IASLonline NetArt: Tipps


Thomas Dreher

Participation Pieces
Yoko Ono


Das Internet ermöglicht neue Realisationsformen von Event-Notationen. Für Yoko Onos Laugh Piece und Voice Piece for Soprano – beide Notationen stammen von 1961 – wurden über Telephon eingehende Realisationen in einem Zeitraum von 100 Tagen aufgenommen. Im August 2001 (als die Erstfassung dieses Tipps geschrieben wurde) war "Laugh Piece" für User-Partizipation offen, während "Voice Piece for Soprano", das für die Dauer der Einzelausstellung Yes Yoko Ono im Walker Art Center (Minneapolis, 10.3.-17.6.2001) für die Teilnahme offen war, nicht mal mehr als Archiv zugänglich war. Lediglich die e-Mail-Zuschriften konnten noch eingesehen werden. Im Januar 2004 waren die Archive mit den Beiträgen der Telephonteilnehmer für "Laugh Piece" und "Voice Piece for Soprano" (wieder) abrufbar.

Event-Notationen von Ono und anderen Künstlern 1 aus dem Umkreis von John Cage und der Gruppe Fluxus bestehen aus kurzen schriftlichen Bemerkungen, die für jede Art von Realisation offen sind: Die Realisationen sind weder von Gattungskriterien noch von künstlerischen Anweisungen oder von besonderen Fähigkeiten der Ausführenden abhängig. Realisationen von Event-Notationen können rein mentale sein. Ono fällt im Fluxus-Umfeld durch mehrere Notationen auf, die mentale Operationen entweder direkt einfordern oder durch die Art der "instructions" implizieren.

Einige Event-Notationen regen materielle Realisationen an und grenzen die Aktionsmöglichkeiten auf bestimmte Arten ein. Die von Ono für das Internet gewählten Notationen von 1961 2 passen zu der vom Walker Art Center entwickelten Software für audielle Realisationen durch Telefonübermittlung, die als Audio-Datei über das Internet öffentlich verfügbar wird. Die Event-Notationen müssen Aktionen anregen, die hörbar sind. Ono wählt mit den Lachen und Schreie (ohne Angaben, ob bestimmte Worte geschrien werden sollen) einfordernden Anweisungen Aufforderungen, deren Realisationen nonverbal ausfallen sollten (s. u.).

Realisationen von Event Cards waren bislang entweder rein privater Natur, wenn sie ein Leser für seine eigene Erinnerung ausgeführt hat, oder sie sind vor oder mit einer Gruppe von weiteren Akteuren (zum Beispiel auf "Fluxfests") ausgeführt worden, was wiederum in einem privaten oder öffentlichen Rahmen (vor Publikum) geschehen konnte.

Das Internet führt bei Events, die sowohl privat wie öffentlich als auch mental wie materiell ausführbar sind, zu Realisationen, die digitalisierbare Spuren hinterlassen, sowie zu einem öffentlichen Rahmen für die Rezeption dieser Spuren. Der öffentliche Rahmen von Webprojekten unterscheidet sich von der außerhalb des Web erzeugbaren Öffentlicheit für Realisationen / Aufführungen darin, dass er

  1. Vergleiche zwischen verschiedenen Realisationen erlaubt,
  2. jeder User jederzeit eine eigene Realisation abliefern kann,
  3. die Zuhörer unsichtbar bleiben und isoliert voneinander ihr Manual bedienen.
Durch Internet-Realisationen wird die Möglichkeit geschaffen, Realisationen zu vergleichen und aus diesen Vergleichen den eigenen Beitrag zu entwickeln: Spätere Realisationen könn(t)en deshalb anders ausfallen als frühere. Der zeitliche Abstand der Realisationen ist für den Hörer der gespeicherten Tondokumente erkennbar.

Allerdings erscheint bei Onos Art der audiellen Event-Notationen die Suche nach Entwicklungslinien, die sich zum Beispiel in einem Wettlauf der Originalität und der vokalen Fähigkeiten ergeben könnten, als wenig sinnvoll: Zu offensichtlich ist das Unterlaufen von geläufigen Kunsterwartungen (inklusive Originalität)

  • durch verbale Konzepte, die keine Grenzen von Kunstgattungen achten,
  • durch die Offerte an jedermann, seine Realisation abgeben zu könnnen, ohne bestimmte Fähigkeiten haben zu müssen.

Die Internet-Realisationen der Anweisungen von 1961 erscheinen wie die Erweiterung von Onos Scat-Gesang zu jeder Art vokaler Lautproduktion, die beliebige Teilnehmer ausführen können. Ausführungen von "Voice Piece for Soprano" führen von Onos Solo-Vortrag (ca. 1961) bis zur Netzpartizipation.

Die Internet-Anleitungen zu außermusikalischen, nicht von Traditionen der Stimmbildung vorbelasteten Vokalaktionen explizieren mit der Bestimmung der gewünschten Art der Lautproduktion – "scream" oder "laugh" – Einschränkungen der Realisationsmöglichkeiten. Die Einschränkungen auf nonverbale Vokalaktionen müssen Partizipanten nicht befolgen. Verbale Telefonrealisationen von "Laugh Piece" lassen sich im Archiv finden, die die Bandbreite der Realisationsmöglichkeiten erweitern und die Verbindlichkeit der Event-Notation – ihren Charakter als Anweisung – in Frage stellen. Sie bleiben aber vereinzelt. Jedoch nehmen nicht wenige Beiträge für "Voice Piece for Soprano" weder "scream" noch "soprano" als Anleitung ernst. Die vielen verbalen Beiträge reagieren nicht auf die Inhalte vorangegangener verbaler Beiträge: Es entsteht keine Interaktion zwischen Teilnehmern.

Das leider nicht mehr abrufbare Webprojekt Acorns: 100 Days with Yoko Ono ermöglichte 1996 schriftliche Partizipation. Ono schickte jeden Tag "a new instruction or a task", auf die User mit schriftlichen Eingaben reagieren konnten. Da keine Archivfassung vorliegt, ist nicht nachprüfbar, ob sich hier zwischen "instruction" und "reply" sowie zwischen "replies" nur ein indifferentes nebeneinander isolierter Eingaben oder doch ein Dialog ergab.

Anders als bei audieller nonverbaler Partizipation können sich bei schriftlicher Teilnahme Möglichkeiten der verbalen Interaktion durch sich aufeinander beziehende Eingaben ergeben. Nach Nanjo Fumio, der Onos "Acorns" als Kurator betreute, war 1996 die Programmierung der Echtzeit-Übertragung von Eingaben im Internet neu: "Before this, it was impossible to display direct responses immediately on a real-time basis." 3 Offenbar konnten Teilnehmer, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt für Eingaben verabredet hatten, das Partizipationssystem von "Acorns" für einen Echtzeit-Dialog nutzen, sofern sie bereit waren, zu warten, bis die Eingabe des Dialogpartners auf der "replies list" einer "instruction" erscheint, und unter "reply" eine Antwort eingeben, die mindestens ebenso auf die vorausgegangene Antwort reagiert wie auf Onos "instruction". Das Risiko, dass schon eine "reply" eines Teilnehmers in der Liste auftaucht, bevor die eigene Antwort auf den Beitrag eines Vorgängers abgeschickt ist, ließ sich nicht ausschalten.

Solche Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Usern waren jedoch eher Nebeneffekte von "Acorns", und die audiellen Netzprojekte von 2001 verzichteten auf diese Interaktion. Bei "Voice Piece for Soprano" wurde Partizipation irritierenderweise auf einer zweiten Ebene über e-Mail-Zuschriften explizit für verbale Eingaben geöffnet: Ono suchte offensichtlich nach Lösungen, in Netzprojekten Partizipation in Form von isolierten "Scream"-Ausführungen und verbale Mitteilungen (über Entstehungsbedingungen von Realisationen und anderes) auf zwei verschiedenen Ebenen vorzustellen.

Ono überlässt es Teilnehmern, zu entscheiden, wie weit sie sich an eine "instruction" halten oder ob sie eine "task" als Vorschlag behandeln wollen, der keinen verpflichtenden Charakter hat. Die Künstlerin legt diese Offenheit schon in gestellten "Aufgaben" an, wenn sie mindestens ebenso Auslöser mentaler Vorstellungen sind, wie sie zu Realisationen provozieren. Andere, nicht in Netzprojekten realisierte "instructions", zum Beispiel "Beat Piece" und "Clock Piece", beide im Herbst 1963 erstmals notiert, regen ausschließlich zu mentalen Operationen an. 4 Netzbeiträge müssten aus Protokollen des Gedachten bestehen, doch wird damit auch der private Charakter der Vorstellung aufgehoben.



Dr. Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München.

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Übrigens: Drehers Homepage bietet zahlreiche kunstkritische Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und Intermedia Art.



Fußnoten:

1 Begriffe wie Künstler, Rezipient, Partizipant und Teilnehmer werden zwar in maskuliner Form verwendet, stehen aber auch für die femininen Formen. Alternativen wie "der / die TeilnehmerIn" erschweren die Lesbarkeit (bzw. die Erfassung der Satzaussage). zurück

2 Ono, Yoko: Grapefruit. A book of instructions and drawings. New York 1971 (Erstpublikation Tokio 1964), o. P.; Munroe, Alexandra / Hendricks, Jon (Hg.): Yes Yoko Ono. Kat. The Japan Society Gallery. New York 2001, S.238. zurück

3 Fumio, Nanjo: When Idea becomes Form. In: Munroe, Alexandra / Hendricks, Jon (Hg.): Yes Yoko Ono, s. Anm.2, S.225. zurück

4 Clock Piece, Notation, Herbst 1963: Listen to the clock strokes. make exact repetitions in your head after they stop." Beat Piece, Notation, Herbst 1963: Listen to a heart beat." (Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia. München 2001, S.134f. Vgl. Munroe, Alexandra / Hendricks, Jon: Yes Yoko Ono, s. Anm.2, S.44,149,279) zurück


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