IASL 2000, 1+2



Aufsätze (Band 1)

  • Peter Czerwinski: per visbilia ad invisibilia.Texte und Bilder vor dem Zeitalter von Kunst und Literatur.


  • Jutta Müller-Tamm: WeltKörperInnenraum. Anmerkungen zur literarischen Anthropologie des Körperinneren.


  • Die grotesken Motive der Leibreise und der sezierenden Erkundung des Körperreichs besitzen eine lange Tradition, die hier beginnend mit Rabelais` Pantagruel über englische Satiren des frühen 18. Jahrhunderts bis zu deutschen Erzählungen der Romantik und des Expressionismus nachgezeichnet wird. Diese literarischen Darstellungen des Körperinnenraums reagieren kritisch auf das sich wandelnde Erkenntnisfeld der Anthropologie, das durch die ontologische und erkenntnistheoretische Trennung von Innen- und Außenwelt im 17. Jahrhundert und die kantische Subjektivierung des Raums im Verein mit der wissenschaftlichen Verähnlichung des Körpers um 1800 jeweils neu organisiert wurde.

  • Klaus-Detlef Müller: Brecht – ein letzter Aristoteliker des Theaters? Zur Bedeutung des Fabelbegriffs für das epische Theater.


  • Es ist ein eigenartiger Befund, daß sich Brecht als Anwalt des antiaristotelischen epischen Theaters in den Jahren nach der Emigration sehr dezidiert zum Fabelbegriff des Aristoteles bekannt hat. Aus postmoderner Sicht mußte er deshalb als konservativer Neuerer erscheinen. Der scheinbare Widerspruch läßt sich aus seiner Theaterpraxis erklären.



Fortschrittsberichte und Forschungsdiskussion (Band 1)

  • Joseph Jurt: Die Internationalisierung der Literatur. Im Zusammenhang mit der Monographie von Pascale Casanova: La République mondiale des lettres.


  • Für Pascale Casanova entwickelt sich schon seit der frühen Neuzeit ein transnationaler literarischer Raum der Rivalität der volkssprachlichen Literaturen. Der sich im 19. Jahrhundert ausbildende internationale literarische Raum ist durch eine antagonistische Stuktur bestimmt: durch den Pol der >reinen< Literatur (mit Paris als Zentrum) und den Pol der Literaturen, die durch politische, nationale oder soziale Zielsetzungen bestimmt sind. Die literarischen Revolutionäre wie Joyce, Faulkner und Beckett können auf den Ergebissen der Revolten der literarisch Dominierten aufbauen, eine Art transnationales >häretisches< symbolisches Kapital zu schaffen.

  • Walter Erhart: Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. Eine Fallstudie.


  • Die anthropologiegeschichtliche Wende der Aufklärungsforschung nimmt ihren Ausgangspunkt häufig von einer Kritik sozialgeschichtlicher Konzepte sowie von einer neuen Hinwendung zu literarischen und wissenschaftsgeschichtlichen Quellen. Anhand einer Studie zum "anthropologischen Roman der Spätaufklärung" werden Forschungsinteressen, Ergiebigkeit, Einsichten und Probleme eines solchen Vorgehens exemplarisch diskutiert.



Rezensionen (Band 1)

  • Holger Flachmann: Martin Luther und das Buch. Eine historische Studie zur Bedeutung des Buches im Handeln und Denken des Reformators. 1996 (Hellmut Zschoch)
  • Michel Grimberg: La Réception de la comédie Française dans les pays de langue allemande (1694-1799), vue à travers les traductions et leurs préfaces. 1995 (Wolfgang F. Bender.)
  • Ludwig Gieseke: Vom Privileg zum Urheberrecht. Die Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland bis 1845. 1995 (Hans-Joachim Koppitz)
  • Peter Philipp Riedl: Öffentliche Rede in der Zeitenwende. Deutsche Literatur und Geschichte um 1800. 1997 (Ralf Georg Bogner)
  • Bettina Hey`l: Der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Lebenskunst und literarisches Projekt. 1996 (Astrid Köhler)
  • Michael Andermatt: Verkümmertes Leben, Glück und Apotheose. Die Ordnung der Motive in Achim von Arnims Erzählwerk. 1996 (Jutta Osinski)
  • Michael Walter: "Die Oper ist ein Irrenhaus". Sozialgeschichte der Oper im 19. Jahrhundert. 1997 (Jörg Krämer)
  • Gregor Streim: Das >Leben< in der Kunst. Untersuchungen zur Ästhetik des frühen Hofmannsthal. 1996 (Ethel Matala de Mazza)
  • Wolfgang Lukas: Das Selbst und das Fremde. Epochale Lebenskrisen und ihre Lösung im Werk Arthur Schnitzlers. 1996 (Michael Scheffel)
  • Wolfgang Braungart: Ästhetischer Katholizismus. Stefan Georges Rituale der Literatur. 1997 (Kai Kauffmann)
  • Andrea Melcher: Vom Schriftsteller zum Sprachsteller? Alfred Döblins Auseinandersetzung mit Film und Rundfunk (1909-1932). 1996 (Irmela Schneider)
  • Ulrich Erdmann: Vom Naturalismus zum Nationalsozialismus? Zeitgeschichtlich-biographische Studien zu Max Halbe, Gerhart Hauptmann, Johannes Schlaf und Hermann Stehr. 1997 (Bernhard Tempel)
  • Barbara Müller-Wesemann: Theater als geistiger Widerstand. Der Jüdische Kulturbund in Hamburg 1934-1941. 1996 (Dieter Wenk)
  • Susanne Schmid:Jungfrau und Monster. Frauenmythen im englischen Roman der Gegenwart. 1996 (Benjamin Marius Schmidt)





Aufsätze (Band 2)

  • Werner Williams-Krapp: Die überlieferungsgeschichtliche Methode. Rückblick und Ausblick.


  • Der Beitrag bietet eine kritische Würdigung der ›Überlieferungsgeschichtlichen Methode‹, die seit 30 Jahren als wichtige methodische Grundlage für literaturgeschichtliche Untersuchungen und Editionen im Bereich der Mittelaltergermanistik Verwendung findet. Eine derartige Würdigung führt unweigerlich zu einer Auseinandersetzung mit den methodischen Prämissen der ›New Philology‹.

  • Daniel Fulda: Falsches Kleid und bare Münze. Tausch und Täuschung als Konstituenten der Komödie, mit zwei Beispielen aus dem Barock.


  • Zu den vielversprechendsten Ansätzen einer Sozialgeschichte der Literatur zählt die Frage nach dem Verhältnis einer Gattung zu den historisch bedingten Denkweisen ihrer Trägergruppen. Unter Rückgriff einerseits auf Georg Simmels relativistische Wertphilosophie, andererseits auf eine systemtheoretische Poetik des neuzeitlichen Dramas rekonstruiert die vorliegende Studie den strukturellen Konnex von Komödie und performativer Wertbildung, wie sie sich in der Marktgesellschaft vollzieht. Überprüft sowie mit historischen und theaterästhetischen Differenzierungen versehen wird das Modell einer dem Funktionieren des Geldes strukturhomologen Komödie am Beispiel von Gryphius` Horribilicribrifax und Christian Weises Verfolgtem Lateiner.

  • Uwe Steiner: Der wahre Politiker. Walter Benjamins Begriff des Politischen.


  • Benjamins Begriff des Politischen hätte in einem Aufsatz dargelegt werden sollen, von dem in Briefen aus den frühen zwanziger Jahren wiederholt die Rede ist. Wie die Rekonstruktion des nur bruchstückhaft überlieferten Textes und seines Entstehungshintergrundes zeigt, lassen sich in Benjamins politischer Philosophie, die um eine eigentümliche Metaphysik des Leibes und der Technik zentriert ist, höchst unterschiedliche Einflüsse aufzeigen, die sich in der frühexpressionistischen Nietzsche-Rezeption vielfach bündeln und durchmischen. Die Koordinaten, in denen sich Benjamins Überlegungen zu Beginn der zwanziger Jahre bewegen, dienen noch seinem späteren politischen Engagement als unverrückbare Orientierungspunkte.

  • Ute Schneider: Die »Romanabteilung« im Ullstein-Konzern der 20er und 30er Jahre.


  • Der 1903 innerhalb des Ullstein-Pressekonzerns gegründete Ullstein Buchverlag war in starkem Maß organisatorisch wie inhaltlich abhängig vom Roman-Bedarf der konzerneigenen Zeitungs- und Zeitschriftenredaktion. Die Dominanz der Presse- Erzeugnisse verpflichtete die Lektoren des Buchverlags, den verlegerischen Wert von literarischen Manuskripten an ihren Chancen auf eine mediale Mehrfachverwertung innerhalb des Konzerns zu messen. Die Rekonstruktion der Lektoratsarbeit läßt ein höchst effizient funktionierendes, werbestrategisch ausgefeiltes Verlagskonzept erkennen, in dem Bestsellergeschäft und der Geschmack eines Massenpublikums, aktuelle Zeitgeistströmungen und die Unterhaltungskultur in Berlin weitgehend die Manuskriptauswahl dirigierten.

  • Anke-Marie Lohmeier: Aufklärung und Propaganda. Politisch-kulturelle Konsensbildung in Literatur und Publizistik der frühen Nachkriegszeit.


  • Die in politisch-kulturellen Zeitschriften der frühen Nachkriegsjahre dokumentierten politischen Konsensbildungsprozesse unter westdeutschen Intellektuellen belegen die ungebrochene Kontinuität antimoderner Denktraditionen. Die aus konservativ- kulturkritischen Deutungsmustern bezogene Interpretation des NS-Regimes als End- und Gipfelpunkt der Moderne erlaubte es, die Frontstellung gegen Modernisierungsprozeß und offene Gesellschaft, die weite Teile der deutschen Intelligenz seit der Jahrhundertwende bezogen, nach 1945 als >Antifaschismus< neu zu legitimieren. Deutliche Reserve gegen demokratische Gesellschaftsentwürfe und breite Konsensfähigkeit autoritärer Politikkonzepte prägen die Diskussionen zwischen 1945 und 1949.

  • Ingrid Gilcher-Holtey: »Askese schreiben, schreib: Askese«. Zur Rolle der Gruppe 47 in der politischen Kultur der Nachkriegszeit.


  • Geleitet von Elementen der Feldtheorie Pierre Bourdieus, entfaltet der Artikel das Profil der Gruppe 47 sowie ihre Definition des Verhältnisses von Literatur und Politik im Kontext des sich nach 1945 rekonstruierenden literarischen Feldes. Skizziert werden der Aufstieg der Gruppe innerhalb des literarischen Feldes, ihre einzigartige Integrations- und Ausstrahlungskraft sowie ihre Versuche, ihr kulturelles und soziales Kapital einzusetzen, um sich einzumischen in die Politik.

  • Wolfram Göbel: Warum verändern Verlage ihre Profile?




Fortschrittsberichte und Forschungsdiskussionen (Band 2)

  • Leander Scholz: Sammeln als Ordnungsinstrument zwischen Erkenntnis und Selektion. Anläßlich von Aleida Assmann/Monika Gomille/Gabriele Rippl (Hg.): Sammler-Bibliophile-Exzentriker.


  • Wenn man Sammlungen als eine Sonderform bzw. Externalisierung des Gedächtnisses betrachtet, dann stellt sich die Frage, ob man Sammlungen als eine spezifische Organisation von Vielheit wesentlich identitätsstiftend versteht oder ihnen als Abbildungsraum von Welt auch eine erkenntnistheoretische Funktion zuspricht. Für diese beiden Traditionsstränge liegt der entscheidende Umbruch um 1700, da von der Frühaufklärung an die Leistung des Gedächtnisses als identitätsstiftend vor allem im Verhältnis zum Vergessen beschrieben wird.

  • Irmgart Scheitler: Neue Literatur über Reisen.


  • Karolina Dorothea Fells Untersuchung über Reiseberichte deutschsprachiger Frauen 1920-1945 ist wegen ihres weitgehend unerforschten Gegenstandes hervorzuheben. Erstmals wird die Fülle der einschlägigen Titel sichtbar und man bekommt – den methodischen Schwächen zum Trotz – dankenswerte Informationen über Inhalt und Tendenzen dieser unbekannten Texte. Der von Peter J. Brenner herausgegebene Sammelband erschließt in zehn sehr qualifizierten Aufsätzen eine Vielfalt von Aspekten zur Reisekultur zwischen Weimarer Republik und ›Drittem Reich‹: Behandelt werden neben Berichten über Auslandsreisen auch Themen von mehr gesellschaftlicher Relevanz, etwa die Anfänge des deutschen Volkstourismus oder die Bedeutung des Autobahnbaus. Gabriele Habingers Buch über die Lebensgeschichte der Ida Pfeiffer kann wissenschaftlichen Anforderungen weniger genügen, zumal zu dieser bedeutenden Reisenden des 19. Jahrhunderts schon gründliche Darstellungen existieren. Unterhaltsam und interessant ist der Band von Annette Deeken und Monika Bösel über Frauenreisen in den Orient, wiewohl er in manchen Punkten wissenschaftlich nicht ganz standhält. Im wesentlichen werden deutschsprachige Berichte aus dem 19. Jahrhundert vorgestellt, wobei das Augenmerk auf dem Problem der Fremderfahrung liegt.

  • Günter Butzer: Programmatischer oder poetischer Realismus? Zur Bedeutung der Massenkommunikation für das Verständnis der deutschen Literatur im 19. Jahrhundert.


  • Die Auseinandersetzung mit Rudolf Helmstetters Buch Die Geburt des Realismus aus dem Dunst des Familienblattes behandelt der Beitrag den Einfluß, den die im Verlauf des 19. Jahrhunderts entstehende Massenkommunikation auf die deutsche Literatur gehabt hat. Dabei ergeben sich zwei Entwicklungslinien: eine Steigerung der Reflexivität, die vom Realismus über das Verbindungsglied Fontane in die Moderne führt, und eine Perfektionierung literarischer Simulation, die die neueren Simulationsmedien des 20. Jahrhunderts vorbereitet.



Rezensionen (Band 2)

  • Karlheinz Barck (Hg.): Harold A. Innis – Kreuzwege der Kommunikation. Ausgewählte Texte. 1997 (Roberto Simanowski)
  • Wolfenbütteler Bibliographie zur Geschichte des Buchwesens im deutschen Sprachgebiet (1840-1980) (WBB). Hg. von der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel. Bearbeitet von Erdmann Weyrauch unter Mitarbeit von Cornelia Fricke (bis Bd. 4) und Ulrich Lauszus (Bd. 5-6). 1991-1999 (Heinz Sarkowski)
  • Hans-Jörg Künast: »Getruckt zu Augspurg«. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555. 1997 (Ursula Rautenberg)

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