IASL Diskussionsforum online
Kommunikation - Bewußtsein

Leitung: Nina Ort - Oliver Jahraus

Andreas Wolf
Der Wahrheitsbegriff in der Zeichentheorie von Ch. S. Peirce


Abstract

Es soll gezeigt werden, daß die Zeichentheorie von Peirce einen Wahrheitsbegriff beinhaltet, der im wesentlichen mit einer Korrespondenztheorie der Wahrheit in Einklang gebracht werden kann. Daraus folgt, daß Peirce von der Existenz einer Aussenwelt ausgeht, die von dem Prozess der Semiose unabhängig ist und diesen erst ermöglicht. Peirce' Ontologie ist also reicher als vielfach angenommen: Sie enthält mehr als nur Zeichen.


Inhalt




Einleitung

Werner Scheibmayr hat in seinem Aufsatz "Semiotische Bemerkungen zum Problemfeld 'Kommunikation und Bewußtsein' in der Luhmannschen Systemtheorie" den Versuch gemacht, eine Brücke zwischen Systemtheorie und Peirce' Zeichentheorie zu schlagen. Ein solcher Versuch ist sicherlich legitim und Scheibmayr gelingt es auf überzeugende Weise, die Verwandtschaft zwischen beiden Theorien aufzuzeigen. In einem Punkt jedoch scheint es mir unmöglich, beide Systeme zur Deckung zu bringen, ohne eines von beiden entscheidend zu verfälschen: Es ist das Problem einer zeichenunabhängigen Realität. Eine solche wird von Luhmann geleugnet; bei ihm bedingen und konstruieren sich Kommunikation und Umwelt wechselseitig. Scheibmayr ist sich des Problems durchaus bewusst, wenn er schreibt, daß Systemtheorie und Peircesche Zeichentheorie nur "unter Modifikation gewisser ontologischer Positionen von Peirce" kompatibel gemacht werden können. Mein Grundgedanke ist nun der, daß jede umfassende Theorie bezüglich Sprache, Zeichen und Kommunikation sich auch mit dem Begriff der Wahrheit auseinandersetzen muss und daß zweitens eine Klärung des Wahrheitsbegriffs nicht ohne eine explizite Ontologie auskommen kann, da Wahrheit (wenn überhaupt) nur als Relation zwischen Sprache und Welt im weitesten Sinne verstanden werden kann. Eine ausführliche Darstellung seiner ontologischen Positionen finden wir bei Peirce leider nicht. Dennoch glaube ich, daß es möglich ist, sich diesem Problem über den Umweg des Wahrheitsbegriffs zu nähern. Die These, die ich hier zu belegen versuche, ist kurz gesagt die, daß es möglich ist, aus Peirce' Zeichentheorie einen Wahrheitsbegriff herauszudestillieren, der die Realität zeichen- und subjektunabhängiger Objekte voraussetzt. Meine Vorgehensweise wird dabei die folgende sein: Im ersten Abschnitt werde ich versuchen, einen groben Überblick über das Zeichenmodell von Peirce zu geben. Dies gibt mir die Möglichkeit, Begriffe, die im Verlauf der Untersuchung von Wichtigkeit sind, im Kontext der gesamten Theorie einzuführen. Eine nachträgliche Definition dieser Begriffe würde den Gedankengang des Hauptteils stören. Im Hauptteil werde ich zunächst versuchen, Peirce' allgemeine Auffassung von Realität darzustellen. Daran schliessen sich ausführliche Analysen des Verhältnisses von unmittelbarem und dynamischem Objekt sowie des Dicizeichens an. Im abschliessenden Kapitel wird zu zeigen sein, daß die so gewonnenen Erkenntnisse den Schluß nahelegen, daß Peirce eine besondere Form des Korrespondenzbegriffs der Wahrheit vertritt.

Der Zeichenprozeß nach Peirce

Nach einer der vielen Definitionen, die Peirce für den Begriff des Zeichens gibt, ist ein Zeichen

alles, was etwas anderes (seinen Interpretanten) bestimmt, sich auf ein Objekt zu beziehen, auf das es sich selbst (als sein Objekt) auf die gleiche Weise bezieht, wodurch der Interpretant seinerseits zu einem Zeichen wird, und so weiter ad infinitum. (Peirce 1986, 375)

Das Zeichen wird also dadurch konstituiert, daß es Bestandteil dieser dreistelligen Relation zwischen Zeichen, Objekt und Interpretant ist, die sich nach Peirce nicht als Kompositum aus zweistelligen Relationen darstellen lässt, sondern die genuin dreistellig ist. Jedes dieser drei Relate fällt dabei unter eine der universalen Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit, die bestimmend für Peirce' ganzes Denken sind. Erstheit kennzeichnet dabei das blosse Sosein eines Dinges, vor jeder möglichen Differenzierung oder Analyse. Sie wird im Zeichenmodell durch das Zeichen selbst repräsentiert. Zweitheit ist die wechselseitige Wirkung zweier Dinge aufeinander. Jede dyadische Relation ist eine Zweitheit. Das Objekt des Zeichenprozesses fällt unter die Kategorie der Zweitheit hinsichtlich der Beziehung in der es zum Zeichen steht, das durch es bestimmt ist und seinerseits, sozusagen als Reaktion darauf, das Objekt für den Interpretanten bestimmt. Der Interpretant selbst repräsentiert die Kategorie der Drittheit. Drittheit besteht nach Peirce darin, "daß eine Entität zwei andere Entitäten in eine Zweitheit zueinander bringt." (Peirce 1983, 58) Der Zeichenprozeß muss also strenggenommen vom Interpretanten her gedacht werden, da dieser erst Zeichen und Objekt in Beziehung zueinander setzt. Hieraus erklärt sich auch die oben festgestellte genuine Dreistelligkeit der Zeichenrelation.

Eine genauere Differenzierung der verschiedenen Erscheinungsformen von Zeichen erreicht Peirce nun dadurch, daß er auf jedes Relatum des Zeichenmodells wiederum seine drei universalen Kategorien anwendet. Ich werde das Ergebnis dieser Anwendung hier nur kurz konstatieren und nähere Erläuterungen nur da anbringen, wo es mir für den weiteren Verlauf der Arbeit sinnvoll erscheint.

Im Hinblick auf die Beschaffenheit des Zeichens selbst ergeben sich die Kategorien des Quali- Sin- und Legizeichens. Das Qualizeichen bezeichnet hierbei eine reine Qualität, deren Fähigkeit, ein Objekt zu bezeichnen, eine blosse Möglichkeit darstellt. Das Sinzeichen ist ein aktual gegebenes Zeichen. Das Legizeichen zeichnet sich durch seine gesetzmässige Gegebenheit aus. Im Hinblick auf die Beziehung zwischen Zeichen und Objekt ergibt sich die Unterteilung in Ikon, Index und Symbol. Das Ikon bezeichnet sein Objekt mittels einer Eigenschaft, die es mit ihm teilt, während der Index in einer realen Beziehung oder Abhängigkeit zu ihm steht. Das Symbol bezeichnet sein Objekt aufgrund eines Gesetzes und ist deshalb immer auch ein Legizeichen. Hinsichtlich des Interpretantenbezugs unterteilen sich die Zeichen in Rheme, Dicizeichen und Argument. Diese Unterteilung wird in der nachfolgenden Untersuchung des Peirceschen Wahrheitsbegriffes von hervorgehobener Wichtigkeit sein. Ein Rheme ist in gewisser Weise ein unvollständiges Zeichen, da es für seinen Interpretanten nur für ein mögliches Objekt steht, aber keine Information über einen tatsächlichen Zustand in der Welt liefert. Aufgrund seiner Unvollständigkeit ist es nicht wahrheitsfähig, d.h. es ist weder wahr noch falsch. Dies unterscheidet es vom Dicizeichen, das Peirce auch Quasi-Proposition nennt. Dieses ist wahrheitsfähig, liefert jedoch für seine Wahrheit bzw. Falschheit keine Gründe. (Peirce 1983, 68) Das Argument schliesslich ist ein Vernunftschluss, etwa von der Art eines Syllogismus, es liefert also die Gründe für seinen Wahrheitsanspruch mit, nämlich in der Prämisse, die in Form eines Dicizeichens auftritt. Aufbau und Beschaffenheit des Dicizeichens werden später noch einmal Gegenstand einer genaueren Betrachtung werden. Bereits jetzt ist jedoch klar, daß wir einen expliziten Wahrheitsbegriff benötigen, um für ein beliebiges Zeichen anzugeben, unter welche Klasse von Zeichen es hinsichtlich seines Interpretantenbezugs fällt, denn Peirce selbst gibt diesbezüglich die Wahrheitsfähigkeit eines Zeichens als das deutlichste Kriterium an. (Peirce 1983, 68)

Doch noch ist das Spiel mit den drei Kategorien nicht ausgeschöpft, denn Peirce zufolge gibt es gewisse degenerierte Formen der Zweit- bzw. Drittheit. Eine Zweitheit kann demnach zur Pseudo-Erstheit degenerieren, eine Drittheit zur Pseudo-Erst- bzw. Zweitheit. Für das Zeichenmodell bedeutet dies, daß es zwei voneinander scharf zu trennende Arten von Objekten und drei Arten von Interpretanten gibt. Es scheint mir an dieser Stelle wichtig, anzumerken, daß ein Zeichen immer beide Objekte besitzt und nicht entweder das eine oder das andere. Selbiges gilt für die drei Interpretanten. (Peirce 1986, 112) Für unsere Untersuchung des Wahrheitsbegriffes wird vor allem die nähere Betrachtung der beiden Arten von Objekten interessant sein. Das zur Erstheit degenerierte Objekt ist das "umittellbare Objekt", das Objekt als genuine Zweitheit betrachtet ist das "dynamische Objekt". Unmittelbares und dynamisches Objekt werden von Peirce folgendermaßen charakterisiert:

Wir müssen nämlich das Unmittelbare Objekt, welches das Objekt ist, wie es das Zeichen selbst darstellt und dessen Sein also von seiner Darstellung im Zeichen abhängig ist, von dem Dynamischen Objekt unterscheiden, das die Realität ist, die Mittel und Wege findet, das Zeichen zu bestimmen, ihre Darstellung zu sein. (Peirce 1993, 145)

Das unmittelbare Objekt ist also das Objekt, wie es innerhalb des Zeichenprozesses auftritt, das dynamische Objekt das &quo;reale" Objekt, das ausserhalb des Zeichenprozesses steht. Was genau die Peircesche Auffassung von Realität ist, wird später noch ausführlich diskutiert werden. Unmittelbarer, dynamischer und finaler Interpretant werden für diese Arbeit nur eine untergeordnete Rolle spielen, weswegen ich hier auf eine nähere Begriffserläuterung verzichte.

Wichtig im Zusammenhang mit dem Interpretanten ist die Feststellung, daß der Interpretant selbst ein (mentales) Zeichen ist, der sich auf dieselbe Weise auf das Objekt bezieht, wie das ursprünglich gegebene Zeichen. Dies impliziert, daß der soeben erzeugt Interpretant als Zeichen wiederum nach Interpretation verlangt und einen neuen Interpretanten erzeugt "und so weiter ad infinitum". Diese Deutung des Zeichenprozesses als ein unendlicher Prozeß mutet zunächst befremdlich an. Denn wie ist es unter diesen Umständen möglich, daß wir jemals bei einer endgültigen und richtigen Interpretation eines Zeichens angelangen? In der Tat ist die unendliche Abfolge von Zeichen für Peirce die Bedingung dafür, daß ein Verstehen des Zeichens möglich ist:

[Das] interpretierende Zeichen fungiert wie jedes Zeichen nur als Zeichen, insofern es seinerseits interpretiert wird, das heißt tatsächlich oder virtuell ein Zeichen desselben Objekts bestimmt, für das es selbst ein Zeichen ist. Also gibt es eine im Prinzip endlose Folge von Zeichen, wenn ein Zeichen verstanden wird, und ein Zeichen, das niemals verstanden wird, kann kaum ein Zeichen genannt werden. Eine endlose Folge von Zeichen gibt es zumindest in dem Sinne, in dem Achilles eine endlose Folge von Entfernungen durchmißt, wenn er die Schildkröte überholt. (Peirce 1986, 424)

Der Zeichenprozeß muß also nicht als unendlich im zeitlichen Sinne verstanden werden, sondern als ein zeitlich begrenzter Vorgang, der in unendlich viele Teilabschnitte zerlegt werden kann. Warum das so ist, d.h. warum eine endliche Abfolge von Zeichen für die vollständige Interpretation eines Zeichens nicht ausreicht, wird erst aus einer genaueren Untersuchung des Peirceschen Wahrheitsbegriffes ersichtlich werden, zu welcher wir jetzt übergehen.

Der Wahrheitsbegriff

Im vorangegangenen Abschnitt ging es vor allem um die Klassifizierung der Zeichen in bestimmte Gruppen, sowie um den spezifischen Charakter des Zeichenprozesses, der zwischen dem Gegebensein eines Zeichens und seiner abschliessenden Interpretation abläuft. Wir haben gesehen, daß Peirce sein theoretisches Gebäude ausgehend von der Idee der drei universalen Kategorien aufbaut. Scheinbar unberührt blieb dabei die banal klingende Frage: Was tun eigentlich Menschen, wenn sie Zeichen verwenden? Die Beantwortung dieser Frage klingt nicht minder banal: Sie befehlen, fluchen, wünschen, zeigen etc. Eine wesentliche Handlung, die mithilfe von Zeichen ausgeführt wird, ist außerdem die Beschreibung der Welt. Damit haben die Banalitäten ein Ende und man betritt schwieriges philosophisches Terrain. Wir beschreiben die Welt in der Hauptsache mithilfe der Sprache, denn obwohl auch z.B. ein Bild die Welt in gewisser Weise abbilden kann, so hat doch nur der Aussagesatz die eigentümliche Eigenschaft, neben seinem eigentlichen Inhalt auch noch seine Wahrheit zu behaupten, wie dies Frege sehr prägnant festgestellt hat:

Beachtenswert ist es auch, daß der Satz "ich rieche Veilchenduft" doch wohl denselben Inhalt hat wie der Satz "es ist wahr, daß ich Veilchenduft rieche". So scheint denn dem Gedanken dadurch nichts hinzugefügt zu werden, daß ich ihm die Eigenschaft der Wahrheit beilege. (Frege 34)

Sätzen, oder genau genommen Aussagesätzen der Form `Dies und Jenes ist der Fall', fällt also primär die Rolle zu, Bezug auf die Welt herzustellen, indem sie diese irgendwie abbilden. Gelingt die Handlung, die ich mit dem äußern eines Satzes vollziehe, dann habe ich einen bestimmten Ausschnitt der Welt korrekt abgebildet und der Satz ist wahr. Hierbei tun sich nun mehrere Probleme auf, die sich über die verschiedensten philosophischen Teildisziplinen erstrecken. Eines davon ist das Problem der Realität, das Lorenz B. Puntel folgendermassen konstatiert:

Die meisten Wahrheitstheorien [...] erklären den Wahrheitsbegriff dahingehend, daß dabei in irgendeiner Weise von "Realität", "Welt" u.ä. die Rede ist. Auch dann nämlich, wenn der Korrespondenzgedanke nicht explizit genannt, oder, wie das meistens der Fall ist, wenn Korrespondenz nicht als Relation aufgefasst wird, wird Wahrheit auf irgendeine Weise in Verbindung mit "Realität" gesetzt. Aber welche Vorstellung von "Realität" bzw. "Welt" wird dabei vorausgesetzt? (Puntel 3)

Um den Wahrheitsbegriff einer bestimmten Theorie zu klären muss also zunächst herausgefunden werden, welche ontologischen Vorraussetzungen die Theorie macht. Ich werde nun versuchen, dies für die Zeichentheorie von Peirce zu tun, wobei ich mich immer möglichst nah an dessen eigenen Texten orientieren möchte.

Realität

Der Philosoph, der wohl den stärksten Einfluß auf das Denken vor allem des jüngeren Peirce genommen hat, ist Immanuel Kant. Kant wollte mit seiner Erkenntnistheorie, die er sowohl als Transzendentalen Idealismus als auch auch als Empirischen Realismus bezeichnete, eine Brücke zwischen den Strömungen des Idealismus und des Universalienrealismus schlagen. Eine Grundlage dieses Unterfangens ist dabei die Unterscheidung zwischen dem Ding an sich, das prinzipiell unerkannt bleibt und über das somit nichts Sinnvolles ausgesagt werden kann, und den Gegenständen einer möglichen Erfahrung, die zwar in gewisser Weise vom Verstand und der Sinnlichkeit des Subjekts hervorgebracht werden, aber doch, aufgrund der spezifischen Beschaffenheit des menschlichen Erkenntnisapparates, empirische Realität besitzen.

Peirce' Position zur Realität ist derjenigen von Kant insofern verwandt, als auch er die Überwindung der Kluft zwischen Idealismus und Realismus anstrebt. Er hat jedoch sehr scharfsinnig das Paradox erkannt, das in der Annahme eines Dinges an sich liegt. Denn wie kann man von einem Ding, von dem man prinzipiell nichts wissen kann, wissen, daß es existiert? Dieses Paradox ist wohl der Grund, warum Kants Widerlegung des Idealismus gescheitert ist und er letztlich im Idealismus stecken blieb. Diesen Fehler wollte Peirce auf keinen Fall begehen, weshalb er die Idee eines Dinges an sich entschieden verwirft. Aber auch dieser Weg birgt die Gefahr eines Rückfalls in den Idealismus, denn wenn es die Dinge an sich, so wie sie ausserhalb ihres Gedacht- bzw. Wahrgenommenwerdens existieren, gar nicht gibt, dann liegt doch die Vermutung nahe, daß die Welt nur aus Geist besteht. Dann existierten die materiellen Gegenstände und alle anderen Entitäten nur in und abhängig von meinem Bewusstsein. Ein solch radikaler Solipsismus ist für Peirce natürlich inakzeptabel. Dementsprechend versucht er, eine Position zu finden, die sowohl dem Idealismus als auch dem Realismus gerecht wird, und diese dadurch überwindet:

...es gibt kein Ding, das in dem Sinne an-sich wäre, daß es nicht in Bezug auf den Verstand steht, obwohl die Dinge, die in Bezug auf den Verstand stehen, zweifellos, auch wenn man von dieser Relation absieht, existieren. (Peirce 1967, 220)

Ich denke man muß diese etwas rätselhafte Bemerkung so verstehen, daß die Dinge zumindest ihrer Möglichkeit nach in Beziehung auf den Verstand stehen, jedoch nicht von diesem abhängig sind. Dafür spricht auch das folgende Argument:

Daher können Unwissenheit und Irrtum nur korrelativ zu einem wirklichen Wissen und einer Wahrheit verstanden werden, und letztere haben die Natur von Erkenntnissen. Über jede Erkenntnis hinaus gibt es eine unbekannte, aber erkennbare Realität; aber über jede mögliche Erkenntnis hinaus gibt es nur das Selbstwidersprüchliche. Kurz, Erkennbarkeit (im weitesten Sinne) und Sein sind nicht bloß metaphysisch dasselbe, sondern sind synonyme Begriffe. (Peirce 1967, 177)

Das heisst: Alle Dinge, die real existieren sind auch erkennbar; die Begriffe Erkennbarkeit und Existenz haben die gleiche Extension, womit das Kriterium für Synonymie erfüllt ist. Diesen Schluß legt die Logik nahe, denn nichts kann existieren, was im Widerspruch zu einer möglichen Erkenntnis stünde. Es ist jedoch nicht der Fall, daß der Verstand als das Instrument der Erkenntnis der Grund dafür ist, daß die Dinge die Eigenschaft der Erkennbarkeit besitzen. Dies wäre der Fall, wenn ein Idealismus berkeleyscher Prägung zutreffend wäre, wo die Dinge durch ihr Gedachtwerden erst erschaffen werden. Dies kann aber nicht der Fall sein, da sonst die Unterscheidung von Irrtum und Erkenntnis, mithin die Unterscheidung von wahr und falsch, sinnlos würde.

Die Logik gebietet den Schluß, daß der Bereich möglicher Erkenntnis und der Bereich der Realität zusammenfallen. Wäre nun Logik nicht mehr als das Gesetz des Verstandes, wie vielfach angenommen wird, so läge tatsächlich der Schluß nahe, daß ein direktes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Denken und Sein bestünde. Dies ist jedoch nicht Peirce' Verständnis von Logik. Vielmehr ähnelt seine Position derjenigen von Leibniz, demzufolge nicht einmal Gott den Gesetzen der Logik zuwiderhandeln kann. Die Gesetze der Logik sind also absolut objektiv. Peirce vertritt in dieser Frage einen entschiedenen Antipsychologismus.

Man muß Peirce' ontologischen Standpunkt also so verstehen: Wir können nicht abgesondert von unserem Erkenntnisvermögen zum Wesen der Dinge vordringen. Daraus folgt aber nicht die Existenz eines unerkannt bleibenden Dings-an-sich. Die Existenz eines Objekts geht einher mit seiner Erkennbarkeit, ist aber nicht abhängig von dieser. Das Zusammenfallen von Erkennbarkeit und Existenz beruht nicht auf einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen diesen Begriffen, sondern auf der logischen Struktur der Welt, welche auch unabhängig von ihrem Erkanntwerden existiert. Es ist klar, daß dies die unabdingbare Voraussetzung für einen wie auch immer gearteten Wahrheitsbegriff ist, denn über eine nicht existierende Aussenwelt kann ich weder wahre noch falsche Aussagen machen.

Peirce' erkenntniskritische Überlegungen legen, wie wir gesehen haben, die Existenz einer Realität nahe, die unabhängig davon ist, ob und wie sie von Zeichen repräsentiert wird. In den folgenden beiden Abschnitten möchte ich untersuchen, ob eine solche Auffassung von Relität auch mit Peirce' Konzeptionen des unmittelbaren und dynamischen Objekts sowie des Dicizeichens in Einklang zu bringen ist.

Unmittelbares und Dynamisches Objekt

Nach Peirce' Definition bestimmt ein Zeichen ein Objekt für seinen Interpretanten. Dieses Bestimmtsein des Objekts durch das Zeichens deutet an, daß das Objekt in seinem Sein von seiner Darstellung im Zeichen abhängig ist, was unserer bisher vertretenen These widersprechen würde. Die Lösung bietet Peirce' Unterscheidung zwischen unmittelbarem und dynamischen Objekt. Die Beziehung zwischen Zeichen und Objekt stellt eine Form der Zweitheit dar. Zweitheit ist nun aber keine lineare Verkettung von Ursache und Wirkung, sondern eine unauflösbare doppelseitige Beziehung zweier Elemente zueinander. Dementsprechend funktioniert das Bestimmen des Objekts durch das Zeichen nicht nur in eine Richtung, sondern so, wie das Zeichen das Objekt bestimmt, ist es gleichzeitig seinerseits durch das Objekt bestimmt. Dies führt zur Aufspaltung des Objekts in unmittelbares und dynamisches Objekt.

Wir müssen nämlich das Unmittelbare Objekt, welches das Objekt ist, wie es das Zeichen selbst darstellt und dessen Sein also von seiner Darstellung im Zeichen abhängig ist, von dem Dynamischen Objekt unterscheiden, das die Realität ist, die Mittel und Wege findet, das Zeichen zu bestimmen, ihre Darstellung zu sein. (Peirce 1993, 145)

Mit dieser Unterscheidung ist dem spezifischen Charakter der Beziehung von Zeichen und Objekt als Zweitheit Rechnung getragen und zugleich wird die Unabhängigkeit des real existierenden Objekts gesichert. Was mir bei diesem Zitat besonders interessant erscheint, ist, daß völlig ungeklärt bleibt, welcher Art die "Mittel und Wege" sind, durch die die nichtzeichenhafte Realität sich in den Zeichenprozeß einschaltet. Der Grund für diese Vagheit liegt wohl darin, daß all unser Denken immer ein Denken in Zeichen ist und es deshalb für den menschlichen Geist letztlich unmöglich ist, zu erfassen, wie das Nichtzeichenhafte in den Zeichenprozeß eingeht. Denn wir haben zwar gesehen, daß die Begriffe des Erkennbaren und des Seienden umfangsgleich sind, dies bedeutet jedoch nicht, daß in einer Erkenntnis, also in einem wahren (Dici-)Zeichen, der Unterschied zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt aufgehoben würde. Das unmittelbare Objekt bleibt ein Zeichen, das dynamische ein Nicht-Zeichen und die Grenze zwischen beiden bleibt unüberschreitbar. Der Grund für die Wahrheit eines Satzes muss in der Beziehung bestehen, in der sein unmittelbares zu seinem dynamischen Objekt steht. Von welcher Natur diese Beziehung ist, wird sich in der Analyse des Dicizeichens zeigen.

Dicizeichen

Es ist bereits in Abschnitt 2 klargeworden, daß das Dicizeichen in dieser Arbeit unsere besondere Aufmerksamkeit verdient, da es neben dem Argument, das eine Art Verknüpfung von Dicizeichen darstellt, die einzige Gattung von Zeichen ist, die als Wahrheitsträger in Frage kommt. Die Möglichkeit wahr bzw. falsch zu sein wird denn auch von Peirce als Kriterium angegeben, anhand dessen entschieden werden kann, ob ein Zeichen ein Dicizeichen ist oder nicht. (Peirce 1983, 68) Nach dieser Feststellung fährt Peirce fort, das Wesen des Dicizeichens offenzulegen:

Dies zeigt, daß ein Dicizeichen auf irgendetwas bezugnehmen oder bezogen sein muß, insoweit es ein reales Sein besitzt, das unabhängig von der Repräsentation als solcher ist. Nun ist die einzige Art von Zeichen, dessen Objekt notwendigerweise existiert, ein Index. Folglich repräsentiert das Dicizeichen sich notwendigerweise selbst als einen Index. Das Dicizeichen repräsentiert sich also selbst als in einer tatsächlichen Zweitheit zu seinem realen Objekt stehend. Doch indem es das darstellt, was es darstellend als einen Index seines Objekts präsentiert, muß es darstellen, daß die Teile, in die es dasjenige unterteilt, was es darstellend präsentiert, den Elementen des Objekts entsprechen. Folglich muß es dieses Objekt als eine Zweitheit darstellen, d.h. als eine Referenz oder Relation, die verwirklicht ist.

Dieser Abschnitt steckt voller Informationen. Das Dicizeichen repräsentiert sich selbst als Index, es ist jedoch nicht unbedingt ein solcher, da im Falle seines Falschseins, das Objekt, dessen Existenz das Dicizeichen behauptet, nicht existiert. Wenn dieses Objekt aber existiert, dann ist das Dicizeichen der Index für eine Zweitheit in der die beiden Teile, aus denen das Dicizeichen besteht, zueinander stehen. Im Falle von Propositionen, die eine Teilklasse der Dicizeichen darstellen, sind diese Teile durch Subjekt und Prädikat des Satzes dargestellt. Eine Tatsache ist also nichts anderes als eine in der Welt bestehende Zweitheit, die von einer Proposition indexikalisch repräsentiert werden kann. Auch die Art und Weise der Repräsentation von Subjekt und Prädikat ist für das Dicizeichen genau festgelegt:

Von diesen [zwei Teilen des Dicizeichens] ist oder repräsentiert der eine Teil, den man das Subjekt nennt, einen Index von einem Zweiten, das unabhängig von seinem Repräsentiert-Sein existiert, während der andere Teil, den man das Prädikat nennen kann, ein Ikon einer Erstheit (oder Qualität oder Essenz) ist oder darstellt. (Peirce 1983, 74)

Diese Klassifizierungen gelten immer im Hinblick auf den Interpretanten. So ist etwa ein Eigenname, also ein potentielles Subjekt einer Proposition, deswegen ein Index, weil seine Einführung "mit der Wahrnehmung eines Objekts [percept] oder anderem, gleichwertigen individuellen Wissen über das benannte Einzelding verbunden" ist. (Peirce 1983, 88) ähnliches gilt für den ikonischen Charakter des Prädikats, den Peirce dadurch begründet, daß Propositionen im menschlichen Geist Bilder erzeugen, die in einem ähnlichkeitsverhältnis zu der abzubildenden Erstheit stehen. (Peirce 1983, 80)

Somit ist geklärt, welcher Art die Beziehung zwischen unmittelbarem und dynamischen Objekt eines Dicizeichens ist. Das dynamische Objekt ist eine reale Zweitheit, also eine Tatsache, die nach klassisch aristotelischer Manier in zwei Komponenten, nämlich einen Gegenstand und eine ihm zukommende Eigenschaft, aufgeteilt werden kann. Das unmittelbare Objekt wird über das Repräsentamen, also in diesem Fall das Dicizeichen, als Index dieser Tatsache angezeigt. Entsprechend der Einteilung der Tatsache in Ding und Eigenschaft, ist das Dicizeichen in Subjekt und Prädikat zerlegbar, wobei das Subjekt ein Index des Dings, das Prädikat ein Ikon der Qualität ist.

Wahrheit

Die bisher angestellten Überlegungen legen nahe, daß Peirce eine Korrespondenztheorie der Wahrheit vertritt, welche ja die traditionelle Auffassung von Wahrheit wiederspiegelt. Es ist wohl nicht möglich die Korrespondenztheorie der Wahrheit zu beschreiben und von allen anderen Wahrheitstheorien abzugrenzen, da die Vorstellung, daß Wahrheit irgendwie in Übereinstimmung von Sprache und Welt bzw. Denken und Sein besteht, unserem abendländischen Denken geradezu eingebrannt zu sein scheint. So weist Puntel wiederholt darauf hin, daß selbst Denker, die eine Korrespondenztheorie der Wahrheit ausdrücklich verwerfen, oftmals nicht umhin können, bei der Definition von Wahrheit auf irgendeine Form von Übereinstimmungsrelation zurückzugreifen. In unserem Jahrhundert ist wohl die Bildtheorie der Sprache, die Wittgenstein in seinem `Tractatus logico-philosophicus' entworfen hat, die bekannteste Ausprägung einer Korrespondenztheorie der Wahrheit. Bertrand Russell, dessen Denken vom frühen Wittgenstein stark beeinflusst ist, skizziert den Wahrheitsbegriff einer Bildtheorie wie folgt:

Every belief which is not merely an impulse to action is in the nature of a picture, combined with a yes-feeling or a no-feeling; in the case of a yes-feeling it is "true" if there is a fact having to the picture the kind of similarity that a prototype has to an image; in the case of a no-feeling it is "true" if there is no such fact. A belief which is not true is called "false". [...] The definition of `truth' does not, of itself, afford a definition of `knowledge'. Knowledge consists of certain true beliefs, but not of all of them. (Russell 140)

Diese Definition von Wahrheit durch Russell scheint sich im wesentlichen mit dem zu decken, was Peirce bei seiner Analyse des Dicizeichens über Wahrheit sagt. Denn die von Russell angesprochene ähnlichkeitsbeziehung zwischen der Tatsache und der Meinung findet sich bei Peirce in dem Teil des Dicizeichens wieder, der sich ikonisch auf die im Sachverhalt gegenwärtige Eigenschaft bezieht. Und es ist ja, wie wir gesehen haben, gerade eine gemeinsame Eigenschaft, mittels derer sich ein Ikon auf das von ihm bezeichnete Objekt beziehen kann, was nichts anderes heisst, als daß Ikon und Objekt in einer ähnlichkeitsbeziehung zueinander stehen. Daß Russells Definition sich auf Meinungen beschränkt, stört hierbei nicht im geringsten, denn Meinungen sind von Peirce aus gesehen nichts anderes als Zeichen, mithin Dicizeichen, da sie wahr bzw. falsch sein können.

Peirce' Analyse des Dicizeichens sowie seine Bemerkungen über Realität scheinen also den Schluß nahezulegen, daß er einen Korrespondenzbegriff der Wahrheit vertritt. Eine andere Spur, nämlich der Aufsatz "The Fixation of Belief&uot; von 1877, der nicht primär semiotische Themen zum Inhalt hat, führt zu demselben Ergebnis. Karl-Otto Apel hat festgestellt, daß die Auffassung von Wahrheit, die Peirce in diesem Aufsatz vertritt, "in vollständiger Harmonie mit der absolutistischen Intention des traditionellen Korrespondenzbegriffs der Wahrheit" steht. (Apel 120) Die Grundthese des Aufsatzes ist, daß nicht der cartesische Zweifel, dessen bloße Möglichkeit von Peirce in Zweifel gezogen wird, sondern allein die wissenschaftliche Methode in der Lage ist, zu einer befriedigenden `Festlegung einer Überzeugung' und also zu wahrer Überzeugung führen kann. Gegen Ende des Aufsatzes resümiert Peirce wie folgt:

Das ist die Methode der Wissenschaft. Ihre grundlegende Hypothese, in vertrauterer Sprache neu formuliert, lautet: Es gibt reale Dinge, deren Eigenschaften völlig unabhängig von unseren Meinungen über sie sind; dieses Reale wirkt auf unsere Sinne nach regelmäßigen Gesetzen ein, und obwohl unsere Sinnesempfindungen so verschieden sind wie unsere Beziehungen zu den Gegenständen, können wir doch, indem wir uns auf die Gesetze der Wahrnehmung stützen, durch schlußfolgerndes Denken mit Sicherheit feststellen, wie die Dinge wirklich und in Wahrheit sind; und jeder, wenn er hinreichende Erfahrung hätte und genug darüber nachdächte, wird zu der einen einzig wahren Konklusion geführt werden. (Peirce 1967, 310)

Neben der nun schon des öfteren hervorgehobenen Überzeugung Peirce', es gebe reale Dinge, deren Sein unabhängig von dem sie beobachtenden Subjekt sind, klingt hier noch ein weiteres Motiv an, das für den Peirceschen Wahrheitsbegriff von Wichtigkeit ist. Es ist das Motiv der Menschheit, begriffen als prinzipiell unbegrenzte Forschergemeinschaft, die dazu in der Lage ist `in the long run' zu der einen Wahrheit zu gelangen. Der einzelne Forscher vermag das nicht, da seine Lebenszeit zu begrenzt ist, um `hinreichend lange' über alle sich stellenden Probleme nachzudenken. Die Menschheit als Forschergemeinschaft ist in diesem Sinne unbeschränkt und sie zeigt nach Peirce' Überzeugung die Tendenz, sich der Wahrheit in dem fortlaufenden Forschungsprozeß immer mehr anzunähern. Das Schlagwort vom unendlichen Zeichenprozeß bekommt so eine zweite, nicht weniger ernstzunehmende, Bedeutung, denn wann dieser Idealzustand der vollständigen Übereinstimmung von Welt und unseren Meinungen über die Welt erreicht sein wird entzieht sich natürlich jeder Vorhersage.

Die in "The Fixation of Belief" vertretene Wahrheitstheorie steht m.E. auch nicht im Widerspruch zu dem von W. James vertretenen pragmatistischen Wahrheitsbegriff, wie Apel vermutet. Nach James ist eine wahre Überzeugung immer diejenige, die in der jeweiligen Situation die befriedigendste ist. Peirce würde darauf wohl erwidern, daß nur der Besitz der wirklichen Wahrheit vollkommen befriedigend sein kann, weil nur er es ermöglicht, präzise Vorhersagen zu machen und somit in allen Situationen angemessen zu reagieren.

Literatur

Apel, Karl-Otto. Der Denkweg von Charles S. Peirce. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1975./p>

Frege, Gottlob. Logische Untersuchungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993.

Peirce, Charles Sanders. Semiotische Schriften, 3 Bde. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1986(Bd.1), 1990(Bd.2), 1993(Bd.3).

Peirce, Charles Sanders. Phänomen und Logik der Zeichen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1983.

Peirce, Charles Sanders. Schriften I. Zur Entstehung des Pragmatismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1967.

Puntel, Lorenz B. Grundlagen einer Theorie der Wahrheit. Berlin: de Gruyter, 1990.

Puntel, Lorenz B. Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1993.

Russell, Bertrand. My Philosophical Development. London: Routledge, 1995.


Andreas Wolf


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