IASLonline NetArt: Tipps
Participation Pieces
Yoko Ono
Das Internet ermöglicht neue Realisationsformen von Event-Notationen.
Für Yoko Onos Laugh
Piece und Voice
Piece for Soprano beide Notationen stammen von 1961
wurden über Telephon eingehende Realisationen in einem Zeitraum von
100 Tagen aufgenommen. Im August 2001 (als die Erstfassung dieses Tipps
geschrieben wurde) war "Laugh Piece" für User-Partizipation
offen, während "Voice Piece for Soprano", das für
die Dauer der Einzelausstellung Yes
Yoko Ono im Walker Art Center (Minneapolis, 10.3.-17.6.2001) für
die Teilnahme offen war, nicht mal mehr als Archiv zugänglich war.
Lediglich die e-Mail-Zuschriften
konnten noch eingesehen werden. Im Januar 2004 waren die Archive mit den
Beiträgen der Telephonteilnehmer für "Laugh Piece"
und "Voice Piece for Soprano" (wieder) abrufbar.
Event-Notationen
von Ono und anderen Künstlern 1 aus dem Umkreis
von John Cage und der Gruppe Fluxus
bestehen aus kurzen schriftlichen Bemerkungen, die für jede Art von
Realisation offen sind: Die Realisationen sind weder von Gattungskriterien
noch von künstlerischen Anweisungen oder von besonderen Fähigkeiten
der Ausführenden abhängig. Realisationen von Event-Notationen
können rein mentale sein. Ono fällt im Fluxus-Umfeld durch mehrere
Notationen auf, die mentale Operationen entweder direkt einfordern oder
durch die Art der "instructions" implizieren.
Einige Event-Notationen regen materielle Realisationen
an und grenzen die Aktionsmöglichkeiten auf bestimmte Arten ein.
Die von Ono für das Internet gewählten Notationen von 1961 2
passen zu der vom Walker Art Center entwickelten Software für audielle
Realisationen durch Telefonübermittlung, die als Audio-Datei über
das Internet öffentlich verfügbar wird. Die Event-Notationen
müssen Aktionen anregen, die hörbar sind. Ono wählt mit
den Lachen und Schreie (ohne Angaben, ob bestimmte Worte geschrien werden
sollen) einfordernden Anweisungen Aufforderungen, deren Realisationen
nonverbal ausfallen sollten (s. u.).
Realisationen von Event Cards waren bislang entweder rein privater Natur,
wenn sie ein Leser für seine eigene Erinnerung ausgeführt hat,
oder sie sind vor oder mit einer Gruppe von weiteren Akteuren (zum Beispiel
auf "Fluxfests") ausgeführt worden, was wiederum in einem
privaten oder öffentlichen Rahmen (vor Publikum) geschehen konnte.
Das Internet führt bei Events, die sowohl privat wie öffentlich
als auch mental wie materiell ausführbar sind, zu Realisationen,
die digitalisierbare Spuren hinterlassen, sowie zu einem öffentlichen
Rahmen für die Rezeption dieser Spuren. Der öffentliche Rahmen
von Webprojekten unterscheidet sich von der außerhalb des Web erzeugbaren
Öffentlicheit für Realisationen / Aufführungen darin, dass
er
- Vergleiche zwischen verschiedenen Realisationen erlaubt,
- jeder User jederzeit eine eigene Realisation abliefern kann,
- die Zuhörer unsichtbar bleiben und isoliert voneinander ihr
Manual bedienen.
Durch Internet-Realisationen wird die Möglichkeit geschaffen, Realisationen
zu vergleichen und aus diesen Vergleichen den eigenen Beitrag zu entwickeln:
Spätere Realisationen könn(t)en deshalb anders ausfallen als frühere.
Der zeitliche Abstand der Realisationen ist für den Hörer der
gespeicherten Tondokumente erkennbar.
Allerdings erscheint bei Onos Art der audiellen Event-Notationen die
Suche nach Entwicklungslinien, die sich zum Beispiel in einem Wettlauf
der Originalität und der vokalen Fähigkeiten ergeben könnten,
als wenig sinnvoll: Zu offensichtlich ist das Unterlaufen von geläufigen
Kunsterwartungen (inklusive Originalität)
- durch verbale Konzepte, die keine Grenzen von Kunstgattungen achten,
- durch die Offerte an jedermann, seine Realisation abgeben zu könnnen,
ohne bestimmte Fähigkeiten haben zu müssen.
Die Internet-Realisationen der Anweisungen von 1961 erscheinen wie die
Erweiterung von Onos Scat-Gesang zu jeder Art vokaler Lautproduktion,
die beliebige Teilnehmer ausführen können. Ausführungen
von "Voice Piece for Soprano" führen von Onos Solo-Vortrag
(ca. 1961) bis zur Netzpartizipation.
Die Internet-Anleitungen zu außermusikalischen, nicht von Traditionen
der Stimmbildung vorbelasteten Vokalaktionen explizieren mit der Bestimmung
der gewünschten Art der Lautproduktion "scream"
oder "laugh" Einschränkungen der Realisationsmöglichkeiten.
Die Einschränkungen auf nonverbale Vokalaktionen müssen Partizipanten
nicht befolgen. Verbale Telefonrealisationen von "Laugh Piece"
lassen sich im Archiv finden, die die Bandbreite der Realisationsmöglichkeiten
erweitern und die Verbindlichkeit der Event-Notation ihren Charakter
als Anweisung in Frage stellen. Sie bleiben aber vereinzelt. Jedoch
nehmen nicht wenige Beiträge für "Voice Piece for Soprano"
weder "scream" noch "soprano" als Anleitung ernst.
Die vielen verbalen Beiträge reagieren nicht auf die Inhalte vorangegangener
verbaler Beiträge: Es entsteht keine Interaktion zwischen Teilnehmern.
Das leider nicht mehr abrufbare Webprojekt Acorns:
100 Days with Yoko Ono ermöglichte 1996 schriftliche Partizipation.
Ono schickte jeden Tag "a new instruction or a task", auf die
User mit schriftlichen Eingaben reagieren konnten. Da keine Archivfassung
vorliegt, ist nicht nachprüfbar, ob sich hier zwischen "instruction"
und "reply" sowie zwischen "replies" nur ein indifferentes
nebeneinander isolierter Eingaben oder doch ein Dialog ergab.
Anders als bei audieller nonverbaler Partizipation
können sich bei schriftlicher Teilnahme Möglichkeiten der verbalen
Interaktion durch sich aufeinander beziehende Eingaben ergeben. Nach Nanjo
Fumio, der Onos "Acorns" als Kurator betreute, war 1996
die Programmierung der Echtzeit-Übertragung von Eingaben im Internet
neu: "Before this, it was impossible to display direct responses
immediately on a real-time basis." 3 Offenbar konnten
Teilnehmer, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt für Eingaben verabredet
hatten, das Partizipationssystem von "Acorns" für einen
Echtzeit-Dialog nutzen, sofern sie bereit waren, zu warten, bis die Eingabe
des Dialogpartners auf der "replies list" einer "instruction"
erscheint, und unter "reply" eine Antwort eingeben, die mindestens
ebenso auf die vorausgegangene Antwort reagiert wie auf Onos "instruction".
Das Risiko, dass schon eine "reply" eines Teilnehmers in der
Liste auftaucht, bevor die eigene Antwort auf den Beitrag eines Vorgängers
abgeschickt ist, ließ sich nicht ausschalten.
Solche Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Usern waren jedoch eher
Nebeneffekte von "Acorns", und die audiellen Netzprojekte von
2001 verzichteten auf diese Interaktion. Bei "Voice Piece for Soprano"
wurde Partizipation irritierenderweise auf einer zweiten Ebene über
e-Mail-Zuschriften explizit für verbale Eingaben geöffnet: Ono
suchte offensichtlich nach Lösungen, in Netzprojekten Partizipation
in Form von isolierten "Scream"-Ausführungen und verbale
Mitteilungen (über Entstehungsbedingungen von Realisationen und anderes)
auf zwei verschiedenen Ebenen vorzustellen.
Ono überlässt es Teilnehmern, zu entscheiden,
wie weit sie sich an eine "instruction" halten oder ob sie eine
"task" als Vorschlag behandeln wollen, der keinen verpflichtenden
Charakter hat. Die Künstlerin legt diese Offenheit schon in gestellten
"Aufgaben" an, wenn sie mindestens ebenso Auslöser mentaler
Vorstellungen sind, wie sie zu Realisationen provozieren. Andere, nicht
in Netzprojekten realisierte "instructions", zum Beispiel "Beat
Piece" und "Clock Piece", beide im Herbst 1963 erstmals
notiert, regen ausschließlich zu mentalen Operationen an. 4
Netzbeiträge müssten aus Protokollen des Gedachten bestehen,
doch wird damit auch der private Charakter der Vorstellung aufgehoben.
Dr. Thomas Dreher
Schwanthalerstr. 158
D-80339 München.
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Übrigens: Drehers Homepage bietet zahlreiche
kunstkritische Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und Intermedia Art.
Fußnoten:
1 Begriffe wie Künstler, Rezipient, Partizipant
und Teilnehmer werden zwar in maskuliner Form verwendet, stehen aber auch
für die femininen Formen. Alternativen wie "der / die TeilnehmerIn"
erschweren die Lesbarkeit (bzw. die Erfassung der Satzaussage). zurück
2 Ono, Yoko: Grapefruit. A book of instructions and drawings.
New York 1971 (Erstpublikation Tokio 1964), o. P.; Munroe, Alexandra /
Hendricks, Jon (Hg.): Yes Yoko Ono. Kat. The Japan Society Gallery. New
York 2001, S.238. zurück
3 Fumio, Nanjo: When Idea becomes Form. In: Munroe, Alexandra
/ Hendricks, Jon (Hg.): Yes Yoko Ono, s. Anm.2, S.225. zurück
4 Clock Piece, Notation, Herbst 1963: Listen to the clock
strokes. make exact repetitions in your head after they stop." Beat
Piece, Notation, Herbst 1963: Listen to a heart beat." (Dreher, Thomas:
Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia. München
2001, S.134f. Vgl. Munroe, Alexandra / Hendricks, Jon: Yes Yoko Ono, s.
Anm.2, S.44,149,279) zurück