Tipp der Woche

"The book is a unique document of Renaissance culture, a polemic of pacifistic civic humanism, feminism and sexual emancipation. It is also a unique document on the role of the body metaphor and dreamwork in creative architectural design."

Die Hypnerotomachia Poliphili ist ein wahres Wunderwerk der italienischen Renaissance. Sie handelt von Poliphilos` Kampf zwischen Liebe und Schlaf. In Form eines Traumgebildes erzählt der junge Poliphilos von seiner beschwerlichen Wanderung in einer imaginierten antik-mystischen Welt auf der Suche nach seiner Geliebten Polia. Gleich einem kunsttheoretischem Traktat ist diese Erzählung mit ausführlichen Architektur-, Garten- und Landschaftsbeschreibungen angereichert.

Die reich illustrierte Erstveröffentlichung von 1499 in Venedig in der Druckerwerkstätte des berühmten Verlegers Aldus Manutius zählt zu den absoluten Höhepunkten der frühen Buchdruckkunst. Wegen der Verwendung der venezianischen Renaissance-Antiqua-Type sowie kunstvoller Schmuckinitialen gilt sie als hochbedeutsames typographisches Meisterwerk. Ebenso gelten die 172 Holzschnittillustrationen, welche stark an die Schule des Andrea Mantegna sowie an Gentile Bellini erinnern, als ein Kompendium der Allegorieschöpfung und Antikenrezeption des Quattrocentos.

Die Website The Electronic Hypnerotomachia präsentiert eine vortrefflich gestaltete elektronische Umsetzung der Hypnerotomachia Poliphili. Das Projekt ist in zwei Bereiche geteilt: The Electronic Hypnerotomachia beinhaltet die vollständig digitalisierte Fassung der Editio Princeps. Die elektronische Textfassung kann auf zweierlei Weise erschlossen werden: Der Webreader kann entweder Seite für Seite durch die Texte blättern oder direkt auf die einzelnen Kapitel zugreifen. Eine englische Übersetzung von Joscelyn Godwin als Laufleiste erleichtert die Lektüre.
Der Bereich Leon Battista Alberti's Hypnerotomachia Poliphili enthält Auszüge aus Liane Lefaivres Monographie Leon Battista Alberti's Hypnerotomachia Poliphili: Re-Configuring the Architectural Body in the Early Italian Renaissance (1997. ISBN 0-262-12204-9). Realisiert wurde das Projekt unter der Leitung Liane Lefaivres von der MIT Press in Kooperation mit der Design Knowledge System Group an der Technischen Universität in Delft.

Die digitalisierte Aufbereitung bietet Unterstützung bei der Lektüre dieses allegorisch-mystischen Liebesromans. Denn die Lektüre ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Der Autor, der anonym bleiben will, gestaltet sein Werk als ein von Rätseln durchsetztes interdisziplinäres Geflecht tiefgründiger Anspielungen und Verweise, die sowohl das philologische wie auch kunsthistorische Interesse wecken.

Bereits der zungenbrecherische Titel deutet auf die facettenreiche Vielliebhaberei hin. Der Roman schildert einerseits eine idyllische Liebesromanze in der Tradition des Giovanni Boccaccios und spielt andererseits auf erotische Phantasien an, in deren Mittelpunkt imaginierte Bauten und Kunstwerke der Antike metaphorisch als Objekte der Begierde und für den Körper der Polia stehen.
Die Absicht des Autors, sein literarisches Werk zu verschlüsseln, kommt ebenfalls in der Verwendung von Hieroglyphen und in dem undurchschaubaren Sprachkomposit des Romans zum Ausdruck: Die Sprache wechselt vom Altitalienischen, das mit toskanischem Dialekt versetzt ist, hin zu Latinismen und Graezismen.

Auch die Identität des Autors ist bis heute nicht endgültig geklärt. Vermutlich wurde die Hypnerotomachia Poliphili 1467 von dem humanistisch gebildeten Dominikanermönch Francesco Colonna (1433-1527) verfasst. Colonna lebte zu jener Zeit als Grammatik- und Rhetoriklehrer im Kloster Santi Giovanni e Paolo in Venedig. Untermauert wird diese Zuschreibung durch eine verschlüsselte Inschrift. Die Initialen der 38 Kapitel bilden ein Akrostichon, welches auf den Namen des Autors hindeutet: POLIAM FRATER FRANCISCUS COLUMNA PERAMAVIT.

Liane Lefaivre hingegen spricht in ihrer Untersuchung zum ersten Mal dem Architekten Leon Battista Alberti die Autorschaft zu und stellt damit die traditionelle Zuschreibung in Frage.
Lefaivre begründet ihre These mit der filmartigen visuellen Logik, die das Buch beherrscht. Alberti, der sich für die Fixierung von Bewegungen interessierte, widmete Passagen seines Buches De pictura der Bewegung und schuf in den "dimostrazioni" frühe Vorläufer des modernen Kinos. Diese Argumentation wird durch Beispiele animierter Bildsequenzen veranschaulicht.

Die Anregung zu diesem Tipp gab Danica Krunic. Wollen Sie dazu Stellung nehmen oder einen eigenen Tipp geben? Dann schicken Sie uns eine E-Mail.


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