Tipp der Woche

Seit über zwei Jahren gibt es die Homepage perlentaucher.de. Tag für Tag fasst sie die Feuilletons der großen deutschen Tageszeitungen und wöchentlich die internationalen Magazine zusammen. Bei allen Freunden der Kultur und der feuilletonistischen Berichterstattung hat sie sich längst als feste Größe etabliert.

Mit zum Perlentaucher-Angebot gehört auch ein täglicher Cartoon, der seit einem Jahr als Ein-Mann-Betrieb des Kölner Germanisten Robert Mattheis existiert. Aufgabe dieses Cartoons ist es, ein allmorgendlicher Lesespaß zu sein. Doch zugleich ist er auch ein seltsam verschrobener Kommentar zu dem, was die Existenzgrundlage des Perlentauchers bildet – zur Kultur des 21. Jahrhunderts.

Seltsam schon der Beginn: Ist es nicht Charles Foster Kane, die Hauptfigur des Orson-Welles-Films "Citizen Kane", der da, als schwarze Silhouette im hell erleuchteten Fenster, das Zeitliche segnet? Und gleich ein Sprung – vom besten Film aller Zeiten (so die Meinung einiger Cineasten über "Citizen Kane") zum großen Epos des Mittelalters, der "Göttlichen Komödie" Dantes. Doch kaum hat man sich an den Gedanken gewöhnt, dass hier einer einen leicht snobistischen Dialog der Hochkultur in Gang bringen will, tritt Charlie Brown auf, in der Vergil-Rolle des Führers durch eine Cartoon-Unterwelt aus strahlendem Weiß.

Pop goes Dante oder Dante goes Pop? Das weiß man nicht, ebenso wenig, wie man sich je ganz darüber im Klaren ist, worum es überhaupt geht. Einmal wird zwar eine Handlung erzeugt, als frankensteinsches Monster. Doch kaum hat sie das Licht der (Unter-)Welt erblickt, muss sie gleich wieder abtreten. Ein durchaus symbolischer Vorgang. Später heißt es, da ist der Held der Geschichte, Mark Deeh, längst auf seinen Kopf reduziert (der ihm von Jack the Ripper vom Rumpf getrennt wurde): "Wie groß fing das an, und wie dreckig sieht es heute aus".
Das ist ein Benn-Zitat, das sich in diesem Fall allerdings nicht auf den Nazi-Terror bezieht, sondern auf die Tatsache, dass kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe kurz zuvor mit Mark Deeh anal verkehrt hat. Warum? Weil "die Leserin", Walter (sic!) von Stuckrad-Barre, die Protagonisten dazu genötigt hat. Andernfalls, so die unmissverständliche Drohung, würde es ihnen ergehen wie Santa Claus, der von ihr schmucklos um die Ecke gebracht wurde.

Es gibt viele Traktate über die Postmoderne und die Popkultur, über deren hemmungsloses, sinnfreies und sinnenfrohes Anything Goes. Ganz offensichtlich arbeitet der Macher der Aufzeichnungen eines toten Lektors ganz in diesem Geiste. Doch ob eine Frau von den ubiquitären Armen einer Krake befriedigt wird, ein Käfer, der eigentlich Gregor Samsa sein müsste, sich in Bob Dylan verwandelt oder Captain America von einem BEM ("Bug-Eyed Monster") zu einem sprechenden Schädel zusammengestrahlt wird, immer wird dem Skandalösen, Transgressiven und schockierend Idiotischen der Stachel durch die zarte und humorvolle Linie des Zeichners genommen, durch dessen Gelächter über all diesen Unsinn, das so unüberhörbar herüberschallt.

Die Anregung zu diesem Tipp gab Danica Krunic. Wollen Sie dazu Stellung nehmen oder einen eigenen Tipp geben? Dann schicken Sie uns eine E-Mail.


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