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Oliver Jahraus
Analyse und Interpretation
Zu Grenzen und Grenzüberschreitungen im struktural-literaturwissenschaftlichen Theorienkonzept

Vorbemerkung zur Wiederveröffentlichung im Internet

Dieser Aufsatz nahm zur interpretationsorientierten Methodendiskussion der Literaturwissenschaft Stellung, indem er ein Vermittlungsmodell im ‚Streit der Interpretationen' vorschlug. Eine solche Diskussion gehört heutzutage - angesichts zahlreicher und vielschichtiger medien- und kulturwissenschaftlicher Herausforderungen - nicht mehr zu den ‚heißen Eisen' der Literaturwissenschaft. Dennoch kann der Versuch, sozusagen differenztheoretisch zunächst inkompatibel erscheinende Modelle in einer Differenzverhältnis zu bringen, als charakteristisch für die literaturwissenschaftliche Theorieentwicklung gewertet werden, wie ich es später gezeigt habe (Jahraus 1999). Wenn man zusätzlich bedenkt, daß auch die genannten Herausforderungen immer noch Fragen nach medialer und kultureller Sinnkonstitution und Sinnvermittlung konfrontiert sind, kann ein solches Modell vielleicht auch heute noch exemplarischen Charakter besitzen, wenn es zum Beispiel darum geht, zwischen Medium und Form, Medium und Zeichen, Stimme und Schrift, also zwischen ‚konstitutiven Differenzen' zu vermitteln.

Abstract

Der Aufsatz verbindet die Textanalyse des Strukturalismus mit der Literaturinterpretation der Hermeneutik zu einem zweistufigen, kooperativen Gesamtmodell. Die Analyse als erste Stufe umfaßt eine Rekonstruktion der struktural-analytischen Methodik mittels eines Schichtenmodells des Textes und zeigt die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Objektkonstitution. Die Interpretation als zweite Stufe ermöglicht weitergehende Aussagen über den Text und ergänzt kritisch das deskriptive Modell. Insgesamt wird dabei nicht nur ein literaturwissenschaftliches Verfahren entfaltet, sondern auch ein Beitrag zu einer methodologischen Grundlagendiskussion geleistet.

This essay combines the text analysis of structuralism and literary interpretation of hermeneutics into a two-stage cooperative model. The first step, the analysis, comprises a reconstruction of the structural-analytic method using a strata model of the text and shows the possibilities and the limitations of ist being formed as an objekt. The second stage, the interpretation, permits further statements about the text and the critical completition of the descriptive model. Altogether, the result is not only the development of a literary process, but also a contribution to a methodological discussion of principles.


Inhalt

  1. Was man analysieren und interpretieren kann
  2. Der Text als sprachliches Objekt und die Lektüre als intentionaler Akt
  3. Das Methodenspektrum als Ausdifferenzierung möglicher Objektkonstitutionen
  4. Analyse und Interpretation als Umgangsformen mit Texten
  5. Welchen Anspruch eine strukturalistische Position erhebt
  6. Wie der Anspruch das strukturale Verfahren charakterisiert
  7. Die Leistungsfähigkeit der analytisch-strukturalen Methode
  8. Was tun? Wie man einer defizitären Position begegnet
  9. Metatheoretische Überlegungen
  10. Literaturwissenschaftlicher Fragenkomplex und das Verhältnis von Textbegriff und Methode
  11. Die Analyse
  12. Die Interpretation
  13. Ausblick: Das Bedürfnis zu interpretieren
  14. Literaturverzeichnis



1. Was man analysieren und interpretieren kann - die terminologische Koexistenz von Analyse und Interpretation in der Literaturwissenschaft

"Man glaubt, wieder und wieder der Natur nachzufahren,
und fährt doch nur der Form entlang, durch die wir sie betrachten.
Ein Bild hielt uns gefangen. und heraus konnten wir nicht, denn es lag in unserer Sprache,
und sie schien es uns nur unerbittlich zu wiederholen."
(Ludwig Wittgenstein)

Der Chemiker analysiert eine Substanz, aber der Dirigent interpretiert mit seinem Orchester die Symphonie. Analyse und Interpretation sind zwei Begriffe der natürlichen Sprache 1, die in verschiedenen Kontexten und sprachlichen Umgebungen auftreten. Eine semantische Abstraktion liefert als Bedeutungskern eine Zuwendung in einem intentionalen Akt zu einem Objekt. Der Bedeutungsunterschied der beiden Begriffe muß in der Differenz der Potentiale liegen, womit - als ein Beispiel - chemische Substanzen einerseits und Symphonien andererseits zu intentionalen Objekten gemacht werden können. Der intentionale Akt umfaßt ein Subjekt, ein Objekt und die gerichtete Relation eines Verarbeitungsprozesses in allgemeinster Form. Bei der Substanz bedeutet das die Zerlegung eines Komplexes in Komponenten, bei einer Symphonie Ausschöpfung von Aktualisierungsmöglichkeiten, die bezüglich Tempo, Lautstärke, Akzentuierung, nicht aber bezüglich von Notenhöhen oder -längen bestehen. Die Analyse verändert die Substanz nicht, die Interpretation konstituiert die Symphonie erst, die vor der Interpretation in Form einer besonders codierten Notenschrift ja nur als Aufführungspotential besteht.

In der Literaturwissenschaft koexistieren diese Begriffe bei einer einzigen Kategorie von intentionalem Objekt, dem Text. Es geht hier selbstverständlich nicht um eine natursprachliche Begriffsklärung, sondern um eine Sensibilisierung mittels dieser Begriffsklärung dafür, wie im Übergang von der natur- zur fachsprachlichen Verwendung dieser Begriffe in der literaturwissenschaftlichen Terminologie bei Koexistenz und gleichzeitiger Bedeutungsdifferenz sich eine Perspektive auf die Grundsatzfrage nach einer praxisorientierten Konzeption von Literaturwissenschaft eröffnet.

Von ihrer Etymologie her bedeutet Analyse das Auseinandernehmen, Interpretation 2 die Vermittlung, Übersetzung und schließlich Deutung von Aussagen. Der Interpretationsbegriff hat eine lange hermeneutische Tradition, die sich in theologischen und philosophischen Diskursen 3 entwickelt hat. In der Ausdifferenzierung eines Methodenkanons haben sich verschiedene Formen von Koexistenz der Begriffe ergeben:

1) Im Rahmen der Hermeneutik gibt es auch den Begriff der Analyse 4; er bezieht sich dort aber zumeist auf formale Betrachtungen.

2) Zu einer konkurrierenden Koexistenz kommt es erst, als mit der Übernahme des Strukturalismus in die Literaturwissenschaft ein neues Wissenschaftsparadigma hauptsächlich mit dem Begriff der Analyse ausgedrückt wird. 5

3) Im literaturwissenschaftlichen Strukturalismus werden mitunter beide Begriffe synonym 6 gebraucht, weil die Möglichkeit konkurrierender Verfahren negiert wird.

4) Sie kennzeichnen auch Hauptpositionen der Wissenschaftstheorie: die analytische und die hermeneutische Schule. 7

5) Unabhängig von einer methodischen Zuordnung im Methodenkanon impliziert der Begriff der Analyse mehr das technische Moment des Verfahrens, während der Interpretationsbegriff stärker auf die künstlerische Kompetenz des Interpreten verweist. 8

Diese Formen von Koexistenz sind insgesamt ein Symptom der unbefriedigenden Wissenschaftskonzeption von Literaturwissenschaft in einem Methodenpluralismus. Entweder werden die Begriffe untereinander subsumiert, wobei ihre Bedeutungsdifferenz unberücksichtigt bleibt, oder sie bezeichnen lediglich Interessenschwerpunkte, die nur unbestimmt ein Konkurrenzverhältnis ausdrücken. Eine explizite Abgrenzung läßt sich kaum eruieren.

In diesem Aufsatz geht es mir darum, ausgehend von den Bedeutungsunterschieden eine explizite Abgrenzung zu formulieren und die Begriffe nicht in ein Konkurrenz-, sondern in ein Kooperationsverhältnis zu stellen, um damit - als ein Beitrag zur Grundlagendiskussion der Literaturwissenschaft - einen Vorschlag zu einer verbesserten Wissenschaftskonzeption zu machen und darüber hinaus ein praktikables Modell für eine konkrete, wissenschaftlich fundierte Textarbeit zu liefern.


2. Der Text als sprachliches Objekt
und die Lektüre als intentionaler Akt

Texte werden analysiert und interpretiert. In dieser Form realisiert und drückt sich Literaturwissenschaft hauptsächlich aus (neben der Editionsphilologie, die sich um die Bereitstellung und Kommentierung 9 von Texten kümmert). Substanzen werden nicht interpretiert, und Symphonien werden - eben doch auch analysiert. Das bedeutet, daß die Koexistenz beider Begriffe daraus resultiert, daß ein Objekt in zumindest einer bestimmten Form aktualisierbar ist. Dieses Aktualisierungspotential ist wiederum der Effekt einer sprachlichen Konstitution des Objektes. Grundbedingung dieser s p r a c h l i c h e n K o n s t i t u t i o n ist

(1) der Systemcharakter des Objektes. Die Elemente eines Komplexes sind über Relationen in ein Netzwerk eingebunden, so daß die Elemente nicht unabhängig voneinander existieren und zu beschreiben sind. Statt dessen kann man bei der Beschreibung auf Generalisierungen zurückgreifen, durch die der Komplex nicht als chaotisches Konglomerat, sondern als systematische Ordnung erscheint.

(2) (in schwacher Form) zumindest die Möglichkeit, das Objekt in eine Repräsentationsrelation zu etwas außerhalb seiner zu stellen, bzw. (in starker Form) eine faktisch nachvollziehbare Repräsentationsrelation, wie sie bei natursprachlichen Objekten (und somit auch bei Texten) paradigmatisch vorliegt und einen zumindest zweiwertigen Zeichenbegriff (bei Saussure oder dreiwertig bei Peirce) impliziert. Von der sprachlichen Konstitution zu sprechen bedeutet auf basaler Ebene, zumindest zwischen der materiellen Seite der Sprachlichkeit (dem Zeichenkörper oder dem Lautbild, also Saussures 10 Signifikant - der Note in der Symphonie-Partitur) und dem, was die Materialität transzendiert, zu unterscheiden (sei es nun die Bedeutung, der Sinn, die mentale Vorstellung, das Signikat 11 - der Ton der gespielten Note).

Um nicht von vornherein Implikationen des Rezeptions- oder des Lektürebegriffs zu übernehmen, habe ich bisher nur sehr abstrakt von 'intentionalen Akten' gesprochen. Die sprachliche Konstitution, auf der das Aktualisierungspotential der Objekte beruht, charakterisiert den i n t e n t i o n a l e n A k t zugleich als Akt der O b j e k t k o n s t i t u t i o n. Diese Objektkonstitution kann man als den neuralgischen Punkt jeglichen Umgangs mit Texten und mit Literatur und insbesondere des professionellen, als literaturwissenschaftlich firmierenden Umgangs mit Literatur ansehen. 12 So wie in ihm die Problematik der Begriffe 'Interpretation', 'Rezeption', 'Lektüre' konvergieren, läßt sich in umgekehrter Analogie daraus das methodologische Spektrum der Literaturwissenschaft nahezu vollständig entfalten. Deswegen kann die Differenzierungsproblematik von Analyse und Interpretation, obschon sie nur einen Teilbereich in der Diskussion der umfassenden Problematik über das Gesamtspektrum hinweg abdeckt, als paradigmatisch für jede mögliche Konstitution einer Methode angesehen werden.

Daß die beiden Begriffe koexistieren und teilweise miteinander konkurrieren, verweist implizit auf ein fundamentales Charakteristikum einer Wissenschaft von sprachlich konstituierten Objekten, also Texten, und damit insbesondere der Literaturwissenschaft. Wo immer die Intentionalität der Methode als Praxisform der (Literatur-)Wissenschaft mit der sprachlichen Konstitution ihrer Objekte, d.h. der Texte, konfrontiert ist, also sich nicht nur auf die materiell-formale Seite des Objektes konzentriert, sondern die konstitutive Repräsentationsrelation, seine Zeichenhaftigkeit, seine Bedeutsamkeit, Sinnhaftigkeit oder Signifikanz (im vorterminologischen Sinn) mitberücksichtigt, ist sie eben dadurch zugleich der Intentionalität unterworfen, die das sprachliche Objekt überhaupt erst als Objekt in Erscheinung treten läßt. Es geht hier also um das Verhältnis zwischen der Objektkonstitution des Textes in der Lektüre und der Objektkonstitution des Textes in und durch eine methodische/methodologische Position als Literaturwissenschaft.

Damit wird eine naive Vorstellung von einem vorgegebenen Objekt, dem Text, der literarischen Rede, und seiner daran anschließenden Wissenschaft, der literaturwissenschaftlichen Rede, zugunsten einer Konzeption verabschiedet, bei der die Intentionalität der wissenschaftlichen Objektkonstitution der sprachlichen Objektkonstitution im intentionalen Akt der Lektüre/Rezeption nachgeordnet ist. Es wird auch die Frage aufgeworfen, auf welche spezifische Weise eine literaturwissenschaftliche Position auf das Faktum reagiert, daß Texte, bevor sie wissenschaftlich 'behandelt' werden können, erst gelesen werden müssen. Weil der Text durch den ursprünglichen intentionalen Akt der Lektüre erst zum Text wird und darüber hinaus der Text durch die Literaturwissenschaft als literaturwissenschaftliches Objekt erst konstituiert wird, ergibt sich ein spezifisches Charakteristikum einer methodischen Position daraus, in welcher Form der Lektüre bzw. der Konzeption eines Lesers als Theorieelemente selbst noch einmal eine konstitutive Funktion zukommen. Ausschlaggebend ist hierbei die Verhältnisbestimmung zwischen dem intentionalen Akt des Lesens und dem Text, weitergehend zwischen privater und professioneller Lektüre (zwischen Leser und Literaturwissenschaftler 13), zwischen Rezeption und Interpretation, zwischen nicht-wissenschaftlichen und wissenschaftlichen intentionalen Akten des Umgangs mit Texten (und insbesondere mit jenen Texten, die als Literatur klassifiziert werden können).

Ich werde zunächst das Spektrum in dieser Perspektive kurz skizzieren, um a) die eigene Position darin zu lokalisieren und b) anschließend darauf einzugehen, inwieweit die grundsätzlichen Differenzierungsvoraussetzungen bei Analyse und Interpretation zu einer eigenständigen Antwort auf den aufgeworfenen Fragenkomplex in einer modifizierten strukturalen methodologischen Position führen können.


3. Das Methodenspektrum als Ausdifferenzierung möglicher Objektkonstitutionen

Der Gedanke einer Objektkonstitution des Textes ist durchaus nicht neu. In der phänomenalen Position von Ingarden 14 findet er sich im Begriff der Konkretisation ausgedrückt, der dann später von Iser 15 in seine rezeptionsästhetische Position und auch von Groeben 16 in sein Empirisierungsprogramm übernommen wurde. Während bei Ingarden und Iser Werk, Text und Konkretisation unterschieden wird, wird bei Groeben die empirische Erhebung von Konkretisationsdaten zur Grundlage dafür, das Text-Verstehen als Objekt zu fundieren. In der empirischen Konzeption von Schmidt nimmt diese Theorieposition der Begriff des Kommunikats ein, das er als Resultat kognitiver und emotionaler Operationen definiert. 17 Die empirische Konzeption einer Literaturwissenschaft, wie sie insbesondere von Groeben und von Schmidt dargelegt worden ist, stellt bereits eine radikale Position im Methodenspektrum bezüglich der methodologischen Verarbeitung der Objektkonstitution dar.

Man kann das Methodenspektrum insgesamt als System einzelner Positionen rekonstruieren, wobei die Relationen zwischen den Positionen sich als Defizit und Defizitauffüllung bezüglich einer unterschiedlichen Objektkonstitution bestimmen lassen. Die methodische/methodologische Einzelposition läßt sich unter dieser Blickrichtung als je spezifische Schwerpunktkonstellationen zwischen Autor-, Text- und Leserpolorientierung 18 beschreiben. Darüber hinaus setzen alle Positionsverschiebungen gegenüber der Hermeneutik als deren Kritik an. Auf die Hermeneutik reagieren so der Strukturalismus, die Rezeptionsästhetik, der Poststrukturalismus und die emprischen und konstruktivistischen Positionen.

(1) Auf das Verhältnis von Hermeneutik und Strukturalismus als Gegenüber von Interpretation und Analyse gehe ich weiter unten noch genauer ein. Zunächst bleibt festzuhalten, daß der Anspruch wissenschaftlicher Verobjektivierung im Strukturalismus mit der in diesem Zusammenhang ungeklärten Position des Interpreten in der Hermeneutik unvereinbar ist. Zwischen Autor und Interpret entfaltet sich auf personaler Ebene der hermeneutische Zirkel, der eine objektive Beobachterposition nicht zuläßt und nicht vorsieht. So unterschiedlich die hermeneutischen Positionen von Schleiermacher bis Gadamer sein mögen, so ist ihnen doch das Beharren auf einer Interpretationsleistung des Hermeneuten gemeinsam, vor deren Autorität die Problematik einer Objektkonstitution nicht in Betracht kommt. Der Leser als Mitkonstituente der Methodologie bleibt hier außer Betracht.

(2) Der Strukturalismus verlagert den methodischen/methodologischen Schwerpunkt vom Autorpol zum Textpol. Durch die Operationalisierung der Texterfassung und -beschreibung 19 war es nicht mehr notwendig, auf die Instanz der Autorintention 20 und das Medium der Horizontverschmelzung im Gespräch 21 zurückzugreifen. Die Voraussetzung der vollständigen Decodierbarkeit des Textes auf der Grundlage einer allumfassenden, aber rekonstruierbaren semantischen Kompetenz manifestiert sich bei Titzmann im Konzept eines idealen Lesers. 22 Durch diese Idealisierung wird der Textpol absolut gesetzt. Das soll den Anspruch der Verobjektivierbarkeit der Objektkonstitution und damit den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit rechtfertigen.

(3) Aus der Sicht der Rezeptionsästhetik erscheinen beide Positionen wechselseitig defizitär. Für Jauß wurde dieses Defizit an der Literaturgeschichte offensichtlich. Seine Provokation 23 bestand darin, den Leser als Movens von Literaturgeschichte in den Ausprägungen des Lesepublikums oder des kreativen Autor-Lesers an der Perspektive des Erwartungshorizonts als Mitkonstituente in eine literaturwissenschaftliche Position eingeführt zu haben. Auch wenn Jauß diesen Entwurf zum Paradigmawechsel erklärt, der sich nicht zuletzt durch eine "Verknüpfung strukturaler und hermeneutischer Methoden" 24 ergibt, bleibt er der hermeneutischen Tradition verhaftet. Isers Konzept der Appellstruktur der Texte 25 geht auf Ingarden zurück. Die Unbestimmtheit, die sich aus der Unmöglichkeit einer Kongruenz zwischen Text und Welt ergibt, erscheint im Text als Leerstelle zwischen schematisierten Ansichten. Auf ihr beruht die Sinnkonstitution des Lesers in einem ungeklärten Verhältnis von Freiheit und Konditionierung. 26 Während der Leser bei Jauß als Lesepublikum oder als kreativer Autor-Leser auftritt, über den der Erwartungshorizont immer noch hermeneutisch zu rekonstruieren ist 27, ist der Leser bei Iser eine strukturellen Strategie des Textes; er ist als 'impliziter Leser' 28 dem Text eingeschrieben. Von einem Paradigmawechsel läßt sich hier insofern sprechen, als mit dem Leser, noch unabhängig von seiner theoretischen Konzeption, zentrale und miteinander korrelierte Konstitutionsmomente einer vorgängigen hermeneutischen wie strukturalen Position zumindest zur Disposition gestellt werden: die Idee der Adäquatheit literaturwissenschaftlichen Umgangs mit Texten (die Idee der 'richtigen' Interpretation), die Textimmanenz, die Signifikanz von Texten.

(4) Im Umfeld des Poststrukturalismus und der Dekonstruktion läßt sich am Leser und am Lesen der Primat des Signifikanten vor dem Signifikat konkretisieren. Bei Barthes ist es ein subversives, anarchisches Moment, das der Leser bei der Lektüre hedonistisch auslebt ("die Lust am Text" 29) und das ihn selbst in die Rolle des Produzenten eines schreibbaren Textes (texte scriptible) 30 erhebt, aber eine wissenschaftliche Institutionalisierung ausschließt. 31 Bei Paul de Man führt die Lektüre aufgrund der rhetorischen Dimension der Sprache, wie sie in literarischen Texten exponiert zum Ausdruck kommt, zu einer selbstreferentiellen Allegorie der Lesbarkeit bzw. zur Aporie der Lesbarkeit als Unlesbarkeit 32. Lesbarkeit bzw. Unlesbarkeit sind den Texten eingeschrieben. Während Iser das Verhältnis von Freiheit und Konditionierung des Lesers dialektisch zu denken versucht, ist es bei diesen beiden Positionen aufgrund einer Sprachkonzeption mit problematisch gewordener Signifikanz in die eine (Lust) oder andere Richtung (Unlesbarkeit) radikalisiert worden. Der Leser ist hierbei als das theoretische Korrelat dieser Sprachkonzeption aufzufassen. 33

(5) Die emprische Literaturwissenschaft (Groeben, Schmidt) erhebt wie der Strukturalismus einen expliziten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit 34, die mit einer Diagnose von Krisensymptomen der Literaturwissenschaft und einer Hermeneutik-Kritik 35 verbunden wird. Die Empirisierung bedeutet eine Radikalisierung gegenüber der Rezeptionsästhetik in mehrfacher Hinsicht, durch die der von Jauß reklamierte Paradigmawechsel noch einmal überboten werden soll. 36 Gegenüber der Rezeptionsästhetik, die hier in der Methodensukzession eine Vorläuferposition einnimmt, wird der Leser nicht als abtrakte, textuelle, sondern nunmehr als konkrete, empirische Größe betrachtet. Die Objektkonstitution des Textes durch den Leser in einem möglichen Verstehensakt gilt nicht mehr als ein vom empirischen Programm her nachvollziehbarer methodischer Prozeß, sondern wird selbst zum Objekt. 37 Hatte Jauß noch gefordert, "der Literarhistoriker muß selbst immer erst wieder zum Leser werden" 38, wird nun strikt zwischen Rezeption und Interpretation 39 getrennt, um eine hermeneutische "Subjekt-Objekt-Konfundierung" 40 auszuschließen. Auf der methodischen Ebene kommt es daher zu einer völlig veränderten Objektkonstitution, wie sie an dem veränderten Interpretationsbegriff ablesbar ist: "Interpretation ist dann Erklären des Textverstehens" 41. Die literaturwissenschaftliche Rede spricht nicht mehr von Texten, sondern von der Erfassung von Texten durch Leser. Durch die Aufgabe dieser Textimmanenz tritt der Text nur noch als Kommunikat in verbalisierter Form 42 in Erscheinung. Die Rede vom Paradigmawechsel rechtfertigt sich hier über eine nicht mehr modifizierte, sondern gänzlich andere Objektkonstitution. Die ursprüngliche (hermeneutische) Konzeption der (richtigen) Interpretation wird nur noch als komplexe Verarbeitungsoperation betrachtet. Sie wird also durch den Wechsel auf die Metaebene der empirischen Untersuchung von Interpretation (in einem kleinen Ausschnitt aus dem Feld möglicher kommunikativer Handlungen 43) substituiert. Darin kommt auch die Absetzbewegung zur Hermeneutik und allen anderen textimmanenten Positionen zum Ausdruck: Empirische Konkretisationserhebungen fungieren nicht mehr als Ergänzung einer textimmanenten Interpretation, sondern als texttranszendente Abkehr. 44

Die interne Entwicklung der empirischen Konzeption in Richtung auf konstruktivistische Erweiterungen läßt sich an der Absetzbewegung zu textimmanenten (Mit-)Konstituenten literaturwissenschaftlicher Objekte ablesen: zur Idee einer autonomen Signifikanz des Textes (der 'Werk-Sinn' der Hermeneutik), zur objektiven Rekonstruierbarkeit der Signifikanz des Textes (die 'Struktur' des Strukturalismus) oder zur Berücksichtigung des Textfaktors in der empirischen Literaturwissenschaft 45. Die Konkretisation des Textes wird zunehmend als "aktiver, konstruktiver Prozeß im kognitiven Bereich von Rezipienten" 46, als eigene Wirklichkeitskonstitution und -konstruktion durch die Literatur 47 charakterisiert.

Die Objektkonstitution ist zwischen den Kategorien von Textimmanenz und Texttranszendenz zu situieren, die damit die eigentlichen literaturwissenschaftlichen Paradigmen darstellen. Zwischen diesen Polen entfaltet sich das Methodenspektrum auf einer skalaren Schiene der Textimmanenz. Der Strukturalismus ist am stärksten textimmanent ausgerichtet, die Hermeneutik bezieht den Interpreten und den Autor mit ein 48, die Rezeptionsästhetik stützt sich auf den impliziten Leser im Text, der Poststrukturalismus destruiert Textimmanenz durch die Entgrenzung des Textbegriffs und die empirische Literaturwissenschaft substituiert den Text durch seine Verarbeitung. Während die Sinnkonstitution im Strukturalismus eine semantische Funktion des Textes, in der Hermeneutik eine Verstehensleistung des Interpreten, in der Rezeptionsästhetik als Konkretisation ein Akt des impliziten Lesers ist, ist sie in der empirischen Literaturwissenschaft als Textverarbeitung im Rahmen einer Handlungsrolle verobjektiviert 49. Die Skala erstreckt sich von der uneingeschränkten Dominanz des Textpols 50 bis zu seiner vollständigen Abwertung in der radikal konstruktivistischen empirischen Literaturwissenschaft 51.

Die Differenzierung von Analyse und Interpretation bedeutet einen Rückgang auf eine textimmanente Position. Das scheint zugleich einen Rückfall hinter das bereits durch Rezeptionsästhetik, Poststrukturalismus und empirische Literaturwissenschaft erreichte Diskussionsniveau zu bedeuten.

(1) Zum einen scheint hier der Anspruch auf die Autonomie des Textes wieder erhoben zu werden. (2) Zum anderen ist man gleichzeitig wieder mit zwei grundsätzlichen Problmen konfrontiert, die bereits in den genannten Positionen verarbeitet waren: (a) die Polyvalenz der Texte, die Nicht-Determinierbarkeit der Lektüre und der daran anschließenden kommunikativen Verarbeitungshandlungen (aus empirischer Sicht) bzw. das unabschließbare Signifikantenspiel auf dem Felde des entgrenzten Textbegriffs (aus poststrukturalistsischer Sicht 52), (b) die Subjekt-Objekt-Konfundierung, wie sie erst im empirischen Rahmen für die Hermeneutik dargelegt wurde. 53

Die Kooperation der beiden Konzepte Analyse und Interpretation stellt hingegen für diese Probleme einen Lösungsansatz eigener Art im textimmanenten Bereich dar. (1) Sie versucht zwischen den Extrempositionen, der völligen und autonomen Determiniertheit textueller Signifikanz und Sinnkonstitution (Strukturalismus/Hermeneutik), der völligen Nicht-Determinierbarkeit des Textes (z.B. Derrida), der uneingeschränkten Freiheit des Lesers (z.B. Barthes) und der Unmöglichkeit eines wissenschaftlich zu exponierenden Verarbeitungsoperationstyps (Schmidt 54) zu vermitteln. Erst die Rückkoppelung der Freiheit an die Konditionierung, der Sinnkonstitution an die (semantischen) Gegebenheiten des Textes erlaubt die Einschränkung der Möglichkeiten, bzw. - um mit Eco zu sprechen - erst die "Verteidigung des wörtlichen Sinnes" erlaubt die "Falsifizierung der Fehlinterpretation" 55. Insofern gilt auch hier die Fragestellung Ecos, die für seine Auseinandersetzung mit Interpretationspraxis und -verfahren bestimmend war 56, als Leitgedanke: "wie ein Kunstwerk einerseits eine freie interpretierende Beteiligung von seinen Empfängern fordert, auf der anderen Seite aber strukturale Charakteristika aufweisen könne, die insgesamt die Ordnung dieser Interpretation regulierten und stimulierten" 57. Die Problematik dieser Pole wird hier durch die Kooperation von Analyse und Interpretation umgangen.

(2a) Ecos Antwort darauf, einen Modell-Leser auf semiotischer Basis, einen "Lector in Fabula" anzunehmen, der als Textstrategie bereits im Text angelegt ist, wird hier eine noch stärker textimmanent fundierte Alternative entgegengestellt. Analyse und Interpretation werden kooperativ verbunden, damit die Analyse die semantischen Textdaten so weit strukturiert aufbereiten kann, daß die Möglichkeiten des interpretativen Spielraums ohne Rekurs auf ein Leser-Konzept abgesteckt werden können. Das Problem der Polyvalenz wird dadurch umgangen, daß der Schwerpunkt auf jene feststehenden und rekonstruierbaren semantischen Daten gelegt wird, auf denen Polyvalenz überhaupt erst entstehen kann.

(2b) Die Subjekt-Objekt-Konfundierung ist hier als Überlagerung der methodologischen Objektkonstitution durch die Objektkonstitution des Textes im Vollzug der Lektüre/Rezeption aufgefaßt worden. Auch hier erlaubt es die Kooperation, zwischen objektiver Vorgabe (Analyse) und subjektiver Eigenleistung (Interpretation) so zu differenzieren, daß hier Rezeption und Interpretation, Leser und Literaturwissenschaftler nicht kollidieren.

Das hier skizzierte Methodenspektrum sollte deutlich machen, daß alle Positionen als Reaktionen auf Defizite aufzufassen sind, wobei jede Defizitauffüllung mit einem anderen Defizit einhergeht. Insofern reihen sich auch die empirischen Positionen in den "Gänsemarsch von 'Interpretationsrichtungen'" 58 ein. Daß dabei Defizite aufgefüllt worden sind, mit denen man durch einen Rückgang auf eine textimmanente Position wieder konfrontiert ist, soll nicht bestritten werden. Durch die Kooperation von zwei verschiedenen textimmanenten Positionen soll zum einen ein textimmanenter Defizitausgleich stattfinden; darüber hinaus soll aber auch das Defizit, das eine empirische Position ihrerseits wieder entstehen läßt, umgangen werden.

Das Defizit des texttranszendenten Empirisierungsprogramms liegt in der Abkehr von der Rede über Texte. Tatsächlich erkennt Schmidt dieses "Bedürfnis zu interpretieren" 59 an, doch in der empirischen Konzeption bleibt es, da es wissenschaftlich nicht mehr einlösbar ist, unerfüllt. Tatsächlich ist dieses Bedürfnis nicht individuell und subjektiv zu erfüllen, weil ihm der Anspruch einer intersubjektiven Vermittlung potentiell inhärent ist. Die Rede über Literatur muß sich auch als 'geordnete Rede über Literatur' 60 realisieren können, d.h. sie muß einen intersubjektiven Geltungsanspruch erheben und einlösen.

Um also eine textimmanente Rede unter diesen Vorgaben realisieren zu können, gleichzeitig aber auch den damit verbundenen Defiziten, wie sie durch die empirischen Positionen erst deutlich gemacht wurden, zu begegnen, sollen hier zwei verschiedenen textimmanente Positionen kooperativ miteinander verbunden werden. Dazu ist es zunächst notwendig, sich mit den Defiziten einer textimmanent-strukturalen Position der Analyse 61 kritisch auseinanderzusetzen, um dann die kooperative Erweiterung über die Interpretation anzuschließen. Die Kooperation innerhalb des textimmanenten Bereichs soll also zu einem weitestgehenden Defizitausgleich führen, um dadurch mit demselben Wissenschaftlichkeitsanspruch als Alternative zur Metaposition der Empirisierung auftreten zu können.


4. Analyse und Interpretation
als Umgangsformen mit Texten

Zunächst sollen noch vor jeder methodologischen Reflexion Möglichkeiten phänomenal beschrieben werden, wie man mit Texten textimmanent umgehen, sich mit ihnen beschäftigen, sie - in der technischen Ausdrucksweise - zu intentionalen Objekten machen kann, und inwieweit die Begriffe von "Analyse" und "Interpretation" zu einer Klassifizierung beitragen können.

Intentionalität bedeutet hier, daß Texte als solche nicht unmittelbar gegeben und daher der Wahrnehmung unmittelbar zugänglich sind, sondern erst einem bewußten und zielgerichteten Verfahren der Erfassung zugeführt werden müssen. Texte als sprachliche Gebilde bestehen materialiter aus einer Reihe von Zeichenkörpern, die erst im Akt der Lektüre decodiert werden müssen. Die Decodierung der Zeichenkörper, aus denen der Text besteht, ist also die grundsätzlichste Form der Texterfassung, wie sie von den Texten selbst evoziert wird. Ihnen ist die Disposition bereits 'eingeschrieben', zu intentionalen Objekten gemacht, d.h. gelesen zu werden. Texte sind also grundlegend als semantische Komplexe zu beschreiben.

Die Lektüre ist somit zunächst eine re-produktive Aktion, indem sie die Bedeutungen der Zeichen rekapituliert, miteinander verknüpft und versucht, sie in ein konsistentes und kohärentes System der Textbedeutung zu bringen. Eine Zeichenfolge (von Buchstaben) als ein Wort mit einer Bedeutung erkennen und verstehen, kann bereits als Akt einer Interpretation verstanden werden. 62 Grundlage hierfür ist die Sprachkompetenz, wie sie die Lektüre voraussetzt. Sie ist die Leitlinie der Lektüre, die auf dieser Stufe streng regelgeleitet und nicht kreativ ist. Diese 'Selbstverständlichkeit' wird meist erst dann erschüttert, wenn man es mit Texten zu tun hat, deren Sprache man nicht versteht.

Die Lektüre beschränkt sich nicht auf diese primäre Stufe der Decodierung. Vielmehr liefert ihr das nur die Grundlage, mit dem Text produktiv und kreativ zu verfahren. Damit ist im weitesten Umfang all das benannt, wodurch sich eine Lektüre auszeichnen kann, von den Assoziationen, die ein Leser bei der Lektüre haben kann, über seine hypothetische Auffüllung und Ergänzung zu Ambiguitäten, Vagheiten, Polysemien, Nullpositionen 63, Unbestimmtheitsstellen 64 im Text bis hin zu seinen Sinnentwürfen anhand des Textes.

All diesen Formen des Umgangs mit Texten ist ein Merkmal gemeinsam, das eine Grundstruktur des I n t e r p r e a t i o n s-Prädikates widerspiegelt. Der Übergang der Lektüre von der Decodierung zur Interpretation ist zugleich der Übergang vom Begriff der B e d e u t u n g zu dem des S i n n e s. Während die Bedeutung über den Text hinaus durch die Sprache festgelegt ist, ist der Sinn durch den Text immanent gegeben. Bedeutung zu eruieren, ist nur ein re-produktiver Akt in der Aktualisierung intersubjektiver Kompetenz. Sinn dagegen wird nicht eruiert, sondern produktiv konstruiert. Er ist das Produkt einer kreativen und subjektiven Verstehensleistung. Sinn als Entwurf und Verstehen als Sinn-Entwerfen sind die Konstitutionsmomente der Interpretation. Während Bedeutungen im semantischen Bereich unabhängig von ihrer Aktualisierung existieren, ist der Sinn identisch mit seiner Konstitution. Bedeutung ist ein empirisches, semantisches, intersubjektives Phänomen, Sinn ist ein metaphysisches 65, subjektives Phänomen.

Solche Sinnkonstitutionen produzieren, wenn sie fixiert werden, neue Texte. Diese Interpretationstexte referieren zwar auf ihre Ursprungstexte, doch die Relation zwischen beiden Texten läßt sich nur noch als Initiation, nicht mehr als Rekonstruktion beschreiben. 66 Etwas zu interpretieren schafft also die Relation zwischen zwei Texten, dem Interpretandum und dem Interpretans. Dieser als Verstehen firmierenden Interpretation liegt eine zweistellige Struktur zugrunde: etwas1 als etwas2 verstehen. Das Argument der zweiten Stelle wird als das Ergebnis des Verstehens der ersten Stelle, damit als der Sinn (etwas2) eines Textes (etwas1) ausgegeben. Eine grundsätzliche Kritik ist an der Relation dieser beiden Stellen zu üben. Während sich der Sinn als Wesensmerkmal eines Textes, garantiert vor allem durch die Autorintention, präsentiert, ist häufig nur eine mehr oder weniger willkürliche Übersetzung eines Textes in einen anderen Text vorgenommen worden. Dabei werden Elemente des ersten Textes im zweiten Text mit anderen Elementen identifiziert, ohne daß sich dafür eine Rechtfertigung angeben ließe. Die Übersetzung wird als Konstitution eines latenten Sinnes ausgegeben, so daß die Übersetzung als Sinn des Übersetzten fungiert. 67

Zu beachten ist hierbei, daß die Inanspruchnahme des Verstehens-Prädikates bereits terminologisch geprägt ist. Das interpretative Verstehen, das auf einen Sinnentwurf ausgerichtet ist, ist daher vom einem 'Bedeutung-Verstehen' zu unterscheiden, das auf die Kenntnis eines semantischen Gehaltes gerichtet ist. 68 Dieselbe Differenz findet man beim Begriff des Lesens und der Lektüre wieder. Auch 'Lesen' kann in dieser doppelten Bedeutung der semantischen Decodierung von Bedeutung und dem Entwurf von Sinn auftreten. Das bezieht sich auf genau jene Unterscheidung der Lektürestufen, die ich oben erwähnt habe.

Die A n a l y s e zeichnet sich im Gegensatz zur Interpretation gerade durch die Einstelligkeit des zentralen Prädikates aus. Die Analyse beschränkt sich auf die Rekonstruktion. Der Text bildet durch den Zusammenhang seiner Ausdrücke, Worte, Sätze, Zeichen usw. eine interne Ordnung und ein System aus, das er zumeist nicht oder nur im Ansatz selbst thematisiert und expliziert. Was einen Text zu einem System (Textur) macht, ist zwar Konstituens des Textes, aber nicht unbedingt sein Inhalt. Hier setzt die Analyse als Rekonstruktion an.

Während die Interpretation den Text erweitert, indem sie Aussagen formuliert, die im Text noch nicht enthalten waren, expliziert die Analyse lediglich Strukturen, die im Text bereits angelegt, aber selbst noch nicht expliziert sind. Wenn man den Text als einen topologischen Bereich möglicher und faktischer Aussagen ansieht, so verbleibt die Analyse in diesem Bereich, während die Interpretation diese Grenze überschreitet und die Aussagenmenge des Textes mit Aussagen erweitert, ergänzt und fortsetzt, die im Text noch nicht angelegt waren.

Bei der Analyse dominiert der Objektbezug, bei der Interpretation der Subjektbezug. Während bei der Analyse der Analysierende im Idealfall unberücksichtigt bleibt (weiter unten werde ich darauf eingehen, welche Probleme das aufwirft), konstituiert sich die Interpretation nicht allein durch den Text, sondern durch die 'verstehende' Interaktion zwischen Text und Interpret, weil erst in diesem Rahmen Sinnkonstitution möglich wird. Während sich die Analyse nach dem Text richtet, richtet die Interpretation den Text nach dem Sinn.

Die Differenz zwischen Analyse und Interpretation ist damit kongruent mit der Differenz von Bedeutung und Sinn und der Opposition von Nicht-Kreativität und Kreativität, von Textimmanenz und Texttranszendenz, von Objekt- und Subjektbezug. Wenn man zusätzlich den Gebrauch der Begriffe 'Lesen' und 'Verstehen' auf die beiden Bereiche spezifiziert, gelangt man zu der Formel: Die Analyse liest die Bedeutung (als Decodierung und Rekonstruktion), die Interpretation versteht den Sinn (als Entwurf). Hinzu kommt, daß Sinn als das Sinnvolle normativ konnotiert ist, was auf die Interpretation 'abfärbt'. In die Interpretation ist daher ein normatives Moment eingeschlossen, das Texte nach ihrer mehr oder weniger starken Sinnhaftigkeit bewertet. Demgegenüber bleibt die Analyse im Bereich der reinen Deskription von Bedeutung.

Analyse und Interpretation sind somit als zwei grundsätzliche Möglichkeiten, mit Texten umzugehen, phänomenologisch beschrieben. 69 Sie eröffnen damit zwei Perspektiven einer Antwort auf die Grundsatzfrage, wie ein sprachlich konstituiertes Objekt einem intentionalen Akt zugeführt werden kann, d.h. wie (und ob) die Intentionalität der Wissenschaft die Intentionalität der Lektüre zu berücksichtigen hat. Der Unterschied liegt hierbei darin, daß die Analyse in der Lektüre kein modifizierendes Mitkonstituens des Textes sieht, wohingegen die Interpretation Möglichkeiten der Lektüre-Intentionalität mit in die wissenschaftliche Intentionalität übernimmt. Es sind zwei Arten der sprachlichen Verarbeitung sprachlicher Objekte. Die Analyse geht von einer objektiven Lektüre als rein semantischer Decodierung aus, die es erlaubt, den Text lektüreunabhängig zu erfassen, wohingegen die Interpretation die Lektüre lediglich als einen Zwischenschritt in einer Dynamik ansieht, die beim Text ansetzt und zu Sinnentwürfen beim Leser tendiert. Was die Analyse aus der Betrachtung ausschließt, darauf richtet die Interpretation ihr Hauptaugenmerk: die kreative Intentionalität als Disposition des Textes. Die Analyse geht von einem abgeschlossenen und daher vollständig erfaßbaren Objekt aus, bei der Interpretation wird der Text erst durch ihren Vollzug abgeschlossen.

Gerade im Hinblick auf eine methodologische Rekonstruktion ist hier zu betonen, daß diese Gegenüberstellung a priori keineswegs axiologisch bestimmt ist. Die beiden Modelle gehen von unterschiedlichen Prämissen aus, negieren sich aber nicht gegenseitig. Eine Bewertungsmöglichkeit ergibt sich erst durch Einführung eines Maßstabs. Vordergründig ist Wissenschaftlichkeit eher dem Analysemodell, die Befriedigung eines Sinnbedürfnisses dem Interpretationsmodell zuzusprechen. Es zeigt sich aber bei genauerer Betrachtung, daß beide Modelle bezüglich beider Maßstäbe, wenn auch unterschiedlich, defizitär sind. Hierin liegt die Legitimation und der Ansatzpunkt für die hier vorzustellende Neukonzeption.


5. Welchen Anspruch
eine strukturalistische Position erhebt

Strukturale/strukturalistische 70 Verfahren realisieren ihren Umgang mit Texten cum grano salis in einem Modell, das ich hier als Analyse beschrieben habe, während die Interpretation als Praxis in der Hermeneutik, aber auch in veränderter Form im Dekonstruktivismus zu finden ist. Es geht hier nicht darum, verschiedene Methoden (Strukturalismus und Hermeneutik) gegeneinander auszuspielen oder sie zu synthetisieren, sondern eine kooperative Koordination der Modelle vorzustellen, die - anders als eine Synthetisierung - nicht Gefahr läuft, die methodische Systematisierung zu vernachlässigen oder zu verlieren.

Die Verschränkung von Strukturalismus und Hermeneutik ist nicht neu und besitzt unterschiedliche Prämissen und Ausprägungen. Im 'Konflikt der Interpretationen' versuchte bereits 1969 Ricoeur eine koordinierende Position einzunehmen und beide Methodologien direkt miteinander als "zwei ungleiche Ebenen" "ohne Eklektizismus" 71 zu verbinden:

keine strukturale Analyse [...] ohne ein hermeneutisches Verständnis der Sinnübertragung [...] auch kein hermeneutisches Verständnis ohne die Vermittlung einer Ökonomie, einer Ordnung, in deren Grenzen die Symbolik allein signifikativen Charakter enthält. 72
Auf der Grundlage der Hermeneutik Schleiermachers und ihres Textbegriffs zeichnet Frank die Skizze "einer integralen Methodologie der Literaturwissenschaft" 73, womit er deutsche (i.e. hermeneutische) und französische Positionen in eine kritische Auseinandersetzung bringen will. 74 Mit ihrer auf die Konzeption Schleiermachers zurückgehende Differenzierung in eine grammatische (oder strukturale) und eine technische (oder psychologische) Interpretation 75 ist sie für Frank "das noch immer aussichtsreichste Vermittlungsmodell" 76 zwischen dem Individuellen und dem Allgemeinen, zwischen Sinn und Signifikation, zwischen Sinnverstehen und dem "autonom sich formierenden Text" 77, zwischen dem Subjekt mit seiner Sinngebung und der subjektunabhängigen, universalen Bedeutung, zwischen Ordnung und Anarchie 78, zwischen dem Sagbaren und dem Unsagbaren 79. Zu dieser Debatte kann und soll der vorliegende Aufsatz keinen Beitrag leisten, da es hier nicht um die Integration der Gesamtkonzeptionen von Strukturalismus und Hermeneutik auf philologisch-philosophischer Basis geht, sondern nur um die Möglichkeit der Kooperation konkreter Schritte einer praktischen Textuntersuchung.

Aus diesem Grund liegen der Ausgangspunkt und das Augenmerk hier vor allem bei strukturalen Verfahren. Zwar scheint die Hermeneutik als Interpretationstheorie durch den dialogischen Charakter Text- und Leserbezogenheit miteinander zu vermitteln, aber eine Fundierung im Text ist nur bedingt und partiell möglich. Demgegenüber bieten strukturale Verfahren in der Analyse nicht nur ein ausbaufähiges Fundament in Richtung auf die Interpretation; ihr hohes Explikationsniveau in der Methodik bietet zudem auch noch ein Instrumentarium für diesen 'Ausbau'.

Strukturale Verfahren erheben einen expliziten Wissenschaftlichkeitsanspruch. Wenn eine vollständige Erfassung des Objektes durch die Analyse gewährleistet ist, hat das zur Konsequenz, daß der Interpretation mit ihrer Wissenschaftlichkeit zugleich ihr Eigenrecht und ihr Erkenntnisgewinn bestritten wird. Der Interpretationsbegriff wird vollständig unter den Analysebegriff subsumiert, so daß er gleichbedeutend ist, oder er wird getilgt. Interpretation bedeutet entweder dasselbe wie Analyse 80 oder gar nichts. Das ist eine deutliche Absetzung gegenüber der hermeneutischen Tradition.

(1) Damit wird implizit ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Diese Vollständigkeit ergibt sich allein daraus, daß durch die Anwendung eines methodischen Apparates alle Aussagen über einen Text formuliert werden können, die überhaupt in wissenschaftlicher Weise formulierbar sind. Was erfaßt werden kann, muß auch erfaßt werden. In diesem Sinne Aussagen über einen Text zu machen bedeutet, alle Aussagen, die der Text selbst macht, zu erfassen und zu reformulieren. Diese Reformulierung ist deswegen notwendig, weil die Aussagen des Textes zumeist transphrastischen Charakter 81 haben und erst durch eine Paraphrasierung gewonnen werden. Die Korrektheit bemißt sich dabei nach den semantischen Gegebenheiten des Textes. Darüber hinaus schließt diese Vollständigkeit auch alle daraus ableitbaren Aussagen mit ein. 82 Um sie garantieren zu können, muß daher allen Textdaten, also allen Elementen des Textes, die als solche überhaupt erfaßbar sind, Relevanz zugesprochen werden. 83 Weil es in der Praxis unmöglich ist, alle Textdaten zu erfassen, entsteht bereits hier das Problem der Datenselektion und ihrer Rechtfertigung. 84

(2) Weiterhin wird der Anspruch auf Systematizität erhoben. Grundlage hierfür ist, daß die Bedingungen der sprachlichen Konstitution des Textes - wie oben dargestellt - ernstgenommen und zur Maßgabe der Beschreibung gemacht werden. Nach Titzmann intendiert der Strukturalismus "die systematische Rekonstruktion der einem Objekt zugrundeliegenden Ordnungen" 85. Über Klassenbildung und Generalisierungen wird der Text als Ordnung beschrieben:

Textanalyse wäre im S.[trukturalismus; O.J.] nichts anderes als Rekonstruktion aller im Text semantisch relevanten Klassen und aller Relationen zwischen ihnen und der Menge aller aus dieser semantischen Ordnung logisch ableitbaren Folgerungen... 86
Die Ordnung des Textes beruht auf seiner Kontiguität. Dabei ist zu beachten, daß diese sich nicht allein auf sprachlicher, sondern auch auf thematischer oder narrativer Ebene realisiert. Während Elemente der sprachlichen Ebene durch Grammatik und Semantik vorgegeben sind, müssen narrative Elemente erst durch eine Methode eingeführt und definiert werden. Mit diesem Problem hat sich insbesondere die strukturale Erzähltheorie auseinandergesetzt. 87

(3) Eindeutigkeit ist der dritte Anspruch, der in direktem Zusammenhang mit den ersten beiden Ansprüchen steht. Wenn potentiell alle Textdaten erfaßt werden und die Erfassung selbst reglementiert ist, ist die Rekonstruktion auf eine Ordnung festgelegt. Differierende und konkurrierende Ordnungen würden dem Ordnungsbegriff selbst widersprechen. Alle Textdaten müssen aber erfaßt werden, weil sie alle im System des Textes qua System Relevanz besitzen. Eine Teilmenge unberücksichtigt zu lassen würde den Anspruch auf Eindeutigkeit unterlaufen. Auch Ambiguitäten, Vagheiten, Nullstellen und Unbestimmtheiten des Textes werden als solche beschrieben. Jedoch werden die Möglichkeiten, die sich der Lektüre daraus bieten, nicht als Möglichkeiten in die Analyse übernommen. Die Analyse erfaßt sie nur, nutzt sie aber nicht aus. Das setzt eine exakte Trennung von Objekt- und Metaebene voraus, die für strukturale Verfahren kennzeichnend und bestimmend ist.

Wo sich die Rezeptionsästhetik dieser Möglichkeiten annimmt, führt sie zwangsläufig zu divergierenden Ergebnissen in den Interpretationen. Wünsch bezeichnet das von strukturalistischer Seite aus als das "Basispostulat" der Rezeptionsästhetik. In negierter Form kann diese Auffassung als Basispostulat strukturaler Verfahren aufgestellt werden; demnach ist es ausgeschlossen,

"daß lit.wiss. Interpretationen desselben Textes in den Ergebnissen wesentlich divergieren könnten und daß die Möglichkeit solcher Divergenz auf strukturellen Merkmalen der literar. Texte selbst basiere" 88.
Vollständigkeit, Systematizität und Eindeutigkeit sind die konstitutiven Zielvorgaben eines strukturalen Verfahrens. Da sie sich in triadischer Relation gegenseitig bedingen, kann man von einem Gesamtanspruch ausgehen, den man als die Möglichkeit einer k o n s e q u e n t e n A n a l y s e bezeichnen kann. Eine Analyse in diesem Sinne durchzuführen bedeutet also, sie nach diesem Anspruch konsequent durchzuführen. 89 Unabhängig von einzelnen Fragestellungen ist eine umfassende Rekonstruktion des Textes intendiert. Sie muß zumindest potentiell abschließbar sein, da sich nur so der Anspruch aufrechterhalten läßt.


6. Wie der Anspruch das strukturale Verfahren charakterisiert

Anspruch und Erfüllung sind in den konstitutiven Charakteristika der Analyse aufeinander bezogen. Mit dem Anspruch ist zugleich die Realisierungsvoraussetzung und -möglichkeit der Analyse gegeben: im Charakter der Rekonstruktion, im Strukturbegriff, im Textbegriff, in der Umsetzung als Methode. Der grundsätzliche Charakter der Analyse ist der der Rekonstruktion. Damit ist eine Nicht-Kreativität gegenüber dem analysierten Objekt im Gegensatz zu Interpretationsmodellen impliziert.

Elementarer Gegenstand der Rekonstruktion ist das, was der zentrale Begriff der Struktur benennt. Die Struktur ist in ihrer allgemeinsten Form ein identifizierbares Textphänomen auf semantischer bzw. semantisch relevanter Ebene, das einen Komplex aus mindestens zwei Elementen und den Relationen zwischen den Elementen darstellt. Herausragendes Merkmal des Strukturbegriffs ist es, daß er auf Textphänomene unterschiedlicher Komplexität angewendet und daher auf jeder Ebene als Beschreibungskategorie eingesetzt werden kann. 90

Die Analyse betrachtet den Text als komplexe Menge bzw. als System von semantischen Strukturen. Gemäß der sprachlichen, d.h. der semantischen Objektkonstitution ist Analyse mit semantischer Analyse im hier skizzierten Sinn gleichzusetzen. Insofern sind Formalia (z.B. die Metrik) nur insoweit relevant (z.B. in der Lyrik-Analyse), als sie zur Semantisierung beitragen. 91 Das Potential der Lektüre als Bandbreite verschiedener Decodierungsmöglichkeiten kann durch die semantische Analyse des Textes abgesteckt werden. Diese Möglichkeiten der Lektüre finden da ihre Grenze, wo die Erfaßbarkeit der Semantik selbst endet. Doch innerhalb dieser Grenze liegt ein Hauptaugenmerk auf der Fähigkeit von Texten, eigene Bedeutungen zu generieren und über diese eine eigene Form von Realität zu etablieren. Der Text wird daher als ein "sekundäres modellbildendes System" 92 aufgefaßt: sekundär, weil er die Sprache als primäre Ebene als Material benutzt und nach ihrem Typ restrukturiert, modellhaft, weil er Realität nicht mimetisch, sondern in einer komplexen Abbildungsrelation neu entwirft. Damit ist bereits ein Zweischichtenmodell des Textes impliziert, das eine grundlegend semantische Ebene der Beschreibung von einer der Konstruktionen aus dieser Semantik unterscheidet. Diese zweite Ebene umfaßt alles, was sich auf der Grundlage der semantischen Textanalyse an komplexen Strukturen, z.B. im narrativen Bereich, anschließt. Die Unterscheidung führt daher zu einer Ausdifferenzierung der Theorieelemente in eine strukturale Textanalyse im engeren Sinn (sTA) und einer strukturalen Erzähltheorie (SET). 93,94 Für die Neukonzeption einer Textanalyse im weiteren Sinne wird dieses Modell genauer differenziert werden müssen.

Das 'Was' der Beschreibung wirkt sich mit seinem Anspruch auf das 'Wie' aus. Die Anwendung des Analyseverfahrens wird daher nicht nur reglementiert, sondern die Reglementierung wird selbst Teil der Anwendung:

Das Nebeneinander von Analyse konkreter Texte und theoretisch-methodologischen Überlegungen in derselben Arbeit oder in verschiedenen Arbeiten ist für den S.[trukturalismus; O.J.] konstitutiv. 95
Da in der Objektkonstitution Objekt und Erfassung sich gegenseitig bedingen, ist eine explizite Kontrolle unumgänglich. Diese wird durch die Reglementierung in Form eines methodischen Apparates gewährleistet. Er erlaubt es nicht nur, Aussagen über den Text zu produzieren, sondern auch gleichzeitig zu überprüfen. Er gewährleistet die Rekonstruktion ebenso wie ihre Überprüfbarkeit und gegebenenfalls eine Kritik der Ergebnisse. Von der konsequenten Anwendung der Methode auf den Text hängt eine adäquate Rekonstruktion ab. Die Voraussetzung dafür liegt in einem Ansatzpunkt, wie ihn der Textbegriff darstellt. Nicht beim subjektiven Sinn eines Autors, sondern bei den intersubjektiven Bedeutungen eines Sprachsystems im Text setzt die Methode an. Die Explikation der Methode leistet damit eine Kontrollfunktion, die einen hermeneutischen Zirkel 96 verhindert. In idealer Weise würde die Methode ihre Anwendung, ihre Darstellung und ihre Kritik zusammenführen und vereinen.

Die Frage, wie der Apparat diese Reglementierung vollbringt, kann ex positivo und ex negativo beantwortet werden.

(1) Auf der einen Seite besteht er ex positivo in einer Reihe von Verfahrensvorschriften, die bestimmte Prozeduren benennen und initiieren, mit denen ein Text in die Analyse überführt wird. Titzmann spricht hier vom Traum eines "idealen [...] Ziel[s] eines Interpretationsalgorithmus" 97. Die Anwendung der Methode auf einen Text bringt die Analyse als Satzfolge von Aussagen über den Text hervor, was symbolisch wie eine mathematische Funktion ausgedrückt werden kann:

MA(T) = A

Die Analysemethode MA ist die Funktion, in die das Argument des Textes (T) eingesetzt wird und damit die Analyse (A) als Wert ergibt. Diese Idee ist ein charakteristisches Kennzeichen des Strukturalismus, der als eine Tätigkeit im Sinne dieser geregelten methodischen Anwendung beschrieben wird:

Der Strukturalismus ist [...] im wesentlichen eine Tätigkeit, das heißt die gereglte Aufeinanderfolge einer bestimmten Anzahl geistiger Operationen: man könnte von strukturalistischer Tätigkeit sprechen... 98
Die Grundoperationen sind auf die Strukturen von Opposition und Äquivalenz ausgerichtet; sie bestehen im Segmentieren, Vergleichen, Klassifizieren 99, generell im 'Auseinandernehmen' (daher der analytische Charakter des Strukturalismus) und 'Zusammensetzen'.

Dieser Algorithmus stellt eine Idealkonzeption dar, die in der Praxis nur sehr partiell realisierbar ist. Er berücksichtigt nicht, daß bereits bei der ersten Erfassung von Textdaten aus einer unüberschaubaren Fülle intuitiv selegiert wird und Textmodelle daher in der textanalytischen Praxis notwendigerweise über heuristische Verfahren gefunden statt durch Deduktion rein logisch abgeleitet 100 werden.

(2) Realistischer ist auf der anderen Seite eine Bestimmung ex negativo dieses Apparates als eine Menge von "Interpretationsregeln" 101, die die Menge der möglichen Aussagen über einen Text reduzieren, indem sie legitimierbare Aussagen von nicht-legitimierbaren abgrenzen und letztere von der Textanalyse ausschließen. Damit werden heuristische Modelle a posteriori auf ihre Tragfähigkeit überprüft. Nicht die problematische Ableitung legitimiert das Modell, sondern die Ableitbarkeit von Aussagen aus dem Modell.


7. Die Leistungsfähigkeit
der analytisch-strukturalen Methode

Mit der Methode ist ein wichtiger Aspekt der Leistungsfähigkeit eines strukturalen Analysemodells angesprochen. Sie ist nicht nur ein Medium der Produktion von Aussagen über Texte, sondern auch eine Grenzziehung, durch die sie andere Aussagen aus der Analyse und damit aus diesem Umgang mit Texten ausschließt. Wenn also die Methode zugleich eine Bedingung der Erfüllbarkeit des Anspruchs auf eine konsequente Analyse ist, in dem der Anspruch auf Vollständigkeit inkludiert ist, sie aber andererseits auch dazu dient, Aussagen auszuschließen, dann muß Vollständigkeit spezifisch relativiert werden. Vollständigkeit bezieht sich daher nur auf legitimierbare Aussagen und die Legitimationsinstanz ist der Text. Die Legitimierung ist selbst wiederum eine Angelegenheit der Methode. Die Erfüllung des Vollständigkeitsanspruchs scheint hier selbst einer zirkulären Struktur anheimzufallen. Der Begriff der Vollständigkeit wird an die methodische Erfaßbarkeit gekoppelt und damit bedeutungsleer. Um dem zu entgehen, wäre eine Klärung all jener in diesem Zusammenhang involvierten Begriffe wie "Aussagen über Texte", "Vollständigkeit", "Legitimation" notwendig. In der Folge davon könnte man nicht umhin, Begriffe dezisionistisch festzulegen, wie man es am Beispiel der "ableitbaren Proposition" 102 ablesen kann.

Das Problem, das hier auftritt, ist das Problem der Erfüllbarkeit des Anspruchs auf eine konsequente Analyse. Die Menge der Aussagen, die mittels dieser Methode des strukturalen Verfahrens über einen Text zu formulieren sind, ist nur eine Teilmenge aller Aussagen, die insgesamt zu machen sind. Es gibt Aussagen über den Text, die damit nicht erfaßt werden, selbst wenn man als Aussagen über den Text nur solche bestimmt, deren propositionaler Gehalt sich ausschließlich auf den Text bezieht, die also in einem weiteren Sinn zur Beschreibung des Textes zumindest optional dazugehören.

Die Grundlage dieses Problems wurde bereits bei der phänomenalen Beschreibung der Lektüre offenkundig. Die Analyse beruft sich auf ein restriktives Modell der Lektüre. Diese Restriktionen betreffen die Grenzziehung zwischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Lesens. Wenn man letztere als Konnotation bezeichnet 103, kann man sagen, daß sich die Analyse nur auf eine denotative Lektüre stützt, also (nach Barthes) nur auf den lesbaren, nicht 'schreibbaren' Text 104 und insofern restriktiv ist. Diese Möglichkeiten sind aber selbst noch einmal Teil des Textes, sofern sie ausschließlich im Text selbst angelegt sind. Insofern sind Aussagen über diese Möglichkeiten zugleich Aussagen über den Text. Vollständig wäre eine Analyse nur dann, wenn sie diese Aussagen miterfassen könnte. Aufgrund der Konstitutionsbedingungen des struktural-analytischen Verfahrens ist das aber unmöglich.

Es bleibt festzuhalten: Der Anspruch auf eine konsequente Analyse, der den Anspruch auf Vollständigkeit unabdingbar miteinschließt, ist in diesem Verfahren nicht einlösbar. Die Leistungsfähigkeit der Analyse reicht nur so weit, wie man analytisch vorgehen kann, d.h. wie ein Text durch ein struktural-analytisches Verfahren unter der skizzierten Realisierungsvoraussetzung und -möglichkeit zu beschreiben ist.


8. Was tun?
Wie man einer defizitären Position begegnet

Die Analyse ist durch eine Grenzziehung, die konstitutiv in ihrem Verfahren selbst angelegt ist, defizitär. Deutlicher Ausdruck dafür ist die Koexistenz der Begriffe von Analyse und Interpretation, ohne daß dem die Koexistenz zweier Verfahren entsprechen würde. In dieser Konzeption bleiben alle Aussagen ausgeschlossen, die nicht analytisch zu gewinnen sind. Es gibt drei Möglichkeiten, diesem Defizit zu begegnen.

(1) Man beschränkt sich auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit. Sie kann als 'orthodox strukturalistisch' bezeichnet werden. Da hier die Möglichkeit, Aussagen über die Analyse hinaus machen zu können, gar nicht in Betracht gezogen wird, wird ein Defizit entweder nicht konstatiert oder als solches bestritten. Eine Erweiterung des Verfahrens wird nicht in Erwägung gezogen. Sie würde von diesem Standpunkt aus nur ein 'Abrutschen' in die Unwissenschaftlichkeit sein. Eine solche Position beruht darauf, Wissenschaftlichkeit nur an den Anforderungen von Wissenschaftsstandards, nicht aber an den Bedürfnissen, deren potentielle Erfüllung den Objekten inhärent ist, zu bestimmen. Gerade bei Texten, die Objekte darstellen, denen diese Disposition, wie oben ausgeführt, eingeschrieben ist, müßte dieses Defizit bewußt gemacht und besonders ernst genommen werden.

(2) Die weitere Möglichkeit besteht in der unreflektierten Überschreitung der durch die Analyse gezogenen Grenze. Aussagen, die nicht mehr aus dem Text ableitbar sind, werden in die Analyse integriert, ohne daß sie als solche kenntlich gemacht werden. Damit wird ein unmerklicher Übergang zur Textadaption 105 oder zur Spekulation über den Text vollzogen. Ein Defizit wird durch ein anderes ersetzt, weil die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Aussagen verloren geht.

(3) Die letzte Möglichkeit besteht in einer ergänzenden Erweiterung des analytischen Modells. Der letzte Teil dieses Aufsatzes soll einen solchen Vorschlag ausführen. In den bisherigen Überlegungen habe ich versucht, die Ausgangslage, wie sie durch die Analyse gegeben ist, zu skizzieren. An diesem Punkt nun stellt sich die Frage, wie nun eine konsequente Analyse durchzuführen, wie das Defizit der Analyse zu überwinden, wie nicht-analytische Aussagen in eine literaturwissenschaftliche Konzeption zu integrieren sind, wie also Literaturwissenschaft zwischen den Gegebenheiten des Textes und den Möglichkeiten der Lektüre zu betreiben ist, ohne den Wissenschaftlichkeitsanspruch auf der einen Seite und ohne das Potential des Textes, solche Aussagen zu evozieren, auf der anderen Seite außer acht zu lassen.

Wenn die Analyse selbst nicht erweiterbar ist, kann diese Frage textimmanent nur durch eine Konzeption beantwortet werden, die die Analyse erweitert. Die Analyse gänzlich durch ein anderes Modell zu ersetzen, hilft nicht weiter, weil damit das, was durch die Analyse geleistet werden kann, aufgegeben wird. Die Ergänzung muß sich also an die Analyse anschließen und auf dieser Grundlage ihr Defizit auffüllen. Eine solche Konzeption kann nur in einem Kooperationsmodell von Analyse und Interpretation bestehen. Was hier mit Interpretation gemeint ist, greift in modifizierter Form auf das Modell des Umgangs mit Texten zurück, das ich oben skizziert und mit Interpretation benannt habe. Wesentlich bezieht sich die Modifikation darauf, daß die beiden Modelle nicht als Alternativen nebeneinander gestellt werden, sondern in einem Zweistufenmodell die Interpretation der Analyse nachgeordnet wird. Zu diesem Zweck ist es zunächst vonnöten, die Analyse als die Grundstufe in ausdifferenzierter Form darzustellen, um somit Anschlußmöglichkeiten bestimmen zu können.


9. Metatheoretische Überlegungen

Bevor man an die Beantwortung der Frage nach einer konsequenten Analyse geht, soll im Sinne einer Vorklärung der metatheoretische Status dieser Ausführungen bestimmt werden, um jede Aussageebene bezüglich ihrer jeweiligen Objektebene exakt spezifizieren zu können.

Eine Textanalyse macht Aussagen über Texte. Sie ist die Metaebene erster Stufe zu einer Objektebene erster Stufe. Diese erste Stufe bildet den Zusammenhang, in dem sich Literaturwissenschaft realisiert. Die Methodik als Aussage über die Realisierungsform der Literaturwissenschaft ist eine Metaebene zweiter Stufe zur Objektebene der Literaturwissenschaft auf zweiter Stufe. Wiederum kann der Zusammenhang der zweiten Stufe als Objektebene einer dritten Stufe, der der Methodologie, angesehen werden. Die metamethodologischen Überlegungen als Metaebene dritter Stufe bilden mit der Objektebene der Methodologie den Gesamtzusammenhang der Grundlagendiskussion der Literaturwissenschaft. Die Beantwortung der Frage nach einer konsequenten Analyse in der Darstellung eines Kooperationsmodells ist eine Aufgabe der Methodik und daher auf der Metaebene zweiter Stufe situiert. Die Ausführungen zur Klärung der Beantwortungsvorgaben und -möglichkeiten (die Autoreflexion sei erlaubt; sie führt nicht zu einer weiteren Metaebene) bilden eine Metabene dritter Stufe.


10. Literaturwissenschaftlicher Fragenkomplex und das Verhältnis von Textbegriff und Methode

Die Charakterisierung des strukturalen Verfahrens hat auf methodologischer Ebene bereits gezeigt, daß die Frage nach einer konsequenten Analyse nur eine Initialfrage ist, die zu einem Gesamtkomplex von Fragen zu entfalten ist. Deren Beantwortung ist in wechselseitiger Bezugnahme und Bedingung für eine literaturwissenschaftliche Konzeption insgesamt bestimmend. Die Qualität einer Konzeption kann danach bemessen werden, inwieweit diese Fragen nur implizit berührt oder explizit thematisiert werden, d.h. inwieweit die Metaebene zweiter Stufe, die Methodik, expliziert ist. Als Resümee stellen sich auf metamethodologischer Ebene literaturwissenschaftlichen Grundsatzfragen, die methodisch/methodologisch zu beantworten sind:

(1) Zuerst gilt es, eine Konzeption nicht nur literaturwissenschaftlich zu nennen, sondern diesen Anspruch zu explizieren. Die Frage nach der Literaturwissenschaft spaltet sich in die Bereiche des Objektes und seiner Behandlung, also in die Fragen:

(1a) Was ist Literatur? und:

(1b) Was ist Wissenschaft?

Die erste Frage kann man kommunikations- oder systemtheoretisch so beantworten, daß man Literatur durch das sie umgebende System definiert, in dem sie als ein (wenn auch komplexes) Element zirkuliert. Man kann sie auch so beantworten, daß man jene Elemente benennt, die die Literatur selbst zu einem System machen. Dieser Möglichkeit liegt ein Textbegriff zugrunde, so daß die Frage lautet:

(1c) Was ist ein Text?

Die Frage nach der Wissenschaft impliziert die Frage nach dem Verfahren, wie Wissenschaft konkret betrieben wird. So kommt man hier zu der Frage:

(1d) Was ist eine bzw. was ist die Methode?

Die Aufspaltung des Fragenkomplexes wird hier wieder zusammengeführt, da diese Fragen auf der Grundlage der angesprochenen Objektkonstitution nur in wechselseitiger Abstimmung zu beantworten sind. Der Textbegriff gibt einerseits die Methode vor, mit der der Text zu erfassen ist, gleichzeitig bestimmt aber die Methode, was an dem Text als textkonstitutiv zu erfassen ist.

(2) Wenn man in der Literaturwissenschaft von einer Methode spricht, meint man mit diesem Begriff zumeist eine literaturwissenschaftliche Position. In diesem Sinne ist der Methodenkanon ein Kanon von Positionen. Und gerade die Methodologisierung der Literaturwissenschaft 106 hat in erster Linie zu einer Aufspaltung in Positionen geführt. Zwar ist mit jeder dieser Positionen eine mehr oder weniger elaborierte Form der Herangehensweise an Texte gegeben, doch bei den meisten Positionen ist der eigentlich methodische Charakter nicht mehr spürbar. Ein Grund dafür kann in einer einseitigen Gewichtsverlagerung der Objektkonstitution auf die Methode gesehen werden. Wenn die Herangehensweise den Textbegriff vorgibt, ohne durch den Text selbst bestimmt zu sein, wenn also die wechselseitige Objektkonstitution nur noch einseitig von der Methode ausgeht, wird die Methode zur nicht hinterfragten Position. Ein Anzeichen hierfür liegt in besonderer Weise überall dort vor, wo solche Positionen normativ durchsetzt sind 107, also ihren Textbegriff als Norm vorgeben, die von den literarischen Texten zu erfüllen ist.

Wenn man nicht bereit ist, sich auf eine Position festzulegen, bleibt nur die Möglichkeit, Positionen zu verwerfen oder insgesamt zu relativieren. Der Methodenrelativismus geht meist in eine allgemeine Theoriefeindlichkeit 108 über. Als eine Folge davon wird der Begriff der Methode selbst kompromittiert und gerät nicht selten in Ideologieverdacht.

Erst die Wechselseitigkeit in der Objektkonstitution zwischen Textbegriff und Methode erlaubt es, den eigentlichen Charakter einer Methode festzustellen. Mit der Methode werden Aussagen über einen Text formuliert. Für die Erfüllung dieses Zweckes ist die Methode erstens ein Hilfsmittel, zweitens eine Notwendigkeit und drittens das Kernstück einer literaturwissenschaftlichen Konzeption als Theorie über diese Aussagen.

Der Text sowie auch das Ergebnis der Textanalyse, das selbst wiederum ein Text ist, stellen als semantische Gebilde zwei Mengen von Aussagen dar. Die Relation der Mengen habe ich bislang mit dem Begriff der 'Aussagen über einen Text' benannt. Damit sind Anforderungen an diese Relation impliziert. Da die Methode wissenschaftskonstitutiv ist, bestehen die Anforderungen in Wissenschaftsstandards wie Eindeutigkeit, Adäquatheit und Intersubjektivität. Ihre Einhaltung gewährleistet die Methode in diesem wechselseitigen Bedingungsverhältnis mit dem Textbegriff.

Berücksichtigt man die Etymologie des Begriffs der Methode 109, kann man diese Relation als den Weg zwischen den beiden Aussagemengen charakterisieren: von der ersten zur zweiten in der operationalen Prozedur des textanalytischen Verfahrens, von der zweiten zur ersten in der Referenz der Textanalyse auf den Text. Diesen Weg nach beiden Richtungen hin gangbar zu machen, ist Aufgabe, Wesen und Inhalt einer Methode. Hierin drückt sich der operationale Charakter einer Methode aus. Durch Regelanwendungen und Operationen erfolgt der kontrollierte Übergang zwischen den Aussagemengen des Textes und der Textanalyse.

Jede Interpretationsposition, sofern sie sich überhaupt auf den Text bezieht, setzt Aussagemengen solcher Art in Beziehung und erhebt gleichzeitig zumindest einen intersubjektiven Geltungsanspruch. Deswegen muß sie diese Relation einer Ordnung unterwerfen, und in nichts anderem besteht eine Methode. Die Methode ist demnach nicht ein beliebiges, sondern ein notwendiges und unabdingbares Instrument jeder Interpretation und jeder Textanalyse. Jeder Interpretation kann daher ein methodischer Ansatz unterstellt werden. Von einer Methode sollte man aber erst dann sprechen, wenn sie diese Relation vollständig organisiert und geordnet explizieren kann. Mit der Methode steht und fällt der Geltungsanspruch einer Interpretation. Hinter der angeblich liberalen Haltung eines Verzichts auf Methodik verbirgt sich häufig ein Mangel an Durchsetzungskraft eines intersubjektiven Geltungsanspruchs aufgrund eines Mangels an argumentativer Legitimierbarkeit.

Die Methode eröffnet erst die Möglichkeit, den Text a) als ein System zu erfassen und b) ihn systematisch zu erfassen. Indem sie ein Organisationspotential für den Text zur Verfügung stellt, organisiert sie zugleich die Aussagen über den Text. Bei der folgenden Konzeption eines textanalytischen Modells werde ich die Methode über den Textbegriff entfalten.


11. Die Analyse

Bei der folgenden Konzeption von Analyse und Interpretation geht es darum, die strukturale Konzeption zweidimensional zu erweitern. Die erste Erweiterung baut in schematischer Veranschaulichung auf der vertikalen Achse die Lotmansche Kunstdefinition 110 für Texte aus und führt zu einer umfangreicheren Differenzierung von Textschichten, die zu Ebenen der Textanalyse zusammengefaßt werden. Die zweite Erweiterung in horizontaler Achse fügt an die Textanalyse als erste Stufe die Interpretation als zweite Stufe an. (Eine Skizze wird als Abschluß dieses Aufsatzes die Konzeption schematisch veranschaulichen.)

Die Textebenen:

Diese Textebenen sind hierarchisch durch die 'oben-unten'-Dimension in der räumlichen Schematisierung gegliedert, d.h. die Ergebnisse des Verfahrens hinsichtlich einer Textebene setzen die Ergebnisse der nächsttieferen Ebene grundsätzlich voraus. Deshalb kommt es darauf an, die erste Ebene axiomatisch als eine möglichst unhintergehbare und nicht normativ beeinflußte Basis zu definieren. 111

(1) Diese Basis wird als primär-semantische Ebene bestimmt. Sie ist eine Implikation aus Lotmans Begriff des Sekundären. 112 Sie bezeichnet jene sprachliche Ebene, auf der die Kompetenz des Sprechers einer Sprachgemeinschaft beruht, sprachlich aktiv (in Äußerungen) und passiv (durch Verstehen fremder Äußerungen) an der Sprachpraxis der Gemeinschaft zu partizipieren. Diese Ebene umfaßt rein denotative Decodierungsmöglichkeiten und ist auf natursprachliche Bedeutungen ausgerichtet. Sie ist die Voraussetzung der Lesbarkeit in einem elementaren Sinn. Da sie immer schon in komplexere Bedeutungskonstitutionen 'aufgehoben' ist, stellt sie lediglich eine theoretische Abstraktion dar. Sie ist daher sowohl von der natürlichen Sprache wie vom hermeneutischen Verstehen zu unterscheiden. Die natürliche Sprache beinhaltet neben komplexen Abweichungen von dieser Ebene wie Konnotationen oder Ironie auch andere sekundär-semantische Effekte. 113 Das hermeneutische Verstehen ist grundsätzlich keine Decodierung, sondern eine konstruktive Übersetzung ohne vorgebenen Code.

(2) Die sekundär-semantische Ebene umfaßt all jene Bedeutungen, die dem Text nicht vorausliegen, sondern erst durch ihn entstehen. Daß der Text auf dem Fundament der primären Ebene prinzipiell (im Gegensatz zu der nur fakultativen Möglichkeit in der natürlichen Sprache) eine sekundäre semantische Ebene ausbildet, ist eine Konsequenz aus dem Systemcharakter des Textes. Der Text ist nicht nur über ein Fregesches Kompositionalitätsprinzip als die Summe der Einzelbedeutungen seiner Teile aufzufassen, sondern er generiert, konstituiert, organisiert und strukturiert Bedeutungen als System, die außerhalb des Systems nicht vorhanden sind. Als System bildet der Text paradigmatisch wie syntagmatisch semantische Strukturen aus, d.h. er konstruiert semantische Relationen von Termen, die im primären System nicht vorhanden sind, nur durch die Konstellation der Terme im System, also im semantisch-strukturellen Gefüge des Textes. Sie wirken über Präferenz und Vernachlässigung bestimmter semantischer Komponenten in strukturell zugeordneten Termen bedeutungsgenerierend. Diese Bdeutungskonstitution ist vor allem im lexikalischen Bereich festzustellen.

(3) Komplexere Bedeutungskonstitutionen werden im Rahmen der semiotischen Ebene erfaßt. Sie betrifft jene komplexen inhaltlichen Phänomene des Textes, die zwar aus Bedeutungseinheiten der tieferen Ebenen bestehen, aber ihrerseits wieder Zeichencharakter gewinnen. Auf ihr ist die Zeichenkonstituierung und -etablierung im und durch den Text anzusiedeln.

(4) Die vierte Ebene umfaßt die (transphrastischen) Propositionen des Textes, insbesondere jene, die über notwendige Implikationen oder Präsuppositionen 114 mit zur Menge der Textaussagen und damit zur Textbedeutung gerechnet werden müssen. 115

(5) Die fünfte Ebene umfaßt die narrativen Strukturen. Die Strukturen des textanalytischen Modells verdichten sich in komplexen Termen auf dieser Ebene in Form von Figuren, Handlungen, Geschichten, Konflikten u.ä.m., die ihrerseits komplexe narrative Strukturen ausbilden. Das Ergebnis ihrer Rekonstruktion ist ein narratives Modell, das als d a r g e s t e l l t e W e l t d e s T e x t e s bezeichnet werden kann.

(6) Die höchste Ebene umfaßt alle anderen Strukturen, indem sie deren Vermittlung in der Rede des Textes betrifft. Sie beschreibt das Verhältnis von Inhalt und seiner Darbietung und benutzt traditionelle Beschreibungskategorien wie Erzähltechnik, Erzählperspektive, Erzählsituation, Erzählzeit, Erzähler und Erzählerstandpunkt. Im strukturalen Bereich hat Todorov 116 die Kategorisierung in histoire und discours entwickelt, die die Beziehung von Inhalt und Darbietung thematisiert.

Zur Bedeutungserfassung auf den Ebenen (1)-(4):

(1) Ausgangspunkt der Bedeutungserfassung ist die (charakteristisch strukturale) Auffassung, daß der Text ein sprachliches und daher ein semantisches Gebilde ist, das auf der primär-semantischen Basis beruht. Ich gehe davon aus, daß keine Auffassung grundlegender sein kann, weil alternative Auffassungen die hiermit implizierte Totalität der Texterfassung nicht erreichen können und statt dessen umfangreichere Voraussetzungen als die hier angesetzte Sprachkompetenz machen müssen. Auf dieser Ebene ist von einer eindeutigen, d.h. durch einen textexternen Code garantierten Relation von Signifikanten und ihren Signifikaten (unabhängig von ihrer Komplexität) auszugehen.

Zur Bedeutungsermittlung und -beschreibung bietet sich hier ein strukturales Verfahren der Komponentialanalyse 117 an, das auf diesem Systemcharakter aufbaut. Die Bedeutung eines Terms (damit wird eine sprachliche Einheit im Text bezeichnet) kann in semantische Komponenten oder Seme zerlegt werden, die kleinste bedeutungstragende Einheiten darstellen. Die Zerlegung führt zu Mengen von Komponenten für jeden Term. Bedeutungsunterschiede ergeben sich durch mindestens ein unterschiedliches Element in den Mengen. Die Zerlegung zwischen unterschiedlichen Termen muß solange fortgesetzt werden, bis sich die Komponentenmengen durch mindestens ein differentes Element unterscheiden. Die Bedeutung ergibt sich also immer nur vor dem Hintergrund der Differenz zu anderen Termen. Bedeutungsstrukturen von Opposition und Äquivalenz entstehen über sich ausschließende oder identische Elemente. Terme mit identischen Elementen bilden eine semantische Achse bzw. eine Isotopie 118.

Der abgeschlossene textuelle Rahmen, der für den Text als System konstitutiv ist, bietet bei diesem Verfahren gegenüber der natürlichen Sprache zwei Vorteile:

(a) Eine Bedeutungstheorie der natürlichen Sprache wäre hierbei mit einem Dilemma der Erfassung konfrontiert. Sie hätte zwischen der größtmöglichen, aber nichtssagenden Exaktheit (x bedeutet "x") und der unüberwindlichen Differenz zwischen Bedeutung und unabschließbarer Bedeutungsdeskription zu lavieren. Nach Saussure ist "die Sprache ein System [...], dessen Glieder sich gegenseitig bedingen und in dem Geltung und Wert des einen nur aus dem gleichzeitigen Vorhandensein des andern sich ergeben" 119 und daher Vollständigkeit praktisch nicht zu erzielen ist. Die Bedeutungserfassung ist immer nur auf den Text, nicht auf die natürliche Sprache bezogen. Sie muß also nicht bei einem absoluten Nullpunkt anzusetzen, das Beschreibungsziel ist textrelativ vorgegeben. Daher ist es legitim, auf die natursprachliche Kompetenz zu rekurrieren, die selbst nicht problematisiert werden muß.

(b) Damit entfallen die Probleme der Bedeutungserfassung, die im Rahmen der natürlichen Sprache bei unendlich großen Komponentenmengen und des ungeklärten semantischen Status der Komponenten auftreten. 120 Dieses Instrumentarium der Komponentialanalyse erfüllt für das System des Textes jedoch die Aufgabe der Bedeutungserfassung und -strukturierung. Sie ist abschließbar und textrelativ vollständig, sofern alle sprachlichen Terme des Textes berücksichtigt sind, da der Text nur aus endlich vielen Termen besteht. Deutlich wird dies an den Monosemierungen durch den Text 121, wobei nicht behauptet werden soll, daß diese immer möglich sind. Zumindest soviel garantiert der Systemcharakter des Textes: Soweit er überhaupt als Text aufgefaßt werden kann, kann er auch decodiert und analysiert werden. Dabei werden auch semantische Nicht-Eindeutigkeiten als solche erfaßt. Die Erfassung findet nur dort ihre Grenze, wo eine Stelle überhaupt nicht decodiert werden kann (ein Problem, das eher bei Handschriften in der Editionsphilologie auftritt).

(2) Der Text als System ist sekundär-semantisch auf paradigmatischer Achse durch Selektion aus dem Gesamtmaterial der Sprache bedeutungskonstitutiv. Titzmann spricht hier vom paradigmatischen Charakter der Bedeutung. 122 Der Text stellt eine Ergebnisfolge von Auswahlprozeduren aus alternativen Möglichkeiten dar 123, die durch das Verhältnis von im Text aktualisierten und nicht-aktualisierten semantischen Komponenten die Bedeutung bestimmen. Wenn Titzmann allerdings alle Bedeutung als paradigmatisch bezeichnet, weil auch die syntagmatische Distribution als ein Paradigma aufgefaßt werden kann 124, läßt dies eine genuin syntagmatische Bedeutungskonstitution durch Kombination und Konstellation unberücksichtigt. Der Systemcharakter des Textes bewirkt, daß über die grammatischen Relationen hinaus semantische Relationen entstehen, die zu einer modifizierten Gewichtung der Komponentialstrukturen und somit zu neuen Bedeutungen (des Textes) führen. Wenn diese Modifikation funktionalisiert wird, wird das Signifikat einer sprachlichen Einheit zum Signifikanten eines neuen Sigifikates und man spricht von einer Semantisierung. 125 Beispiele hierfür sind Jahreszeitensemantisierungen oder asymmetrische Oppositionen zwischen Komponenten wie 'Reichtum' und 'Häßlichkeit'. Ein weiteres Beispiel wäre die Semantisierung der Gondel als Sarg in Th.Manns Der Tod in Venedig. Da auf der sekundären Ebene die spezifische, semantische Modellbildung eines Textes beruht, liegt auf ihr das Hauptaugenmerk der Textanalyse.

(3) Die semiotische Ebene der Zeichenkonstitution ist abstrakt bestimmt und bietet daher verschiedene Anschlußmöglichkeiten für weiterreichende semiotische oder diskursive Konstitutionsphänomene in den Texten. Genannt seien hier nur der Mythosbegriff von Barthes 126 und die Theorie der Kollektivsymbolik von J.Link 127. Als ein weiteres Beispiel sei die Marionette aus Kleists Text Über das Marionettentheater genannt, in deren Zeichencharakter sich verschiedene Lesarten (anthropologische, theologische, geschichtsphilosophische) verdichten. Auch ein Ort kann eine solche Zeichenfunktion über spezifische Merkmalszuordnungen, Hervorhebungen und Ausblenden übernehmen; man denke wiederum an Th.Manns Der Tod in Venedig und Venedig als Handlungsort.

(4) Auf der propositionalen Ebene ist jenes kulturelle Wissen 128 anzusiedeln, das nicht bereits in die semantischen Elemente der vorgängigen Ebenen inkludiert ist, das also explizit textuell manifestiert wird. In ersten Fall wäre dieses Wissen nicht jenseits der Semantik des Textes zu situieren, sondern als ein integraler Bestandteil, der bei der Beschreibung mit berücksichtigt werden müßte (z.B. die Kollektivsymbole im Sinne von J.Link). Liegt das Wissen in textueller Gestalt vor, könnte es über eine intertextuelle Relation integriert werden, die die Semantik des Textes mit konstituiert (z.B. die Thematisierung antiker Philosopheme abermals in Th.Manns Der Tod in Venedig). 129

Charakteristika der Narrativik der Ebenen (5)-(6):

(5) Narrative Strukturen finden sich nicht nur in epischen Gattungen, sondern auch in der Dramatik und zum Teil in der Lyrik (z.B. in der Ballade). Narrative Strukturen erzeugen ein Modell des Textes, das als dargestellte Welt in einer Relation zur textexternen Welt des Lesers steht. Diese Relation beschreibt Lotman als "Abbildung einer Realität auf eine andere" und damit als "Übersetzung" 130. Diese Abbildung ist nicht mimetisch zu verstehen, sondern im Sinne einer mathematischen Abbildungsfunktion, die Elemente einander zuordnet. Die Welt des Textes und die textexterne Welt haben zumindest prinzipielle Orientierungsmöglichkeiten gemeinsam. Realistisch kann man einen Text dann nennen, wenn er nicht nur prinzipielle, sondern faktische Orientierungsmöglichkeiten bietet. Aber auch wenn keine mimetische Abbildungsrelation vorliegt, lassen sich inhaltliche Phänomene des Textes und textexterne Weltphänomene unter einem gemeinsamen Überbegriff in einer Klasse von Weltkonstituenten zusammenfassen. Ein Text muß nicht die Sozialstruktur seiner Welt widerspiegeln, aber er wird eine mögliche Sozialstruktur darstellen. Ein Text muß nicht eine bestimmte Raumstruktur etablieren, die sich in der textexternen Welt wiederfinden läßt, aber eine Raumstruktur wird er entfalten. In den meisten Fällen nehmen Texte inhaltlich fundamentale Umstrukturierungen vor, aber im Prinzip bleiben in den Texten weltkonstitutive Strukturen erhalten. Ein Polizeibericht und eine fiktionale Phantasie schildern durchaus unterschiedliche Welten, aber gemeinsam ist ihnen doch, daß sie etwas schildern, was als 'Welt' zu begreifen ist.

Ein weiteres Spezifikum des narrativen Modells resultiert wiederum aus dem Systemcharakter des Textes. Die dargestellte Welt ist abgeschlossen, was sich konstitutiv auf ihre Strukturen auswirkt. Lotman bezeichnet das als Rahmen des Textes 131. Er erlaubt, die interne Ordnung des Textes mit Allquantifikationen zu beschreiben. Eine Allquantifikation formuliert eine Eigenschaft, die allen Elementen im Rahmen des Textes einer textuellen Datenmenge zukommt (z.B. "Alle Figuren, die die Eigenschaft x haben, haben auch die Eigenschaft y.") Aufgrund ihrer ordnungsbildenden Funktion wird eine solche Allquantifikation als Ordnungssatz 132 aufgefaßt, der ein Textmodell beschreibt. Der Rahmen ist nicht als Ausschnitt mißzuverstehen. Auch wenn nur ein einzelnes Geschehen im inhaltlichen Fokus des Textes steht, ist deswegen seine Welt nicht partiell. Gerade durch den Rahmen stellt der Text "ein endliches Modell der unendlichen Welt dar" 133. Wenn die dargestellte Welt auch nur im Vergleich zur textexternen Welt eine begrenzte Anzahl von Weltstrukturen entfaltet, setzt sie doch eine eigenständige Totalität voraus. In der dargestellten Welt ist jede Unmöglichkeit zugleich Notwendigkeit. Wenn z.B. ein Text Ehebruch immer mit Tod korreliert, kann man in der dargestellten Welt einen notwendigen Zusammenhang herstellen, der natürlich für die textexterne Welt in unserer Kultur nicht gilt.

Die strukturale Erzähltheorie (sET) 134 bemüht sich um eine Klassifizierung von narrativen Strukturen, um ein Ordnungsraster für narrative Modelle zu erhalten. Solche Klassifikationen stellen beispielsweise Propps Funktionen 135 dar.

Ein prominentes Beispiel einer strukturalen Erzähltheorie ist Lotmans 'Grenzüberschreitungstheorie' 136: Im Sujet werden die narrativen Strukturen zentral organisiert, so daß von einer sujethaften Textschicht gesprochen werden kann. Es stellt eine Ereignisfolge dar. Als Ereignis gilt ein Grenzübertritt über eine semantische Grenze zwischen zwei semantischen Räumen, der auch als Normbruch spezifiziert werden kann. Die grenzüberschreitende, nicht-raumgebundene Figur gilt terminologisch als der Held. Das Sujet ist eine Funktion der raumsemantischen Strukturierung des Textes. Es ist das Konstitutivum für die Geschichte des Textes. Diese Raum-Konzeption erscheint mir gegenüber anderen Erzähltheorien deswegen besonders tragfähig zu sein, weil sie von einer allgemeinen kognitiven Disposition, abstrakte Phänomene verräumlicht zu rezipieren, ausgeht. 137

(6) Der bekannte Vorwurf, strukturale Verfahren würden historische Aspekte vernachlässigen, kann bereits durch eine Perspektive dieser Ebene der Redevermittlung in Zweifel gezogen werden. Es läßt sich eine literarhistorische Entwicklung feststellen, deren Wurzeln auf den linguistic turn der Philosophie und seine Übernahme in die Literatur zurückreichen und die sich von der Literatur der Moderne bis zur heutigen Gegenwartsliteratur immer stärker fortsetzt. Sie führte insofern zu einer stärkeren Gewichtung dieser Ebene der Redevermittlung, als sie narrative Strukturen zu einem gewissen Teil verdrängt oder gar substituiert hat. Damit sind weniger die autoreflexiven Momente 138 gemeint, die die poetisch-literarische Sprache charakterisieren, sondern konkrete Strukturen, in denen die Redevermittlung sich selbst und ihre sprachlichen Grundlagen inhaltskonstitutiv thematisiert. 139 Die Verlagerung im Schichtenmodell verdeutlicht erst die Entwicklung.

Dennoch ist hier, wo narrative Strukturen, somit ein Sujet und - in Lotmans erzähltheoretischer Konzeption - semantische Räume und Grenzüberschreitungen nicht vorhanden sind, so z.B. in einer Vielzahl lyrischer Formen oder auch avantgardistischer Prosatexte, eine Schwachstelle zu markieren. Zwar ist davon auszugehen, daß das Fehlen narrativer Strukturen mit einer komplexeren semantischen Strukturierung einhergeht, dennoch bleibt hier Möglichkeit und Notwendigkeit, das Gesamtmodell weiter auszuarbeiten. In diesen Überlegungen geht es mir nur darum, es zunächst einmal zu entwerfen.

Ein Vorteil in einem abtrakten erzähltheoretischen Modell liegt umgekehrt in der Anschlußfähigkeit interner Spezifizierungen. 140 Eine tragfähige Konzeption ist hierbei im Bereich literarischer Normen und Normsetzungen zu sehen, mit der das Modell auf mehreren Stufen ausbaufähig wäre:

(a) Eine erzähltheoretische Konzeption kann konkret normorientiert spezifiziert werden. In den Grundzügen ist die Spezifierung von Lotman selbst für seine Grenzüberschreitungstheorie vorweggenommen worden. Er definiert den Grenzübertritt über semantische Raumgrenzen im Sinne eines sujetrelevanten Ereignisses auch als Normbruch. 141 Davon ausgehend gilt die Norm, bzw. der Wert, der durch die Einhaltung der Norm erreicht werden soll, als Konstituens eines semantischen Raumes. Semantische Räume stehen sich als Normbereiche gegenüber; die Grenzkonflikte sind als Normkonflikte zu rekonstruieren.

(b) Hier könnte die Schnittstelle zwischen den Erzählinhalten und der Redevermittlung liegen: Die Norm, die im Text gesetzt wird, ist zugleich bestimmend für die Strategie des Textes, diese Norm selbst zu propagieren oder durchzusetzen. 142

(c) Darüber hinaus wäre ein Brückenschlag denkbar, das strukturale Verfahren an umfassendere Norm- und Werttheorien anzuschließen und diese für die Literaturwissenschaft fruchtbar zu machen. 143

Gesamtkonzept der Modellbildung:

Die Beschreibung stellt den ersten Schritt im analytischen Verfahren dar. Ruft man sich noch einmal das Grundmuster einer strukturalistischen Tätigkeit ins Gedächtnis, so käme der Beschreibung der eigentlich analytische Charakter zu. Die Beschreibung bedeutet zugleich die Zerlegung des Textes in die beschriebenen Einheiten. Damit sollen die Strukturen im Text erfaßt werden. Das ist die Ausgangslage für den zweiten Schritt, der Zusammensetzung der Analyseeinheiten über Generalisierungen zu einem Gesamtkomplex, also zur Re-Konstruktion eines Modells. Diese Rekonstruktion hat daher synthetischen Charakter. 144 Sie zielt darauf ab, durch die Modellbildung die Ordnung des Objekts sichtbar werden zu lassen. 145 Modellbildung ist also zugleich Ordnungskonstitution.

Mit dem Textbegriff sind zumindest die Ausrichtung der Analyse und somit der Methode gegeben. Die Methode ist also eine Rahmentheorie, in die eine Texttheorie eingebettet ist. Sie zeigt zunächst, welche konkreten und identifizierbaren Einheiten des Textes zu analysieren sind. Mit der Texttheorie ist eine Vorstrukturierung des Materials gegeben, die die Analyseschritte der Beschreibung bestimmt. In diese Beschreibung können daher hilfsweise Instrumentarien anderer Theorien eingebracht werden. Sie stellen zusätzliche Beschreibungsinventare für die Analyse zur Verfügung. 146 Im Bereich der strukturalen Textanalyse (sTA) sind es das Lexikon (insbesondere für das in der lexikalischen Semantik verkapselte kulturelle Wissen), die (bereits skizzierte) semantische Komponentialanalyse (aus dem Bereich der linguistischen Semantik), die Textlinguistik und linguistische Verfahren 147 generell, neben der Semantik insbesondere Syntax, Grammatik, Pragmatik, aber selbstverständlich auch Logik, Rhetorik und Metrik. Im Bereich der strukturalen Erzähltheorie sind Raumkonzeptionen, Handlungstheorie und -logik, Norm- und Werttheorie, die Mythenanalyse (insbesondere von Claude Levi-Strauss), aber ebenfalls die Grammatik 148 zu nennen.

Die Analyse der vier Ebenen (1)-(4) in dieser Ausdifferenzierung bildet eine Einheit, für den Titzmanns Begriff der strukturalen Textanalyse 149 (sTA) (im engeren Sinn) beibehalten wird. Die Analyseschritte auf diesen vier Ebenen ergeben ein textanalytisches Modell, das die semantischen Strukturen des Textes umfaßt. Dieses semantisch-textanalytische Modell umfaßt das System von Decodierungsvoraussetzungen des primär-semantischen Systems, die sekundären Semantisierungsphänomene, die semiotische Konstitution und das System propositionaler Textaussagen. Wenn man auf dieser Ebene von Modell 150 spricht, dann meint das die Rekonstruktion des Textes als ein System semantischer Strukturen. Das bedeutet, daß sich die Textphänomene im Modell als Strukturen wiederfinden. Textstrukturen, die an der Textoberfläche als solche kaum oder nicht erkannt werden, werden durch das Modell explizit kenntlich gemacht. Man kann das Modell als Bild eines Röntgenschirms veranschaulichen, das ein tragendes Gerippe sichtbar macht, das zuvor in einen körperlichen Gesamtzusammenhang eingebettet war.

Die Ebenen der Narrativik und der Redevermittlung (5)-(6) bilden als Inhalt und Inhaltsvermittlung/-darbietung einen einheitlichen Komplex. Ihre gesamte Analyse mit strukturalen Verfahren ist Aufgabe der strukturalen Erzähltheorie (SET). Das daraus resultierende erzähltheoretische Modell umfaßt die Explikation der Redekonstitution des Textes (der Text als Rede) und die Strukturen der dargestellten Welt des Textes, die generalisiert in Ordnungssätzen formuliert werden. Diese benennen paradigmatisch die Ordnungskonstituenten der dargestellten Welt und stellen die p a r a d i g m a t i s c h e G r u n d o r d n u n g d e r d a rg e s t e l l t e n W e l t als Grundlage der Sujetentfaltung dar.

Den Gesamtzusammenhang der beiden Komplexe von strukturaler Textanalyse (sTA) (im engeren Sinn) und strukturaler Erzähltheorie (SET) bildet die strukturale Textanalyse (STA) (im weiteren Sinn). Diesem umgreifenden Analysebegriff wird die Interpretation im nächsten Abschnitt zugeordnet werden. Entsprechend der Zweiteilung des Schichtenmodells in sTA und SET ergibt sich im Ergebnis der Methode ein semantisch-textanalytisches Modell und ein darauf aufbauendes erzähltheoretisch-textanalytisches Modell, die ein gesamt-textanalytisches Modell (TM) ausmachen. Wenn das narrative Modell nach Lotman auf das Sujet zentriert und daher sujethaft ist, ist das semantisch-textanalytische Modell sujetlos. Entsprechend der Hierarchie der Schichten, der Komplexe sTA und sET und ihrer Modelle überlagert die sujethafte, narrative Schicht die sujetlose, semantische Schicht. 151

Restriktionen bei der Modellkonstitution:

Die Modellkonstitution schließt in der hier vorgestellten Konzeption die Stufe der Analyse ab. Orthodox zu nennende Positionen würden diesen Abschluß als unüberschreitbare Grenze ansehen. Doch dieser Abschluß wird in dem Maße problematisch, in dem auch der Modellbegriff zu problematisieren ist.

Ein Modell existiert nicht unabhängig, es ist ein Modell von einem Objekt. Modelle sind als Strukturierungen ihrer Natur nach immer restriktiver Natur, d.h. sie reduzieren die Totalität des Objektes auf eine Teilmenge seiner Konstituenten und simplifizieren reduktionistisch seine Komplexität. Von der Einschätzung dieser simplifizierenden Restriktion beim jeweiligen Modell hängt seine Tauglichkeit im Sinne einer adäquaten Objekterfassung und des daraus resultierenden Erkenntnisgewinns ab. Die Restriktion ist ambivalent, je nachdem ob unter der Vorgabe eines Erkenntnisinteresses die Qualität des Objektes durch das Modell deutlicher oder weniger deutlich zum Tragen kommt. Das hängt davon ab, ob das Modell ein Modell des gesamten Objektes oder nur partialer Segmente ist. Die Restriktion ist dann vernachlässigbar, wenn alle Elemente des Objektes vom Modell abgedeckt werden, d.h. wenn jedes Element in zumindest eine Struktur einer allquantifizierenden Mengenbildung eingeflossen ist. Diese Mengenbildung erfordert, soll sie in einer Allquantifikation ausgedrückt werden, Elemente desselben Status. Das wiederum setzt die Möglichkeit einer Formalisierung voraus. Diese Möglichkeit findet sich nur bei Objekten, bei deren Konstruktion die Formalisierbarkeit bereits mit realisiert wurde, also z.B. bei kunstsprachlichen Objekten.

Da ich hier von Texten als semantischen Gebilden (Objekten) auf der Grundlage der natürlichen Sprache ausgegangen bin, ergibt sich der restriktive Charakter eines Textmodells aus der spezifischen Erfassung dessen, was den Text sprachlich-semantisch ausmacht. Dieses Potential ist bei natursprachlichen Objekten praktisch niemals vollständig, immer nur partiell zu erfassen, weil natursprachliche und insbesondere lieterarische Texte niemals vollständig formalisierbar sind. Das würde eine vollständige Erfaßbarkeit jedes Phänomens von Signifikation im Text voraussetzen. Jede Bedeutungszuschreibung, die ein Text erfordert, würde dazuzählen. Und damit wären noch nicht einmal jene Bedeutungszuschreibungen erfaßt, die ein Text erlaubt. Die Modellbildung ist also durch Restriktionen charakterisiert:

(1) Sie ist auf jene Grundlage verwiesen, wo im Text Decodierungen eindeutig beschreibbar sind.

(2) Im Bereich möglicher Decodierungen ist eine Selektion von semantischen Komponenten nach Maßgabe system- und damit ordnungsbildender Rekurrenzen vorzunehmen.

(3) Weil die Formalisierung vollständig nicht möglich ist, ist man bei der Ordnungsbildung gezwungen, von der Deduktion zur Induktion überzugehen. Das kann als Vorbehalt der Allquantifikation begriffen werden, der in der Texterfassungsmöglichkeit begründet liegt.

Damit soll keineswegs einer unbegrenzten Semiose 152 oder der dekonstruktivistischen Ablehnung des Logozentrismus 153 und der Unmöglichkeit einer eindeutigen Signifikation das Wort geredet werden. Decodierungen lassen sich durchaus fixieren, wenn auch nicht in der umfassenden Totalität, die eine Modellbildung erfordern würde, deren Restriktion nicht zu einer Reduzierung des Objekts führt. Die Modellbildung kann bei natursprachlichen Objekten wie Texten wichtige und konstitutive Strukturen erfassen und in ein geordnetes System bringen. Was sie aber nicht kann, ist, das Objekt vollständig zu entfalten und in seinen Anlagen auszuschöpfen. M.a.W.: die Modellbildung ist nicht das Ergebnis einer konsequenten Analyse in ihrem Anspruch. Das ist das Defizit der Analyse, das eine Ergänzung und Erweiterung durch eine zweite Stufe, die Interpretation, erfordert.


12. Die Interpretation

Eine axiologische Achse zwischen den mit Analyse und Interpretation bezeichneten Modellen des Umgangs mit Literatur entsteht erst, wenn die Analyse- oder Interpretationsaussagen aus dem Bereich des subjektiven Urteils heraustreten und mit einem intersubjektiven Geltungsanspruch geäußert werden. Da dieser meistens a priori impliziert ist, scheint diese Axiologie nicht von den Modellen ablösbar zu sein.

Eine Analyse kann ihren Anspruch über die methodischen Operationen auf den Text zurückführen. Die Interpretation hingegen ist immer mit dem Problem ihrer Richtigkeit konfrontiert. Die Frage, ob eine Interpretation eine oder die richtige Interpretation eines Textes ist, muß letztlich unbeantwortet bleiben. 154 Es lassen sich keine Kriterien der Verifizierbarkeit oder Falsifizierbarkeit der Interpretation angeben, weil die Konstitution der Interpretation über die Instanzen des Textes, des Autors oder des Interpreten nicht vollständig explizierbar und nachvollziehbar ist. Es besteht ein Bedürfnis, Aussagen zu machen, die nicht analytisch gewonnen werden können, die aber ebenso nicht verifizierbar und falsifizierbar 155 sind. Das Bedürfnis bleibt unbefriedigt, und der Beliebigkeit der Interpretation ist Tür und Tor geöffnet.

Die Konzeption von Analyse und Interpretation versucht, genau dieses Problem zu umgehen, indem sie zwischen Text und Interpretation die Analyse situiert und die Interpretation nicht unexplizierbar auf den Text, sondern explizit auf die Analyse bezieht. Die Interpretation setzt also nicht beim Text, sondern bei dem aus der Analyse gewonnenen Modell des Textes an. Interpretationsaussagen müssen auf das textanalytische Modell (TM) rückführbar sein. Die R ü c k f ü h r b a r k e i t legt die Interpretation auf eine Beziehung zum textanalytischen Modell fest und stellt daher das Kernstück dieser kooperativen Konzeption der Kombination von Analyse und Interpretation dar.

Damit ist von vornherein der Bereich der Interpretationsaussagen eingeschränkt. Eine Aussage, die sich auf einen Text bezieht, ist keine Interpretationsaussage über den Text, wenn sie nicht in Beziehung zum textanalytischen Modell steht. Die bloße Referenz auf einen Text reicht also nicht aus, eine Interpretation als solche zu begründen. Es besteht daher kein prinzipieller Unterschied zwischen der Verbalisierung einer Verstehensleistung und einem Geschmacksurteil. Beide sind subjektiv und keine Interpretationsaussagen. Daran wird deutlich, daß über die Bezugnahme auf das textanalytische Modell zumindest die Intersubjektivität der Interpretation gewährleistet werden soll.

Die Rückführbarkeit auf das textanalytische Modell stellt eine sehr allgemeine Bedingung für Interpretationen dar. Das gilt sowohl für Interpretationen als Systeme von Aussagen wie auch für Einzelinterpretationsaussagen. Durch Zusatzbedingungen läßt sich die Rückführbarkeit konkretisieren, wobei mit jeder Konkretisierung eine Verschärfung der Rückführbarkeitsbedingungen und somit gleichermaßen eine Restriktion möglicher Interpretationsaussagen einhergeht.

(1) Eine grundlegende und selbstverständliche Bedingung der Rückführbarkeit ist die Widerspruchsfreiheit zwischen Interpretationsaussagen und textanalytischem Modell. Auch wenn man eine Divergenz von Interpretationen zulassen will, so muß doch die Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß sich Interpretationen oder Einzelinterpretationsaussagen gegenseitig negieren. Wenn zwei Interpretationen dem textanalytischen Modell nicht widersprechen, können sie auch sich selbst nicht widersprechen. Eine gegenseitige Negation kann daher nur auf dem Irrtum zumindest einer Interpretation beruhen. Eine Divergenz der Interpretationen kann daher nur auf einer völligen Unabhängigkeit voneinander (z.B. durch Berücksichtigung sich nicht überschneidender Textdatenmengen) beruhen.

(2) Eine stärkere Bedingung wäre die der Bezugnahme auf das textanalytische Modell durch die Interpretation. Die Interpretationsaussagen würden in diesem Fall das textanalytische Modell ergänzen und wiederum eine zumindest konsistente Gesamtmenge von Aussagen über den Text bilden. Solche Ergänzungen könnten unter diesen Bedingungen die Einbeziehung nicht obligatorischen kulturellen Wissens sein, die intertextuelle Reihenbildung, die Projektion des Textes auf die textexterne Welt, sofern diese Referenzen nicht im Text selbst angelegt sind, was sie in einem solchen Fall zum Gegenstand der Analyse machen würde. Die Projektionen stellen einen schwierigeren Fall dar, weil sie eine Explikation dessen erfordern, worauf der Text projiziert wird, da nur so die Konsistenz überprüfbar wird. Text und Projektion müssen miteinander korrespondieren. Die Beziehbarkeit des Textes muß immer als durch den Text vorgegeben angesehen werden.

Es sei ein ungewöhnliches Beispiel erlaubt: Die sprachlich fixierte Bezugnahme eines Liebenden auf Shakespeares Text Romeo und Julia ist dann eine Interpretation des Textes, wenn er das Textmodell, also die Liebeskonzeption, in eine explikative, normative, präskriptive oder prospektive Relation zu seiner eigenen Liebesbeziehung setzt. Die Funktionalisierung des Textes als eines Zeichens ist nur dann eine Interpretation, wenn auch in dieser Relation Bezeichnendes (Text) und Bezeichnetes (die Situation) korrespondieren, also die Relation motiviert ist. Wird der Text zu einem arbiträren Zeichen gemacht, z.B. die Erwähnung eines Textes, nur um Belesenheit zu signalisieren, kann nicht mehr von einer Interpretation gesprochen werden.

(3) Nochmals verstärken läßt sich die letzte Bedingung dadurch, daß man sie als affirmative Bezugnahme auf das textanalytische Modell bestimmt. Das bedeutet, daß jede Interpretationsaussage als interpretatorische Konklusion bei zumindest einer ihrer Prämissen auf das Textmodell referieren und diese Prämisse wahr sein muß. Durch die Affirmation in der Bezugnahme reproduziert die Interpretation das textanalytische Modell als ihre eigene Voraussetzung, Grund- und Ausgangslage.

Es gibt verschiedene Formen der affirmativen Bezugnahme: die Übersetzung, die Identifikation oder die Intertextualitätsreihe von Textmodellen.

(a) Eine Übersetzung 156 ist dann eine Interpretation im hier dargelegten Sinne, wenn die Übersetzung ihrerseits zu einem Modell führt, das in seinen Strukturen kongruent mit dem textanalytischen Modell ist und somit dieselbe Konsistenz aufweist. Das kann nur gewährleistet werden, wenn die Übersetzungsrelationen das Textmodell reproduzieren. Wo aber die Übersetzung direkt an Textelementen ansetzt und daher jedes Element unabhängig vom Modell beliebig übersetzbar wird, verbietet sich der Begriff der Interpretation in dem hier dargelegten Sinne.

(b) Bei der Identifikation des textanalytischen Modells mit einem anderen Modell wird ein abstraktes Strukturgefüge durch ein konkreteres ersetzt. Ein kleines Beispiel kann das ansatzweise verdeutlichen: Eine Analyse von Richard Wagners Musikdramen-Tetralogie Der Ring des Nibelungen würde unter dem Ordnungsraster von systembildenden Strukturen eine dargestellte Welt beschreiben, in der ein neueres soziales System ein älteres ablöst. Eine Interpretation könnte dieses abstrakte Modell einer Systemtransformation konkret mit einem Modell der Ablösung eines feudalistischen Systems (repräsentiert durch die Götter unter dem Patriarchat Wotans) durch ein kapitalistisches (repräsentiert durch Alberich) identifizieren. Daß dadurch in der Folge eine hochsozialisierte Gesellschaft (Gunther, Hagen und deren Umgebung) entsteht, die keinen Platz mehr für das aus dem Feudalismus heraus geborene, absolut freie und außersoziale Individuum (Siegfried) hat, läßt sich durch die Dynamik von als ökonomisch-politisch identifizierten Prozessen plausibel machen. Diese Identifikationen sind nicht durch den Text vorgegeben, sie stellen eine Interpretationsleistung dar. Das Interpretationsmodell nimmt affirmativ Bezug auf das abstrakte Ablösemodell.

Übersetzungen und Identifikationen stellen als Interpretationen Lesarten des Textes dar. Sie geben eine Leitlinie für die affirmative Bezugnahme vor, die das gesamte textanalytische Modell umfaßt und eine durchgängige Perspektive bestimmt. Es gibt eine Reihe von kanonisierten Lesarten, die auch methodische Positionen begründet haben: die existentialistische, die psychologistisch/psychoanalytische, die theologisch-religiöse, die biographistische, die gesellschaftskritisch/marxistisch-materialistische Lesart (wie andeutungsweise im Wagner-Beispiel). Lesartenkanons haben sich insbesondere bei solchen Autoren gebildet (wie Kleist oder Kafka 157), deren Texte sich Interpretationen verweigern und sie eben dadurch in besonderer Weise provozieren. Über die affirmative Bezugnahme auf das textanalytische Modell müssen Lesarten miteinander kompatibel und ineinander übersetzbar, d.h. durch Austausch der Perspektive ineinander transformierbar sein.

(c) Bei der intertextuellen Reihenbildung werden Textmodelle in Beziehung gesetzt, die zumindest ein gemeinsames Merkmal aufweisen, das diese Reihenbildung evoziert und legitimiert. Der interpretatorische Aspekt ergibt sich durch das aus der Reihenbildung resultierende Gesamtmodell. Die Interpretation versteht das Textmodell als Instantiierung eines textübergreifenden Modells. Ein solches Modell kann z.B. eine Gattung oder - deutlicher aisgeprägt - eine inhaltlich spezifizierte Untergattung sein, wobei die Gattungsvorgaben als so dominant angesehen werden, daß sie den Textinhalt mitkonstituieren. Der Bildungs- wie der Kriminalroman wären konkrete Beispiele.

So ist die Interpretation im Sinne der Rückführbarkeit auf die Analyse ausgerichtet, weil über ihr methodisch regelgeleitetes Verfahren der intersubjektive Geltungsanspruch garantiert und eingelöst wird. Aber auch die Analyse ist auf die Interpretation ausgerichtet, weil erst durch sie Bedürfnisse 158 nach Sinnkonstitutionen beim Leser und Interpreten eingelöst werden, die im Umgang mit Texten entstehen, aber durch die Analyse allein nicht befriedigt werden können. Die Kombination von Analyse und Interpretation ist insofern eine genuin kooperative Konzeption, weil sie die Defizite beider Einzelkonzepte auffüllt und gleichzeitig die umfassende Nutzung ihrer Vorteile ermöglicht. Indem sie die geforderte Wissenschaftlichkeit und die erwünschte Befriedigung von Interpretationsbedürfnissen in wechselseitiger Abstimmung miteinander vereinbart, erfüllt sie ein literaturwissenschaftlich-methodologisches Desiderat, stellt einen Beitrag zur Grundlagendiskussion der Literaturwissenschaft dar und eröffnet eine weitergehende Perspektive auf eine Neukonzeption der Literaturwissenschaft und ihrer Praxis.


13. Ausblick:
Das Bedürfnis zu interpretieren

Das Bedürfnis, Literatur zu interpretieren, gewinnt eine bislang kaum beachtete Tiefendimension, wenn man es in den Gesamtzusammenhang der sozialen Praxis wie der anthropologischen Disposition des Menschen einordnet. Das hier vorgestellte Analyse/Interpretationsmodell für Literatur erscheint dann zunächst nur als ein Spezialfall eines unbegrenzt erweiterten und umfassenden Interpretationsbegriffs. Damit wird jede soziale Praxis auf der Grundlage anthropologischer Konstanten als Interpretation bestimmt. Auf semiotischer Grundlage bedeutet das eine Ausdehnung des Interpretationsbegriff bis an die untere 159 und obere Schwelle der Semiotik: Interpretation ist demnach "der semiosische Mechanismus, der nicht nur unsere Beziehung zu bewußt von anderen Menschen erzeugten Botschaften erklärt, sondern jede Form der Interaktion des Menschen [...] mit der Umwelt. Es sind Interpretationsvorgänge, mittels deren wir kognitiv wirkliche und mögliche Welten erbauen" 160. Entscheidend an diesem Entwurf ist, daß sich die Spezifikation auf die Literatur (und die Kunst) nicht als peripherer Sonderfall, sondern als zentral exponiertes Paradigma von Interpretation in die soziale Praxis einordnet. In diesem Rahmen wird plausibel, warum bestimmte Formen der Rede über Literatur sich nicht auf den Bereich rein subjetiver Aussagen (z.B. in persönlichen Geschmacksurteilen) einschränken lassen, sondern auf die intersubjetive Vermittlung abzielen, die nur mit einem fundiertem Geltungsanspruch zu leisten ist. Das eröffnet einen neuen Blick auf andere Legitimationsmöglichkeiten einer Institutionalisierung von Literaturwissenschaft, wie sie in den methodologischen Vorschlägen zur Überwindung der Grundlagenkrise 161 dieses Faches kaum sichtbar waren. Die Literaturwissenschaft hätte also die Bedingungen zu klären und paradigmatisch zu erfüllen, die für eine Interpretation als Rede über Literatur mit intersubjektivem Geltungsanspruch bestimmend sind. Die soziale Relevanz der Literaturwissenschaft ergibt sich somit aus der über die Erweiterung des Interpretationsbegriffs neu bestimmten sozialen Relevanz von Literatur.

Die Auseinandersetzung mit Literatur ist zumindest potentiell eine paradigmatische und exponierte Erscheinungsform der Auseinandersetzung mit Welt. An der Literatur können die sprachlichen wie kognitiven Konstitutionsprinzipien von Welt und Welterfahrung in verdichteter Form nachvollzogen werden. 162 Literatur ist damit nicht ein mehr oder weniger kontingenter Teil von Welterfahrung, sondern eine 'mise en abyme' der Welterfahrung überhaupt (die allerdings auch immer ungenutzt bleiben kann). Hier ergibt sich die Möglichkeit eine Brückenschlages zu konstruktivistischen Positionen, wo im Entwurf von Welt 163 über das Medium Literatur die Diskrepanz zwischen Textimmanenz und Texttranszendenz vor dieser sozialen Perspektive überwunden werden kann. Um dieser Perspektive überhaupt gerecht zu werden, ist es um so notwendiger, eine geordnete Rede über Literatur zu ermöglichen und literaturwissenschaftlich zu instantiieren; dazu sollten die vorausgegangenen Überlegungen zu einem Analyse/Interpretationsmodell einen ersten Beitrag liefern.


14. Literaturverzeichnis

Barthes, Roland (1966): Die strukturalistische Tätigkeit. In: Kursbuch 5, S.190-196.

ders. (1964): Mythen des Alltags, Frankfurt a.M. (franz.Orig. 1957).

ders. (1974): Die Lust am Text, Frankfurt a.M. (franz. Orig. 1973).

ders. (1983): Elemente der Semiologie, Frankfurt a.M. (franz.Orig. 1964).

ders. (1987): S/Z, Frankfurt a.M. (franz. Orig. 1970).

ders. (1988): Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen. In: ders.: Das semiologische Abenteuer, Frankfurt a.M., S.102-143 (franz.Orig. 1966).

Baumgärtner, Klaus (1971): Interpretation und Analyse. Brechts Gedicht "Die Literatur wird durchforscht". In: J.Ihwe (1971/72), Bd.2, S.179-198.

Bußmann, Hadumod (1983): Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart.

Culler, Jonathan (1988): Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie, Reinbek b.Hamburg (amerik.Orig. 1982).

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Oliver Jahraus
Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft
Universität Bamberg
An der Universität 5
D - 96045 Bamberg

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Erstpublikation: IASL 19,2 (1994), S.1-51. Die Online-Version wurde vom Autor eingerichtet, es fehlen die Skizzen S.26 und 46.


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Fußnoten

1 Der Begriff der natürlichen Sprache wird hier einerseits negativ von der fachsprachlichen bzw. künstlich generierten Terminologie unterschieden, andererseits positiv als jener sprachliche Bereich bestimmt, an dem jeder kompetente Sprecher einer Sprachgemeinschaft mittels seiner Sprachkompetenz (vor allem bezüglich Wortschatz und Grammatik) sprachlich partizipieren kann; vgl. den Artikel "Natürliche Sprache" bei Bußmann 1983, S.342/343.    zurück

2 Vgl. Frank 1990, S.121-124.    zurück

3 Vgl. Seiffert 1992a.   zurück

4 Vgl. z.B. Kayser 1983, Erster Teil: Grundbegriffe der Analyse, S.53-186.   zurück

5 Siehe: Todorov 1972c, Petöfi 1971, Greimas 1972, Barthes 1988, Titzmann 1977a/b.   zurück

6 Vgl. z.B. Titzmann 1984, S.262: beide Begriffe werden nebeneinander gebraucht: "Textanalyse/Interpretation"; ders. 1991, S.398: "ich verwende 'Textanalyse' und 'Interpretation' als Synonyme"; bei Titzmann 1977b und Keller/Hafner 1990 stehen beide Begriffe in Titel und Untertitel nebeneinander; vgl. daneben auch Petöfi 1971 und 1972.   zurück

7 Göttner 1984, S.353.   zurück

8 Vgl. dazu Baumgärtner 1971.   zurück

9 Kanzog 1991, S.155, zieht eine "Grenze zwischen Erläuterung, Kommentar und Interpretation".   zurück

10 Saussure 1967, S.76-79, 132-146.   zurück

11 Diese Grunddifferenz, selbst wenn das Signifikat nur ein Signifikanteneffekt ist und nur illusionär in der Spur oder der différance aufscheint, kann und wird auch nicht aus poststrukturalistischer Sicht negiert, auch wenn sie als Grundannahme der logozentrischen Metaphysisch heftig kritisiert wird; vgl. Frank 1984, S.88 ff.   zurück

12 Groeben/Landwehr 1991, S.169, sprechen hier von der zentralen, "(kognitive[n]) Konstruktivität des Lesers bei der Textrezeption [...], die als literaturästhetischer und -theoretischer Ausgangspunkt praktisch aller (neueren) Forschungsprogramme seit den 70er Jahren angesehen werden kann. In der daraus resultierenden nicht-essentialistischen Konzeption des 'Texts in Funktion' [...] konvergieren nicht nur die [...] Theorieansätze der empirischen Literaturpsychologie und Sozialgeschichte der Literatur, sondern auch alle anderen neueren Forschungsrichtungen von der Rezeptionsästhetik (Iser; Jauss) über die Empirische Literaturwissenschaft (Groeben; Schmidt) bis hin zum Dekonstruktivismus (de Man; Culler)."    zurück

13 Ein über die Achse der Text- bzw. Leserpolorientierung entfaltetes Methodenspektrum, dessen Positionen je spezifisch auf die Interessenkollision zwischen Leser und Literaturwissenschaftler reagieren, habe ich an anderer Stelle bereits dargelegt; vgl. Vf. 1993.   zurück

14 Ingarden 1960, S.354-367, bes. S.360.   zurück

15 Iser 1975b, S.253-276, bes.253 f.   zurück

16 Vgl. Groeben 1972, 1979, 1980.   zurück

17 Schmidt 1991, bes. S.375, daneben auch:1979, S.282 ff., und in konstruktivistischer Weiterentwicklung 1986, S.88 ff., 1987, S.30 ff.   zurück

18 Bereits 1974 hat van Ingen aus hermeneutischer Perspektive versucht, einen Vermittlungsvorschlag zwischen subjektiv und objektiv bestimmten Positionen der auf die Autorintention abzielenden Hermeneutik und der auf den Leser und seine Rezeption abzielenden Positionen der Rezeptionsästhetik und der empirischen Position Groebens zu machen. Er sieht die gleichmäßige Berücksichtigung aller Elemente der "Trias Autor-Text-Leser" "unter kommunikationstheoretischem Aspekt" (S.129) vor. Das führt lediglich zu einer akzidentellen Ergänzung einer hermeneutischen Position, ohne daß die empirische Methode substantiell integriert worden wäre (vgl. die Replik Groebens 1979, S.48 ff.). Vgl. nochmals Vf. 1993; die Rede von 'Polen' bezeichnet eine Ausrichtungs- und Orientierungsmarke; Groeben/Landwehr 1991 sprechen von 'Text- und Leserfaktor'.   zurück

19 Vgl. Barthes 1966.   zurück

20 Vgl. van Ingen 1974, S.89 ff.   zurück

21 Gadamer 1990,S.307 ff., S.387 ff.   zurück

22 Titzmann 1991, S.400.   zurück

23 Jauß 1970.   zurück

24 Jauß 1969, Zitat S.56.   zurück

25 Iser 1975; zur Kritik vgl. H.Link 1973.   zurück

26 Iser 1975, S.248.   zurück

27 Zur Kritik Solms/Schöll 1979, S.156-175.   zurück

28 So der Titel von Iser 1972; vgl. auch Iser 1990.   zurück

29 Barthes 1974.   zurück

30 Barthes 1987, S.8.   zurück

31 Barthes 1974, S.89.   zurück

32 Hamacher 1988.   zurück

33 Zur poststrukturalistischen Hermeneutik-Kritik vgl. Müller 1990.   zurück

34 Vgl. z.B. Schmidt 1991, Titzmann 1977b, S.11-44, und 1991.   zurück

35 Z.B. bei Groeben 1979, Schmidt 1979, Wolff/Groeben 1981, Groeben/Landwehr 1991, Ort 1994.   zurück

36 Groeben 1980, S.9/10; zur empirisch-konstruktivistischen Kritik der Rezeptionsästhetik vgl. Schmidt 1987, S.30.   zurück

37 Groeben 1987, S.67 ff.   zurück

38 Jauß 1970, S.171.   zurück

39 Z.B. bei Groeben 1979, S.49 f.   zurück

40 Siehe Groeben 1972, S.259, 1980, S.12 und 16.   zurück

41 Groeben 1979, S.46.   zurück

42 Schmidt 1979, S.282 ff.   zurück

43 Schmidt 1991, S.344-372.   zurück

44 Groeben 1979, S.47 ff; zur Kritik aus strukturalistischer Perspektive siehe Wünsch 1981 und 1984; sie hält an einer wissenschaftlichen Textanalyse fest: "Nicht eine Neufundierung, sondern nur eine Ergänzung der Literaturwissenschaft kann man sich also von der Rezeptionsforschung erwarten." 1981, S.199.   zurück

45 Groeben 1989.   zurück

46 Schmidt 1986, S.81; daneben auch Schmidt 1987.   zurück

47 Vgl. Scheffer 1992.   zurück

48 Das gilt m.E. auch für die sog. 'werkimmanente Schule' bei Kayser 1983 und Staiger 1977.   zurück

49 Schmidt 1991, Groeben/Landwehr 1991, S.158.   zurück

50 Groeben/Landwehr 1991, S.180, sprechen von der "Prävalenz des Textfaktors".   zurück

51 Kritisch dazu Groeben 1989.   zurück

52 So z.B. bei Derrida, vgl. Engelmann 1990, S.20/21: "es gäbe kein Außerhalb des Textes" und Frank 1984, S.88-102.   zurück

53 Vgl. nochmals Groeben 1972, 1979, 1980.    zurück

54 Schmidt 1991, S.370.   zurück

55 Eco 1992, Überschriften aus dem 1.Kap., S.25-55.   zurück

56 Die wichtigsten Stationen: Eco: 1977, 1987b, 1987c, 1992.   zurück

57 Eco 1987b, S.5.   zurück

58 Schmidt 1979, S.286.   zurück

59 Schmidt 1979, S.287.   zurück

60 Analyse und Interpretation sind Formen der 'geordneten Rede über Literatur'. Diese Redeweise geht auf Kanzog 1991, S.152-160, zurück; sie ist zunächst auf den Film bezogen, ist aber auch auf die Literatur, auf Texte insgesamt übertragbar. Von Analyse und Interpretation wäre also die Literaturkritik als Rede zu Literatur zu unterscheiden, deren Aufgabe nicht darin besteht, Literatur deskriptiv zu erfassen, sondern normativ zu einem möglichen Literaturkonsum Stellung zu nehmen.   zurück

61 Grundlegend hierfür Titzmann 1977b.   zurück

62 Vgl. Eagleton 1988, S.54.   zurück

63 Dieser Begriff findet sich bei Titzmann 1977b, S.238 ff.   zurück

64 Der Begriff der Unbestimmtheit (neben dem der Leerstelle) wird in der rezeptionsästhetischen Konzeption Isers zur Voraussetzung dafür, daß die Leserrolle konstitutiver Bestandteil der Textstruktur ist; auf ihr beruht der Lektüre- und Auslegungsspielraum des Lesers und - daraus resultierend - der appellative Charakter der Texte; vgl. Iser 1975a, bes.S.236 und S.248.   zurück

65 Das metaphysische Moment ist in seiner Begrifflichkeit von 'Sinn' und 'Entwurf' unübersehbar philosophisch, genauer: existentialphilosophisch durch die Konzeption von Martin Heideggers Sein und Zeit fundiert, auch wenn diese sich als Fundamentalontologie ausgibt.    zurück

66 Hierauf bezieht sich Schmidt 1979, S.281, wenn er die Interpretation genannte Zuordnung eines 'literaturwissenschaftlichen' Resultattextes zu einem 'literarischen' Ausgangstext als wissenschaftliche Operation im Rahmen einer empirischen Literaturwissenschaft für nicht durchführbar hält.   zurück

67 Zur Interpretation als Übersetzung vgl. das Beispiel der Interpretationen von Kafkas Hungerkünstler in Frickes Aufsatz: Wie soll man über Literatur reden?, in: Fricke 1991, S.11-26; auch Fricke spricht von "Übersetzung" (S.11).   zurück

68 Zur empirischen Erforschung des Verstehens vgl. Viehoff 1981.   zurück

69 Vgl. dazu Frank 1990, S.177: "Man kann also - und das tut im wesentlichen die grammatische bzw. strukturale Interpretation - den Text »einerseits« als ein weltloses, situationsabtraktes und autorloses Gebilde behandeln [...]. Alsdann expliziert man die inneren Beziehungen des Textes, d.h. seine Struktur. Die »andere Seite« der Interpretation wird beschritten, sobald man die von der Schrift unterbrochene Verbindung des Textes zur lebendigen Kommunikation wiederherstellt: dann analysiert man ihn nicht mehr, dann interpretiert man ihn: Textanalyse wird Texthermeneutik."   zurück

70 Mit 'struktural' sollen die theoretischen Elemente einer methodologischen Position bezeichnet werden; 'strukturalistisch' hingegen meint die Einordnung im Methodenspektrum; vgl. Titzmann 1977b, S.12-16.   zurück

71 Ricoeur 1973, S.72/73.   zurück

72 Ricoeur 1973, S.79.   zurück

73 Frank 1985, S.13.   zurück

74 Frank 1984, S.7 f., 1990, S.7.   zurück

75 Frank 1990, S.122 passim, S.177. Diese Differenzierung ist nur eine andere Variante der Gegenüberstellung von Analyse und Interpretation. Bei der ersten kann jedes sprachliche Zeichen als Teil eines System objektiv dekodiert werden (S.164/5), bei der zweiten 'flottiert der Sinn unter den Ausdrücken' in der Kommunikation (S.177), wobei dieser Effekt hermeneutisch auf den Interpreten oder poststrukturalistisch auf den Text selbst zurückzuführen ist (S.176).   zurück

76 Frank 1985, S.12.   zurück

77 Frank 1990, S.7.   zurück

78 Frank 1990, S.10.   zurück

79 Frank 1990, S.10, 137.   zurück

80 Vgl. (neben Anm.5) auch Titzmann 1977b: "Interpretation" und "'Text'-Analyse" sind austauschbare Begriffe, bes.S.19 f.; und Wünsch 1981, S.197: "...werde ich nur von solcher Interpretation sprechen, die literaturwissenschaftlichen Anspruch erheben kann: ich werde sie Textanalyse nennen".   zurück

81 Für Schmidt 1971 ist die 'Geschichte' eines Textes eine transphrastische Fundierungskategorie für die Bedeutungen (und damit auch für die Aussagen), die durch einen Text konstituiert und vermittelt werden.   zurück

82 Vgl. Titzmann 1981, bes.S.230 ff.   zurück

83 Titzmann 1977b, S.345; vgl. für das Folgende S.343-380.   zurück

84 Titzmann 1977b, S.343-380.   zurück

85 Titzmann 1984, S.263.   zurück

86 Titzmann 1984, S.273.   zurück

87 Vgl. Anm.5, und Todorov 1972a und 1972b, Titzmann 1984, § 15, S.274 ff.   zurück

88 Wünsch 1984, S.904.   zurück

89 Titzmann 1984 spricht von einer "Konsequenzregel", S.269.   zurück

90 Anders als Titzmann 1984, S.260, würde ich Struktur nicht in Abhängigkeit vom System definieren. Da alle Begriffe nur nominalistisch definiert sind, kann auch eine Struktur Element einer höherstufigen Struktur sein, so daß man Strukturen beliebiger Komplexität erhält, von der Sinnrelation bis zum narrativen Programm. Das System wäre dann nur eine bestimmte, geordnete Menge von Strukturen. Von 'der Struktur des Textes' reden hieße dann, eine Menge von Strukturen des Textes als Elemente in eine Struktur auf der obersten Stufe des Textes einzuordnen. Die Struktur ist immer unidimensional, während das System netzwerkartige Verknüpfungen von Strukturen umfaßt, z.B. in der Rede vom "sekundären, modellbildenden System" (Lotman 1981, S.22 f.); vgl.dazu auch: Schulte-Sasse/Werner 1977, S.129 ff.   zurück

91 Daß formale Äquivalenzen bedeutungstragend werden, wenn sie in syntagmatischer Weise verknüpft werden, darauf hat bereits Jakobson hingewiesen und dies zum Prinzip der poetischen Sprache erklärt: "Die poetische Funktion überträgt das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination"; Jakobson, 1989, S.94; vgl.dazu auch Schulte-Sasse/Werner 1977, S.127 f. und Iser 1990, S.V f., der dabei eine "semantische Entgrenzung" konstatiert.   zurück

92 Lotman 1981, S.22 f.; vgl. auch Titzmann 1977b, S.69 f. und 1984, S.268.   zurück

93 Titzmann 1977b, S.9 f. und 1984, S.269, wo er eine "Interpretationstheorie", die er mit seiner Strukturalen Textanalyse von 1977 identifiziert, von einer strukturalen Erzähltheorie unterscheidet; diese war bereits 1977 angekündigt, siehe S.10.   zurück

94 Der Wissenschaftlichkeitsanspruch einer Position drückt ich durch eine elaborierte Theoretizität aus, die wiederum versucht, Aufbau und Struktur der Theorie durch ein System von Theorieelementen zu explizieren. Die Präsentation greift dabei auf Buchstabenfolgen als abkürzende Benennungen der Theorieelemente zurück, sowohl bei Titzmann als auch noch verstärkt bei Schmidt 1991.   zurück

95 Titzmann 1984, S.268/269.   zurück

96 Ein "kontrollierte[r] Einstieg in den hermeneutischen Zirkel", wie von Gabriel 1991, S.114, vorgeschlagen, deutet eher auf einen Widerspruch in sich hin, da die Zirkularität eine dritte Instanz der Kontrolle per se ausschließt. Wenn Eibl 1976, S.66, den hermeneutischen Zirkel als "Monosemierung durch den Kontext" beschreibt, ist damit eher ein analytisches Verfahren als ein genuiner Zirkel gemeint. Vgl.dazu auch Göttner 1973.   zurück

97 Titzmann 1977a, S.37; Petöfi 1971 spricht von einer "allgemeinen algorithmischen Methode [...], die alle Standpunkte vereint, anstatt sich jeder einzelnen Struktur nur teilweise und intuitiv zu nähern" (S.512). Wolff/Groeben 1981, S.38, machen hingegen darauf aufmerksam, daß anstelle eines "explizit formulierte[n], z.B. algorithmierte[n] Verfahren[s]" eine "durch langes Training erzielte[...] Internalisierung der jeweiligen Analysegesichtspunkte" stehen kann.   zurück

98 Barthes 1966, S.191.   zurück

99 Vgl. Fietz 1982, S.27.   zurück

100 Titzmann 1984, S.272 f.   zurück

101 Titzmann 1977b, S.19 f.   zurück

102 Nach Titzmann 1981, S.230, gehören Propositionen, die aus den Propositionen des Textes ableitbar sind, in der ersten und zweiten Ableitungsstufe zur Textbedeutung, solche der dritten und höheren Stufe bedürfen einer weiteren Bestätigung.   zurück

103 In Anlehnung an Barthes 1987, S.10 ff.   zurück

104 Barthes 1987, S.8 und ff.   zurück

105 Vgl.Eibl 1976, S.69; Eco 1987, S.72 ff., spricht hier vom Gebrauch der Texte.   zurück

106 Vgl. Solms 1979.    zurück

107 Vgl. Göttner 1984, S.356; sie faßt den Text- bzw. Literaturbegriff als Prädikat auf; als normative Beispiele nennt sie: "Die zentralen Prädikate von Lit.theorien sind [...] im Fall einer normativen Lit.theorie 'gute/echte/große/wahre/ etc. Literatur".   zurück

108 Vgl. hierzu aus dekonstruktivistischer Sicht de Man 1987.   zurück

109 Vgl. Seiffert 1992b.    zurück

110 Lotman 1981, S.22 f.; vgl. auch Titzmann 1977b, S.69 f. und 1984, S.268.   zurück

111 Damit sind all jene Textbegriffe ausgeschlossen, die den Text selbst nicht in seiner semantischen Ausdrucksfunktion, sondern als Ausdruck einer anderen Funktion sehen, z.B. als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse oder - wie bei Jauß 1970, S.173-189 - eines Erwartungshorizontes einer Lesergemeinschaft, da hier noch einmal eine andere Basis als grundlegender angenommen wird.   zurück

112 "Sekundär" bedeutet bei Lotman 1981 "die natürliche Sprache als Material benutzend" (S.23) und "nach dem Typ der Sprache gebaut" (S.24). Die Ebene des Sekundären ist daher in erster Linie nicht ein sprachliches Phänomen, sondern ein Chrakteristikum des Kunstwerkes allgemein und seiner Modellbildung. Es bezeichnet eher eine Abweichung als eine Überlagerung. Der zweite Bedeutungsaspekt tritt in den Vordergrund, wenn man das Sekundäre als sprachliche Ebene auffaßt, so z.B. Barthes 1983, wenn er von einem "zweiten System spricht" (S.75 f.), auf der Signifikant und Signifikat der ersten Ebene zu einem neuen Signifikanten werden; eine Struktur, die auch dem Mythos zugrundeliegt (vgl. Barthes 1964, S.93). Keller/Hafner 1990 gehen von einer sprachlichen Fundierung der Ebenen aus, beziehen aber die sekundäre Ebene auf ein narratives Modell (S.143 f.), das durch eine tertiäre und jede nächsthöhere Ebene unterlaufen werden kann. Für Petöfi 1971 liegen die sog. Sekundärstrukturen gänzlich außerhalb der Sprachstruktur des Sprachkunstwerks (S.510 f.). Ich gehe hier von der sprachlich-semantischen Fundierung der sekundären Ebene als Überlagerung und Resultat aus der primären Ebene durch den Systemcharakter des Textes aus.   zurück

113 Insofern grieft eine Definition der Literarizität von Literatur zu kurz, wenn sie sich nur auf sekundär-semantische Ebene stützt, die zwar in literarischen Texten in besonderer Dichte ausgeprägt, aber auch in der natürlichen Sprache aufzufinden ist; vgl. dazu Ihwe 1971.   zurück

114 Titzmann 1977b, Kap. 3.1, S.180-263.   zurück

115 Titzmann 1981, bes. S.227 ff.   zurück

116 Todorov 1972a.   zurück

117 Diese Verfahren gehen auf Greimas 1971 (1966) und auf Lyons 1980 (1977), S.327-345 zurück; zur Umsetzung für die Textanalyse vgl. Titzmann 1977b, Kap.2, S.86-179, und Schulte-Sasse/Werner 1977, Kap.5 und 6, S.63-89.   zurück

118 Vgl. Schulte-Sasse/Werner 1977, S.68 ff. und 155 ff.   zurück

119 Saussure 1967, S.136/137.   zurück

120 Wenn Todorov 1971 meint, daß die "in der Linguistik und der Philosophie sehr schwierigen Probleme der Bedeutung [...] sich in der Literaturwissenschaft noch schwieriger" dar[stellen]" (S.120), dann bezieht sich das auf die Vielzahl der bedeutungsrelevanten Ebenen im Text. Der Text als System führt allerdings zu einer Komplexitätsreduktion von der generellen zur textuellen Bedeutung.   zurück

121 Vgl. Schulte-Sasse/Werner 1977, S.65 ff. und Kallmeyer 1986, S.119 ff.   zurück

122 Titzmann 1977b, Kap.2.3, S.149-179.   zurück

123 Titzmann 1977b, S.154.   zurück

124 Titzmann 1977b, S.176.   zurück

125 Titzmann 1977b, S.80 f. und 361 ff.   zurück

126 Siehe Barthes 1964, S.93, daneben auch Barthes 1983, S.76; Ein Mythos entsteht, wenn die Relation zwischen Signifikant und Signifikat auf einer ersten (denotativen) Ebene (hier: einer primär/sekundär-semantischen) ihrerseits wieder zu einem Signifikanten auf einer höheren (konnotativen) Ebene (hier: der semiotischen) wird.   zurück

127 Siehe J.Link 1984, 1986, 1988; Kollektivsymbole sind interdiskursive Elemente, die die Schnittstellen zwischen verschiedenen diskursiven Formationen (z.B. Spezialdiskurse) und gleichzeitig verschiedenen Diskurspositionen (z.B. realistische, romantische, technische, naturbezogene) darstellen. Den Ballon als Beispiel hat J.Link umfassend dargestellt.    zurück

128 Titzmann 1977b, Kap.3.2, S.263-330 und Titzmann 1989.   zurück

129 J.Link 1988, S.288 f. macht darauf aufmerksam, daß 'Alltagswissen' an einem "Gewinmmel von Diskursinterferenzen und Diskursberührungen" anzusiedeln ist.   zurück

130 Lotman 1981, S.301.   zurück

131 Lotman 1981, S.300-311, und insbesondere das Beispiel aus der Geometrie, S.302 ff.   zurück

132 Im Rahmen der Rekonstruktion von Lotmans Grenzüberschreitungstheorie bezeichnet Renner 1983, S.31, Ordnungssätze als "allquantifizierte Implikationen". Die Eigenschaft, auf die sie sich beziehen, ist die Raumgebundenheit einer Figur.   zurück

133 Lotman 1981, S.301.   zurück

134 Vgl. Titzmann 1984, § 15, S.274 ff.   zurück

135 Vgl. Propp 1972 und Gülich/Raible 1977, Kap.III, S.192-250.   zurück

136 Lotman 1981, Kap.8, S.300-401, bes. S.329-340.   zurück

137 Lotman 1981, bes. S.312.   zurück

138 Darauf hat insbesondere Jakobson 1989, S.92, aufmerksam gemacht: "Die Einstellung auf die BOTSCHAFT als solche, die Ausrichtung auf die Botschaft um ihrer selbst willen, stellt die POETISCHE Funktion der Sprache dar." vgl. dazu auch Schulte-Sasse/Werner 1977, S.133 ff.   zurück

139 Programmatisch für diese Entwicklung steht Hofmannsthals 'Chandos-Brief'; man denke auch Kafka oder jene Autoren, die Sprachphilosophie explizit rezipert haben: Ingeborg Bachmann, Peter Handke, Thomas Bernhard.   zurück

140 Eine solche Abstrahierung des Lotmanschen Raumkonzepts hat Renner 1983 durch eine mengentheoretische Reformulierung vorgenommen.   zurück

141 Lotman 1981, S.336: "Ein Ereignis ist somit immer die Verletzung irgendeines Verbotes".   zurück

142 In dieser Richtung hat bereits Kanzog 1976 vorgearbeitet.   zurück

143 Vgl. hierzu Winko 1991, bes. S.8-19; sie entwirft auf axiologischer Grundlage einen werttheoretischen Begriffsrahmen für die Literaturwissenschaft, um die Praxis von literarischen und literaturwissenschaftlichen Wertsetzungen methodisch zu präzisieren.    zurück

144 Petöfi 1971 bezeichnet die "Korrelation der analysierten Strukturen", also den synthetischen Teil der Analyse, als Interpretation (S.516 ff.) und liefert damit eine andere Kombination der Begriffe von Analyse und Interpretation. Doch 'Interpretation' ist bei ihm nur ein terminus technicus für einen bestimmten Analyseschritt. Die Frage nach der hermeneutischen Tradition oder der Fundierung in der Lektüre stellt sich für ihn nicht.   zurück

145 Vgl.nochmals Titzmann 1984, S.273.   zurück

146 Vgl. Wolff/Groeben 1981, S.37.   zurück

147 Da strukturalistische Verfahren aus der Linguistik in die Literaturwissenschaft übernommen wurden (vgl. Titzmann 1984, § 2 und 3, S.256-259), wurde der Strukturalismus in der Literaturwissenschaft auch unter der Perspektive der Zusammenführung von Literaturwissenschaft und Linguistik rezipiert, vgl. die Arbeiten von Ihwe 1969, 1971, 1972 und das von ihm (Ihwe 1971/72) herausgegebene Standard-(Sammel-)Werk.   zurück

148 So bei Todorov 1972b.   zurück

149 Titzmann 1977b, S.9 f. und 1984, S.269.   zurück

150 Barthes 1966, S.191, nennt es "ein gezieltes, »interessiertes« Simulacrum, da das imitierte Objekt [=das rekonstruierte Modell; O.J.] etwas zum Vorschein bringt, das im natürlichen Objekt unsichtbar war". Da es aber dennoch in ihm angelegt war, ist das Simulacrum nicht mit dem hermeneutischen Topos zu verwechseln, nach dem der Interpret den Autor besser versteht als er sich selbst. Demgegenüber versteht Fietz 1982, S.28, das Simulacrum nicht als das dem Objekt "innewohnende System", "sondern [als] die Vorstellung, die sich ein Betrachter davon macht", was einen hermeneutischen Standpunkt impliziert. Zwar ist die Objektkonstitution auch von der Betrachtungsweise abhängig, aber die Vorstellung gänzlich vom Objekt zu trennen, verfehlt einen der wichtigsten Aspekte des Strukturalismus. Zum Zusammenhang von Struktur- und Modellbegriff, insbesondere aus ethnologisch-anthropologischer Sicht mit der Frage nach dem empirisch-epistemologischen Status von Struktur und Modell, vgl. Oppitz 1993, Kap.II, S.15-71.    zurück

151 Lotman 1981, S.338 f.   zurück

152 Eco 1992, Kap.4.6, S.425-441.   zurück

153 Vgl. Culler 1988, Kap.2, bes. S.99-123.   zurück

154 Wie bereits dargelegt, kann eine empirische Konzeption wie die von Schmidt (z.B. 1979) nur um den Preis eines anderen Defizits, der Substitution von Interpretation im herkömmlichen Sinn, dieses Defizit auffüllen.   zurück

155 Es sei nochmals an Eco 1992, S.25-55, erinnert: erst die "Verteigung des wörtlichen Sinnes" erlaubt die "Falsifizierung der Fehlinterpretation". In gleicher Weise Groeben 1987, S.96: "Textrezeptionen sind durch den Rückgriff auf die material-objektive Textbeschreibung als inadäquat nachweisbar". Die Analyse wäre mit dem zu vergleichen, was er "basissemantische Beschreibung" (S.97) nennt: "An der Konzeption eines solchen material-objektiven Außenkriteriums und d.h. einer intersubjektiven basissemantischen (im Sinne von Unabhängigkeit gegenüber der konkretisierten Textbedeutung einzelner Rezipienten) Textbeschreibung ist m.E. unbedingt festzuhalten, denn ohne sie ist in der Tat eine Ablehnung bestimmter, nicht sinnvoller Textrezeptionen nicht mehr möglich." (ebd.) Die Kooperation von Analyse und Interpretation als literaturwissenschaftliche Konzeption kann damit - wie von Groeben gefordert - zwei Fragen zugleich beantworten: "sowohl die Frage, was man (der Rezipient) mit literarischen Texten an Bedeutungsgenerierung alles machen kann, als auch die Frage, was man mit den einzelnen Texten nicht mehr machen darf" (ebd.). Vgl. auch die Unterscheidung in "material-objektive" und "sinnorientierte" Beschreibungsverfahren bei Groeben 1972, S.175 ff. (daneben Wolff/Groeben 1981, S.38).    zurück

156 Vgl. nochmals Fricke 1991.   zurück

157 Für das Kafka-Beispiel sei nochmals auf Fricke 1991 verwiesen. Zum Lesartenkanon bei Kleist vgl. Kanzog 1977, S.221-240, und bei Kafka vgl. Heintz 1979.   zurück

158 Vgl. nochmals Schmidt 1979.   zurück

159 Eco 1987a, S.43 ff.   zurück

160 Eco 1992, S.20.   zurück

161 Zur Krisendiagnose vgl. Griesheimer/Prinz 1991, Förster/Neuland/Rupp 1992, die beide die Legitimitätsfrage "Wozu?" bereits im Titel führen, Lämmert 1991 und Fricke 1991, der von einer "verunsicherten Disziplin" und gar von einem "unwissenschaftlichem Fach" (S.169) spricht; vgl. auch Solms 1979.   zurück

162 Diese 'Paradigmatisierung von Literatur' findet sich bereits in poststrukturalistischen Positionen: Für de Man drückt sich die rhetorische Dimension der Sprache, für Gallas (1981) (in der literaturwissenschaftlichen Umsetzung von Jacques Lacan) die sprachliche Strukturierung des Unbewußten paradigmatisch und exponiert in literarischen Texten aus.   zurück

163 Weil Bedeutung nur im "Lebens-Gesamtzusammenhang" entsteht, sind Literatur und Kunst für Scheffer 1992, S.14, integrative "Bestandteile einer Lebenspraxis, in der es fortlaufend auch auf 'kreative' Konstruktion von Wirklichkeit ankommt".    zurück



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