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Arno Sonderegger

Rezension einer Rezension: Eine Erwiderung



Freundlicherweise widmete Tanja van Hoorn meinen Buch "Jenseits der rassistischen Grenze. Die Wahrnehmung Afrikas bei Johann Gottfried Herder im Spiegel seiner Philosophie der Geschichte (und der Geschichten anderer Philosophen)" einige Aufmerksamkeit und machte sich die Mühe, es zu rezensieren. Im Ergebnis ihrer Bemühungen erkenne ich jedoch kaum etwas von dem wieder, was ich geschrieben zu haben glaube, und da eine Rezension der Aufklärung der potentiellen Leserschaft über die Inhalte des besprochenen Buchs eher dienen sollte als der verdiktischen Abschreckung, sehe ich mich genötigt, einige Richtigstellungen vorzunehmen.

Die Rezensentin behandelt das Buch, als ob es eine philosophisch-ideengeschichtlich ausgerichtete Arbeit wäre – oder sein wollte –, die sich in diesem Sinne dem Denken Herders, Kants und Hegels widme, und ortet diesbezüglich "Forschungsdefizite" (S. 1). Hätte ich diese Absicht verfolgen wollen, die, wie man sich leicht durch die Lektüre jener Passage vergewissern kann, in der ich mein Anliegen und die Anlage skizziere (S. 8–9), nicht die meine ist, so träfe der Vorwurf der Rezensentin zu, relevante Sekundärliteratur missachtet zu haben. Da mein Anliegen allerdings ein anderes und, wie schon der Titel suggerriert (Rassismus, Wahrnehmung des Anderen), ein thematisch gefasstes ist, ergibt sich – in keinerlei "methodisch fragwürdiger Weise" (S. 2) – eine andere Bestimmung der für relevant befundenen Sekundärliteratur, als sie der Rezensentin vorschwebt.

Die Relevanz von Sekundärliteratur verdankt sich meines Erachtens zudem, allgemein gesprochen, nicht in erster Linie ihrer Aktualität, sondern den Bezügen, die sie zum gewählten Thema aufweist. Von daher halte ich meine Entscheidung, bestimmte – und zugegebenermaßen weite – Teile der kanonisierten Herderliteratur nicht zu kommentieren (und folgerichtig nicht zu zitieren), sondern die soziopolitische Dimension betreffende Literatur zu favorisieren, für durchaus sachlich begründet.1

Naturgemäß nimmt Ideengeschichte in einem Text wie dem meinen, dessen Hauptprotagonist eine relevante Gestalt der Geistesgeschichte ist, einen gewissen, nicht unbeträchtlichen Platz ein. Doch das Buch ist, wie schon sein Titel nahelegt und das "Vorwort" sowie die "Einleitende Hinführung" vollends deutlich machen, problem-orientiert. Im Zentrum des Interesses steht die Frage nach der Wahrnehmung des Anderen, die Geschichte des wissenschaftlichen Rassismus, exemplifiziert an der Figur Herders und seines Denkens über die Welt – insbesondere über Afrika, einen Kontinent und seine Bewohner, deren Wahrnehmung und Darstellung durch Herder sich allerdings nur im Kontext seiner Denkhaltung gegenüber Europa und europäischen Entwicklungen begreifen lässt (woraus sich der quantitative Überhang meiner Behandlung dieses Aspekts, den mir die Rezensentin zum Vorwurf macht (S. 4), nicht ganz grundlos ergibt).

Für die Vergleichung Herders mit Kant und Hegel, die in den Augen van Hoorns bloß der (ihr zufolge unnötigen, weil bereits geschehenen) Rehabilitierung Herders dienen wolle, hegt sie keine Sympathie und wenig Verständnis. Da sie das Problem der gemeinen Herderbilder, wenn man so sagen darf, die außerhalb der gegenwärtigen einschlägigen Forschergemeinde existieren, ebensowenig sieht wie die problematischen imaginativen Aneignungen Afrikas durch EuropäerInnen während der vergangenen Jahrhunderte, missversteht sie meine Darstellung Kants und Hegels als eine, die nichts als deren Diskreditierung beabsichtige. In diesem Zuge wirft sie mir vor "weniger geneigt [zu sein, als im Fall meiner Annäherung an Herder], zwischen konkreten Textstellen und der Leistung des denkerischen Entwurfs zu unterscheiden." (S. 5)

Die Philosophien Kants und Hegels haben ohne Zweifel ihren Reiz und ihre Größe, besonders unter dem Gesichtspunkt ihrer Geschlossenheit; dies abzustreiten liegt mir fern. Jedoch noch weit ferner liegt mir eine von der Rezensentin offenbar erwünschte generelle Apologie ihrer Philosophien. Denn es ist eine Tatsache, dass sich hinsichtlich der Darstellung von AfrikanerInnen weder bei Kant noch bei Hegel eine einzige Passage finden lässt, in der diese eine nicht abwertende Beurteilung erfahren, während dies bei Herder anders ist. Van Hoorn scheint geneigt, dieses Faktum nicht wahrhaben zu wollen (so interpretiere ich jedenfalls ihren Gebrauch des Konjunktivs, durch den sie offen lässt, ob Hegel "nichteuropäischen Völkern Geist und Geschichte rundheraus abspreche" (S. 5), obwohl dies in Bezug auf AfrikanerInnen und Native Americans unbestreitbar ist).2 Trotzdem bleibt es eine Tatsache, zu deren Erklärung wenigstens zwei denkbare Hypothesen herangezogen werden können. Entweder schiebt man sie auf den Zufall oder man sucht nach einem weniger kontingenten historischen Ursachenzusammenhang.

Jedenfalls hält die Rezensentin den von mir nachgezeichneten Zusammenhang zwischen allgemeinem Denksystem über die Menschheitsgeschichte und der konkreten Beurteilung des Anderen im Fall Kant und Hegels nicht für "[g]laubwürdig bewiesen" (S. 5), für "polarisierend[.]" und "simplifizierend[.]" dargestellt (S. 5). Haltbare Argumente führt sie dafür nicht an (vgl. Endnoten 1 und 2), das Verdikt ersetzt die inhaltliche Auseinandersetzung. Im Falle meiner Darstellung Herders geht sie weniger streng ins Gericht, weil sie darin wenig mehr denn "Allgemeinplätze" (S. 2, 3, 4) formuliert finden könne; trotzdem fühlt sie sich abschließend "versucht", "Herder vor seinen falschen Freunden" schützen zu wollen (S. 5); sie tut dies zu meiner großen Verwunderung, hatte ich zu diesem Zeitpunkt meiner Lektüre ihrer Rezension doch eher erwartet, dass Kant- und Hegelliebhaber vor meinem Buch gewarnt würden.

Die missliche Darstellung, die van Hoorn meinem Buch angedeihen hat lassen, mag mit mehreren Gründen zu tun haben, von denen unterschiedliche disziplinäre Hintergründe eine vielleicht nicht unbedeutende Rolle spielen. Als Afrikanist und Kulturanthropologe, der historisch arbeitet, entsprechen, wie anzunehmen ist, sowohl der von mir gewählte Fokus als auch die Herangehensweise nicht der Erwartungshaltung eines / r Philosophen / in oder LiteraturwissenschafterIn, die erwartungsgemäß die wahrscheinlichsten LeserInnen einer Arbeit wie der meinen sind. Doch gerade im Umgang mit einem solchen Außenseiterprodukt zeigt sich das, was man aus Herders Denken und seiner intellektuellen Praxis lernen könnte: nämlich das simple Faktum, dass jede Darstellung, will sie adäquat verstanden werden, zuallererst nach ihren eigenen Maßstäben betrachtet werden muss – durch die kritische Untersuchung der Beziehungen zwischen der erklärten Absicht und Intention eines Autors und ihrer konkreten Umsetzung im Verlauf der Studie.

Die Rezensentin versagt sich dieser Lehre und erspart sich diese Arbeit. Stattdessen legt sie einen selbstgefälligen Maßstab an und kritisiert das Buch dafür, dass es nicht jenen Regeln folgt, die, wie ich meine (und im Buch anführe), aus sachlichen Gründen nicht dem Untersuchungsgegenstand gemäß sind. Zudem nimmt sie ganze integrale Bestandteile des Buches überhaupt nicht zur Kenntnis (vgl. Endnote 1) und reduziert seinen Inhalt auf die Darstellung eines ideengeschichtlichen Wettkampfs zwischen Herder einerseits, Kant und Hegel andererseits. Dies ist eine grobe Verkürzung. Wahr ist vielmehr, dass ich versuchte, gewisse Paradigmen der Wahrnehmung des Anderen, die bis auf den heutigen Tag oft in nur leicht modifizierten Formen wirksam sind, an der Schwelle ihrer Entstehung und Verbreitung durch ausgesuchte große Köpfe zu (be)greifen und ihre weitere Wirkung streiflichtartig und illustrativ in die Gegenwart zu verfolgen.

Herders Differenzen mit Kant, ebenso wie die Unterschiede seines Denkens zu dem Hegels, sind, was ihre jeweiligen Wahrnehmungen und Darstellungen von AfrikanerInnen (und Menschen anderer Erdteile) anbelangt, ebenso deutlich den Quellentexten zu entnehmen – oder zu einem großen Teil als Zitat meinem Buch – wie sie eindeutig sind. Da der Rezensentin der Weg eines positivistischen Rückbezugs auf die Tatsächlichkeit, auf den Wortlaut der infragestehenden Denker angesichts der textuellen Evidenz verschlossen bleibt, greift sie auf die Waffe eines allgemeinen Urteils zurück, vertrauend auf die vermeintliche Sicherheit des Kanons einer abendländischen Philosophiegeschichte, als deren unvergleichliche, gottgleiche Lichtgestalten manche sich, trotz deren nachweislicher Eurozentrik, weder Kant noch Hegel nehmen lassen wollen – oder, ich wage es kaum zu vermuten, vielleicht gerade wegen ihr?
Wieder einmal scheint es Zeit für eine Götterdämmerung.


Mag. phil. Arno Sonderegger
DOC-Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Institut für Afrikanistik der Universität Wien
Längenfeldgasse 10/15
A - 1120 Wien

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Ins Netz gestellt am 24.07.2003
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Redaktionell betreut wurde diese Erwiderung von Nina Ort.


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Anmerkungen

1 Aus der Abwesenheit des Zitats ihr lieber Autoren schließt die Rezensentin allerdings nicht nur auf Unkenntnis und Ignoranz meinerseits (eine Schlussfolgerung, zu der zu gelangen, obwohl sie mit meiner Wahrnehmung des Problems nicht übereinstimmt, ihr das Recht nicht benommen sein soll), sondern auf ein Zurückfallen hinter den aktuellen Forschungsstand (S. 1–2). Dabei schätzt sie meines Erachtens die Uniformität der aktuellen Herderliteratur zu hoch ein (ebenso wie sie mir gefährdet erscheint, die gegenwärtige Akzeptanz eines Paradigmas mit seiner Richtigkeit gleichzusetzen; ein bedenklicher Trugschluss, wie wohl jede / r WissenschaftshistorikerIn gerne bestätigen wird). Außerdem blendet sie die Bilder, die man sich nach wie vor von Herder in anderen als literaturgeschichtlichen Disziplinen macht und die weit davon entfernt sind, auf neuem, geschweige denn auf neuestem Stand zu sein, völlig aus.
Aber gerade diese sind es, die mich wirkungsgeschichtlich interessieren und die ich illustrativ an R.G. Collingwood (S.140–144), Eric Hobsbawm, Benedict Anderson, Ernest Gellner und Thomas Meyer (S.172–186) nachzeichne. Dies ist der Rezensentin, die sich für diese soziopolitische Dimension nicht zu interessieren scheint, ebenso keinen Hinweis wert wie die von ihr ignorierte, aber von mir thematisierte und für das Verständnis des Buches wesentliche globalgeschichtliche Einbettung (S.122–133). In weiterer Folge diffamiert die Rezensentin das ganze Unterfangen, das zu skizzieren sie erst gar nicht den Versuch gemacht hat, unter Bezug auf diverse Aspekte des Buchs, als unseriös (S. 3), simplifizierend (S. 6) und wenig differenzierend (S. 4).   zurück

2 Ähnliches äußert sich im Bestreben, meine Darstellung von Kants Rassekonzept zu diskreditieren, einerseits weil es die Abweichungen zwischen den Entwürfen von 1775 und 1785 übergehe (S. 3). Tatsächlich thematisiere ich diese nicht, weil es an entsprechender Stelle um die Kontinuitäten zwischen beiden geht, soweit es die Beurteilung von AfrikanerInnen betrifft – und dabei spielt das Kriterium der Hautfarbe für Kant die gleichbleibend entscheidende und eindeutige Rolle: black is not beautiful im Universum Kants.
Andererseits mokkiert sich die Rezensentin darüber, dass ich Kant einen durch den Nationalsozialismus diskreditierten Begriff angeblich unterschiebe, jenen der Entartung. Sie hält richtig fest, dass Kant diesen Begriff nicht verwendet hat (was ich auch nie behauptet hatte), sondern den Terminus der "Ausartung" oder Degeneration, um jedoch – wie sie wiederum selbst zugibt – dasselbe Phänomen zu bezeichnen: "eine degenerierte Abweichung von einer ursprünglichen Form" (S. 3). Van Hoorn zufolge spielt für Kant jedoch die Degenerationsvorstellung keinerlei Rolle, sondern nur der angeblich grundsätzlich anders definierte Begriff der "Abartung": "eine durch bestimmte [von Kant allerdings nie spezifizierte] äußere und innere Bedingungen entstandene, mit spezifischen erblichen Merkmalen ausgestattete Variante einer Spezies." (S. 3)
Bei ihrer Bemerkung, dass Kant "alle vier Menschenrassen (inklusive der Weißen!) als Abartungen [...und...] also gerade nicht als eine Aus- bzw. Entartung" versteht (S. 3), entgeht der Rezensentin nicht nur die gewissermaßen identische Grundierung beider Konzepte, die die Gesamtheit der Menschen zwar im einen Fall aus einer typologisierenden, gegenwartsbezogenen und ahistorischen Vogelperspektive betrachtet ("Abartung"), im anderen aus einer mythologischen, kaum minder ahistorischen Blickrichtung vom Anfang her deutet ("Ausartung"), sie in beiden Fällen aber in einer deutlichen Hierarchie einer behaupteten sehr kleinen Zahl angeblich eindeutig voneinander scheidbarer Rassen schichtet. Dass Kant auch europäische Menschen als "Abart" einstuft (was er tut, um die – von ihm als natürlich behauptete – Hierarchie zwischen Menschengruppen mit der Vorstellung eines monogenetischen Ursprungs der Menschheit vereinbaren zu können), ändert nichts daran, dass AfrikanerInnen von ihm als weit abartiger empfunden und gezeichnet wurden.   zurück