Tipp der Woche

Kann eine Maschine denken? Kann man mit einer Maschine sinnvolle Gespräche führen? Wenn der Bank-o-mat uns für unseren Besuch dankt, wird keiner von uns sich der Illusion hingeben, es mit wirklicher Dankbarkeit zu tun zu haben - ebenso wenig, wie wir von guter Erziehung ausgehen, wenn die Türen des Supermarktes bei unserem Herannahen aufgleiten.

Etwas komplizierter freilich wird die Sache, wenn wir es mit der vom englischen Mathematiker Alan Mathison Turing (1912-1954) entwickelten Turing-Maschine zu tun bekommen. Diese stützt ihren Nachweis von künstlicher Intelligenz auf die Nachahmung menschlicher Denk- und Kommunikationsprozesse. Hans Magnus Enzensberger schlägt einen Versuch vor:

    "Einer von uns- wir wollen ihn B nennen - tritt mit ihr in Verbindung (über Dateneinsicht oder Fernschreiber). C, ein Zensor, soll das Zwiegespräch überwachen. A simuliert einen Menschen, desgleichen B; und nun soll C entscheiden, wer von den beiden der Mensch, und wer die Maschine ist. Diese Versuchsanordnung wollen wir, nach ihrem Erfinder, ein Turing-Spiel nennen. [...] Jedesmal nun, wenn die Maschine sich verrät (sei es, indem sie einen Fehler, oder sei es im Gegenteil, indem sie keinen Fehler macht), verbessert sie ihr Programm. Sie lernt und lernt. Es erhebt sich die Frage, wie die Partie enden wird. Wir beantworten diese Frage nicht, halten jedoch fest, daß das Spiel sehr lange dauern kann, und daß es niemals gespielt worden ist."
      (Hans Magnus Enzensberger: Mausoleum. Siebenunddreißig Balladen aus der Geschichte des Fortschritts. Frankfurt am Main 1994, S. 124 f.)

Eine auf den ersten Blick grotesk anmutende Ausweitung dieser Kommunikationssituation stellt ELIZA dar. Eigentlich war ELIZA von ihrem Schöpfer, Joseph Weizenbaum, in den Jahren 1964 bis 1966 als die Parodie eines (mit der so genannten Roger-Methode arbeitenden) Psychotherapeuten entwickelt worden. Damit wollte Weizenbaum demonstrieren, dass Computer natürliche, menschliche Sprache immer nur in bestimmten Kontexten verstehen. David Lodge beschreibt in seinem Roman "Schnitzeljagd" eine ELIZA-Situation:

    "ELIZA, benannt nach der Heldin von [G.B. Shaws, D.K.] Pygmalion, war ein Programm, das den Computer zum Sprechen befähigen, das heißt, ihn in die Lage versetzen sollte, vermittels eines Bildschirms zusammenhängende Gespräche in hochsprachlichem Englisch mit menschlichen Benutzern zu führen. Die Gespräche mußten textspezifisch sein, nach genau festgelegten Regeln ablaufen und einem ganz bestimmten Ziel dienen, wobei dem Computer, der mit einem Vorrat möglicher Reaktionen auf in diesem Zusammenhang zu erwartende Schlüsselworte programmiert war, im wesentlichen die Rolle des Stichwortgebers und Fragestellers zugedacht war. Das Frage- und Antwortspiel zwischen Psychiater und Patient galt, da es eine besonders stark regulierte Gesprächssituation darstellte, als ideal für diesen Zweck und hatte daher als Modell für ELIZA gedient. [...] "Ich würde sie gern ausprobieren", sagte Robin. "Okay", meinte Josh [ein Assistenzprofessor für Informatik, D.K.]. "Sie können den Terminal da in der Ecke nehmen. Wenn ich Ihnen zunicke, tippen Sie ‚Hallo' ein." Robin Dempsey setzte sich an eine aus Schreibmaschinentastatur und Bildschirm bestehende Konsole. Josh ging mit einer großen Magnetbandrolle in einen verglasten Verschlag, wo der Hauptrechner stand, und nickte gleich darauf Robin zu. ELIZA war online. "HALLO", tippte Robin. "HALLO. WIE FÜHLEN SIE SICH?", antwortete ELIZA. Die gedruckten Worte erschienen unmittelbar auf dem Bildschirm. "ICH FÜHLE MICH SCHAUDERHAFT", entgegnete Robin. "WAS GENAU MEINEN SIE DAMIT?"
      (David Lodge: Schnitzeljagd. Ein satirischer Roman. Berlin 1997, S. 160 f.)

Wenn Sie wissen möchten, wie die Kommunikation weitergeht, haben Sie nun die Wahl, entweder den Roman zu lesen oder es selbst auszuprobieren: hier, bei der Implementierung des klassischen ELIZA-Programms von Charles Hayden, finden Sie alles Erforderliche. (Wer lieber ein Gespräch in seiner Muttersprache führen möchte, kann sich beim Göttinger TESMIK-Projekt eine deutsche Version downloaden.) Sollten Sie sich für die zweite Möglichkeit entscheiden, ergeht es Ihnen vielleicht wie den Testpersonen, von denen Rodney A. Brooks, Direktor des Artificial Intelligence Laboratory am Massachusetts Institute of Technology (MIT), dessen Roboter KISMET und COG auf dem Wege zum menschlichen Denken und Fühlen sind, berichtet:

Die Beziehung zwischen dem Menschen und der Maschine wird bereits seit mehr als 50 Jahren aus den verschiedenen Blickwinkeln wissenschaftlicher Disziplinen erforscht. Aber seien Sie vorsichtig. Die intensive Beschäftigung mit Maschinen ist nicht ungefährlich. Denn wenn die Maschinen wie Menschen werden, wie werden dann die Menschen? Reduziert sich ihre neue Daseinsberechtigung auf die bloße Funktion eines Interaktionspartners zwischen den Maschinen? Von Alan Turing, der sich (aus Versehen?) mit Zyankali vergiftete, berichtet Enzensberger:

    "Jedenfalls will das Gerücht nicht verstummen, man könne ihn, oder sein Simulacrum, zuweilen, an feuchten Oktobertagen besonders, in der Umgebung von Cambridge, auf abgemähten Stoppelfeldern, unberechenbar Haken schlagend, im Nebel querfeldein laufen sehen."
      (Enzensberger, a.a.O., S. 125.)

Die Anregung zu diesem Tipp gab Danica Krunic. Wollen Sie dazu Stellung nehmen oder einen eigenen Tipp geben? Dann schicken Sie uns eine E-Mail.


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