IASL 2002, 1 + 2Aufsätze (Band 1)
Der Aufsatz stellt Friedrich Schlegels politisches Denken bis in die Pariser Zeit (um 1802) dar. Behandelt wird beispielhaft die Genese der deutschen "politischen Romantik". Schlegels frühe Interpretation der antiken Politik wird zunächst erläutert, und zwar im Kontext seiner Geschichtsphilosophie: Die Grundzüge der späteren "reaktionären" Anschauungen Schlegels werden deutlich. Danach untersucht die Studie Friedrich Schlegels ablehnende Stellung zur Französischen Revolution, und seine frühromantischen Staatsentwürfe, erörtert besonders die Schrift " Über den Begriff des Republikanismus", die die Idee des preußischen Absolutismus "romantisiert". Der Aufsatz setzt sich mit dem Vorwurf auseinander, die ebenso revolutionäre wie konservative politische Frühromantik in Deutschland ästhetisiere die politische Theorie und betrachte den Staat bloß als ein Kunstwerk. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts bildete sich im europäischen Raum mit der Hinwendung zu Nationalismus und Liberalismus die säkulare Gesellschaft heraus. Die katholische Kirche unter Führung des Papstes in Rom versuchte dieser Entwicklung entgegenzuwirken und verstrickte sich mit den meisten europäischen Nationalstaaten in Kulturkämpfe. Der historische Roman und das historische Erzählen dienten liberal gesinnten Autoren als Medium des Kulturkampfes. Nationalliberales Bewusstsein gab sich seine Identität, indem es sich von kirchlichen Positionen abgrenzte. Der Beitrag weist am historischen Erzählen von Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer nach, dass Bilder konfessioneller Identität einen kulturellen Kode konstituieren, über den die Differenz von Eigenem und Fremdem organisiert ist. Oft greift die aktuelle Diskussion um Kulturwissenschaft auf klassische Modelle zurück, selten kommt dabei die skeptische Dimension der methodischen Reflexion im Umfeld von Junggrammatik und Neukantianismus in den Blick. Der Aufsatz exponiert die beiden profiliertesten Modelle dieses Bereichs und skizziert davon ausgehend das Konzept einer institutionell verankerten explikativen Kulturwissenschaft. Der Beitrag stellt die Neue Sachlichkeit als eine vornehmlich ästhetisch orientierte Strömung bzw. eigenständige literarische Ästhetik vor. Auf der Grundlage dieser Bewertung werden sowohl die zentralen Inhalte als auch die produktions- und rezeptionsästhetischen Postulate der neusachlichen Bewegung erläutert. Weiterhin finden die wesentlichen, an den Begriff der Sachlichkeit geknüpften poetologischen Prämissen neusachlichen Schreibens und neusachlicher Literatur Berücksichtigung. Die Studie verfolgt die Entstehung der Neuen Sachlichkeit als eine antiexpressionistische Bewegung zu Anfang der 20er Jahre sowie ihre Entwicklung und Etablierung als ein "neuer Naturalismus" innerhalb der Literatur der Weimarer Republik. Ausgangspunkt ist hierbei die These, daß sich die Neue Sachlichkeit als die letzte Phase der Moderne charakterisieren läßt. Autoren, die ihre Kindheitserinnerungen an den Holocaust nicht nur im Stil eines dokumentarischen Realismus bezeugen wollen, sondern nach differenzierten literarischen Repräsentationsformen suchen, stehen vor einer komplexen Aufgabe. Sie müssen eine Sprache für traumatische Erfahrungen und zugleich die geeignete Perspektive des einstigen Kindes finden. Der Aufsatz untersucht am Beispiel von Ruth Klügers und Louis Begleys Kindheitsgeschichten die literarischen Formen der Rekonstruktion und Repräsentation jüdischer Kindheiten im Holocaust. Beide Werke durchbrechen auf unterschiedliche Weise vertraute Leseerwartungen an autobiographische Literatur und traditionelle Gattungsschemata der Holocaust-Literatur. Sie entwerfen sperrige Gedächtnisbilder und eine antilineare Topographie der Erinnerung, die auch für die kulturelle Gedächtnisforschung von großem Interesse ist. Schwerpunkt: Ideenzirkulation und Buchmarkt
Buch- und Intellektuellenforschung werden als Beispiele dafür vorgestellt, wie sich Ideengeschichte und Sozialgeschichte neu miteinander verbinden lassen. In den europäischen Industrienationen bildete sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein pluralisierter Massenmarkt für literarische Produkte aus. Die Buch- und Presseverlage mußten immer schneller immer mehr Leser erreichen. Unter den gleichen Bedingungen der Ökonomisierung und Demokratisierung des öffentlichen Lebens entstand zugleich ein neuer Typus des Intellektuellen. Methodisch geht es in diesem Beitrag um die Frage nach "Ideen und ihrer sozialen Gestaltungskraft" bei der Ausprägung der modernen Kommunikationsgesellschaften im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der Aufsatz befaßt sich mit den Weltausstellungen als zentralem Kommunikationsort und Medium des Ideen- und Wissenstransfers im ausgehenden 19. Jahrhundert. Anhand der Wissenschaftskongresse einerseits, den Initiativen zu einem internationalen Publikationsaustausch und zur Festlegung verbindlicher Richtlinien für den Urheberrechtsschutz andererseits, werden Institutionen in den Blick genommen, die wesentliche Konstituierungsbedingungen für die Informations- und Kommunikationsrevolution schufen. Die deutsch-französischen Kulturbeziehungen erholten sich nur langsam von ihrem Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg. Bis zum Vertrag von Locarno (1925) waren es vor allem kleinere informelle Zirkel, die sich um eine wechselseitige Verständigung bemühten. Ein herausragendes Beispiel dieser frühen Verständigungsversuche waren die von dem Pariser Philosophen Paul Desjardins organisierten internationalen Entretiens d'été von Pontigny, zu denen von deutscher Seite u.a. Ernst Robert Curtius, Heinrich Mann und Bernhard Groethuysen anreisten. Als ein "Europa im kleinen" (E. R. Curtius) bildeten die Sommergespräche von Pontigny eine wichtige Verständigungsplattform zwischen deutschen und französischen Intellektuellen und übernahmen damit eine wichtige Vorreiterfunktion für die deutsch-französische Wiederannäherung in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre. Der Beitrag untersucht die neuere Forschungsliteratur zur deutschen, britischen und französischen Verlagsgeschichte im frühen 20. Jahrhundert. Dabei werden auf der methodischen Schnittstelle von Kultur-, Verlags- und Intellektuellengeschichte vier Aspekte herausgearbeitet: Forschungsbericht
Aufsätze (Band 2)
Der Beitrag untersucht die Veränderungen der präsentischen Dimension des Ritus unter Bedingungen repräsentationaler Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit. Wort und dingliches Zeichen als konstitutive Elemente des Ritus werden bei Erasmus, Luther und Montaigne einer systematischen Kritik unterzogen. Diese Kritik fokussiert die Zeichenhaftigkeit ritueller Zeichen. Aber bei aller repräsentationalen Infragestellung ritueller Präsenz bleibt die präsentische Dimension des Ritus, wenn auch um den Preis spezifischer Verschiebungen, erhalten. Vor dem Hintergrund von vier bisher unbekannten Briefen Christian Fürchtegott Gellerts an Karoline Juliane Kirchhof beleuchten die Verfasserinnen exemplarisch zwei wichtige Aspekte der Briefkultur des 18. Jahrhunderts: Die Literalisierung der Gattung und die Ausformung dieses Mediums zu einem geschlossenen Kommunikationssystem innerhalb der Gesellschaft. Der Aufsatz rekonstruiert den wilhelminischen "Schundkampf" historisch-ethnographisch aus den Handlungen der Akteure: Nutzer und Gegner kommerzieller populärer Literatur. Aus dieser Perspektive werden drei Thesen entwickelt. Die Ablehnung des entstehenden Marktes für preiswerte Kulturwaren durch die gebildeten und besitzenden Oberschichten aufgreifend, war der Feldzug gegen die Schundliteratur eine soziale Bewegung der volkserzieherischen Professionen, insbesondere der Volksschullehrer; es ging um höheres Ansehen und verbesserte berufliche Stellung. Damit bilden nicht zeitgenössische Zensurbestrebungen den sinngebenden Kontext, sondern tradierte Volkserziehungsmotive. Schließlich sind die Praktiken von Schundgebrauch und Schundjagd auch zu lesen als Auseinandersetzung um die Neubestimmung von Kindheit und Jugend in einer einschneidend veränderten Medienkonstellation. Der Beitrag versucht, die überkommene Debatte um Musils Mystik-Adaption auf eine neue Basis zu stellen, indem er nach der literaturpolitischen Funktion der Musilschen Anverwandlung (neo)mystischer Ideologeme fragt. Zu diesem Zweck unternimmt er nach einer knappen Skizze von Musils Poetik der "Motivation" (I.) die >dichte Beschreibung< des Schauspiels Die Schwärmer, das bisher noch nicht systematisch unter dem Gesichtspunkt des seinerzeit allgegenwärtigen Mystik-Diskures analysiert worden ist (II.). Eine Kontextualisierung der Befunde dieser exemplarischen Einzeltextanalyse durch Musils ästhetisch-literaturkritische wie allgemein kulturtheoretische Essayistik erlaubt es schließlich, seine impliziten und expliziten Stellungnahmen zur Mystik als Element einer spezifischen schriftstellerischen Strategie im zeitgenössischen intellektuellen und literarischen Feld zu deuten. 1986 hat Walter Müller-Seidel die Bedeutung des europäischen Deportationssystems für die Interpretation von Kafkas Strafkolonie hervorgehoben. Wir bewerten die auch von ihm genannte Quelle, Robert Heindls Bericht seiner Reise nach Neukaledonien (publiziert 1913), unter dem Aspekt kultureller Grenzpraktiken neu. Kafkas Text erscheint so viel weniger durch Oppositionsbeziehungen wie >alt< und >neu<, >barbarisch< und >europäisch< oder >handelnde< und >stumme< Figuren geprägt so die Tendenz der Forschung unter starkem Einfluß der Maschinen-Metapher. Vielmehr präsentiert er zahlreiche Überlagerungen dieser Oppositionen wie auch Brechungen des Kolonialdiskurses selbst, in denen sich bereits das "Fiasko" (Heindl) der Deportation abzeichnet. Der Artikel diskutiert die Annahmen von "Ende der großen Erzählung" und plädiert gegen "Postmoderne" und "Posthistoire" für die Nicht-Hintergehbarkeit der Geschichtsphilosophie, die den Blick auf das Ganze des Geschehens nie aufgegeben hat. Zugleich hat sie immer die Unverfügbarkeit dieses Ganzen behauptet. Im Rückgriff auf Adorno und Lukács wird der "Held" des bürgerlichen Romans in diese "große Erzählung" hineingestellt, in ein Narrativ, das nun allerdings nicht mehr teleologisch-sinnhaft aufgefasst werden kann, und das den Helden tendenziell zersetzt. Über Ricoeur und seine Lehre von den Stufen der "mimesis" kommt das Problem hinzu, wie in dieser unendlichen Geschichte eine "Fabel" erzählt werden kann, die sehr wohl einen Anfang und ein Ende hat. Es geht um Erzählungsstrukturen des Romans angesichts eines unendlich weitlaufenden "großen" Geschichtsnarrativs. Forschungsbericht
Der Bericht gibt einen Überblick über den Forschungsstand zum Thema Lesen in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, indem er 24 Beiträge dazu vorstellt. Angesichts der zahlreichen medialen Umbrüche in dieser Epoche ist die Frage nach der Selbstreflexion der Literatur bzw. der Lesekultur von besonderem Interesse. Zusammenfassend betrachtet muß der Forschungsstand aber in mehrfacher Hinsicht als unzureichend bezeichnet werden. Der Beitrag versucht dann aus den festgestellten Lücken und Mängeln einige Perspektiven für die zukünftige wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Themenbereich zu entwickeln. |