IASLonline NetArt: Theorie Birgit Rinagl, Franz Thalmair, Thomas DreherMonochromie in Netzkunst als Mittel zur Reflexion des Digitalen
Birgit Rinagl und Franz Thalmair in einem e-Mail-Dialog mit dem Kunsthistoriker Thomas Dreher, Juli 2010. Birgit Rinagl (geb. 1973 in Steyr/Österreich) studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Publizistik in Wien und St. Etienne. Galerija Galzenica, Velika Gorica/Kroatien, 2010 Reduktion in Struktur, Material und Raum; Farbe als Artikulation ihrer selbst, losgelöst von jeglicher Interpretation, kontextunabhängig – autonom? Wird Monochromie als substanziellste Form der Abstraktion betrachtet, so sind die ihr seit langem verpflichteten Denkprozesse non-figurativer und non-repräsentativer Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst auch im Zeitalter des digitalen Bildes bei weitem noch nicht abgeschlossen. 1. Computer-generierte und konzeptuelle digitale Kunst haben eine wichtige Rolle bei den frühen Experimenten mit Neuer Medien Kunst in den 1960/70er Jahre gespielt. Sehen Sie heute bei "Trends" wie den so genannten Single Serving Sites 1, Surfing Clubs 2, oder Gif-Sammlungen wieder eine verstärkte Tendenz in Richtung formal-ästhetischer künstlerischer Handlungsfelder im Internet? In technologischen Experimenten wurden in den sechziger und siebziger Jahren elektronische Medien so eingesetzt, dass BeobachterInnen erkennen können, ob und wie elektronische Datenverarbeitung verwendet wird. Erst aktuelle Rekonstruktionen früher Kunst mit Computern und elektronischer Datenverarbeitung erleichtern den Zugang zu Werken, die der damalige Kunstbetrieb weitgehend ignoriert hat. 2. Repräsentation durch Formen der Non-Repräsentation: Was können Kunstwerke wie beispielsweise Jan Robert Leegtes Blue Monochrome 3 or Ryan Barones International Klein Blue (Google Monochromes) 4 beide beziehen sich unmittelbar auf den französischen Künstler Yves Klein zur Kunstgeschichte im Hinblick auf die Beziehung zwischen Moderner und Zeitgenössischer Kunst beitragen? Mit der Thematisierung der Relation von Farbauftrag und Trägerfläche liefert monochrome Malerei Modellfälle für die Relationen zwischen materiellem Kunstobjekt und "ästhetischem Gegenstand". Die Reduktion auf optische, malerische und materielle Probleme sollte zur Grundsatzdiskussion über das Wesen der Malerei und mit ihr über das Wesen visueller Kunst führen. Der Modellfall Monochromie sollte also Einsichten in das Wesen einer Kunst zu einer Zeit liefern, als die Kunstproduktion medial an Text, Ton oder visuelle Medien gebunden war. Friese, Holger: unendlich, fast..., Mai 1995 In "unendlich, fast…" 12 stört Holger Friese die blaue Browserfläche, die er mittels HTML-Code steuert, durch (nicht sofort erkennbare) Zeichen. Diese sind wiederum in einer Bilddatei enthalten, die in das blaue Feld integriert ist. Die zwei mehrfach wiederkehrenden Zeichen sind weder Zeichen des Alphabets, noch durch Tasten in Manuals abrufbar, sondern Zeichen einer Postscriptdatei, welche als Screenshot wiedergegeben wird 13. Diese Zeichen erscheinen ohne erkennbare weiterführenden Zusammenhänge verteilt in einem Farbfeld, während Zeichen in Texten und Codes in einem Kontext erscheinen, durch den sich ihre Bedeutungsfelder eingrenzen lassen. Barone, Ryan: International Klein Blue (Google Monochromes), 2008 Ryan Barone zeigt in "International Klein Blue" (s.u., Quelle 4) mit seiner animated.gif-Datei aus elf Blau-Varianten, dass mit digitalen Prozessen die Variation an die Stelle der einen, letzten Lösung (das von Yves Klein patentierte IKB) tritt. Yves Kleins Blau verliert bei Barone seinen Stellenwert als unverrückbarer Bezugspunkt, da nicht das Original, sondern seine Spuren im Internet zu Anregern für eine sich in der Zeitdimension entfaltende Blau-Variation werden: Er beginnt und endet mit (archivierten/gespeicherten Spuren von) digitalen Prozessen. Aus der von Michael Fried negativ eingestuften Zeitdimension, weil sie die im Kunstwerk zu vermeidende "theatricality" provoziert 17, wird eine Eigenschaft der digitalen Ausführung. Das monochrome Farbfeld als `Ende der Malerei´ dient Barone zur Vorbereitung einer Sequenz mit Spuren dieses Endes. 3. Monochromie wird bei Internet-basierter Kunst durch standardisierte Farbcodes erzeugt und speist sich aus industrialisierten Online-Quellen. Ist die Autonomie des Kunstwerks im Internet trügerisch oder ganz im Gegenteil lösen sich Clement Greenbergs modernistische Forderungen zur Gänze ein? Projekte der Netzkunst lösen weder Greenbergs Forderungen ein noch werden Konzepte monochromer Malerei wiederbelebt. Drouhin, Reynald: IP Monochrome, 2006 Mit Ziffern ihrer IP-Adressen liefern NetzteilnehmerInnen in Reynald Drouhins "IP Monochrome" (s.u., Quelle 9) einen Datenfluss, der als Quelle eines Visualisierungsprozesses eingesetzt wird. Drouhin führt nicht Datenvisualisierung als Mittel zur besseren Einsicht in externe Zusammenhänge vor, sondern zeigt einen Transformationsprozess. Die Adresse, mit der Computer in Telekommunikation eingebunden werden, liefert den externen Auslöser für eine Übertragung in Werte einer digitalisierten Farbskala (RGB-Werte in Hexadezimalzahlen). Die Präsentation zeigt die IP-Adresse und das sich im Transformationsprozess bildende monochrome Farbfeld: von Zahlencodes zu Farben. 4. Abstrakte monochrome Internet-basierte Kunst ist häufig eingebettet in ein komplexes System an Referenzen und Assoziationen. Um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen: bei The Black Website 5 und The White Website 6 von UBERMORGEN.COM, genauso wie bei webzen 7 von Michael Kargl spielt der Quellcode eine bestimmende Rolle, bei Charles Broskoskis Let’s Turn This Fucking Website Yellow.com 8 und Reynald Drouhins IP Monochrome 9 sind die UserInnen und die Geodaten der UserInnen verantwortlich dafür, das Kunstwerk zu komplettieren. Kann man dabei noch von Repräsentationskritik sprechen oder handelt es sich eher um die Kritik einer solchen Repräsentationskritik – eine Art "digitaler Meta-Modernismus"? In Konkreter Kunst sind Reduktionen auf wenige Elemente und Systemkriterien (Widerspruchsfreiheit im "Cartesian Grid") entscheidend. Digitalisierung setzt diese Aspekte in technischen Zusammenhängen voraus, die es erlauben, ein System auch durch seine Reaktionsfähigkeit auf externe Einflüsse zu bestimmen. Während BeobachterInnen im "Modernism" mit dem Werk als von der Umwelt isoliertem System konfrontiert werden und es nach Clement Greenberg und Michael Fried (s.u., Quelle 17) unmittelbar erfassen können sollen, führt digitale Kunst Prozesse umweltoffener dynamischer Systeme auf verschiedenen, nicht nur visuellen Ebenen vor. 5. Intertextualität und Intermedialität sind Schlagwörter, die häufig in der Theorie zu Internet-basierter Kunst auftauchen. In Ihren Lessons in NetArt 10 nennen Sie das Internet ein (Trans-)Medium. Können Sie diesen Begriff für unseren Zusammenhang präzisieren? Die aktuellen Möglichkeiten zur Koordination von Soft- und Hardware stellen das Transmedium, während das Internet heute Teil einer `Vernetzung von Netzen´ (Festnetz, Mobilfunk, Satelliten) ist. 6. In einem die Ausstellung Postmediale Kondition 11 begleitenden Aufsatz schreibt Peter Weibel, dass "die intrinsischen Eigenschaften der Medienwelt nicht überflüssig [geworden sind]. Sondern im Gegenteil, die Spezifizität, die Eigenweltlichkeit der Medien, wird immer mehr ausdifferenziert." "Intermedienspezifik" anstatt von "Medienspezifik"? Rosalind Krauss diente der Begriff "Post-Medium Condition" 25 zur Diskussion der Multi- und Intermedia Art der sechziger Jahre. Auf Greenbergs Reduktion auf die begrenzte Fläche ("flatness and the delimitation of flatness" 26) als essentielle Voraussetzung von moderner Bildender Kunst antworteten KünstlerInnen mit Medienkombinationen und unterliefen die Frage nach dem reinen Medium. Konzeptuelle Fragen der Weltbeobachtung leiteten nicht selten die Wahl der Medien und Medienkombinationen. Die Frage nach der besten Materialisierung des Wesens visueller Kunst in einem Objekt ersetzten Fragen, wofür Relationen zwischen Zeichen, apparativen Funktionen und Prozessen entwickelt werden sollen. 7. Sie untersuchen das breite Feld Internet-basierter Kunst seit seinem frühen Entstehen Mitte der 1990er Jahre. Welche Methoden der Kontextualisierung und Vermittlung sind notwendig, um Internet-basierte Kunst in den Kanon herkömmlicher zeitgenössischer Kunst zu integrieren, in dem sie immer noch mehr oder weniger als Randphänomen verstanden wird? Mich interessiert eine Intermedia Art, die sich den wechselseitigen Abhängigkeiten von Kunsthandel und Museen entzieht. Diese Abhängigkeiten prägen die Institution Kunst mit seit den achtziger Jahren zunehmend leichter erkennbaren Folgen für die Kunstproduktion (und Kunstkritik). Kanonisierung überwindet diese Form der Institutionalisierung nicht.
Dr. Thomas Dreher Copyright © (as defined in Creative
Commons Attribution-NoDerivs-NonCommercial 1.0) by the authors, July 2010. Wollen Sie dazu Stellung nehmen oder einen eigenen Tip geben? Dann schicken Sie uns eine E-Mail. Quellen Fragen: 1 Greenberg, Ryan: Is This Your Paper On Single Serving Sites.com, 2008. URL: http://isthisyourpaperonsingleservingsites.com (25.7.2010). zurück 2 Ramocki, Marcin: Surfing Clubs: organized notes and comments, 2008. URL: http://ramocki.net/surfing-clubs.html (25.7.2010). zurück 3 Leegte, Jan Robert: Blue Monochrome.com, 2008. URL: http://www.bluemonochrome.com (25.7.2010). zurück 4 Barone, Ryan: International Klein Blue (Google Monochromes), 2008. URL: http://www.ryanbarone.com/international-klein-blue-google-monochromes.html (25.7.2010). zurück 5 UBERMORGEN.COM (aka Hans Bernhard & Lizvlx): The Black Website, 2002. URL: http://www.ubermorgen.com/THE_BLACK_WEBSITE (25.7.2010). zurück 6 UBERMORGEN.COM (aka Hans Bernhard & Lizvlx): The White Website, 2002. URL: http://www.ubermorgen.com/THE_WHITE_WEBSITE (25.7.2010). zurück 7 Kargl, Michael aka carlos katastrofsky: webzen, 2009. URL: http://katastrofsky.cont3xt.net/webzen (25.7.2010). zurück 8 Broskoski, Charles: Let’s Turn This Fucking Website Yellow.com, 2007-2008. URL: http://letsturnthisfuckingwebsiteyellow.com (25.7.2020). zurück 9 Drouhin, Reynald: IP Monochrome, 2006. URL: http://www.incident.net/works/ipm (25.7.2010). zurück 10 Dreher, Thomas: Lektionen/Lessons in NetArt, ab 1999. In: URL: http://iasl.uni-muenchen.de/links/lektion0.htm (25.7.2010). zurück 11 Weibel, Peter: Postmediale Kondition. Einführung zur gleichnamigen Ausstellung der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 2005: "Diese postmediale Bedingung macht jedoch die Eigenwelten der Apparatewelt, die intrinsischen Eigenschaften der Medienwelt nicht überflüssig. Sondern im Gegenteil, die Spezifizität, die Eigenweltlichkeit der Medien, wird immer mehr ausdifferenziert." (URL: http://vmk.zhdk.ch/flz/postmediale_kondition_weibel.pdf (25.7.2010)). zurück Antworten: 12 Friese, Holger: unendlich, fast…, Mai 1995. In: URL: http://www.ljudmila.org/~vuk/dx/friese/ende.htm (27.7.2010). zurück 13 Friese schreibt über die Bilddatei: "…es ist ein Bildschirmfoto einer Postscript Datei (Der Standardsprache mit der Daten an einen Laserdrucker übermittelt werden). Sterne und Linien die in computerlesbarer Form eine liegende Acht, das Unendlich Zeichen abbilden." (URL: http://www.fuenfnullzwei.de/art.html (30.7.2010)) Die Postscript-Datei hatte einen blauen Hintergrund. Dessen Blauton übernahm Friese für das erweiterte blaue Feld. zurück 14 Über Maryanne Breezes (Mez, Netwurker) "Mezangelle": Zitatsammlung in: Blog Knott 404. URL: http://knott404.blogspot.com/search/label/mezangelle (30.7.2010). zurück 15 Bense, Max: Aesthetica I-IV (1954-1960). Baden-Baden 1965/1982. zurück 16 Galanter, Philip: What is Generative Art? Complexity Theory as a Context for Art Theory. 17 Fried, Michael: Art and Objecthood. In: Artforum. June 1967, S.12-23. Neu in: Ders.: Art and Objecthood. Essays and Reviews. Chicago 1998, S.148-172. URL: http://www.scribd.com/doc/22752386/Michael-Fried-s-Art-and-Objecthood (31.7.2010). zurück 18 Galanter, Philip: The Problem of Evolutionary Art Is…. In: C. Di Chio u.a. (Hg.): EvoApplications (Applications of Evolutionary Computation) 2010, Part II. In: LNCS (Lecture Notes in Computer Science) 6025. Berlin/Heidelberg 2010, S. 321–330. URL: http://philipgalanter.com/downloads/evostar2010%20-%20galanter%20-%20the%20problem%20with%20evo%20art.pdf (29.7.2010). zurück 19 Galanter, Philip: Truth to Process Evolutionary Art and the Aesthetics of Dynamism. Vortrag, 15.12.2009. Papers of 12th Generative Art 2009 Conference. Politecnico di Milano, Fakultät für Architektur des Campus Leonardo, Mailand 2009, S.216-226. In: URL: http://philipgalanter.com/downloads/ga2009%20-%20galanter%20-%20truth%20to%20process.pdf (28.7.2010). zurück 20 Gerhard Merz und Robert Ryman, in: Besset, Maurice/Raspail, Thierry: La Couleur Seule, l´Expérience du Monochrome. Kat. Ausst. Musée Saint Pierre Art Contemporain. Ville de Lyon 1988, S.134-137,232f.,319,328ff. zurück 21 Drouhin, Reynald: Index of “IP Monochrome”. In: URL: http://www.incident.net/works/ipm/index2.php?pages=0 (30.7.2010). zurück 22 Z. B. Lohse, Richard Paul: Fünfzehn systematische Farbreihen in progressiven Horizontalgruppen, 1950/62. In: URL: http://www.mkk-ingolstadt.de/content/html_files/podcast.php (auf Link "Podcast" klicken) (31.7.2010). zurück 23 Z. B. Richter, Gerhard: 1025 Colours, 1974. In: URL: http://www.tate.org.uk/liverpool/exhibitions/colourchart/artists/richter.shtm (29.7.2010). zurück 24 Siehe Whitelaw, Mitchell: Hearing Pure Data. Aesthetics and Ideals of Data-Sound. 25 Krauss, Rosalind: A Voyage on the North Sea. Art in the Age of the Post-Medium Condition. London 2000. zurück 26 Greenberg, Clement: After Abstract Expressionism (1962/rev. 1969). Neu in: Greenberg, Clement: The Collected Essays and Criticism. Vol. 4. Chicago/London 1993/2. Auflage 1995, S. 121-134 (Erstfassung); Geldzahler, Henry (Hg.): New York Painting and Sculpture: 1940-1970. Kat. Ausst. The Metropolitan Museum of Art. New York 1969, S. 360-371 (revidierte Fassung). zurück 27 Weibel, Peter: Die Welt von Innen – Endo & Nano – Über die Grenzen des Realen. In: Gerbel, Karl/Weibel, Peter (Hg.): Die Welt von Innen – Endo & Nano. Ars Electronica 1992. Brucknerhaus Linz. Linz 1992, S.8-12. URL: http://90.146.8.18/de/archives/festival_archive/festival_catalogs/festival_artikel.asp?iProjectID=8835 (30.7.2010). Vgl. Dreher, Thomas: Peter Weibel Polykontexturalität in reaktiver Medienkunst. Das Duoversum Raumbild-Bildraum und die Pluralisierung der Bildräume. In: Schuler, Romana (Hg.): Peter Weibel, Peter. Bildwelten 1982-1996. Wien 1997, S.33-62. URL: http://dreher.netzliteratur.net/4_Medienkunst_Weibel.pdf (29.7.2010). zurück
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