IASL online
Online Archiv


Methoden und Probleme der Romansoziologie

Über Möglichkeiten einer Romansoziologie als Gattungssoziologie



Roman und Gesellschaft sind in der romantheoretischen Diskussion seit jeher in eine besondere Beziehung zueinander gebracht worden: "Die Romane entstanden nicht aus dem Genie der Autoren allein – die Sitten der Zeit gaben ihnen das Daseyn" heißt es 1774 in Friedrich von Blanckenburgs Versuch über den Roman,1 und August Wilhelm Schlegel formuliert 1798 in den Beyträgen zur Kritik der neuesten Litteratur: "Der Punkt, wo die Litteratur das gesellige Leben am unmittelbarsten berührt, ist der Roman."2

Mit der ästhetischen Emanzipation des Romans als gleichberechtigte literarische Gattung geht die Reflexion auf seine Affinität zur gesellschaftlichen Wirklichkeit einher: Romantheorie impliziert immer schon die Bestimmung der ästhetischen Struktur des Romans im Verhältnis zu der ihm korrespondierenden sozialen Realität. Insofern liefert die Tradition der überlieferten Romantheorie eine Vorgeschichte zur aktuellen Diskussion über Roman und Gesellschaft, und literatursoziologische Fragestellungen der Gegenwart knüpfen nicht selten an gerade von der Aufklärungspoetik und von der Frühromantik entwickelte Perspektiven bewußt oder unbewußt an.3

Wodurch ist die gegenwärtige wissenschaftliche Diskussion über das Verhältnis von Roman und gesellschaftlicher Realität charakterisiert? Inwieweit liefern vorliegende Ergebnisse der Romansoziologie Antworten auf diese Frage? Was leisten romansoziologische Ansätze für die Literaturwissenschaft?4

Von diesen Fragen ausgehend ergibt sich eine Zweiteilung dieses Beitrags, insofern im ersten Teil einige wichtige bisher vorliegende Ansätze zur Romansoziologie in zugleich methodengeschichtlicher und methodenkritischer Absicht skizziert werden, während im zweiten Teil die so gewonnenen Aspekte systematisiert werden sollen unter der Fragestellung, inwieweit sie den Rahmen für eine allgemeine Theorie der Konzeption der Romansoziologie als Gattungssoziologie liefern können. Ich gehe davon aus, daß man "statt bloßer Konfrontierung" auch in der Romansoziologie nur dann Fortschritte erreichen kann, wenn "man sich zu einer wechselseitigen Problematisierung von Grundannahmen und zu systematischen Vermittlungsversuchen" entschließt.5


I.

Insgesamt kann von der Romansoziologie wohl das gesagt werden, was ein Soziologe einmal sehr lakonisch über die Literatursoziologie formulierte: Sie ist "immer noch eine Wissenschaft mit vielen Fragen und wenig gesicherten Antworten".6

Überblickt man die gegenwärtigen Tendenzen der Romansoziologie, kann man parallel zur literatursoziologischen Diskussion (der Roman kann insofern als paradigmatisch gelten) ganz allgemein von einer durchaus "verwirrenden Vielfalt"7 unterschiedlicher Ansätze sprechen. Am anschaulichsten dokumentiert findet sich dieser Pluralismus verschiedenster Richtungen in einer Reihe von Anthologien, von denen ich hier, stellvertretend, die von Hans Norbert Fügen: Wege zur Literatursoziologie (1968), Milton C. Albrecht, u. a.: The Sociology of Art and Literature (1970) und Joachim Bark: Literatursoziologie (1974) nennen möchte.8 Das verwirrende Panorama gegenwärtiger literatursozio-logischer Ansätze wird zudem etwa in den Aufsätzen von Philippi und Zmegac und in einem Beitrag von David H. Miles deutlich, wobei dieser den Begriff "Literatursoziologie" allerdings zu sehr ausweitet.9

Versucht man, die bisher vorliegenden Konzepte im Bereich der Romansoziologie auf die wichtigsten Hauptrichtungen und -tendenzen zurückzuführen, scheinen mir zwei grundsätzlich divergierende Ansätze von besonderer Bedeutung zu sein: Der eine ist charakteristisch durch die Thematisierung von Produktion, Distribution und Rezeption literarischer Texte. Der Roman wird dann, dementsprechend, untersucht im "Interaktionsgeflecht Gesellschaft – Schriftsteller – Verlagswesen und Buchhandel – Leserschaft (Publikum) – Normen des literarischen Geschmacks".10 Der andere Ansatz ist gekennzeichnet durch eine intensive Reflexion auf das literarische Werk selbst als Objektivation konkreter gesellschaftlicher Zusammenhänge, wobei die Beziehung bzw. Zuordnung von Roman und Gesellschaft als Aufgabe und Problem der literarischen Textanalyse selbst verstanden werden. Die sich aus diesen unterschiedlichen Fragestellungen ergebenden Methoden, so könnte man vereinfachend formulieren, sind abhängig davon, ob Romane mehr "als soziales Phänomen oder in ihrem [literarischen] Werkcharakter gesehen werden"11 oder wie es Robert Escarpit im Blick auf die Literatursoziologie insgesamt gegenübergestellt hat: Die Frage ist, ob Literatur als ein Aspekt des Soziologischen oder das Soziologische als ein Aspekt der Literatur betrachtet wird.12

Im ersten Fall läßt sich bei den bisher vorliegenden soziologischen Arbeiten eine deutliche Dominanz empirisch-positivistischer Methoden beobachten, deren Kategorien nicht selten aus der kommunikationswissenschaft-lichen Forschung stammen, während im zweiten Fall geschichtsphilosophische Fragestellungen und Begründungen eine erhebliche Rolle spielen. Diesem unterschiedlichen methodischen Ansatz im wissenschaftstheoretischen Bereich korrespondiert eine Divergenz im ästhetischen: Während empirisch orientierte Arbeiten auch oder vor allem massenhaft verbreitete (Trivial- bzw. Unterhaltungs-)Romane analysieren,13 läßt sich bei den geschichtsphilosophisch begründeten Verfahrensweisen häufig eine Einengung auf Beispiele der sogenannten 'Höhenkammliteratur' beobachten. Freilich darf man bei dieser bewußt scharf akzentuierenden Gegenüberstellung nicht übersehen, daß es auch Arbeiten gibt, die in der Praxis beide Positionen zu verbinden versuchen. Wichtig scheint mir jedoch, die beiden prinzipiell verschiedenen Ansätze einer empirischen oder geschichtsphilosophischen Romansoziologie festzuhalten, um die allgemeine Frage ihrer möglichen produktiven Verbindung später ausführlicher thematisieren zu können. Es geht also darum, daß zwei unterschiedliche Ansätze miteinander konfrontiert werden, um "die Schwächen des einen aus der Sicht des jeweils anderen kritisieren zu lassen", so daß die Möglichkeit besteht, Spielräume für Vergleich und Verständigung zu gewinnen.14 Die entscheidende Frage ist, ob sich die beiden divergierenden romansoziologischen Ansätze verbinden lassen und inwieweit dabei der Entwurf eines (im zweiten Teil dieses Aufsatzes zu erläuternden) gattungssoziologischen Konzepts eine Rolle spielen kann.


II.

Dem empirisch- positivistischen Ansatz einer Literatur- und Romansoziologie kann man in der Bundesrepublik am besten an den Arbeiten von Hans Norbert Fügen15 und Alphons Silbermann16 ablesen.

Versucht Fügen, Literatursoziologie als Teilgebiet der allgemeinen Soziologie als Handlungswissenschaft zu definieren, bestimmt Silbermann den Roman als Gegenstand einer komplexen sozio-kulturellen Kommunikation innerhalb eines umfassenden sozialen Systems. Beide gehen davon aus, daß der Roman, wie alle literarischen Texte, nicht als ästhetisches Gebilde zum Gegenstand soziologischer Untersuchungen gemacht werden kann und demzufolge auch Fragen literarischer Wertung dem Literatursoziologen nicht zugemutet werden dürfen.

Nicht ästhetische Qualitäten, sondern soziale Kriterien müssen es sein, die die Literatursoziologie zur Grundlage der Bestimmung dessen macht, was sie unter Literatur verstehen kann [...] Da die Soziologie das soziale, das intersubjektive Handeln zum Forschungsgegenstand hat, ist sie nicht am literarischen Werk als ästhetischem Gegenstand interessiert, sondern Literatur wird nur insofern für sie bedeutsam, als sich mit ihr, an ihr und für sie spezielles zwischenmenschliches Handeln vollzieht.17

Gegenstand der Literatursoziologie ist daher "die Interaktion der an der Literatur beteiligten Personen",18 wobei Fügen dieses spezielle zwischenmenschliche Handeln als "literarisches Verhalten" bezeichnet.19 Die Untersuchung 'literarischen Verhaltens' bedarf sowohl auf der Seite des Produzenten als auch auf seiten der Rezipienten von Romanen bestimmter analytischer Verfahren, wobei gerade der Bereich der Distribution (Buchverlag, Buchmarkt) von einer Reihe von literatursoziologischen Empirikern, etwa von Robert Escarpit – vergl. seine Forderung nach einer "Sociologie du Livre" bzw. nach einer "Psycho-sociologie de la Lecture" –, besonders beachtet worden ist.20

Hans Norbert Fügen hat in seiner literatursoziologischen Theorie mehrere Analyseverfahren zu unterscheiden und stärker zu systematisieren versucht. Er spricht von der Notwendigkeit einer "Elementaranalyse" (Rollenanalyse, Beziehungen zwischen Rollenträgern: Autor – Publikum), "Strukturanalyse" (Untersuchungen von Beziehungen der literarischen Institutionen untereinander); "Faktorenanalyse" (Einwirken des sozialen Systems auf literarische Systeme und umgekehrt) und "Funktionsanalyse" (Funktion einer literarischen Institution für die Gesamtgesellschaft, Rückwirkungen auf das System der literarischen Institutionen), ohne daß schon genauer deutlich würde, wie diese Analyseschritte im einzelnen zu realisieren wären.21 Insgesamt konzentriert sich Fügens Methode auf eine soziologische Wirkungsanalyse bei den an der Interaktion mit Romanen beteiligten Personen und Institutionen, so daß die Nähe zu einem (massen)kommunikationswissenschaftlichen Ansatz evident ist.

Bei Alphons Silbermann werden sowohl kommunikationswissenschaftliche Aspekte als auch die Frage der Interaktionsproblematik innerhalb der Kunstsoziologie besonders hervorgehoben. Auch Silbermann geht es nicht um eine Literatur- und Romansoziologie, die das Ästhetische thematisiert, sondern um das Problem der Wirkung von Literatur und um Fragen der Produktion bzw. Rezeption literarischer Texte:

In der Folge positivistischen Denkens geht die empirische Kunstsoziologie davon aus, mit der Kunst bzw. den Künstlern einen sozialen Prozeß gegenüberzustellen, der sich als eine soziale Aktivität manifestiert und daher zweier Partner bedarf: eines Gebers und eines Empfängers. Anders ausgedrückt, bedarf dieser Prozeß produzierender und konsumierender Gruppen innerhalb der Kunst-Gesellschaft, die durch Gruppenberührung, Gruppenkonflikt, Gruppendynamik u. a. miteinander in Berührung kommen. Dies nun nicht im Rahmen einer primitiven Denkbasis, die ausschließlich die Beziehung von Ursache und Wirkung kennt, sondern im Verhältnis von Interrelationen, Interaktionen und Interdependenzen – Beziehungen, die einerseits Produzenten- und Konsumentengruppen unter- und miteinander verbinden und andererseits diese beiden Gruppen mit dem sozialen Kontext wie dem sozialen System insgesamt in Verbindung bringen.22

Der Literatur- und Kunstsoziologie kann es nicht darum gehen, sich mit ästhetischen Aspekten und künstlerischen Wertproblemen zu beschäftigen. Silbermann weist jeden Anspruch in dieser Richtung entschieden zurück: Die empirische Kunstsoziologie "hält [...] sich, im Gegensatz zu ästhetischen Werttheorien gleich welcher Herkunft, fern von der Formulierung künstlerischer Normen und Werte: denn das Studium der sozialen Verflechtungen der Kunst dient nicht dazu, Natur und Essenz der Künste selbst zu erklären".23 Die einzelnen Verfahren, die Silbermann vorschlägt, sind experimentelle, statistische und interdisziplinäre Arbeitsansätze mit dem Ziel, "Gesetze der Vorhersage zu entwickeln, die es ermöglichen zu sagen, daß, wenn dieses oder jenes geschieht, wahrscheinlich dies oder das folgen wird",24 wobei Silbermann allerdings darauf hinweist, daß es für eine Bearbeitung aller Fragen der empirischen Literatursoziologie einer umfassenden theoretischen Grundlage bedürfe, die "bis heute noch nicht zustande gekommen ist – weder bei der positivistisch- empirischen noch bei der marxistisch-neomarxistischen Literatursoziologie".25

Möglichkeiten und Grenzen des Silbermannschen Ansatzes für die Romansoziologie werden aus den wiedergegebenen und hervorgehobenen Textpassagen deutlich: Einerseits liefert Silbermann wichtige Hinweise im Blick auf eine Wirkungstheorie der Literatur, indem er sein besonderes Augenmerk auf die "Wirkekreise" der Literatur richtet,26 andererseits bedeutet die Ausklammerung des Ästhetischen (wie bei Fügen) einen erheblichen Mangel für die Anwendung seiner kunstsoziologischen Kategorien im Bereich der Literaturwissenschaft. Hinzu kommt, daß Silbermann offensichtlich von einem traditionellen Literaturverständnis ausgeht, das am Erlebnisbegriff orientiert ist, damit aber modernen ästhetischen Theorien nicht genügt.27 Die größten Schwierigkeiten bei der Übernahme und Anwendung der kunst- und literatursoziologischen Kategorien Silbermanns – und Fügens – ergeben sich allerdings dadurch, daß der historische Charakter ästhetischer Gebilde und literarischer Formen weitgehend unberücksichtigt bleibt. Das muß als besonders problematisch bei einer literarischen Form wie dem Roman angesehen werden, der durch seine historische, 'proteische' Wandelbarkeit konstitutiv bestimmt ist. Die jeweilige ästhetische Reaktion und Reflexion der bestimmten Romanform auf soziale Wirklichkeit kann nicht unabhängig von der Besonderheit des historischen Produktions- und Rezeptions-Moments adäquat untersucht werden. Erst die genauere Berücksichtigung sowohl der Historizität der Romanform und ihrer geschichtlichen Entstehungs- und Wirkungsbedingungen als auch des jeweils historisch bedingten ästhetischen Faktors würden die Methoden der empirischen Kunstsoziologie Fügens und Silbermanns für die Literaturwissenschaft und Romaninterpretation voll anwendbar machen.


III.

Klammert eine empirische Romansoziologie kunst- und werttheoretische Aspekte bewußt und historische Gesichtspunkte weitgehend aus, thematisieren geschichtsphilosophisch begründete Ansätze vornehmlich den Zusammenhang von Roman und Gesellschaft, wie er sich im einzelnen Werk selbst kristallisiert. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß im Bereich der Literaturwissenschaft seit Hegels berühmter Romandefinition28 vor allem diese geschichtsphilosophisch fundierten Spielarten diskutiert worden sind. Kurz skizziert werden sollen deshalb im folgenden drei wichtige, geschichtsphilosophisch fundierte (weitgehend hegelianisch und/oder marxistisch bestimmte) Ansätze, diejenigen von Georg Lukács, Lucien Goldmann und Theodor W. Adorno, die jeweils eine bestimmte Intention romansoziologischer Überlegung vertreten: Eine vornehmlich mimetische (Lukács), eine strukturhomologische (Goldmann) und negationsästhetische (Adorno). In allen drei Ansätzen korrespondiert die geschichtsphilosophische Ausgangsbasis mit einer beschreib- und weitgehend auch abgrenzbaren Romanpoetik im Unterschied zum unbestimmten Literatur- und Romanbegriff empirischer Fragestellungen. Die Beziehung von formbestimmtem literarischen Werk und außerliterarischer Realität ist als 'dialektische' konstitutiv für die Definition und Thematisierung geschichtsphilosophisch begründeter Romansoziologie.

Bei Georg Lukács zeigt sich dieser Sachverhalt sowohl in seiner hegelianischen29 als auch marxistischen Ausprägung. Die frühe Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik30 geht ebenso wie die späteren, nach Geschichte und Klassenbewußtsein (1923)31 entstandenen marxistischen Arbeiten zum Roman von einer geschichtsphilosophischen Verlaufstheorie aus, deren Ausgangspunkt eine klassisch- idealistische Totalitätsvorstellung der griechischen Antike ist, wobei die Auflösung der ehemals geschlossenen Welt und "absoluten Lebensimmanenz Homers",32 das Auseinanderreißen von Wesen und Erscheinung, Form und Inhalt, den historischen Prozeß allererst in Gang setzt und die "fortan historisch- soziale Emanzipation des Künstlerischen vom ursprünglichen Lebensprozeß" mit sich bringt:33

Epopöe und Roman, die beiden Objektivationen der großen Epik, trennen sich nicht nach den gestaltenden Gesinnungen, sondern nach den geschichtsphilosophischen Gegebenheiten, die sie zur Gestaltung vorfinden. [...] Die Epopöe gestaltet eine von sich aus geschlossene Lebenstotalität, der Roman sucht gestaltend die verborgene Totalität des Lebens aufzudecken und aufzubauen.34

Die Form des Romans chrakterisiert Lukács als "Ausdruck der transzendentalen Obdachlosigkeit";35 seine "formbestimmende Grundgesinnung" objektiviere sich als "Psychologie der Romanhelden: sie sind Suchende".36 Der Roman stellt deshalb "die Wanderung des problematischen Individuums zu sich selbst" dar.

Der Weg von der trüben Befangenheit in der einfach daseienden, in sich heterogenen, für das Individuum sinnlosen Wirklichkeit zur klaren Selbsterkenntnis. [...] Die innere Form des Prozesses und ihre adäquate Gestaltungsmöglichkeit, die biographische Form, zeigen am schärfsten den großen Unterschied zwischen der diskreten Grenzenlosigkeit des Romanstoffes und der kontinuumartigen Unendlichkeit des Stoffes der Epopöe.37

Damit sind die beiden unter romansoziologischen Aspekten wichtigsten Hauptpunkte der Theorie des Romans benannt: die grundlegende, geschichtsphilosophisch begründete Differenz zwischen Epos und Roman (gegebene und aufgegebene Totalität) und die Festlegung des Romans als biographische Form, die die Suche des problematischen Helden nach Selbstverwirklichung in der konfliktreichen Auseinandersetzung mit der Realität thematisiert. Die im zweiten Teil der Theorie des Romans gegebene Typologie stellt dann auch folgerichtig dieses Romanmodell ("Wilhelm Meisters Lehrjahre als Versuch einer Synthese") in den Mittelpunkt einer historischen "Typologie der Romanform".

Die wesentlich mimetisch-aristotelisch ausgerichtete Romantheorie des mittleren und späten Lukács wirft in besonderer Weise Fragen der marxistischen Überbau-Basis-Problematik und Abbildtheorie auf und kann nur im Zusammenhang mit der Realismuskonzeption erklärt werden. Lukács ist hier geprägt durch Vorbilder des großen realistischen Romans im 18. und 19. Jahrhundert (Fielding, Scott, Balzac, Tolstoi), wobei vor allem Balzac entscheidende Kriterien für die Bestimmung dessen liefert, was nach Lukács die Bezeichnung 'realistisch' verdient. Anknüpfend an Friedrich Engels' Realismusdefinition entwickelt Lukács am Beispiel Balzacs seinen für die Romantheorie und -soziologie zentralen Begriff des literarischen Typus, der nicht als Durchschnittstypus verstanden wird, sondern dem Idealtypus Max Webers verwandt, die Inkarnation alles menschlich und gesellschaftlich Wesentlichen bedeutet:

Der Typus in bezug auf Charakter und Situation ist eine eigentümliche, das Allgemeine und das Individuelle organisch zusammenfassende Synthese. Der Typus wird nicht infolge seiner Durchschnittlichkeit zum Typus, aber auch nicht durch seinen nur – wie immer vertieften – individuellen Charakter, sondern dadurch, daß in ihm alle menschlich und gesellschaftlich wesentlichen, bestimmenden Momente eines geschichtlichen Abschnitts zusammenlaufen, sich kreuzen, daß die Typenschöpfung diese Momente in ihrer höchsten Entwicklungsstufe, in der extremsten Darstellung von Extremen, die zugleich Gipfel und Grenzen der Totalität des Menschen und der Periode konkretisiert.

Der wirklich große Realismus stellt also den Menschen und die Gesellschaft nicht von einem bloß abstrakt-subjektiven Aspekt aus gesehen dar, sondern gestaltet sie in ihrer bewegten, objektiven Totalität. Vom Gesichtspunkt dieses Kriteriums aus bedeutet sowohl der Aspekt der einseitigen Verinnerlichung als auch das einseitige Sich-Nach-Außenwenden für jede Kunstrichtung gleichermaßen eine Verarmung, eine Verzerrung.38

An der Beschreibung des literarischen Typus wird allerdings auch die Begrenztheit des romanpoetologischen und -soziologischen Konzepts bei Lukács sichtbar. In der Tradition des klassischen deutschen Bildungsromans und ihrer Hegelschen Interpretation verengt Lukács den Roman vornehmlich auf das biographisch-dualistische Muster in der Darstellung von Individuum und Gesellschaft. Diese Fixierung auf ein Modell des Romans als bürgerliche Epopöe im Rahmen klassizistischer ästhetischer Maßstäbe verhindert jene Offenheit gegenüber dem modernen und zeitgenössischen Roman (vgl. Kafka, Joyce), der vor allem beim späten Lukács deshalb in entscheidenden Punkten mißverstanden und fehlinterpretiert wird.39

Im Unterschied zu einer mimetischen Bestimmung der Beziehung von Roman und Realität in den marxistischen Arbeiten von Georg Lukács geht Lucien Goldmann von einer strukturhomologischen Zuordnung aus: "In Wirklichkeit besteht zwischen der Struktur der Romanform [...] und der Struktur des Warentausches in der liberalen Marktwirtschaft, so wie sie von den klassischen Nationalökonomen beschrieben wurde, eine strenge Homologie."40 Solche Zurechnungen sind nach Goldmann möglich zwischen geistigen Strukturen von Werken und sozialen Gruppen, wobei der Begriff der Kohärenz – kohärente Weltsichten und kohärente Werkstrukturen – diese Beziehung terminologisch präzisieren soll:

Das literarische Werk ist keine einfache Widerspiegelung eines gegebenen existierenden Kollektivbewußtseins, sondern der äußerst kohärente Ausdruck der dem Bewußtsein einer sozialen Gruppe eigentümlichen Tendenzen, die auf eine bestimmte inhaltliche spezifische Kohärenz gehen, ein Bewußtsein, das als ein dynamischer Prozeß aufgefaßt werden muß, der einem Gleichgewichtszustand zustrebt (welcher mit der erwähnten Kohärenz identisch wäre).41

Goldmann möchte damit bloßes Analogiedenken vermeiden. Er sieht keine "Inhaltsidentität" zwischen Kollektivbewußtsein und "großen literarischen, theologischen, philosophischen und ähnlichen Schöpfungen",42 vielmehr eine strukturhomologische Beziehung, die als dynamische verstanden wird (vergl. die Selbstcharakterisierung seiner Methode als "genetischen Strukturalismus"). Der von Durkheim inspirierte Begriff des "zugerechneten Bewußtseins" ("conscience possible"/"maximum de conscience possible")43 macht außerdem deutlich, daß es Goldmann nicht um das "wirkliche Kollektivbewußtsein" geht, sondern um einen theoretischen, "konstruierten Begriff" davon, der die Kategorie des Möglichen enthält, also "nicht im real Faktischen aufgeht".44

In der Theorie und Geschichte des Romans sind kohärente Entsprechungsverhältnisse zwischen literarischen Werken und sozialen Gruppen von besonderer romansoziologischer Bedeutung. Allerdings zeigt sich nun bei Goldmann eine doppelte Tendenz: einerseits geht er von einer fest umrissenen Gattungspoetik des Romans aus, indem er den dualistischen, biographischen Romantypus (Suche des problematischen Helden, Konfrontation mit der Gesellschaft) wie Lukács zum klassischen Muster erklärt45 und gewissermaßen eine Romanpoetik der Abweichungen von diesem individualistischen Modell konzipiert (je mehr sich der Roman der aktuellen Gegenwart nähert, desto stärker schwindet das Individuum), andererseits wird als Entsprechung zu dieser Gattungspoetik des Romans eine Gesellschaftsanalyse gegeben, die von der marxistischen Geschichtstheorie einer Entwicklung zunehmender Verdinglichung im Übergang von Gebrauchswerten zu Tauschwerten bestimmt ist.46

Von daher kommt Goldmann zur Abgrenzung dreier Epochen der Romangeschichte:47

1. Der bürgerlich-'klassische' Roman, vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts, der gekennzeichnet ist durch die "biographische Form" und das "problematische Individuum". Diese Romanform entspricht der Epoche des ökonomischen Liberalismus.

2. Der moderne Roman von etwa 1910-1945 (seit Kafka), der durch die zunehmende Auflösung individualpsychologisch dargestellter Romanfiguren bestimmt ist ("dissolution du personnage"). Historisch entspricht dem ein sich bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts abzeichnender "Übergang von der liberalen Kokurrenzwirtschaft zur Kartell- und Monopolwirtschaft".48

3. Der zeitgenössische Roman, vor allem der französische 'noveau roman' (etwa Alain Robbe-Grillets), der durch das Verschwinden des individuellen Helden ("disparition du personnage") gekennzeichnet ist. Diese dritte, gegenwärtige Epoche wird nach Goldmann charakterisiert durch eine Form des Kapitalismus, dessen Krisen durch praktische Interventions- und Selbstregulierungsmechanismen gelöst werden, wobei aber das Moment des Subjektiv-Individuellen ganz verlorenzugehen droht und in eine vollständige Verdinglichung mündet. Dem mehr oder minder radikalen Verschwinden des Individuums korrespondiert eine dem entsprechende Zunahme der Autonomie der Dinge.

Der relativ konstanten Romanpoetik (Individualroman nach biographisch- klassischem Vorbild und seine Auflösungen im modernen Roman seit Kafka) entspricht damit eine ökonomische Prozeßtheorie der warenproduzierenden Gesellschaft, wovon eine historische Phasentheorie abgeleitet wird.

Die Kritik hat sich sowohl den methodologischen als auch romanpoetologischen und gesellschaftstheoretischen Prämissen Goldmanns zugewandt. Hilmar Kallweit und Wolf Lepenies haben den zentralen Begriff der Kohärenz eine "Hilfskonstruktion" genannt:

Der Rückgang auf kohärente Weltsichten (vision du monde) der sozialen Gruppen und kohärente Werkstrukturen soll der Zuschreibung einen festeren Anhalt bieten. In bezug auf die sozialen Gruppen sind damit aber zunächst nur diejenigen abgegrenzt, denen die Möglichkeit zur Ausbildung einer vision du monde zugesprochen wird. Diese Einschränkung des Untersuchungsfeldes erscheint fragwürdig, zumal inhaltliche oder formale Kriterien, die sich auf die Stellung der jeweiligen Gruppen im konkreten Geschichtsprozeß beziehen müßten, darin nicht ausgewiesen sind.49

Kallweit und Lepenies machen darauf aufmerksam, daß in den Untersuchungen zur "Bezugsgruppentheorie" seit langem die Beobachtung gemacht worden ist, "daß keinesfalls für alles soziale Handeln die Gruppe des Handelnden den Orientierungspunkt bildet".50

Unter hermeneutischen Gesichtspunkten ist zudem bezweifelt worden, ob das strukturhomologische Konzept Goldmanns tatsächlich in der Lage sei, die "dialektische" Zuordnung zwischen der Strktur des Kunstwerks und der "umfassenden Struktur gesellschaftlichen Verhaltens" zu klären, ohne dabei Gefahr zu laufen, zu "nicht mehr als (einer) sinnfälligen Analogie zweier werthaft determinierter Bereiche" zu gelangen.51

Problematisch in Goldmanns romantheoretischem und romansoziologischem Konzept bleibt auch die Interpretation des "Schwindens des Individuums" im Gegenwartsroman. Hier wird eine bestimmte Form des Romans – der französische 'nouveau roman' – zur repräsentativen Romanform erhoben, ohne daß zugleich darauf hingewiesen wird, daß das Individuum in anderen zeitgenössischen Romanen eine durchaus wichtige Rolle spielt. Von da aus ist die Hypothese, wonach die zunehmende Verdinglichung in der kapitalistischen Gesellschaft generell zum Verschwinden des Individuums im Roman führe, fragwürdig.52 Zu untersuchen wäre vielmehr, in welcher Weise bestimmte Formen der Darstellung des Individums im Gegenwartsroman auf bestimmte Aspekte der vorhandenen Entfremdung und Verdinglichung moderner Industriegesellschaften reagieren.53

Entschiedener noch als Geog Lukács und Lucien Goldmann erklärt Theodor W. Adorno den ästhetischen Charakter literarischer Werke selbst zum Gegenstand der literatursoziologischen Analysen. Zwar hat Adorno keine spezielle Romansoziologie vorgelegt, aber in einer Reihe von Aufsätzen zum Roman (Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman; Balzac-Lektüre; Kleine Proust- Kommentare),54 in der polemischen Lukács-Kritik: Erpreßte Versöhnung,55 den Thesen zur Kunstsoziologie56 und in der Ästhetischen Theorie57 ist seine Position unmittelbar evident. Sie richtet sich einerseits gegen eine positivistische Verkürzung literatursoziologischer Analysen auf den Prozeß von Produktion und Rezeption, indem sie sich nicht damit begnügt, "[...] zu fragen, wie Kunst in der Gesellschaft steht, wie sie in ihr wirkt, sondern die erkennen will, wie Gesellschaft in den Kunstwerken sich objektiviert".58 Andererseits wendet sie sich gegen einen mimetischen Realismusbegriff und verwirft jede Spielart einer romanpoetologischen Abbildtheorie, auch wenn Adorno den 'realistischen' Charakter des Romans durchaus hervorhebt: Im Roman ist der "gesellschaftliche Charakter der Kunst [...] unvergleichlich viel evidenter als etwa im hochstilisierten und distanzierten Ritterepos. Das Einströmen von Erfahrungen, die nicht länger von apriorischen Gattungen zurechtgestutzt werden; die Nötigung, die Form aus jenen Erfahrungen, von unten her, zu konstituieren, sind bereits dem puren ästhetischen Stand nach, vor allem Inhalt, 'realistisch'."59 Gleichwohl bildet dieser Befund für Adorno keine Basis für eine in irgendeiner Weise 'realistische' Romantheorie.

In seinem Aufsatz über den Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman wendet sich Adorno entschieden gegen den traditionellen realistischen Roman in der Nachfolge des großen Gesellschaftsromans des 19. Jahrhunderts:

Will der Roman seinem realistischen Erbe treu bleiben und sagen wie es wirklich ist, so muß er auf einen Realismus verzichten, der, indem er die Fassade reproduziert, nur dieser bei ihrem Täuschungsgeschäfte hilft. Die Verdinglichung aller Beziehungen zwischen den Individuen, die ihre menschlichen Eigenschften in Schmieröl für den glatten Ablauf der Maschinerie verwandelt, die universale Entfremdung und Selbstentfremdung, fordert beim Wort gerufen zu werden, und dazu ist der Roman qualifiziert wie wenig andere Kunstformen. Von je her, sicherlich seit dem 18. Jahrhundert, seit Fieldings Tom Jones hatte er seinen wahren Gegenstand am Konflikt zwischen den lebendigen Menschen und den versteinerten Verhältnissen. Entfremdung selber wird ihm dabei zum ästhetischen Mittel.60

Gegenüber der an Vorbildern des Romans im 19. Jahrhundert orientierten mimetischen Realismuskonzeption Lukács' betont Adorno die Notwendigkeit des "antirealistischen Moments" im neuen Roman, indem er sich auf das konzentriere, "was nicht durch den Bericht abzugelten" sei:61 "Kunst erkennt nicht dadurch die Wirklichkeit, daß sie photographisch oder 'perspektivisch' abbildet, sondern dadurch, daß sie vermöge ihrer autonomen Konstitution ausspricht, was von der empirischen Gestalt der Wirklichkeit verschleiert wird."62

Allgemein formuliert: Gesellschaftlich [...] ist Kunst weder nur durch den Modus ihrer Hervorbringung, in dem jeweils die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen sich konzentriert, noch durch die gesellschaftliche Herkunft ihres Stoffgehalts. Vielmehr wird sie zum Gesellschaftlichen durch ihre Gegenposition zur Gesellschaft, und jene Position bezieht sie erst als autonome.63

Die Dialektik von "fait social und Autonomie" bestimmt daher den "Doppelcharakter der Kunst", und jede literatur- und romansoziologische Analyse muß sich auf diesen Sachverhalt einstellen: Kunst "[...] kritisiert die Gesellschaft durch ihr bloßes Dasein [...]. Das Asoziale der Kunst ist bestimmte Negation der bestimmten Gesellschaft."64 Adornos Theorie der ästhetischen Negation beruht dabei auf einer historischen Ableitung. "Vor der Emanzipation des Subjekts war fraglos Kunst, in gewissem Sinn, unmittelbarer ein Soziales als danach. Ihre Autonomie, Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber, war Funktion des seinerseits wieder mit der Sozialstruktur zusammengewachsenen bürgerlichen Freiheitsbewußtseins."65 Die ästhetische Emanzipation und die Autonomie der literarischen Werke hat die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft zur Voraussetzung.

Auch bei Adorno zeigt sich der Zusammenhang von bestimmter Geschichtsphilosophie und Literatur- bzw. Romantheorie. Der Begriff der ästhetischen Autonomie kann ohne einen bestimmten Begriff von gesellschaftlicher Totalität nicht auskommen. Die Orientierung an Meisterwerken des Romans (vornehmlich der literarisch avanciertesten: Proust, Kafka, Beckett) dokumentiert zudem die Notwendigkeit, den Begriff der ästhetischen Negation an eine bestimmte Genieästhetik zu binden, die sich lediglich an den großen Werken orientieren kann. Der Begriff der "ästhetischen Negation" ist außerdem der Gefahr einer ontologisierenden Überschätzung ausgesetzt, wenn man generell davon ausgeht, daß Kunst Negation des Bestehenden sei. Zu Recht hat Hans Robert Jauß kritisch darauf hingewiesen,

[daß die] Geschichte der Kunst [...] nicht auf den Generalnenner der Negativität zu bringen [ist], auch dann nicht, wenn man neben den negativen oder kritischen Werken, die für den Prozeß der gesellschaftlichen Emanzipation unmittelbar zu Buche schlagen, eine ungleich größere Reihe positiver oder affirmativer Werke abgrenzt, deren naturwüchsige Tradition die emanzipatorische 'Bahn fortschreitender Negativität' einfach hinter sich gelassen hätte. Zum einen, weil Negativität und Positivität in der gesellschaftlichen Dialektik von Kunst und Gesellschaft keine festen Größen sind, ja sogar in ihren Gegensatz umschlagen können, weil sie im Prozeß der Rezeption einem aller ästhetischen Erfahrung eigentümlichen Horizontwandel unterliegen. Zum anderen, weil die Bahn fortschreitender Negativität als kategorischer Rahmen das Soziale der Kunst unangemessen vereinseitigt, nämlich um ihre kommunikativen Funktionen verkürzt, die mit dem bloßen Gegenbegriff der Affirmation weder für die ältere Kunst einfach abgetan noch für die moderne Kunst auch unserer Gegenwart einfach preisgegeben werden können.66

Adornos Romantheorie und -soziologie hat ihre Bedeutung im Ernstnehmen der ästhetischen Transformation als soziologischen Gegenstand – sie hat ihre Grenzen in der Reduktion der Bestimmung des Zuordnungsverhältnisses von Roman und Gesellschaft als ästhetische Negations- oder Affirmationsbeziehung, womit andere Reaktionsweisen des Romans auf geschichtliche Wirklichkeit ausgeklammert bleiben.


IV.

Überblickt man die hier skizzierten romansoziologischen Ansätze, ergibt sich die Frage, inwieweit die auch prinzipiell unterschiedenen Intentionen systematisch zusammengefaßt oder in den Rahmen einer allgemeinen Theorie der Romansoziologie eingebracht werden könnten. Läßt sich der empirisch-kommunikationstheoretische Ansatz (wie er etwa von Fügen und Silbermann vorgeschlagen wird) mit geschichtsphilosophisch begründeten und auf die Literarizität des Romans ausgerichteten Überlegungen, die den einzelnen Roman als ästhetische Objektivation sozialer Bedingungen charakterisieren, verbinden? Kann der Roman gattungssoziologisch im Rahmen eines umfassenden Kommunikationsmodells sozialwissenschaftlich bestimmt werden, ohne daß man auf die Analyse seiner Ästhetizität als 'stillstehende Reflexion' sozialer Bedingungen verzichtet? Romansoziologie als Teilgebiet der Literaturwissenschaft könnte ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn auch die spezifische literarische Form und jeweilige historische Funktion des Romans als sozialwissenschaftliche Probleme ernstgenommen werden.67

Geht man von dieser Prämisse aus, ergeben sich meines Erachtens fünf Hauptgesichtspunkte, die in einer erst noch im Detail zu erarbeitenden, umfassenden und literaturwissenschaftlich befriedigenden Romansoziologie zu berücksichtigen wären:

I. Die Vergegenwärtigung literarischer Kommunikationsbedingungen als Voraussetzung romansoziologischer Untersuchungen;

II. Voraussetzungen und Bedingungen der Romanproduktion;

III. Rolle und Funktion der Romanrezeption;

IV. Zuordnung von Roman und Gesellschaft unter gattungssoziologischen Gesichtspunkten;

V. Zusammengehörigkeit von Romantheorie, Romansoziologie und Sozialgeschichte des Romans.

I. Jeder Roman kann – und hier läßt sich der kommunikationswissenschaftliche Ansatz aufnehmen – , wie andere literarische Texte auch, im Rahmen eines Systems literarischer Kommunikation bestimmt werden, wobei dieses differenzierte Kommunikationssystem selbst Teil eines umfassenden sozialen Gesamtsystems ist.68 Textproduktion und Textrezeption – Hauptfaktoren jeder literarischen Kommunikation – lassen sich als wechselseitig aufeinander bezogene Formen sozialen Handelns soziologisch untersuchen, so daß "eine Theorie der literarischen Kommunikation zwangsläufig sozialwissenschaft-lichen Charakter annehmen muß".69

Geht man von der Konzeption einer "kommunikativen" bzw. &"kommunikationssoziologischen" Literaturwissenschaft aus,70 bleibt allerdings darauf hinzuweisen, daß sich jede literarische Kommunikation in bestimmten, historisch konkreten Augenblicken vollzieht. Jeder Kommunikationsprozeß erfolgt unter besonderen geschichtlichen Voraussetzungen, die für den einzelnen Roman bzw. für den jeweiligen Text zu rekonstruieren sind. Wichtig ist daher, die Historizität von Kommunikationssituationen genau zu beachten. Erst die Untersuchung einzelner kommunikativer historischer Stationen des Romans erlaubt genauere Aussagen über die Gattung und Gattungsgeschichte des Romans.

Für das kommunikative Verhältnis von Romanproduktion und Romanrezeption bleibt einerseits zu beachten, daß es sich dabei generell um eine "asymmetrische" Beziehung handelt, weil der Romanautor als Textproduzent mit sehr unterschiedlichen Textrezipienten in einen Dialog eintritt.71 Rezipienten sind so verschiedene Personen wie Schriftstellerkollegen, Verleger, Kritiker, wohlwollende, 'naive' oder vorgebildete Leser – aber, bei historisch 'älteren' Romanen, auch historisch sehr differenzierte 'ungleichzeitige' Leser, so daß die "dialogische Antwort auf Texte" durchaus "verzerrt erscheint".72

Andererseits dürfen Romanproduktion und Romanrezeption nicht unabhängig voneinander betrachtet werden, weil der Romanautor immer schon bestimmte Leser beim Schreiben von Romanen vor Augen hat.73 Seine Produktion wird damit bereits vom (künftigen) Publikum mitbestimmt. Die Erwartungen der Leser gehen als Faktor in den Produktionsprozeß mit ein: "Ein Publikum als Gesprächspartner besteht schon an der Quelle der literarischen Schöpfung."74 Auf die gattungssoziologischen Konsequenzen, die sich aus dieser konstitutiven Verbindung von Produktion und Rezeption ergeben, wird unter Gesichtspunkten der Zuordnungsproblematik von Roman und Gesellschaft (Punkt IV) noch zurückzukommen sein.

II. Konstitutiver Faktor der Literatur- und Romansoziologie ist die Analyse der sozialen Bedingungen und Voraussetzungen der Romanproduktion. Dieser Aspekt umfaßt in besonderer Weise Probleme der sozio-ökonomischen Analyse und romantheoretischen bzw. romangeschichtlichen Untersuchungen. Geht man von der notwendigen und wechselseitig aufeinander zu beziehenden Doppelheit von allgemeiner Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und besonderer Literaturgeschichte aus, bedeutet die Analyse von Produktionsbedingungen des Romans nicht nur eine Vergegenwärtigung konkreter historisch-gesellschaftlicher Augenblicke (Rolle und Selbstverständnis des Autors in einer bestimmten Gesellschaft, Frage der Gruppenzugehörigkeit und ökonomischen oder politischen Abhängigkeit: Vergl. etwa Zensur, Stand der Buchproduktionsbedingungen, Veröffentlichungsmöglichkeit), sondern auch die Untersuchung poetologischer Produktionsbedingungen (etwa vorgegebene Gattungsmuster und Erwartungsvoraussetzungen eines durch bestimmte Lektüre und Werke geprägten oder normierten Publikumshorizonts). Die Frage der Romanproduktion kann deshalb nicht ohne die wechselseitige Zusammengehörigkeit literar- und sozialgeschichtlicher Aspekte beantwortet werden.

Das durch ein gegenwärtig dominierendes Interesse an rezeptionstheoretischen und rezeptionsästhetischen Fragen zu sehr in den Hintergrund gerückte Problem der literarischen Produktion bleibt unter romansoziologischen Gesichtspunkten ein zentrales Aufgabenfeld. Wichtige Themenbereiche sind dabei: Aspekte der Autorensoziologie, Probleme einer sozialwissenschaftlich orientierten literarischen Produktionstheorie, Fragen der Distributionsformen des Romans und spezielle Gesichtspunkte der historischen Romansoziologie.

Untersuchungen zur Autorensoziologie liegen bisher vor allem unter empirisch-statistischen Aspekten vor, wie sie etwa der Autorenreport von Karla Fohrbeck und Andreas J. Wiesand für die Situation der bundesrepublikanischen Schriftsteller dokumentiert.75 Dabei zeigt sich, daß soziologische Fragen der Romanautoren zunächst diejenigen von 'Wortproduzenten' überhaupt sind. Die offenkundige Diskrepanz etwa zwischen den im einzelnen ermittelten, tatsächlichen Arbeitsbedingungen von Autoren und dem "traditionell- literarischen Berufsbild" von Schriftstellern gilt ebenso allgemein wie die in den letzten Jahren allerorts beobachtbare Veränderung der Produktionsbedingungen besonders durch "medien-bezogene Verhaltensweisen".76 Die Abtrennung der Romanautoren von anderen Schriftstellern ist schon deshalb schwierig, weil sich nur wenige Autoren allein einem literarischen Genre zuwenden.

Unabhängig davon gibt es eine Reihe von Fragestellungen, die sich auf die spezielle Situation, Rolle und Geschichte von Romanautoren unter soziologischen Aspekten beziehen. Wichtig ist dabei vor allem der Zusammenhang zwischen der sich seit der frühen Neuzeit herausbildenden und kontinuierlich an Bedeutung zunehmenden Gattung Roman und seiner Autoren, deren Herkunft und soziale Rolle. Erst in dem historischen Augenblick, als sich eine breitere Leserschicht zu bilden beginnt und Formen des literarischen Markts die Bedeutung und Funktion des Mäzenatentums ablösen, spielt auch der Romanautor (als 'freier Schriftsteller') eine immer wichtigere Rolle. Empirische Untersuchungen über die soziale Herkunft von Autoren (Standeszugehörigkeit, Selbstrekrutierung aus bestimmten Schichten der literarischen Intelligenz)77 und historische Rekonstruktionen von Autorintentionen sind deshalb besonders aufschlußreich. Dies wird um so wichtiger, je mehr der Roman andere, 'konkurrierende' Gattungen im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts im gesamten literarischen Gattungssystem überflügelt.

Romansoziologische und -theoretische Fragen der Werkproduktion sind vor allem unter marxistischen Gesichtspunkten diskutiert worden. Dabei hat ein – wie schon im Zusammenhang mit Lukács hervorgehoben – mimetisch orientierter Widerspiegelungsbegriff eine häufig entscheidende Rolle gespielt, indem die Frage des Zusammenhangs von Roman und Gesellschaft unter Basis-Überbau-Gesichtspunkten vornehmlich im Werk selbst und unter Aspekten seiner Entstehungs- und Produktionsbedingungen gesehen wurde.78 Allerdings haben einzelne marxistische Theoretiker, wie Pierre Macherey, in deutlicher Abkehr vom vereinfachenden Widerspiegelungskonzept und in häufig kritischer Distanzierung von theoretischen Ansätzen Lukács' darauf aufmerksam gemacht, daß es sich bei der Werkstruktur keineswegs um eine bloße Abbildung der Gesellschaftsstruktur handele, sondern daß die Widersprüche der Gesellschaft auf komplizierte Weise in den Roman selbst eingehen. Am Beispiel Tolstois hat Macherey auf diese Vermittlung gesellschaftlicher Widersprüche im Werk hingewiesen:

Die Widersprüche innerhalb des literarischen Produkts können [...] nicht mit den Widersprüchen der Realität identisch sein. Vielmehr sind sie deren Ergebnisse; dies im Bereich eines dialektischen Verarbeitungsprozesses, der sich der literaturspezifischen Mittel bedient. Tolstoi ist Interpret der geschichtlichen Widersprüche. Interpret kann derjenige genannt werden, der im Zentrum einer wechselseitigen Beziehung steht: Über sein Werk stellt uns Tolstoi die Geschichte selbst zur Verfügung; das verlangt jedoch von ihm, daß er sich in die historische Auseinandersetzung einläßt [...].79

Damit analysiert Macherey nicht nur die historisch-gesellschaftlichen Bedingungen des einzelnen Romans und seiner Entstehung, sondern er deutet zugleich auf den funktionalen Aspekt der literarischen Produktion. Der Romanautor als "Interpret" greift in die Wirklichkeit ein. Diese produktionsästhetische Konzeption erinnert deshalb an Theorien des "operativen" Schreibens, wie sie von Tretjakov entworfen und von Brecht und Walter Benjamin aufgenommen und weiterentwickelt worden sind.80 Eine produktionstheoretisch orientierte Romansoziologie kann diese Ansätze aufnehmen, weil die Literaturproduktion hier als intentionale soziale Handlung begriffen wird. Der Roman ist "zugleich geschichtsbedingt und geschichtemachend".81

Gerade bei der Gattung Roman, die als literarische Großform an das Medium Buch gebunden ist, spielen Probleme der Verbreitung und Distribution und die entsprechenden Marktmechanismen eine entscheidende Rolle. Hier liegen eine Reihe von empirischen Untersuchungen vor, so die detaillierten Analysen von Robert Escarpit.82 Erst in einem bestimmten historischen Moment, der mit der Entwicklung des kapitalistischen Unternehmertums bzw. der Entstehung des literarischen Markts koinzidiert, gelingt dem Roman jene öffentliche Verbreitungsmöglichkeit, die ihm seine Bedeutung und soziale Rolle bis in die Gegenwart sichert. Insofern sind gerade Untersuchungen von Produktions- und Distributionsformen des Romans, die seine massenhafte Verbreitung ermöglichen, von besonderer Bedeutung. Die Verbreitung populärer Romanlesestoffe etwa kann nur angemessen erklärt werden, wenn man die entsprechenden Distributionsformen (Verlagssystem, Buchhandel, Buchgemeinschaften) genauer analysiert.

Schließlich bleiben allgemeine theoretische Aussagen über die Romanproduktion und ihre sozialen Bedingungen zu ergänzen durch historische Untersuchungen einzelner Stationen der Romangeschichte. Hier mag lediglich auf die Entstehung des modernen Romans hingewiesen werden, die noch immer eine Reihe von Problemen unter sozialgeschichtlichen Aspekten aufwirft. Erinnert sei nur an die Frage, ob der Roman als "bürgerliche Epopöe" an die Entwicklung und Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft als 'Klasse' gebunden ist. Inwieweit bleibt ein Romanbegriff, der von dieser Hypothese ausgeht, begrenzt auf das Bild (und Vorbild) des Romans im 19. Jahrhundert? Kann der 'realistische' Roman als Modell und Muster des Romans überhaupt gelten? Um diese schwierige Frage der Koinzidenz von Roman und bürgerlicher Gesellschaft genauer beantworten zu können, wäre es erforderlich, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des modernen Romans noch genauer als bisher aufzuarbeiten und die zugrunde liegenden sozialgeschichtlichen Produktionsbedingungen im Detail zu analysieren. Eine Kritik und Ergänzung der Hegelschen und Lukácsschen Romantheorie wäre meines Erachtens so möglich. Der Romanbegriff bleibt insgesamt noch immer zu stark auf das 'bürgerliche' Romanmodell des 19. Jahrhunderts und seine theoretische Interpretation durch Hegel fixiert. Eine kritische Überprüfung dieses Paradigmas unter Berücksichtigung auch des Romans der vorbürgerlichen Gesellschaft könnte die produktionsästhetische Perspektive der Romansoziologie sinnvoll erweitern.

III. Literarische Kommunikation ist konstitutiv bestimmt durch das Moment geschichtlich-konkreter Rezeption. Der historische oder zeitgenössische Leser macht den Romantext erst durch seine Vergegenwärtigung beim Lesen zum Gegenstand einer kommunikativen Situation. Der Romanautor befindet sich zudem immer schon im Dialog mit seinen potentiellen Lesern als Gesprächspartnern; die Reaktionen des Publikums wiederum können auf den literarischen Produktionsprozeß einwirken.

Die intensive Diskussion zur Rezeptionsforschung hat in den letzten Jahren eine Reihe von wichtigen Ergebnissen auch unter romansoziologischen Aspekten geliefert.83 Dazu gehören die prinzipielle Unterscheidung zwischen Problemen des 'impliziten' und 'expliziten' Lesers, Fragen einer möglichen Systematisierung historischer Rezeptionsprozesse, Bemühungen um eine Präzisierung des von Hans Robert Jauß hervorgehobenen 'Erwartungshorizonts' und die Betonung des gesellschaftsbildenden, funktionalen Aspekts von Rezeptionsvorgängen.

Für die Romansoziologie spielen Gesichtspunkte des 'expliziten' (realen} Lesers eine vorrangige Rolle, während der 'implizite' Leser "keine reale Existenz" besitzt;84 "[...] denn er verkörpert die Gesamtheit der Vororientierungen, die ein fiktionaler Text seinen möglichen Lesern als Rezeptionsbedingungen anbietet. Folglich ist der implizite Leser nicht in einem empirischen Substrat verankert, sondern in der Struktur der Texte selbst fundiert."85 Von daher handelt es sich bei der Konzeption des 'impliziten' Lesers um eine phänomenologisch orientierte, allgemeine Theorie der Textstruktur, die durch ihre "Aktualisierungsbedingungen" charakterisiert ist. Diese erlauben es, "[...] den Sinn des Textes im Rezeptionsbewußtsein des Empfängers zu konstituieren".86 Zwar läßt sich gerade beim Roman – aufgrund seiner "perspektivischen Anlage" (vgl. die unterschiedlichen "Perspektivträger" Erzähler, Figuren, Handlung, Leserfiktion) – die Struktur des Textes als "ein bestimmtes Rollenangebot" für seine potentiellen Leser beschreiben,87 über die historisch-realen Leser und ihre mögliche Einwirkung auf die Romanproduktion kann dabei aber nichts ausgesagt werden.

Während die Untersuchung des impliziten Lesers ein Problem der phänomenologischen Text- und Wirkungstheorie darstellt (vergl. die "Appellstruktur" des Textes und die Rezeptionslenkung durch den Text), ist die Frage des expliziten Lesers Gegenstand einer kommunikationssoziologisch orientierten Leserforschung, die die historisch unterschiedlichen Leser- und Publikumsstrukturen untersuchen muß. So wie aber das Problem des impliziten Lesers auf eine Theorie von Textstrukturen verweist, so macht das Problem des expliziten (realen) Lesers auf Fragen einer Theorie des Geschichtsablaufs als Ablauf historischer Rezeptionsprozesse aufmerksam. Rainer Warning hat deshalb zurecht betont, daß eine "historisch orientierte Konkretisationsforschung, wie auch immer sie im einzelnen vorgehen mag, nicht um eine klare Beantwortung dieser Frage nach der Systemreferenz von Rezeptionsprozessen herumkommt".88 Auch der von Manfred Naumann vorgeschlagene Begriff der "Rezeptionsvorgabe" ("die Eigenschaft des Werkes, die Rezeption zu steuern, [...] eine Kategorie, die ausdrückt, welche Funktionen ein Werk potentiell von seiner Beschaffenheit her wahrnehmen kann")89 löst dieses Problem nicht; vielmehr verweist es zurück auf Probleme einer produktionsästhetisch orientierten Rezeptionstheorie, d.h. auf allgemeine Fragen der Texttheorie und damit nicht auf eine – notwendige – (Literatur)Geschichtstheorie.

Bei der soziologischen Erforschung des realen Romanlesers könnte man unter Berücksichtigung von historisch unterschiedlichen Kommunikations- situationen drei verschiedene Rezeptionsformen und Rezeptionsmöglichkeiten unterscheiden:

1. Eine erste Rezeptionsstufe zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Romans. Es ist jene Kommunikationssituation, bei der der Autor (soweit der Roman nicht posthum erscheint) noch 'Mitspieler' ist, so daß hier Fragen der Rückkopplung besonders aktuell sind (vergl. etwa die Fortsetzung von Romanen, Reaktion auf die Kritik von Rezensenten, Vorreden und Anmerkungen in späteren Werken des Autors und Folgen für die weitere Romanproduktion).

2. Als zweite Rezeptionsstufe (Rezeptionsphase) können alle auf die erste Rezeption folgenden Rezeptionssituationen bezeichnet werden. Es sind historisch mögliche, aber nicht notwendige Kommunikationsstationen des Romans, die bishin zur aktuellen, zeitgenössischen Rezeption die Voraussetzungen für eine mögliche Wirkungsgeschichte des betreffenden Romans liefern, wobei sowohl die literarische als literaturwissenschaftliche zu berücksichtigen sind.

3. Die zeitgenössische Rezeption schließlich kann als eine dritte Rezeptionsstufe davon noch unterschieden werden, weil sie besondere Probleme der aktuellen Selektion und reduktiven Auswahl im Blick auf bestimmte gegenwärtige Bedürfnisstrukturen der Lebenspraxis aufwirft.90

Wie jede Rezeptionsforschung muß gerade eine soziologisch fundierte Romanrezeptionsanalyse davon ausgehen, daß insgesamt weder von homogenen gesellschaftlichen Leserschichten noch von homogenen Publikumserwartungen bei der Romanlektüre gesprochen werden kann. Deshalb bleibt der von Hans Robert Jauß betonte Begriff des 'Erwartungshorizonts' im einzelnen zu präzisieren und historisch zu konkretisieren.91 Dies bedeutet für die Romansoziologie, Probleme schichten- oder klassenspezifischen Leseverhaltens zu operationalisieren und sozialpsychologisch begründete "Typen der Leserreaktion" zu entwerfen.92 Voraussetzung ist dabei die Untersuchung des historisch jeweils unterschiedlichen sozialpsychologischen Bedingungsrahmens und eine genaue Vergegen-wärtigung der literaturgesellschaftlichen Konstellation. Außerdem gehört dazu die Analyse von Leserdispositionen, die allein die Interdependenz von Roman und Publikum befriedigend erklären kann.93 Die Disposition der Leser dürfte in besonderer Weise durch soziale Erwartungen geprägt sein, die sich auf Bedürfnisse und Interessen der geschichtlichen Lebenspraxis richten und in vielen Fällen innerliterarische Erwartungen zurücktreten lassen.

Sowohl die Frage einer historischen Leser- bzw. Leserreaktionstypologie als auch das Problem der praktischen Folgen von Lektüreerfahrungen mit dem Roman, lassen sich nur historisch differenziert lösen, wenn man einzelne geschichtliche Stufen oder Abfolgen romansoziologisch genauer untersucht. Dietrich Harth hat eine erste kurze historische Übersicht über das Leseverhalten von Romanlesern gegeben.94 Dabei zeigt sich, wie unterschiedlich die Romanlektüre etwa beim höfischen Roman des 17. Jahrhunderts oder beim bürgerlichen Roman seit dem 18. Jahrhundert einzuschätzen ist. Von einer historischen Typologie der Lektüreerfahrung her ließe sich auch am ehesten die außerordentlich komplizierte Frage nach der praxis- und geschichtsbildenden Rolle des Romans beantworten. Auch hier liefern Untersuchungen zur Entstehung des modernen Publikums in der frühen Neuzeit besondere Aufschlüsse über die Rolle, die das Romanlesen im Kontext veränderter gesellschaftlicher Bedingungen hat. Hingewiesen sei nur auf die Arbeiten von Rolf Engelsing und dessen Analysen zum Übergang vom "intensiven" zum "extensiven" Lesen.95

Erst die soziologische Analyse historischer Publikumsstrukturen, die Untersuchung unterschiedlicher Leserdispositionen und die Berücksichtigung jeweils divergierender Leserbedürfnisse läßt genauere Antworten auf die Frage nach der Rolle und Funktion von Romanen in den einzelnen historischen Kommunikationssituationen zu. Die Interaktion von spezifischen Lesererwartungen und jeweiliger Romanproduktion verweist auf den konstitutiven Zusammenhang, in dem das einzelne literarische Werk steht.

IV. Die überaus schwierige Zuordnungsfrage von Roman und Gesellschaft läßt sich befriedigend nur im Rahmen eines kommunikativen Ansatzes lösen. Historisch-soziologisch analysierbare Publikums- und Lesererwartungen einerseits und bestimmte geschichtliche Produktionsbedingungen andererseits liefern erst die Voraussetzung für die Entstehung, Ausbildung und Etablierung der jeweiligen Romanformen und die Verfestigung zu bestimmten Gattungstraditionen. Romansoziologie verweist deshalb auf das Problem des Romans als literarischer Gattung im Rahmen des gesamten Gattungs- und Sozialsystems. Die Frage nach dem Verhältnis von Roman und Gesellschaft kann meines Erachtens als gattungssoziologisches Problem einer Lösung nähergebracht werden, wenn man sechs Schwerpunktbereiche beachtet:96

1. Wie andere literarische Gattungen auch läßt sich gerade der Roman (vergl. die literarische Großform) generell als Kommunikationsmedium und kommunikatives Deutungsmodell verstehen, das eine Reihe von normativen Kennzeichen aufweist.97 Solche normativen Züge sind vornehmlich bedingt durch einzelne dominante Strukturmerkmale und wiederkehrende Text- und Lesererwartungs-Konstanten, durch die sich bestimmte Romangattung einerseits gegenüber anderen literarischen Formen im Gattungssystem auszeichnet und andererseits gegenüber der historischen Wirklichkeit im sozialen Gesamtsystem abhebt. Von daher ist der Roman durch seine sinnkonstituierende "Selektionsstruktur"98 charakterisiert, und systemtheoretisch ließe sich von einer "verwirklichten Selektion" bzw. einer "Komplexitätsreduktion" gegenüber der Komplexität des literarischen Lebens und der der sozialen Wirklichkeit sprechen.99 Darüber hinaus können beim Roman – als einem Teilsystem innerhalb des literarischen Gattungssystems – wie in der allgemeinen Systemtheorie drei "Systemreferenzen" unterschieden werden: "Die Beziehung zum umfassenden Gesamtsystem, die Beziehung zu anderen Teilsystemen und die Beziehung zu sich selbst."100 Die Rolle, die der Roman in seiner Beziehung zum (gesellschaftlichen) Gesamtsystem spielt, wirft vor allem Funktionsfragen auf. Die Beziehung des Romans zu anderen literarischen Teilsystemen imliziert besondere Probleme der möglichen Opposition, Alternative, Konkurrenz oder Komplementarität zu anderen literarischen Gattungen, etwa zum Epos, Drama oder zu bestimmten nicht- fiktionalen Prosaformen. Die "Beziehung zu sich selbst als Reflexion"101 ist beim Roman besonders wichtig unter Gesichtspunkten der romantheoretischen Selbstdeutung und Selbstvergewisserung, vornehmlich während seiner ästhetischen und gesellschaftlichen Emanzipations- und Legitimationsphase in der frühen Neuzeit, aber auch noch unter Aspekten einer permanent geführten Diskussion über die 'Krise' des Romans.

Bei der partiellen Einführung systemtheoretischer Begriffe und Kategorien zur näheren Bestimmung des Romans als Kommunikations- medium darf allerdings nicht übersehen werden, daß die poetologische und gesellschaftliche Rolle des Romans konstitutiv durch die Historizität der einzelnen (geschichtlichen) Kommunikationssituationen bestimmt ist. Deshalb läßt sich der Vorgang der gattungsbildenden 'Reduktion' oder 'Selektion' (gegenüber der Komplexität des gesamten literarischen und sozialen Lebens) auch nur als dynamisches Moment auffassen, weil die (Literatur)Geschichte stets offen bleibt für neue Gattungsbildungs-Prozesse im Sinne möglicher Reduktionen, Kristallisationen und allmählicher Verfestigungen und Stabilisierungen von Gattungsnormen und -mustern.

2. Eine besondere Rolle für die Entstehung und Herausbildung von Romangattungen spielen strukturprägende Vorbilder, die man als "Prototypen" bezeichnen kann.102 Romanmuster wie der Picaro-Roman, die Robinsonade, der Briefroman oder der Bildungsroman sind auch romansoziologisch ohne die Berücksichtigung der entsprechenden Prototypen (Lazarillo de Tormes, Defoes Robinson Crusoe, Richardsons Pamela und Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre) und die Analyse ihrer Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen nicht angemessen zu verstehen. Die genauen literatur- und sozialhistorischen Ursachen dafür zu ermitteln, warum und unter welchen Bedingungen ein bestimmtes Einzelwerk zum Vorbild einer Romangattung werden kann, bleibt ein bisher weitgehend ungeklärtes Forschungsdesiderat. Die Ursachen für die Gattungsbildung dürften einerseits in einer spezifischen Modifikationsfähigkeit und polyfunktionalen Verwendbarkeit von Erzählmodellen liegen (beim Picaro-Roman etwa die Episodentechnik und die satirisch-kritischen Möglichkeiten der 'Froschperspektive' von unten – beim Bildungsroman die biographische Form und die Darstellungstechniken einer konfliktreichen Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft), andererseits kann der kommunikative und normbildende Erfolg solcher Romanmuster nicht allein aus den Werkstrukturen erklärt werden, vielmehr machen ihn erst bestimmte soziologisch zu analysierende historische Bedürfnissituationen möglich.103

3. Die Bedeutung prototypischer Romane als Innovationspotentiale für den historischen Gattungsbildungsprozeß darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß jedes literarische Werk – und im besonderen der Roman als eine vorwiegend neuzeitliche Gattung – auf bereits vorhandene, andere Literaturgattungen und -traditionen bzw. auf die literarischen Kenntnisse und historischen Erfahrungen eines rezipierenden Publikums trifft. Deshalb ist dieser Aspekt auch unter Gesichtspunkten einer Soziologie der Romanrezeption schon besonders hervorgehoben worden. Zu ergänzen bleibt hier der rezeptionshistorische Aspekt insofern, als Gattungsbildungsprozesse nicht angemessen erklärt werden können ohne die Berücksichtigung der von Hans Robert Jauß betonten "fortgesetzte[n] Horizontstiftung und Horizontveränderung".104

Romansoziologische Untersuchungen im Bereich der Rezeptionsgeschichte bieten sich vor allem dort an, wo deutlich konstante bzw. weitgehend konventionalisierte Gattungserwartungen zu beobachten sind und auf die Werkproduktion nachweisbar einwirken. Das könne am Beispiel so unterschiedlicher Romangattungen wie der Robinsonade im 18. Jahrhundert, des historischen Romans im 19. Jahrhundert und der Science- fiction-Romane im 20. Jahrhundert gezeigt werden. Ließen sich Gattungserwartungen soziologisch genauer analysieren, wären von daher Rückschlüsse auf die Romanproduktion möglich. Damit würde die konstitutive Zusammengehörigkeit und Komplementarität von Erwartungen und (diese wieder mit bestimmenden) Werk-Antworten deutlich. Ähnlich wie bei der "soziologischen und linguistischen Analyse von Erzählungen" die Rolle "eines Erwartungsfahrplans" bei der Interaktion zwischen Erzähler und Hörer hervorgehoben worden ist,105 erlaubt erst die Präzisierung der komplementären Beziehung zwischen Gattungserwartungen von Lesern und Werkproduktion von Romanautoren die genauere Darstellung von Gattungsbildungs- Prozessen. Jeder Romanautor schreibt immer schon im Blick auf bestimmte Erwartungen, die er zu erfüllen sucht, oder mit denen er sich auseinandersetzt, die er aber nicht ignorieren kann, so daß solche "Erwartungserwartungen" gattungsrelevant und gattungssteuernd sein können.106

4. Der Roman als Gattung ist ein "geschichtlich situierbare[s] Gebilde",107 das als literarisch-soziale Institution aufgefaßt werden kann. Der Begriff "Institution" – von Harry Levin zur Charakterisierung der Literatur insgesamt und des Romans im besonderen vorgeschlagen, aber nicht weiter entwickelt –108 das struktural-funktionale Moment des Romans und dessen deutlich abhebbares Organisationsprinzip bezeichnen. Dabei sind literarische Gattungen (wie der Roman) – auch darin Institutionen überhaupt vergleichbar – "keineswegs als statische Gegebenheiten zu betrachten; sie sind vielmehr einem fortlaufenden Prozeß der Institutionalisierung und Entinstitutionalisierung unterworfen".109 Solche Institutionalisierungs- und Entinstitutionalisierungsvorgänge scheinen mir unter gattungssoziologischen Gesichtspunkten des Romans von besonderer Bedeutung zu sein, weil auf diese Weise die Geschichte der Gattung als differenzierte Abfolge von Auskristallisierungs- und Stabilisierungsprozessen einerseits und Auflösungs- und Zerfallsprozessen andererseits beschrieben werden kann. In Michal Glowinskis Darstellung von Strukturierungs- und Destrukturierungsvorgängen läßt sich eine Erläuterung dieses institutionen-theoretischen und institutionengeschichtlichen Sachverhalts finden:

Strukturierung bedeutet – zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Gattung Grundelemente zu konstituieren, die der Identifikation und dem Erkennen der Gattung während ihrer Verbreitung innerhalb der Rezipientenschicht dienen [...]. De-Strukturierung dagegen bedeutet – Zerfall von denjenigen Faktoren innerhalb der Gattung, die bis zu diesem Zeitpunkt übergeordnete Funktionen der Organisation zu erfüllen hatten.110

Glowinski macht zudem daruf aufmerksam, daß sich solche Strukturierungs- und De-Strukturierungsprozesse nicht nur innerhalb einer Gattung vollziehen, sondern auch zwischen verschiedenen Gattungen und damit das Gattungssystem einer Epoche insgesamt verändern: "Denn die Strukturierung der einen Gattung ist normalerweise mit der De-Strukturierung einer anderen verbunden."111 Die Ablösung der Dominanz des Epos durch die des Romans im 18. Jahrhundert wäre dafür ein signifikantes Beispiel.

Vergleichbar sind literarische Gattungen mit sozialen Institutionen in besonderer Weise unter Gesichtspunkten ihres Doppelcharakters von relativer Autonomie und Zweckgebundenheit. So wie soziale Institutionen durch ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit charakterisiert sind, so werden literarische Gattungen durch eine Reihe von gattungsimmanenten Merkmalen geprägt, die deren Eigengewicht hervortreten lassen. Die Eigengesetzlichkeit von Gattungen ist vor allem an historischen Gattungsnormen, aber auch an Sanktionen (etwa an der Geschichte der Literaturkritik) ablesbar. Beim Roman ergibt sich hierbei eine zusätzliche Nuance insofern, als auch die permanente Normabweichung als Gattungsnorm definiert werden kann, so daß die Geschichte des Romans als Geschichte einer stets möglichen kritischen Selbsterneuerung erscheint.112

Insgesamt kann der Roman nur angemessen interpretiert werden, wenn man das gattungssoziologisch konstitutive Spannungsverhältnis zwischen seiner relativen Autonomie und der historisch jeweils unterschiedlichen Sozialabhängigkeit bzw. Zweckgebundenheit beachtet.113 Genauer bestimmbar ist dieses Spannungsverhältnis nur aufgrund von Rekonstruktionen einzelner roman- und sozialgeschichtlicher Stationen.

5. Sowohl unter gattungssoziologischen als auch unter institutionentheoretischen Aspekten spielt die Funktionsfrage beim Roman eine besondere Rolle, die eigens hervorgehoben werden muß. Geht man prinzipiell von einem Antwort-Verhältnis zwischen Roman und Gesellschaft aus, bleiben die unterschiedlichen geschichtlichen Reaktionen des Romans auf die literarischen und historischen Konstellationen und die spezifischen Formen der jeweiligen Erfahrungsverarbeitung im Roman zu untersuchen. Wolfgang Iser hat auf eine Reihe von Reaktionsweisen des Romans gegenüber der Lebenswelt (etwa Komplementarisierungs- und Bilanzieungsleistung oder Defizitfüllung) hingewiesen, die die Skala möglicher 'Antworten' des Romans auf die Realität (Vergl. Abbildung, Homologie oder Opposition) erweitern.114

Die überaus schwierige Frage nach der bewußtseinsbildenden oder gesellschaftskritischen Funktion des Romans – die Hans Robert Jauß unter prinzipiellen Aspekten gestellt hat ("normgebende", "normbildende" oder "normbrechende" Funktion der Kunst) –115 sich nur im Rahmen einer sozialhistorisch fundierten Gattungsgeschichtsschreibung beantworten.

Prinzipiell dürften Romane unter gattungssoziologischen Gesichtspunkten als institutionalisierte Funktionsmuster zu charakterisieren sein, die jeweils bestimmte Einstellungen und Reaktionsweisen gegenüber der historischen Lebenswelt bzw. deren Widersprüche dokumentieren. Kommunikativer Erfolg und 'Wirkung' beim Rezipienten sind weitgehend davon abhängig, inwieweit der Leser durch den Roman "eine Befriedigung seiner gegenwärtigen Bedürfnisse erfährt".116

6. Wenn man bei der gattungssoziologischen Charakterisierung des Romans (literarisches Teilsystem/literarisch-soziale Institution) den dynamischen Charakter solcher Systembildungen und -auflösungen bzw. Institutionalisierungs- und Entinstitutionalisierungsprozesse besonders hervorhebt, bleibt die Frage unabweislich, ob sich allgemeine Gesetzmäßigkeiten der Gattungsevolution bzw. -devolution angeben lassen. Die bisher vorliegenden Lösungsvorschläge gehen davon aus, daß man weder von einer Kontinuität noch von einer Unilinearität der Gattungsentwicklung sprechen kann, vielmehr lassen sich lediglich einzelne Entwicklungsrichtungen und Ablaufprozesse angeben. Dazu gehören die "Zielstrebigkeit bestimmter Gattungstendenzen" ("Entelechie"), auf die Hugo Kuhn hingewiesen hat, oder der von H. R. Jauß hervorgehobene "Prozeß der Prägung einer Struktur, ihrer Variation, Erweiterung und Korrektur [...], der bis zur Erstarrung führen oder auch mit der Verdrängung durch eine neue Gattung enden kann".117 Alastair Fowler unterscheidet in einem Aufsatz über "Leben und Tod literarischer Formen" drei Phasen der Gattungsevolution:

Perhaps the sequence of phases ist best described as a sequence of relations between genre, mode, and abstract formulation. At the primary stage, no equivalent mode or critical description of the genre as yet exists: following its requirements is a matter of unconscious obedience to the extrinsic type, or of imitation in the common sense. With the secondary phase, criticism begins: the genre is labeled and ist requirements are understood so abstractly that a modal form separates out. Secondary epic may therefore be defined as epic consciously in the heroic mode. During the tertiary stage, criticism may recognize variations of genre (Scaliger's comparison of Homer and Virgil; Tasso's defense of Ariosto's epic; Dryden's distinction between ancient and modern forms of drama). Now conscious modal innovations proliferate. We find not only tertiary epic, but also heroic tragedy and heroic satire: not only tertiary pastoral eclogue, but also pastoral drama, pastoral romance and burlesque pastoral.

Fowler formuliert dann die allgemeine Hypothese:

Namely that genre tends to mode. The genre, limited by its rigid structural carapace, eventually exhausts its evolutionary possibilities. But the equivalent mode, flexible, versatile, and susceptible to novel commixtures, may generate a compensating multitude of new generic forms.118

Die Schwierigkeiten einer befriedigenden Theorie der Gattungsentwicklung unter soziologischen Aspekten liegen vor allem darin, daß die bisher konzipierten Ansätze hauptsächlich von (formalistischen) Theorien der literarischen Evolution geprägt sind. Dabei bleiben sozial- und institutionengeschichtliche Aspekte noch weitgehend ausgeklammert. Inwieweit die seit einigen Jahren geführte neue evolutionstheoretische Diskussion in den Sozialwissenschaften hier Lösungen bietet, wäre im einzelnen zu überprüfen. Hingewiesen sei hier nur auf zwei gegenwärtig konkurrierende alternative Modelle, einem funktionalen und einem lerntheoretischen: Beschreibt Niklas Luhmann Evolution als "eine Form der Veränderung von Systemen" durch Funktionendifferenzierung: der "Funktionen der Variation, der Selektion und der Stabilisierung" – so versucht Jürgen Habermas evolutionäre Wandlungen als soziokulturelle Lernprozesse zu interpretieren.119 Beide Konzepte liefern zwar einzelne wichtige Hinweise auch für die Evolution literarischer Gattungen, indem sie allgemeine historische Ablaufstrukturen angeben – vergl. das generell auch auf Gattungsbildungsprozesse anwendbare Differenzierungsschema: Variation – Selektion – Stabilisierung –, aber insgesamt bleiben soziologisch fundierte Interpretationen von Gattungsbildungen und Gattungsauflösungen oder -erneuerungen vorerst hauptsächlich auf die Untersuchung einzelner, möglichst konsistenter Romangattungen angewiesen.

V. Allgemeine Gesichtspunkte der literarischen Kommunikation (von Romanproduktion und Romanrezeption) machen ebenso wie spezielle Aspekte der Gattungssoziologie die Zusammengehörigkeit romantheoretischer, romansoziologischer und romangeschichtlicher Fragestellungen und Problemlösungsversuche deutlich. Romantheoretische und romansoziologische Fragen verweisen notwendig auf Gesichtspunkte einer Sozialgeschichte des Romans bzw. einer sozialhistorisch fundierten Romangeschichte. Umgekehrt muß eine Geschichte des Romans ohne Berücksichtigung soziologischer und sozialhistorischer Untersuchungsmethoden und -verfahren unvollständig bleiben. Die sich abzeichnende Annäherung historischer und soziologischer Methoden sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in den Sozialwissenschaften und die im Vordergrund stehende "prinzipiell gegebene Einheit des Erkenntnisprozesses in Soziologie und Geschichte"120 können auch für die Romansoziologie fruchtbar gemacht werden. Daß dabei hermeneutische, gesellschaftstheoretische und geschichtstheoretische Begründungsprobleme im Spiel sind, mag hier nur angedeutet werden. Schon die Entscheidung des Interpreten für bestimmte historische Stationen der Romangeschichte oder die Auswahl erkenntnisleitender Fragestellungen hängt mit notwendigen Reduktionsleistungen und historisch bedingten – und zu reflektierenden – Vorurteilsstrukturen des jeweiligen Erkenntnissubjekts aufs engste zusammen, so daß die historische Unabschließbarkeit des Rezeptionsprozesses eines Romans mit der Unabschließbarkeit des geschichtlichen Auslegungsprozesses korrespondiert.

*

Überblickt man die Fülle der insgesamt skizzierten Fragestellungen und Gesichtspunkte zur Romansoziologie, wird deutlich, welche Probleme im einzelnen noch zu lösen sind, soll die Romansoziologie als Gegenstand der Literaturwissenschaft genauer und umfassender als bisher betrieben werden. Die zu Anfang gestellte Frage, inwieweit kommunikationswissenschaftliche und empirische Forschungsansätze zur Romansoziologie mit geschichts-philosophisch orientierten Fragestellungen verbunden werden können, läßt sich insofern positiv beantworten, als eine Reihe von Ergebnissen produktiv aufgenommen und weiterentwickelt werden kann, auch wenn sich auf diese Weise noch keine kohärente allgemeine Theorie der Romansoziologie ergibt. Die einzelnen Bedingungen und Faktoren für eine solche Theorie lassen sich meines Erachtens angeben, wenn man die vorgestellten theoretischen Ansätze miteinander vergleicht und auf ihre Brauchbarkeit überprüft. Außerdem scheinen mir die einzelnen, hier angedeuteten Teilaspekte durchaus schon genauer lösbar zu sein. Wichtig für die Weiterentwicklung der Romansoziologie ist es, daß man weniger zu neuen Disziplinen kommt als vielmehr zu einem "Austausch von Disziplin- Teilen" und zur produktiven Entfaltung von Disziplinbeziehungen.121 Ich stelle mir deshalb vor, daß man über die Erarbeitung von Teiltheorien einzelner Problemkreise und die Analyse einzelner Themenkomplexe zu einer umfassenden Systematik der Romansoziologie kommen könnte. So lange sich diese noch in statu nascendi befindet, empfiehlt sich insgesamt eine Diskussionshaltung des Vergleichens und – wo möglich – des Kombinierens unterschiedlicher Ansätze.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe ich in einer Soziologie des Romans als Gattungssoziologie produktive Möglichkeiten, sowohl die ästhetischen als auch historischen und funktionalen Aspekte des Romans literaturwissenschaftlich angemessen zu untersuchen.



Prof. Dr. Wilhelm Voßkamp
Universität zu Köln
Institut für Deutsche Sprache und Literatur
Albertus-Magnus-Platz
D-50923 Köln

Unredigierte Fassung des in IASL III (1978), S.1-37 im Druck erschienenen Aufsatzes.



Anmerkungen

1 Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774. Mit e. Nachwort von Eberhard Lämmert. Stuttgart: Metzler 1965, S. XIII.   zurück

2 In: Athenaeum. Hg. von August Wilhelm Schlegel u. Friedrich Schlegel. 1. Bd. 1. u. 2. Stück (1798). Neudruck: Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1960, S. 149.   zurück

3 Die enge Verknüpfung zwischen Roman und Gesellschaft und die besondere Affinität des Romans zu gesellschaftlichen Problemen ist in der romantheoretischen Forschung der letzten Jahre deutlich hervorgehoben worden. Die besondere Nähe, die der Roman zur gesellschaftlichen Realität zeigt, scheint mit seinem proteischen Charakter zusammenzuhängen. Der Roman als die wandlungsfähigste Gattung ist zugleich jene literarische Form, die sich historische Realität in immer neuer Weise aneignet und aneignen kann. Die einzelnen historischen Ausprägungen, die die literarische Form des Romans erfährt, hängen unmittelbar zusammen mit historischen Prozessen, die bestimmte Entwicklungen der Romanform überhaupt erst ermöglichen. Zum proteischen Charakter des Romans einerseits und zu seiner besonderen Affinität zur sozialen Realität andererseits vergl. etwa Walter Pabst: Literatur zur Theorie des Romans. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 34 (1960), S. 264-289; Wilhelm Voßkamp: Romantheorie in Deutschland von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg. Stuttgart: Metzler 1973; Harry Levin: Toward a sociology of the novel. In: Journal of the history of ideas 126 (1965), S. 148ff.; Michel Zéraffa: Roman et société. Paris: Presses Universitaires de France 1971, S. 11ff.   zurück

4 Bei der Romansoziologie handelt es sich wie bei der Literatursoziologie um keine einheitliche Forschungsdisziplin. Vergl. Milton C. Albrecht: Introduction. In: The Sociology of Art and Literature. A Reader. Ed. by Milton C. Albrecht, James H. Barnett & Mason Griff. New York: Praeger Publishers 1970, S. 615 (Einleitung zu dem Abschnitt: History and theory). Vergl. außerdem dazu Viktor Zmegac: Probleme der Literatursoziologie. In: Zur Kritik literaturwissenschaftlicher Methodologie. Hg. von V. Zmegac u. Z. Skreb. Frankfurt/M.: Fischer- Athenäum 1973, S. 253f. Erich Köhler hat vorgeschlagen, zwischen den Begriffen "Literatursoziologie" und "Soziologie der Literatur" zu unterscheiden: "Literatursoziologie grenzt sich ab von Soziologie der Literatur. Letztere, vorwiegend empirisch orientiert, ist eine Teildisziplin der Soziologie und bei dieser anzusiedeln. Literatursoziologie dagegen ist eine Methode der Literaturwissenschaft. Wir definieren sie als historisch-soziologische Literaturwissenschaft. Ihr fundamentales Postulat lautet: Jede Literatursoziologie muß historisch, jede Literaturgeshichte muß soziologisch vorgehen. Das Postulat impliziert Dialektik als vom Gegenstand auferlegte Methode." (Einige Thesen zur Literatursoziologie. In: Germanisch-romanische Monatsschrift. N.F. 24 (1974), S. 257.)    zurück

5 Vergl. Rainer Warning: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. München: Fink 1974, S. 17.   zurück

6 Horst Knospe: Literatursoziologie. In: Wörterbuch der Soziologie. Hg. von Wilhelm Bernsdorf. Bd. II. Frankfurt/M.: Fischer-Taschenbuch 1972, S. 505. Vergl. außerdem dazu Klaus-Peter Philippi: Methodologische Probleme der Literatursoziologie. Kritische Bemerkungen zu einer fragwürdigen Situation. In: Methodenfragen der deutschen Literaturwissenschaft. Hg. von Reinhold Grimm u. Jost Hermand. Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1973, S. 508-530.   zurück

7 Joachim Bark: Vorbemerkung. In: Literatursoziologie. Hg. von J. B. Bd. I. Stuttgart: Kohlhammer 1974, S. 7.   zurück

8 Wege der Literatursoziologie. Hg. u. eingeleitet von Hans Norbert Fügen. Neuwied: Luchterhand 1968, 2. Aufl. 1971. – The Sociology of Art and Literature. A reader. Ed. by Milton C. Albrecht, James H. Barnett & Mason Griff. New York: Praeger Publishers 1970. – Literatursoziologie. Bd. I: Begriff und Methodik. Bd. II: Beiträge zur Praxis. Hg. von Joachim Bark. Stuttgart: Kohlhammer 1974. – Vergl. außerdem die folgenden Sammelbände: The Arts in Society. Ed. by Robert N. Wilson. Englewood Cliffs: Prentice-Hall 1964; Karl Erik Rosengren/Jan Thavenius:Literatursociologi. Urval och Redigering. Stockholm: Bokförlaget Natur och Kultur 1970; Sociology of Literature & Drama. Ed. by Elizabeth and Tom Burns. Middlesex: Pinguin Books 1973; Künstler und Gesellschaft. Sonderheft 15 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Hg. von Alphons Silbermann u. René König. Köln 1975; Theoretische Ansätze der Kunstsoziologie. Hg. u. mit Einleitungen versehen von Alphons Silbermann. Stuttgart: Enke 1976, und die vom Institut für Soziologie der Freien Universität Brüssel herausgegebenen Bände: Problèmes d'une Sociologie du roman. In: Revue de l'Institut de Sociologie. Brüssel 1962/63; Litérature et Société. Problèmes de méthodologie en sociologie de la littérature. Brüssel 1967; Sociologie de la littérature. Recherches récentes et discussions. 2e edition.Brüssel 1973   zurück

9 Vergl. Anmerkung 4 u. 6 und David H. Miles: Literary sociology: Some introductory notes. In: German Quarterly 1975, S. 1-33. – Verzeichnisse literatursoziologischer Arbeiten bieten die folgenden neueren Bibliographien: Hugh D. Duncan: Anoted Bibliography on the Sociology of Literature, with an introductory Essay on methodological Problems in the Field. Chicago 1947; Literature & Society, 1950 bis 55 (Bd. I), 1956-60 (Bd. II), 1961-65 (Bd. III). A selective Bibliography. Ed. by Thomas F. Marshall, George K. Smart, Paul J. Carter. Coral Gables, Fla.: Univ. of Miami Pr. 1956-67; Peter Ludz: Bibliographie. In: Georg Lukács: Schriften zur Literatursoziologie. Ausgewählt u. eingeleitet von P. L. Neuwied: Luchterhand, 3. Aufl. 1968, S. 503-531; Laura Benzi/Mario Marchetti: Bibliografia classificata di sociologia della letteratura. In: Quaderni de Sociologia 1968, S. 59-123; Hans Norbert Fügen: Literaturverzeichnis. In: Wege zur Literatursoziologie. Hg. u. eingeleitet von H. N. F. Neuwied: Luchterhand, 2. Aufl. 1971, S. 439-451; Robert Escarpit: Bibliographie. In: Le littéraire et le social. Eléments pour une sociologie de la littérature. Ed. R. E. Paris: Flammarion 1970, S. 299-315; Alphons Silbermann: Empirische Kunstsoziologie. Eine Einführung mit kommentierter Bibliographie. Stuttgart: Enke 1973, vergl. vor allem: S. 28-46, S. 125-173 u. S. 202-224; Auswahlbibliographie 1974/75. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur I (1976), S. 332-396; Auswahlbibliographie 1975/76. In: IASL 2 (1977), S. 259-336.    zurück

10 Knospe: Literatursoziologie, S. 504.   zurück

11 Hans Norbert Fügen: Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie und ihre Methoden. Ein Beitrag zur literatursoziologischen Theorie. Bonn: Bouvier, 2. durchges. Aufl. 1966, S. 32.   zurück

12 Escarpit: Le littéraire et le social. In: R. E.: Le littéraire et le social, S. 38.   zurück

13 Vergl. Silbermanns besonderes Interesse für die Popularkultur. Siehe etwa im Kap. Soziologie der Literatur. In: Empirische Kunstsoziologie, S. 115ff.   zurück

14 Joachim Matthes: Theorienvergleich in den Sozialwissenschaften. Ein Bericht über die Diskussion seit dem Kasseler Soziologentag. Sektionspapier zur Sektion Theorienvergleich in den Sozialwissenschaften. 18. Deutscher Soziologentag Bielefeld 1976, Ms., S. 9.   zurück

15 Vergl. Fügen: Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie; ders.: Einleitung. In: Wege der Literatursoziologie, S. 13-35.   zurück

16 Empirische Kunstsoziologie; ders.: Literaturphilosophie, soziologische Literaturästhetik oder Literatursoziologie. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 18 (1966), S. 139-148; ders. u. Udo Michael Krüger: Soziologie der Massenkommunikation. Stuttgart: Kohlhammer 1973; ders.: Von den Wirkungen der Literatur als Massenkommunikationsmittel. In: Künstler und Gesellschaft. Hg. von Silbermann u. René König. Köln 1975 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderh. 17), S. 17-44. – Zu vergleichbaren literatursoziologischen Tendenzen in den USA vergleiche einzelne Beiträge in dem Sammelband von Milton C. Albrecht, James H. Barnett & Mason Griff.   zurück

17 Fügen: Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie, S. 14f.    zurück

18 Ebd., S. 14.   zurück

19 "Versteht man unter Soziologie die Wissenschaft von den Prozessen und Strukturen zwischenmenschlichen Verhaltens und unter Literatur jede schriftliche oder durch häufige mündliche Wiederholung in eine relativ feste Form gebrachte Darstellung eines Geschehensablaufs, die ihrer Intention nach auf die konkrete empirische Nachprüfbarkeit ihres Inhaltes verzichtet, ohne einen wie immer verstandenen, in seiner geschichtlichen Entwicklung variablen Wahrheitsanspruch aufzugeben, dann wäre Literatursoziologie der Zweig der Soziologie, der erstens dieses Schrifttum als Objektivation sozialen Verhaltens und sozialer Erfahrung untersucht und zweitens sich in seinem Erkenntnisinteresse auf ein zwischenmenschliches Verhalten richtet, das die Herstellung, Tradition, Diffusion und Rezeption fiktionalen Schrifttums und seiner Inhalte betreibt; dieses durch eine spezifische Tradition und Normierung von anderen Klassen sozialen Verhaltens differenzierte zwischenmenschliche Handeln soll als literarisches Verhalten bezeichnet werden." (Fügen: Einleitung. In: Wege der Literatursoziologie, S. 18f.)   zurück

20 Vergl. vor allem Robert Escarpit: Das Buch und der Leser. Entwurf einer Literatursoziologie. Köln: Westdeutscher Vlg. 1961 (zuerst franz.: 1958); ders.: La révolution du livre. Paris 1965.   zurück

21 Vergl. Einleitung. In: Wege der Literatursoziologie, S. 19ff. Zur Kritik des Fügenschen Ansatzes vergl. Philippi: Methodische Probleme der Literatursoziologie, S. 514ff., und Zmegac: Probleme der Literatursoziologie, S. 257ff.   zurück

22 Silbermann: Empirische Kunstsoziologie, S. 15.   zurück

23 Ebd., S. 20.   zurück

24 Ebd., S. 22.   zurück

25 Ebd., S. 122.   zurück

26 Vergl. etwa ebd., S. 113ff.   zurück

27 Vergl. dazu die prinzipielle Kritk von Ulrich Saxer: "Die kunstsoziologische Forschung untersucht das von Silbermann rigoros ausgeklammerte bzw. im Prozeß, Erlebnis und Wirkung umgedeutete Kunstwerk eben doch, und zwar als Werk. Auch Silbermanns eigener Verzicht auf kunstsoziologische Werkanalysen gründet letztlich stärker in methodologischen als in gegenstandsbezogenen Erwägungen. Weil die gängigen soziologischen Kategorien und Techniken an ästhetischen Synthesen, an Kunstwerken sich offenbar nicht recht bewähren, soll Kunstsoziologie das Zentrum des Prozesses, den sie untersucht, aussparen. Das Prinzip von Schuster bleib bei Deinen Leisten sichert zwar die Wissenschaft gegen Dilettantismus ab, verewigt aber auch die Departementalisierung des Geistes, welche die Bemühungen in Bereichen, die dazu quer liegen, wie gerade der kunstsoziologische, entschieden beeinträchtigt." (Rez. der Empirischen Kunstsoziologie. In: IASL I (1976), S. 270f.)    zurück

28 "Was die Darstellung angeht, so fordert auch der eigentliche Roman wie das Epos die Totalität einer Welt- und Lebensanschauung, deren vielseitiger Stoff und Gehalt innerhalb der individuellen Begebenheit zum Vorschein kommt, welche den Mittelpunkt für das Ganze abgibt." Georg Friedrich Hegel: Ästhetik. 2 Bde. Frankfurt/M.: Europäische Verlagsanstalt (o.J.). Hier Bd. II, S.452.   zurück

29 Zur Dominanz der Hegelschen Position in der Theorie des Romans vergl. Rolf Günter Renner: Ästhetische Theorie bei Georg Lukács. Zu ihrer Genese und Struktur. Bern: Francke 1976, S. 26ff., im Unterschied zur stärkeren Betonung der frühromantischen Tradition bei Willy Michel: Marxistische Ästhetik – Ästhetischer Marxismus. Bd. II. Georg Lukács' Realismus. Das Frühwerk. 2. Tl. Frankfurt/M.: Athenäum 1972, S. 88ff.   zurück

30 Zuerst erschienen: 1916; 3. zit. Ausg.: Neuwied: Luchterhand (S. 196). Vergl. dazu die wichtigen Beiträge von Karl Mannheim. In: K.M.: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Eingeleitet u. hg. von Kurt H. Wolff. Neuwied: Luchterhand 1964, S. 85-90, und Lucien Goldmann. In: L.G.: Dialektische Untersuchungen. Neuwied: Luchterhand 1966, S. 283-313. Außerdem Günter Rohrmoser: Literatur und Gesellschaft. Zur Theorie des Romans in der modernen Welt. In: Literatur und Gesellschaft. Vom 19. ins 20. Jahrhundert. Hg. von Hans Joachim Schrimpf. Festgabe Benno v. Wiese. Bonn: Bouvier 1963, S. 1-22, und Jürgen Schramke: Zur Theorie des modernen Romans. München: Beck 1974, S. 8ff. Zur Lukács-Literatur insgesamt vgl. das Literaturverzeichnis in der Arbeit von Renner (s. Anm. 29), außerdem den Sammelband: Lehrstück Lukács. Hg. von Jutta Matzner. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1974.   zurück

31 Ausg.: Neuwied: Luchterhand 1970.   zurück

32 Theorie des Romans, S. 28.   zurück

33 Peter Ludz: Marxismus und Literatur. Eine kritische Einführung in das Werk von Georg Lukács. In: G. Lukács: Schriften zur Literatursoziologie, S. 41.    zurück

34 Theorie des Romans, S. 58. Vergl. Michel: Marxistische Ästhetik – Ästhetischer Marxismus, S. 111ff.    zurück

35 Theorie des Romans, S. 35.   zurück

36 Ebd., S. 58.   zurück

37 Ebd., S. 79f.   zurück

38 Lukács: Vorwort zu Balzac und der französische Realismus. In: G. L.: Schriften zur Literatur-soziologie, S. 244. Vergl. außerdem: Es geht um den Realismus (1938). In: Georg Lukács: Essays über den Realismus. Probleme des Realismus I. (Werke, Bd. IV) Neuwied: Luchterhand 1971, S. 313-343.    zurück

39 Vergl. vor allem: Die Gegenwartsbedeutung des kritischen Realismus (1957). In: Lukács: Essays über den Realismus, S. 457-603. Darin besonders die beiden ersten Kapitel: Die weltanschaulichen Grundlagen des Avantgardeismus; Franz Kafka oder Thomas Mann? (S. 467-550). Die Abhandlung ist zuerst ital. erschienen: Il significato attuale del realismo critico. Turin: Einaudi 1957, in deutsch unter dem Titel: Wider den mißverstandenen Realismus. Hamburg: Claassen 1958. Zur marxistischen Ästhetik bei Lukács siehe jetzt Renner: Ästhetische Theorie bei Georg Lukács, S. 107ff.: Allgemeine Voraussetzungen einer marxistischen Ästhetik bei Georg Lukács.    zurück

40 Lucien Goldmann: Einführung in die Probleme einer Soziologie des Romans. In: L. G.: Soziologie des modernen Romans. Neuwied: Luchterhand 1970, S. 26. (Zuerst frz. unter dem Titel Pour une sociologie du roman, Paris 1964.) Zu L. Goldmann vergl. insgesamt den Überblick von Dirk Hoeges. In: Französische Literaturkritik der Gegenwart. Hg. von Wolf-Dieter Lange. Stuttgart: Kröner 1975, S. 208-233, und die dort angebotene Literatur.   zurück

41 Goldmann: Einführung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 29.   zurück

42 Ebd., S. 30.   zurück

43 Ebd., Anm. 5. Vergl. außerdem Lucien Goldmann: Das zugerechnete Bewußtsein und seine Bedeutung für die Kommunikation. In: L. G.: Kultur in der Mediengesellschaft. Frankfurt/M.: Fischer 1973, S. 7ff., und ders.: Der Begriff der sinnvollen Struktur in der Kulturgeschichte. In: L. G.: Dialektische Untersuchungen. Neuwied: Luchterhand 1966, S. 121ff.   zurück

44 Vergl. Goldmann: Einführung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 30, und Hoeges: Lucien Goldmann, S. 219.   zurück

45 Vergl. Goldmann: Zu Georg Lukács: Die Theorie des Romans. In: Goldmann: Dialektische Untersuchungen, S. 283-313.   zurück

46 Die "Entwicklung der Romanform" kann "nur in dem Maß verstanden werden [...], indem man sie mit der homologen Geschichte der Verdinglichungsstruktur in Verbindung bringt". (Goldmann: Einführung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 29.)   zurück

47 Einführung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 35f., und Goldmann: Die Revolte der Literatur und der Kunst in den fortgeschrittenen Zivilisationen. In: L. G.: Kultur in der Mediengesellschaft, S. 35ff. Vergl. dazu auch Schramke: Zur Theorie des Romans, S. 167f., Anm. 10, und Alan Swingewood: Some problems in the sociology of the novel. In: A. S.: The Novel and Revolution. London: Macmillan 1975, S. 23ff.   zurück

48 Einführung in die Probleme einer Soziologie des Romans, S. 35.   zurück

49 Literarische Hermeneutik und Soziologie. In: Ansichten einer künftigen Germanistik. Hg. von Jürgen Kolbe. München: Hanser 1969, S. 135.   zurück

50 Ebd., S. 137. Erich Köhler hat versucht, den gruppensoziologischen Ansatz Goldmanns weiter zu entwickeln durch eine Theorie der "sozio- kulturellen Allianz": "Blütezeiten der Kunst, die Herausbildung sozusagen 'klassischer' Phasen, beruhen auf der sozio-kulturellen Allianz zweier, möglicherweise mehrerer sozialer Gruppen. Ursache solcher kreativer Allianzen sind partielle, aber vitale Interessen-Kongruenzen ökonomischer und politischer Natur. Dabei kann durchaus eine Gruppe den initialen Impuls geben und auch weiter dominieren, diese Dominanz kann sich aber auch in den verschiedenen Kunstgattungen anders, nämlich im Sinne der zweiten (oder dritten) Gruppe akzentuieren. Das jeweilige System der Gattungen und Gattungsstile, so ist zu folgern, schließt dann auch den tendenziellen Ausgleich der gesellschaftlichen Widersprüche ein und trägt diese zugleich aus." (Einige Thesen zur Literatursoziologie. In: Germanisch-romanische Monatsschrift. N. F. 24 (1974), S. 258f.)   zurück

51 Olaf Hansen: Hermeneutik und Literatursoziologie. Zwei Modelle: Marxistische Literaturtheorie in Amerika/Zum Problem der American Studies. In: Literaturwissenschaften und Sozialwissenschaften. Grundlagen und Modellanalysen. Mit Beiträgen von Horst Albert Glaser, u. a. Stuttgart: Metzler 1971, S. 365f.   zurück

52 Zur Kritik an der Robbe-Grillet-Interpretation vergl. Miriam Glucksmann: Einwände gegen Goldmanns Positionen. In: alternative 71 (1970), S. 84ff., und Pierre V. Zima: Goldmann. Dialectique de l'immanence. Paris: Editions Universitaires, S. 119f.   zurück

53 Eine überzeugende soziologische Interpretation des 'nouveau roman' hat in kritischer Weiterentwicklung Goldmannscher Ansätze Jacques Leenhardt am Beispiel des Romans La jalousie von Alain Robbe-Grillet gegeben: Politische Mythen im Roman. Am Beispiel von Alain Robbe-Grillets Die Jalousie oder die Eifersucht. Mit einem Nachw. von André Stoll. Übers. von Jochen u. renate Hörisch. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976 (zuerst frz. unter dem Titel: Lecture politique du roman. La jalousie d'Alain Robbe-Grillet. Paris 1973). Leenhardt interpretiert diesen Roman als produktiven, ästhetisch-kritischen Gegenentwurf zum traditionellen Kolonialroman und weist nach, daß Robbe-Grillets Roman historisch einer Periode der beginnenden französischen Entkolonialisierung zuzuordnen ist (vergl. besonders in der deutschen Übersetzung S. 184ff.). In der "De-Konstruktion einer literarischen Ideologie" (S. 39) sieht Leenhardt zugleich das kritische Moment einer "Destruktion der bürgerlichen Ideologie" (Ebd., S. 38). Vergl. zu Leenhardts Interpretation auch das Nachwort zur deutschen Übersetzung von Stoll, S. 275-303.    zurück

54 Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman. In: Theodor W. Adorno: Noten zur Literatur I. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1958, S. 61-72; Balzac- Lektüre. In: Ders.: Noten zur Literatur II. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1963, S. 19-42; Kleine Proust- Kommentare. In: Ebd., S. 95-109.   zurück

55 In: Adorno: Noten zur Literatur II, S. 152-187.   zurück

56 In: Theodor W. Adorno: Ohne Leitbild. Parva aesthetica. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1967, S. 94-103.   zurück

57 Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Bd. 7. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970.   zurück

58 Thesen zur Kunstsoziologie. In: Adorno: Ohne Leitbild, S. 102.   zurück

59 Ästhetische Theorie, S. 334.   zurück

60 Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman. In: Adorno: Noten zur Literatur I, S. 64f.   zurück

61 Ebd., S. 62.   zurück

62 Erpreßte Versöhnung. Zu Georg Lukács: 'Wider den mißverstandenen Realismus'. In: Adorno: Noten zur Literatur II, S. 168. – Zu einem neuen, 'antirealistischen' Realismusbegriff vergl. jetzt auch Alexander Kluge: Kommentare zum antagonistischen Realismusbegriff. In: A. K.: Gelegenheitsarbeit einer Sklavin. Zur realistischen Methode. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1975, S. 187ff.    zurück

63 Ästhetische Theorie, S. 335.   zurück

64 Ebd. Zu Adornos negationsästhetischem Ansatz in der Ästhetischen Theorie vergl. O. K. Werckmeister: Das Kunstwerk als Negation. Zur geschichtlichen Bestimmung der Kunsttheorie Theodor W. Adornos. In: O. K. W.: Ende der Ästhetik. Frankfurt/M.: Fischer 1971, S. 7-32; Martin Puder: Zur ästhetischen Theorie Adornos. In: Neue Rundschau 3 (1971), S. 465-477: Heinz Paetzold: Adornos Ästhetik vor dem Problemhorizont einer neomarxistischen Theorie des Ästhetischen. In: Neomarxistische Ästhetik. teil II: Adorno, Marcuse. Düsseldorf: Schwann 1974, S. 91-101; Hartmut Scheible: Geschichte im Stillstand. Zur Ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. In: Theodor W. Adorno: Hg. von Heinz Ludwig Arnold (Sonderband Text und Kritik) München: Edition Text + Kritik 1977, S. 92-118. Vergl. in diesem Band auch die kommentierte Bibiographie zu Adorno von Carlo Pettazzi (S. 176-191).    zurück

65 Ästhetische Theorie, S. 334.   zurück

66 Negativität und Identifikation. Versuch zur Theorie der ästhetischen Erfahrung. In: Positionen der Negativität. Hg. von Harald Weinrich (Poetik und Hermeneutik VI) München: Fink 1975, S. 265f. Zur Kritik der Adornoschen Negationsästhetik vergl. außerdem Scheible: Geschichte im Stillstand, und Hans- Jörg Neuschäfer: Für eine Geschichte der nichtkanonisierten Literatur. Vorbemerkungen zu Gegenstand und Methode. In: H.-J. N.: Populärromane im 19. Jahrhundert. Von Dumas bis Zola. München: Fink 1976, S. 7-31, darin besonders S. 10ff.   zurück

67 Vergl. dazu Horst Albert Glaser: Literarischer Anarchismus bei de Sade und Burroughs. Zur Methodologie seiner Erkenntnis. In: Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften. Grundlagen und Modellanalysen, S. 343ff., und Diana T. Laurenson and Alan Swingewood: The sociology of literature. New York: Schocken-Books 1972, S. 87f.   zurück

68 Vergl. dazu Hans-Peter Althaus/Helmut Henne: Sozialkompetenz und Sozialperformanz. Thesen zur Sozialkommunikation. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 28 (1970), S. 1-15; Thomas Luckmann: Aspekte einer Theorie der Sozialkommunikation. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik. Hg. von Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegand. Tübingen: Niemeyer 1973, Bd. I, S. 1-13. Außerdem: Rolf Grimminger: Abriß einer Theorie der literarischen Kommunikation. In: Lingustik und Didaktik 3 (1972), S. 277-293 u. 4 (1973), S. 1-15; Elisabeth Gülich/Wolfgang Raible: Lingustische Textmodelle. Grundlagen und Möglichkeiten. München: Fink 1977; Götz Wienold: Semiotik der Literatur. Frankfurt/M.: Athenäum 1972; und Bernhard Badura: Kommunikative Kompetenz, Dialog, Hermeneutik und Interaktion. Eine theoretische Skizze. In: Bernhard Badura & Klaus Gloy: Soziologie der Kommunikation. Eine Textauswahl zur Einführung. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 1972, S. 246-264. Zu den verschiedenen Kommunikationsmodellen siehe Siegfried J. Schmidt: Texttheorie. Probleme einer Linguistik der sprachlichen Kommunikation. München: Fink 1973, S. 107-111; zur Theorie der "kommunikativen Handlungsspiele als Basis einer Texttheorie" vergl. ebd., S. 43ff.    zurück

69 Grimminger: Abriß einer Theorie der literarischen Kommunikation, S. 280.   zurück

70 Vergl. Harald Weinrich: Kommunikative Literaturwissenschaft oder: De singularibus non est scientia. In: Zur Grundlegung der Literaturwissenschaft. Hg. von S. J. Schmidt. München: Bayerischer Schulbuch-Vlg. 1972, S. 7-10; Horst Turk: Dialektische Literaturwissenschaft. Zur kommunikationssoziologischen Begründung einer allgemeinen Texttheorie. In: Historizität in Sprach und Literaturwissenschaft. Vorträge und Berichte der Stuttgarter Germanistentagung 1972. Hg. von Walter Müller-Seidel. München: Fink 1974, S. 219-246, und Hans Ulrich Gumbrecht: Konsequenzen der Rezeptionsästhetik oder Literaturwissenschaft als Kommunikationssoziologie. In: Poetica 7 (1975), S. 388-413.   zurück

71 Vergl. Lars Clausen: Einfache literarische Figurationen. Beitrag zum Kolloquium Systematische Konstruktion literatursoziologischer Fragen im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, 27./28. 11. 1976 (Ms., S. 2).   zurück

72 Ebd.   zurück

73 Im Extremfall nur sich selbst.   zurück

74 Robert Escarpit: Das Buch und der Leser. Entwurf einer Literatursoziologie. Köln: Westdeutscher Vlg. 1961, S. 104. Zur engen Beziehung von Lesererwartungen und literarischer Produktion und der Rolle der Rezeption für den Produktionsprozeß vergl. Albrecht Schöne: Soziale Kontrolle als Regulativ der Textverfassung. Über Goethes ersten Brief an Ysenburg von Buri. In: Wissen aus Erfahrungen. Werkbegriff und Interpretation heute. Festschrift für Herman Meyer zum 65. Geburtstag. Hg. von Alexander von Bormann. Tübingen. Niemeyer 1977, S. 237ff. (vergl. dort auch den Hinweis auf Robert Escarpit); Wilhelm Voßkamp: Gattungen als literarisch-soziale Institutionen (Zu Problemen sozial- und funktionsgeschichtlich orientierter Gattungstheorie und -historie). In: Textsortenlehre – Gattungsgeschichte. Hg. von Walter Hinck. Heidelberg: Quelle & Meyer 1977, S. 27- 42. Hier S. 31f.   zurück

75 Der Autorenreport. Mit einem Vorwort von Rudolf Augstein. Hamburg: Rowohlt 1972. Vergl. außerdem Friedhelm Kron: Schriftsteller und Schriftstellerverbände. Schriftstellerberuf und Interessenpolitik 1842-1973. Stuttgart: Metzler 1976. Für die USA: William Jackson Lord: Die finanzielle Lage der amerikanischen Schriftsteller. In: Wege der Literatursoziologie, S. 287-314.   zurück

76 Der Autorenreport, S. 18f.   zurück

77 Vergl. Escarpit: Das Buch und der Leser, S. 57f. Peer E. Sψrensen postuliert unter marxistischen Gesichtspunkten die Notwendigkeit einer Klassenanalyse des Schriftstellers. (Vergl. Elementare Literatursoziologie. Ein Essay über literatursoziologische Grundprobleme. Übersetzung aus dem Dänischen von Esther Meier u. Jörg Glauser. Tübingen: Niemeyer 1976, S. 114ff.)   zurück

78 Vergl. etwa die noch weitgehend in der Tradition des mittleren und späten Lukács stehenden Arbeiten zur Romantheorie des sozialistischen Realismus in der DDR.   zurück

79 Lenin: Kritik an Tolstoij. In: P. Macherey: Zur Theorie der literarischen Produktion. Studien zu Tolstoij, Verne, Defoe, Balzac (collection alternative, Bd. 7) Neuwied: Luchterhand 1974, S. 41.   zurück

80 Vergl. vor allem Walter Benjamin: Der Autor als Produzent (1934). In: W.B.: Versuche über Brecht. Hg. mit einem Nachwort versehen von Rolf Tiedemann. Frankfurt/M.: 1966, S. 95-116.   zurück

81 Heinz Brüggemann: Aspekte einer marxistischen Produktionsästhetik. Versuch über theoretische Beiträge des LEF, Benjamins und Brechts. In: Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 4. Erweiterung der materialistischen Literaturtheorie durch Bestimmung ihrer Grenzen. Mit Beiträgen von Heinz Brüggemann, u. a. Hg. von Heinz Schlaffer. Stuttgart: Metzler 1974, S. 113 u. S. 138, unter Berufung auf Karel Kosik: Die Dialektik des Konkreten. Frankfurt/M.: 1970.    zurück

82 Vergl. außerdem die Aufsätze in den Sammelbänden von Fügen (Wege der Literatursoziologie, Kap. VII, S. 401ff.) und Albrecht, u.a. (The Sociology of Art and Literature, Kap. III und IV, S. 345ff.). Zu den historischen Aspekten siehe Hans J. Haferkorn: Zur Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz und des Schriftstellers in Deutschland zwischen 1750 und 1800. In: Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 3. Deutsches Bürgertum und literarische Intelligenz 1750-1800. Mit Beiträgen von Ulrich Dzwonek, u.a. Hg. von Bernd Lutz. Stuttgart: Metzler 1974, S. 113-275; vor allem S. 195ff.: Schriftsteller und literarischer Markt.   zurück

83 Vergl. vor allem Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970, und Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München: Fink 1976, und die Sammelbände: Sozialgeschichte und Wirkungsästhetik. Dokumente zur empirischen und marxistischen Rezeptionsforschung. Hg. von Peter Uwe Hohendahl. Farnkfurt/M.: Athenäum Fischer 1974; Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. Hg. von Rainer Warning. München: Fink 1975; Literatur und Leser. Theorien und Modelle zur Rezeption literarischer Werke. Hg. von Gunter Grimm. Stuttgart: Reclam 1975. Außerdem: Hannelore Link: Rezeptionsforschung. Eine Einführung in Methoden und Probleme. Stuttgart: Kohlhammer 1976; Hans Ulrich Gumbrecht: Soziologie und Rezeptionsästhetik – über Gegenstand und Chancen interdisziplinärer Zusammenarbeit. In: Neue Ansichten einer künftigen Germanistik. Hg. von Jürgen Kolbe. München: Hanser 1973, S. 48-74; ders.: Konsequenzen der Rezeptionsästhetik oder Literaturwissenschaft als Kommunikationssoziologie. In: Poetica 7 (1975), S. 388-413; Norbert Groeben: Wissenspsychologische Dimensionen der Rezeptionsforschung. Zur Präzisierung der kommunikationswissenschaftlichen Funktion einer empirischen Literaturwissenschaft. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 4 (1974), Heft 15: Rezeptionsforschung, S. 61-79; Walter Kühnel: Die Entdeckung des Lesers. Wege der Literatur- und Kommunika-tionswissenschaft zu einer Buchwirkungsforschung. In: Bertelsmann Briefe, Heft 91 (Juli 1977), S. 13-21. Jetzt auch: Groeben: Rezeptionsforschung als empirische Literaturwissenschaft. Kronberg/Ts.: Athenäum 1977.    zurück

84 Vergl. Iser: Der Akt des Lesens, S. 60; zu anderen Leserkonzeptionen vergl. ebd., und Grimm: Einführung in die Rezeptionsforschung. In: Literatur und Leser, S. 75ff.   zurück

85 Iser: Der Akt des Lesens, S. 60.   zurück

86 Ebd., S. 61.   zurück

87 Ebd.   zurück

88 Rezeptionsästhetik als literaturwissenschaftliche Pragmatik. In: Rezeptionsästhetik. Hg. von R. Warning, S. 19.   zurück

89 Einführung in die theoretischen und methodischen Hauptprobleme. Probleme der literarischen Produktion von Vorgaben für die Rezeption. In: M. Naumann: Gesellschaft. Literatur. Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht. Berlin: Aufbau 1975, S. 35.   zurück

90 Vergl. zu den drei Rezeptionsstufen unter literaturgeschichtlichen Aspekten: Wilhelm Voßkamp: Probleme und Aufgaben einer sozialgeschichtlich orientierten Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts. Erscheint in: Das 18. Jahrhundert (Vorträge der Tagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jhs., Wolfenbüttel 1976).   zurück

91 Vergl. Hans Robert Jauß: Der Leser als Instanz einer neuen Geschichte der Literatur. In: Poetica 7 (1975), S. 337ff.: Der Erwartungshorizont des Lesers – eine überfällige Klärung.   zurück

92 Vergl. dazu Gumbrecht: Soziologie und Rezeptionsästhetik, S. 67.   zurück

93 Vergl. Kühnel: Die Entdeckung des Lesers, S. 18ff.   zurück

94 Romane und ihre Leser. In: Germanisch-romanische Monatsschrift N. F. 20 (1970), S. 159-179.   zurück

95 Vergl. vor allem Rolf Engelsing: Analphabetentum und Lektüre. Die Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft. Stuttgart: Metzler 1973, und ders.: Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500- 1800. Stuttgart: Metzler 1974. Zu Engelsings Arbeiten jetzt auch die Rezension von René König: Geschichte und Sozialstruktur: Überlegungen bei Gelegenheit der Schriften von Rolf Engelsing zur Lesergeschichte. In: IASL 2 (1977), S. 134-143.    zurück

96 Eine thesenartige Zusammenfassung der im folgenden im einzelnen entwickelten Hypothesen und eine kurze Erläuterung am Beispiel zweier Romangattungen des 18. Jahrhunderts habe ich zuerst auf dem Düsseldorfer Germanistentag 1976 unter gattungstheoretischen Aspekten vorgetragen; vergl. Voßkamp: Gattungen als literarisch-soziale Institution (s. Anm. 74).   zurück

97 Klaus Hempfer (Gattungstheorie. Information und Synthese. München: Fink 1973, S. 223) betrachtet Gattungen deshalb "generell als kommunikative Normen".   zurück

98 Iser (Der Akt des Lesens, S. 120) spricht von der "Selektionsstruktur des fiktionalen Textes".   zurück

99 Vergl. dazu die Arbeiten von Niklas Luhmann; vor allem: Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicher Analyse. In: Jürgen Habermas/Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung? Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971, S. 7-24; ders.: Soziologie als Theorie sozialer Systeme. In: N.L. Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. Bd. 1. Opladen: Westdeutscher Vlg., 3. Aufl. 1972, S. 113-136: ders.: Institutionalisierungs-Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft. In: Zur Theorie der Institutionen. Hg. von Helmut Schelsky. Düsseldorf: Bertelsmann 1970, S. 27-41, und ders.: Einfache Sozialsysteme. In N. L.: Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Opladen: Westdeutscher Vlg. 1975, S. 21-38. Vgl. jetzt: Erich Köhler: Gattungssystem und Gesellschaftssystem. In: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte, Heft 1, 1977, S. 7- 21.   zurück

100 Luhmann: Systemtheorie, Evolutionstheorie und Kommunikationstheorie. In: N.L.: Soziologische Aufklärung 2, S. 198.   zurück

101 Ebd.   zurück

102 Vergl. Ulrich Suerbaum: Text und Gattung. In: Ein anglistischer Grundkurs. Hg. von Bernhard Fabian. Frankfurt/M.: Athenäum Fischer 1973, S. 113ff.   zurück

103 Zur Interpretation von Gattungen als "Bedürfnissynthesen" und zur Funktionsfrage vergl. die Punkte 4 und 5.   zurück

104 Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters. In: Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters. Hg. von H. R. Jauß u. Erich Köhler. Bd. I. Heidelberg 1973, S. 124.   zurück

105 Vergl. Fritz Schütze: Zur soziologischen und linguistischen Analyse von Erzählungen. In: Internationales Jahrbuch für Wissens- und Religionssoziologie 10 (1976), S. 30ff.   zurück

106 Vergl. Voßkamp: Gattungen als literarisch-soziale Institutionen, S. 31f.   zurück

107 Gerhard R. Kaiser: Zur Dynamik literarischer Gattungen. In: Die Gattungen in der vergleichenden Literaturwissenschaft. Hg. von Horst Rüdiger. Berlin: de Gruyter 1974, S. 34.   zurück

108 Literature as an Institution. In: Criticism. The foundation of modern literary judgement. Ed. by Mark Schorer, u. a. New York 1948, S. 546-553. Hier S. 552. Vergl. außerdem – unter Aspekten der Warenproduktion – Sψrensen (Elementare Literatursoziologie, S. 92): "Der Warenverkehr und die -produktion bilden unter kapitalistischer Regie den Konstitutionszusammenhang der literarischen Institutionen", und – unter funktionalen und Bedürfnisgesichtspunkten – Silbermann (Von den Wirkungen der Literatur als Massenkommunikationsmittel. In: Künstler und Gesellschaft, S. 40): "Und da das Medium (Buch und audio-visuelle Mittel) ebenso wie sein Inhalt (Literatur jedweden Genres) sowohl kulturelle Bedürfnisse als auch eine feste Organisation im sozialen Leben darstellen, wird hier von einer soziokulturellen Institution gesprochen." Peter Bürger versteht unter "Institution Kunst" die "in einer Gesellschaft (bzw. in einzelnen Klassen/Schichten) geltenden allgemeinen Vorstellungen über Kunst (Funktionsbestimmungen) in ihrer sozialen Bedingtheit" und im besonderen "den Status [...], den die Kunst als autonome in der bürgerlichen Gesellschaft einnimmt [...]". (Vgl. P. Bürger: Institution Kunst als literatursoziologische Kategorie. Skizze einer Theorie des historischen Wandels der gesellschaftlichen Funktion der Literatur. In: Romanist. Zs. für Literaturgeschichte, H. 1, 1977, S. 50 bis 74; hier S. 53.) Sozialwissenschaftliche Arbeiten zum Institutionenproblem vergl. bei Wolfgang Lipp: Institutionen – Mimesis oder Drama? Gesichtspunkte zur Neufassung einer Theorie. In: Zeitschrift für Soziologie 5 (1976), S. 360-381. Hier S. 379-381; außerdem ders.: Artikel 'Institution'. In: Evangelisches Staatslexikon. Stuttgart, 2. Aufl. 1975, Sp. 1018.   zurück

109 Artikel 'Institution'. In: Lexikon zur Soziologie. Hg. von Werner Fuchs, u. a. Opladen: Westdeutscher Vlg. 1973, S. 303.   zurück

110 Michal Glowinski: Die literarische Gattung und die Probleme der historischen Poetik. In: Formalismus, Strukturalismus und Geschichte. Hg. von Alexander Flaker u. Viktor Zmegac. Kronberg/Ts.: Scriptor 1974, S. 180.   zurück

111 Ebd., S. 181.   zurück

112 Vergl. Walter Pabst: Literatur zur Theorie des Romans: In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 34 (1960), S. 264ff., und Voßkamp: Romantheorie in Deutschland, Einleitung.   zurück

113 Vergl. Martin Raether: Probleme literarischer Gattungen. In: Zeitschrift für romanische Philologie 89 (1973), S. 472.   zurück

114 Vergl. Der Akt des Lesens, S. 118ff.   zurück

115 Racines und Goethes 'Iphigenie'. Mit einem Nachwort über die Partialität der rezeptionsästhetischen Methode. In: Rezeptionsästhetik. Hg. von Rainer Warning, S. 393f.; außerdem ders.: Negativität und Identifikation. Versuch einer Theorie der ästhetischen Erfahrung. In: Positionen der Negativität, S. 300ff. Grundsätzlich wichtig zur Funktionsfrage: Jan Mukarovsky, vergl. bes.: Ästhetische Funktion, Norm und ästhetischer Wert als soziale Fakten. In: J.M.: Kapitel aus der Ästhetik. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2. Aufl. 1974, S. 7ff. Unter literatursoziologischen Aspekten hat auch Leo Löwenthal (Das gesellschaftliche Bewußtsein in der Literaturwissenschaft. In: L.L.: Erzählkunst und Gesellschaft. Die Gesellschaftsproblematik in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Mit einer Einleitung von Frederic C. Tubach. Neuwied: Luchterhand 1971, S. 23- 39) die Untersuchung, "welche Funktion die Dichtung in der Gesellschaft ausübt", besonders hervorgehoben (vergl. S. 31).    zurück

116 Kühnel: Die Entdeckung des Lesers, S. 18.   zurück

117 Hugo Kuhn: Gattungsprobleme der mittelhochdeutschen Literatur. In: Bayer. Akademie der Wissenschaften. Philos.-Histor. Klasse. Jg. 1956. Heft 4. München 1956, S. 29. Jauß: Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters, S. 119.   zurück

118 The Life and Death of Literary Forms. In: New Directions in Literary History. Ed. by Ralph Cohen. Baltimore: The Johns Hopkins Univ. Press. 1974, S. 77-94. Hier S. 91f. und S. 92.   zurück

119 N. Luhmann: Evolution und Geschichte. In: Soziologische Aufklärung 2, S. 150-169. Hier bes. S. 150f. – J. Habermas: Geschichte und Evolution. In: Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976, S. 200-259. Zur Theorie der sozialen und soziokulturellen Evolution vergl. außerdem: Evolution and Culture. Ed. by M. D. Sahlins & E. R. Service. Ann Arbor: Univ. of Michigan Press, 5. Aufl. 1968; Donald T. Campbell: Variation and selective retention in socio-cultural evolution. In: Social Change in developing Areas. A Reinterpretation of Evolutionary Theory. Ed. by Herbert R. Barringer, Georg J. Blanksten and Raymond W. Mack. Cambridge/Mass.: Schenkman 1965, S. 19-49; Arnold S. Feldmann: Evolutionary Theory and Social Change. In: ebd., S. 273-284; Klaus Eder: Komplexität, Evolution und Geschichte. In: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Beiträge zur Habermas-Luhmann-Diskussion. Hg. von Franz Maciejewski. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1975, S. 9-42, und Rainer Döbert: Methodologische und forschungsstrategische Implikationen von evolutionstheoretischen Stadienmodellen. In: Theorien des Historischen Materialismus. Hg. von Urs Jaeggi u. Axel Honneth. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1977, S. 524-560.   zurück

120 Peter Christian Ludz: Soziologie und Sozialgeschichte: Aspekte und Probleme. In: Soziologie und Sozialgeschichte. Aspekte und Probleme. Hg. von P. Chr. Ludz (Sonderheft 16 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1972). Opladen 1973, S. 17; vergl. außerdem die Beiträge in dem Sammelband: Geschichte und Soziologie. Hg. von Hans Ulrich Wehler (Neue Wissenschaftl. Bibliothek 53). Köln: Kiepenheuer & Witsch 1972.   zurück

121 Vergl. Wolf Lepenies: Geschichte und Anthropologie. Zur wissenschaftshistorischen Einschätzung eines aktuellen Disziplinenkontakts. In: Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 1 (1975), S. 340.   zurück