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Symbolbegriffe

  • Eckard Rolf: Symboltheorien. Der Symbolbegriff im Theoriekontext. Berlin u.a.: Walter de Gruyter 2006. VIII, 326 S. Gebunden. EUR (D) 98,00.
    ISBN: 978-3-11-019016-8.
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Seit einigen Jahren ist das Symbol wieder auf dem Vormarsch, nachdem es die von Poststrukturalismus und Dekonstruktion verhängte Verbannung gut überstanden hat. In den historischen Kulturwissenschaften regelt das Symbol längst die interdisziplinär auf hohem Niveau geführten Diskussionen um Prozesse kultureller Sinnstiftung. Langsam ziehen auch die Sprach- und Textwissenschaften nach, indem sie wie Rolf das Symbol einer kritischen Revision unterziehen. In der Form eines knapp gefassten Nachschlagewerks präsentiert er 38 sprachwissenschaftliche Symboltheorien, die er nicht alphabetisch, sondern nach sechs systematischen Gruppen ordnet. Der Band bietet eine umfassende Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur sowie ein Namensregister.

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Systematik

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Rolfs Begründung der Theorieauswahl steht vor dem Problem eines jeden begriffsgeschichtlichen Versuchs, eine angemessene Relation von Sache und Begriff zu formulieren, was im Falle des Symbols vielleicht noch aussichtsloser ist als in anderen Fällen. Dementsprechend gilt Rolfs Aufmerksamkeit einerseits den Funktionen, die der Begriff des Symbols in verschiedenen disziplinären Kontexten innehat, oder anders gewendet: der »Rolle des Symbolbegriffs« (S. 1); 1 andererseits geht Rolf mit Todorov davon aus, dass sich die Theorien »mit gewissen Gegebenheiten auseinandergesetzt haben, von denen man heute in der Regel sagt, sie seien ›symbolisch‹«. 2 Zwischen Begriff und Sache stehen »Systeme von Behauptungen«, deren Rekonstruktion sich Rolf zur Aufgabe macht. Doch offenbar ist das Problem von Begriff und Sache noch schwieriger als angenommen aufgrund der Tatsache, dass »das Augenmerk der Symboltheoretiker grundsätzlich auf Anderes gerichtet« ist – »auf Anderes, das durch die Inanspruchnahme des Symbolbegriffs beschrieben oder erklärt werden soll«, während beispielsweise die Theoretiker der Metapher »das thematisierte Phänomen selbst« erklären (S. 1). Mit dieser Problematisierung verdoppelt Rolf den Hiatus, der zwischen Begriff und Sache besteht, auf der Seite der Sache, indem er zwischen dem ›eigentlichen Phänomen‹ und ›anderen Phänomenen‹ unterscheidet. Beide Seiten, diejenige des Begriffs wie auch diejenige der Sache, folgt man Rolf, erweisen sich daher als Grauzonen. Denn die Symboltheoretiker nehmen »[d]en Begriff des Symbols […] zumeist unhinterfragt in Anspruch« (S. 1), wie sie offenbar auch in der Wahl der Sache relativ frei verfahren, was zur Folge hat, dass konkurrierende Verwendungsweisen des Begriffs im Umlauf sind. Unter dem Strich bestätigt das Unternehmen daher den sensus communis: »[D]er Begriff ist schwierig« – »ein gestaltwechselnder Proteus, schwer zu packen und zu bannen«. 3

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Auswahl

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Die Auswahl von Symboltheorien hat »sowohl mit einer persönlichen Neigung als auch mit einer nahezu physischen Unmöglichkeit zu tun«, bestätigt Rolf Todorovs Befund. 4 Seine eigene persönliche Neigung ist »liguistisch-sprachphilosophischer Provenienz« (S. 1), so dass Rolf seine Auswahl als Ergänzung zu Todorovs poetologisch-ästhetischer versteht, während er sich gleichzeitig sowohl von der so genannten älteren als auch von der an der historischen Semantik einzelner Symbole bzw. Symbolfelder interessierten Forschung (»›Stoffdenker‹ oder ›Stoffanalytiker‹«) abgrenzt: »Bei den in der vorliegenden Darstellung behandelten Autoren der symboltheoretischen Primärliteratur geht es durchgängig um den ›Begriff‹ des Symbols – nicht um Symbolik, nicht um das, was bestimmte Symbole bedeuten« (S. 4). Stattdessen überlagert sich Rolfs Interesse mit den soziologischen und philosophisch-theologischen Theoriedarstellungen, die in den vergangenen Jahren erschienen sind. 5 Auf den Punkt gebracht heißt das: »Im Unterschied zu solchen Hermeneuten bzw. Interpreten sind Symboltheoretiker der hier behandelten Art Signifikationsanalytiker, die sich mit dem Bedeutungs-Problem konfrontiert sehen« (S. 4 f.) – Zeichentheoretiker, so könnte man auch sagen, die mit dem Begriff des Symbols die Beziehung von Zeichenträger, Bedeutung (›Interpretand‹) und Wirklichkeit (Referenz) aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven beleuchten. Vor diesem Hintergrund unterscheidet Rolf vier Begriffsverwendungen des Symbols, die er – konstant – in den sechs von ihm definierten Feldern findet. Der Begriff bezeichnet konventionelle Zeichen, die Repräsentationsfunktion von Zeichen, die Bezugnahme auf Transzendentes oder die Abbreviatur eines Ganzen (›pars pro toto‹). »Die eine oder andere dieser Begriffsanwendungen erfolgt im Rahmen sprachtheoretischer, erkenntnistheoretischer, kunsttheoretischer, zeichentheoretischer, bewusstseinstheoretischer und gesellschaftstheoretischer Theoriekontexte.« (S. 5)

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Inhalt

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1. Das Kapitel »Der Symbolbegriff im sprachtheoretischen Kontext« versammelt Theorien, die sich mit den Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke beschäftigen; dabei steht im Zentrum einer jeden Darstellung der zentrale theoretische Aspekt der Symboltheorie, den Rolf gezielt auf den Punkt bringt – und in diesem wie in den folgen Kapiteln den Darstellungen zur besseren Orientierung voranstellt: Aristoteles (Sprache vs. Schrift), Russell (Kennzeichnungen), Wittgenstein (Sinn).

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2. Das Kapitel »Der Symbolbegriff im erkenntnistheoretischen Kontext« verfolgt die Theorien, die aus philosophischer, anthropologischer oder psychologischer Sicht verschiedene Modi der Erkenntnis qualifizieren: Leibniz, Lessing, Kant, Maimon, Husserl, Bergson (Erkenntnisvermögen), Cassirer (Erkenntnisformen), Whitehead (Wahrnehmungsformen), Gehlen (Wahrnehmungsstrukturen), Piaget, Furth (Entwicklungsstufen), Jaspers (Seinsformen), McDermott (künstliche Intelligenz).

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3. Das Kapitel »Der Symbolbegriff im kunsttheoretischen Kontext« stellt die kunstphilosophischen Theorien vor: Schelling (Kunstformen), Hegel (vorklassische Kunstformen), Nietzsche (Kunstkritik), Langer (Darstellungsformen), Gadamer (Kunstformen), Goodman (Formen der Bezugnahme).

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4. Das Kapitel »Der Symbolbegriff im zeichentheoretischen Kontext« behandelt Funktionen und Relationen von Zeichen: Peirce (Zeichenarten), Wundt (Arten nonverbalen Verhaltens), Gätschenberger (Symbolarten), Ogden/Richards (referentielle Funktion), Mead (Handlungsfunktionen), Morris (Symbolfunktionen), Bühler (Zeichenfunktionen), Deacon (Gehirnfunktionen).

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5. Das Kapitel »Der Symbolbegriff im bewußtseinstheoretischen Kontext« stellt psychologische, psychoanalytische und phänomenologische Symboltheorien vor: Freud (Traum), Silberer (Traum), Jones (Verdrängung), Lacan (Metapher, Metonymie), Lorenzer (Verdrängung), Kristeva (Symbolisches vs. Semiotisches), Schütz (Transzendenz), Voegelin (Erfahrung), Ricœur (Religion).

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6. Das sechste Kapitel »Der Symbolbegriff im gesellschaftstheoretischen Kontext« ist den soziologischen und ethnologischen Theorien gewidmet: Lévi-Strauss (kulturelle Systeme), Sperber (Kommunikation und Kognition), Elias (Evolution und Entwicklung), Luhmann (selbstreflexive Systeme), Searle (Institution und Bedeutung).

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Bilanz

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Bei den Symboltheorien handelt es sich um einen Cursus, den man nicht mehr missen möchte; als Hand- und Lehrbuch erfüllt er die Aufgabe, das Symbol und seine Begriffe in den Sprach-, Text- und Kulturwissenschaften wieder fest zu verorten. Vor allem im engeren Umfeld der Germanistik setzt Rolf Zeichen, weil der Sprachwissenschaftler gar nicht erst in Versuchung gerät, den Symbolbegriff auf die leidige Debatte um Allegorie und Symbol zu verengen. Stattdessen ruft Rolf den äußerst komplexen interdisziplinären Hintergrund an Theoriekontexten ins Gedächtnis, vor dem das Symbol und seine Begriffe weiter an Kontur gewinnen werden. Damit ist ein wesentlicher Schritt in Richtung auf eine Systematik gemacht, die in der Lage ist zu erklären, warum sowohl Begriff und Sache als auch ›eigentliches Phänomen‹ und ›andere Phänomene‹ im Namen des Symbols verhandelt werden.



Anmerkungen

Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf den rezensierten Titel. Dort kursivierte Begriffe oder Hervorhebungen sind in einfache, kursivierte Titel in doppelte Anführungszeichen transkribiert.   zurück
Tzvetan Todorov: Symboltheorien. Übers. von Beat Gyger. Tübingen 1995, S. 1.   zurück
Friedrich Theodor Vischer: Das Symbol. In: F. T. V.: Kritische Gänge. Hg. von Robert Vischer. 2. vermehrte Aufl. München 1922, Bd. 4, S. 420–456, hier S. 420.   zurück
Todorov, Symboltheorien (siehe Anm. 2), S. 2.   zurück
Vgl. Jens Heise: Repräsentative Symbole. Elemente einer Philosophie der Kulturen. Europa und Japan. Sankt Augustin 2003; Dirk Hülst: Symbol und soziologische Symboltheorie. Untersuchungen zum Symbolbegriff in Geschichte, Sprachphilosophie und Soziologie. Opladen 1999; Markus Tomberg: Studien zur Bedeutung des Symbolbegriffs. Platon, Aristoteles, Kant, Schelling, Cassirer, Mead, Ricœur. Würzburg 2001.   zurück