwissenschaft, ein Forschungsfeld, das parallel zu den westlichen Medienforschungen etwa seit Anfang der neunziger Jahre an Bedeutung gewann, wird auch versucht, eine japanspezifische Medienwelt zu konstituieren (etwa Matsuoka Seigôs Theorie des Fragilen, die von Imai Jun als Alternative zum amerikanischen Modell vorgestellt wird), was eine mehr anwendungstechnisch orientierte Fraktion (Kumon Shunpei) jedoch als unpraktikabel einschätzt. Für einen Überblick zum japanischen Medienverhalten und japanspezifischen Medienstrukturen siehe den Artikel von Watanabe Takesato (1996). zurück

24 Hier hätte man darüber zu diskutieren, ob "das Publikum" tatsächlich an japanzentristischen Parolen interessiert ist und wie es in dieser Hinsicht um das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestellt ist. zurück

25 Zu berücksichtigen sind drei Forschungsbereiche bzw. medienwirkungstheoretische Ansätze: (1) das Verhältnis von Medien und Macht, (2) das Verhältnis von Medien und gesellschaftlicher Integration und (3) das Verhältnis von Medien und gesellschaftlichem Wandel (vgl. Schmidt/Zurstiege 2000: 106). Das Verhältnis von Medien und Macht ist sicher nicht nur eindimensional zu sehen, sondern unterliegt diversen Brechungen (Schmidt 1999: 115-117). Im Fall Japans müssen jedoch erst noch einige Vorarbeiten geleistet werden, bevor kompliziertere Reflexionsebenen angesteuert werden können. Krauss stellt in seiner aktuellen Studie heraus, daß die japanischen Medienverhältnisse keinesfalls in einer "cultural inability of Japanese citizens" begründet seien, sondern in "the way state and media institutions have developed and become linked to each other in postwar Japan" (Krauss 2000: 272). zurück