IASL Diskussionsforum online
Kommunikation - Bewußtsein

Leitung: Nina Ort und Oliver Jahraus


Werner Scheibmayr
Semiotische Bemerkungen zum Problemfeld "Kommunikation und Bewußtsein"
in der Luhmannschen Systemtheorie


Abstract

Ausgehend von Peirce's Zeichenmodell läßt sich ein Zeichensystem konstituieren, das den allgemeinen systemtheoretischen Anforderungen genügt. Durch dieses autopoietische, Sinn prozessierende Zeichensystem läßt sich zum einen die Operationsweise psychischer Systeme erfassen und beschreiben. Zum anderen sind auch der Peirce'sche Zeichenbegriff und Luhmanns Kommunikationsbegriff in wesentlichen Punkten kompatibel. Der genuin soziale Aspekt des Kommunikationsbegriffs, nämlich der Doppelhorizont der Sozialdimension von Sinn, ist in diesem Zeichensystem zwar nicht angelegt, läßt sich aber durchaus integrieren.


Inhalt

  1. Einleitung
  2. Gedanken als Zeichen
  3. Peirce's Fundamentalkategorien
  4. Peirce's Zeichendefinition
  5. Operative Grenze
  6. Binnenstruktur
  7. Sinn
  8. Zeichen und Kommunikation
  9. Literatur



1. Einleitung

Ich möchte zu ausgewählten Punkten der Problemhorizonte, die Nina Ort (Der Kommunikationsbegriff) und Oliver Jahraus (Bewußtsein und Kommunikation) in diesem Forum bereits eröffnet haben, einige Bemerkungen aus semiotischer Perspektive beitragen. Dabei lege ich meinen Überlegungen die zeichentheoretischen Entwürfe von Charles Sanders Peirce zugrunde, wobei es mir nicht um eine historisch-kritische Peirce-Exegese geht, sondern lediglich um einen Beitrag, den eine Semiotik, wie sie sich von Peirce herschreibt, hinsichtlich der gewählten Probleme leisten kann.

Daß sich aus der Orientierung an der Peirceschen Semiotik ein anderer Beobachterstandpunkt ergibt und damit auch andere Konsequenzen sichtbar werden, als wenn man wie Luhmann Saussures Zeichenbegriff wählt, ist aufgrund wesentlicher theoretischer Unterschiede der beiden Konzepte klar. Luhmann, der von der Differenztheorie kommend als Zeichen die Saussuresche Einheit der Differenz (!) von Bezeichnendem und Bezeichnetem übernimmt (vgl. Luhmann 1993, v.a. 48, Fn. 9 und 1997, 205 - 230, hier 208), muß die Grundlagen für die prozessualen Operationen von Zeichen und Sprache völlig anders und m.E. aufwendiger herleiten, als es Peirce's in dieser Hinsicht deutlich eleganterer und mächtigerer Entwurf ermöglicht; aber der grundsätzliche Vergleich dieser beiden Ansätze ist ein anderes (und hier nicht mein) Thema.

Wie bei allen Operationen im Medium Sinn ist man gerade auch als Beobachter, der vergleichend zwei Supertheorien wie die System- und die Zeichentheorie beobachtet, auf Selektionen angewiesen, die einen nur sehen lassen, was man ausgehend von ihnen eben sehen kann. Folgendes "Spektrum" möchte ich anhand dieser Fragen hier eröffnen:

  1. Wie läßt sich die Operationsweise psychischer Systeme als Zeichenprozeß konzipieren?
  2. Welche parallelen Problemhorizonte lassen sich ausgehend von Peirce's Zeichendefinition in Zeichensystemen und anderen autopoietischen Systemen wie dem psychischen und dem sozialen beobachten?
  3. Wie können Peirce's Zeichenbegriff und Lumanns Kommunikationsbegriff aufeinander bezogen werden?

2. Gedanken als Zeichen

Nach Luhmann sind die Letztelemente der Autopoiesis psychischer Systeme Gedanken, aus denen sich durch reflexive Beobachtung Vorstellungen und Bewußtsein konstituieren, d.h. sich unterscheiden und beobachten lassen (Luhmann 1996, 346ff; Esposito in GLU 1998, 142 - 144; Krause 1996, 25f., 164). Gedanken sind also die basalen Elementarereignisse, die man als Zeichen zu konzipieren hat, um die Operationsweise psychischer Systeme semiotisch rekonstruieren zu können. Eben dafür eignet sich Peirce's Semiotik besonders, da sie anders als der statisch-dyadische Zeichenbegriff Ferdinand de Saussures (ein derartiger Zeichenbegriff begegnet jedenfalls in den "Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft" und schreibt seit 1916 Wissenschaftsgeschichte) triadisch und dynamisch-prozeßhaft angelegt ist und somit eine probate Vergleichsbasis für ein ebenfalls prozeßhaftes (und autopoietisches) System wie das psychische oder soziale an die Hand gibt.

Auf der Grundlage seiner Zeichentheorie identifiziert Peirce in seinen Schriften aus frühen bis in die späten Jahre Denken und Zeichengebrauch miteinander: ich stelle im Folgenden einschlägige Stellen vor und expliziere dann den theoretischen Zusammenhang zwischen Zeichen und Gedanken, wie er sich bei Peirce darstellt.

Schon 1868 widmet sich Peirce in den "Fragen hinsichtlich gewisser Vermögen, die man für den Menschen in Anspruch nimmt" als Frage 5 dem Problem "ob wir ohne Zeichen denken können" (Peirce1991b, 13 - 39, hier 31, woraus auch die übrigen folgenden Stellen entnommen sind). Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis:

Alles Denken muß daher ein Denken in Zeichen sein. ... Aus der These, daß jeder Gedanke ein Zeichen ist, folgt, daß jeder Gedanke sich an einen anderen wenden muß, denn das ist das Wesen eines Zeichens. ... Daß das Denken nicht in einem Zeitpunkt zustande kommen kann, sondern eine Zeit verlangt, heißt daher nur, daß jeder Gedanke durch einen anderen interpretiert werden muß oder daß alles Denken in Zeichen geschieht.

1893 heißt es dann lakonisch: "Wir denken ausschließlich in Zeichen." (Peirce 1986, 200). Im handschriftlichen Nachlaß von Peirce findet sich zu den Stichwörtern "Gedanken und Denkereignis" aus dem Jahre 1906 folgender Zusammenhang zwischen Denken und Zeichenprozeß:

Die Antwort ist, kurz gesagt, daß Gedanken (thoughts) und Denkereignisse (thinkings) ebenfalls Zeichen sind. Daß Gedanken sich auf Objekte beziehen ... ist offensichtlich. Doch reicht dies nicht aus, um zu beweisen, daß alle Gedanken und Denkereignisse Zeichen sind. Denn ein Zeichen ist nicht nur etwas, was durch ein Objekt bestimmt ist, sondern es ist auch etwas, durch das ein Interpretant zu einer Bezugnahme auf dasselbe Objekt bestimmt wird. Nun ist es unmittelbar einleuchtend, daß ein Gedanke oder ein Denkereignis nicht nur, um Denken zu verkörpern, sondern bereits in seiner wesentlichen Beschaffenheit als Denken, notwendigerweise an einen Interpretanten appelliert. (Peirce 1993b, 76 - 105, hier 79f.)

Peirce schreibt also dem Denken die Zeitdimension ein, indem er bereits die eben nicht selbstpräsente Einheit jedes Gedankens dahingehend aufhebt, daß er einen weiteren Gedanken braucht, der den ersten Gedanken interpretiert und der Interpretant genannt wird. Die Gedanken bzw. besser Denkereignisse (thinkings) als zeitpunktfixierte Einzelereignisse müssen also in einer weiterführenden Verweisstruktur anderer Gedanken stehen, damit Denken und Bewußtsein erst entstehen können.

Bereits nach diesen wenigen Ausführungen läßt Peirce's Grundkonzeption, die sich, wie ich noch zeigen werde, aus der Identifikation von Zeichen und Gedanke zwingend ergibt, deutliche Parallelen zu Luhmanns Entwurf psychischer Systeme erkennen:

  • Sowohl Luhmanns psychische Systeme als auch die mit Gedanken-Zeichen operierenden Systeme sind autopoietisch geschlossen, da sich die Gedanken / Zeichen in Vergangenheit und Zukunft - als den beiden Seiten der Form von Zeit - immer nur auf Gedanken / Zeichen beziehen können und müssen.
  • Beide Systeme arbeiten mit Ereignissen als Letztelementen, sind also temporalisierte Systeme und bedürfen somit einer internen Prozeßstruktur, die sie selbst aus den Letztelementen (die sich wiederum den Strukturen, zu denen sie relationiert werden, verdanken) aufbauen, und die durch ihre operative Anschlußfähigkeit für weitere Elementarereignisse dem System erst Dauer verleihen kann. Dabei stehen Elemente und Strukturen in einem nicht paradoxiefreien interdependenten Kausalitätsverhältnis, da man zum Aufbau der Struktur die Elemente braucht, die Elemente aber erst in der Struktur und durch sie eben zu Elementen werden.
  • In beiden Entwürfen ist die unmittelbare Selbstpräsenz der Ereignisse ausgeschlossen, da ein Gedanke / Zeichen das, was er / es ist, erst durch ein in der Autopoiesis angeschlossenes Folgeereignis ist: Erst der in der jeweiligen Zukunft als Folgeereignis angelegte Gedanke kann reflexiv das vorhergehende Denkereignis als Gedanken beobachten, so daß Peirce's Unterscheidung von Gedanke und Denkereignis mit Luhmanns reflexivem Beobachtungskonzept konform geht.

Der Begriff des Beobachtens ist bei Luhmann von George Spencer Brown entlehnt und terminologisch verfestigt: auf differenztheoretischer Basis bezeichnet Luhmann mit Beobachten "den Gebrauch einer Unterscheidung zum Zwecke der Bezeichnung der einen (und nicht der anderen) Seite" (Luhmann 1993, 53, dort auch weitere Literatur).

Bevor ich aber weitere Vergleiche anstelle, möchte ich die Herleitung, warum Peirce die Gedanken dem Zeichenbegriff subsummieren kann, nachtragen. Dazu ist es nötig, etwas weiter auszuholen und das bisher Gesagte in Peirce's Entwurf der Fundamentalkategorien und vor allem in sein komplexes Verständnis des Zeichens allgemein einzubetten.

3. Peirce's Fundamentalkategorien

Die 10 bzw. 12 ontologischen Fundamentalkategorien, die von Aristoteles bzw. Kant aufgestellt worden waren, reduziert Peirce auf 3 Kategorien, die er Erstheit, Zweitheit und Drittheit nennt. Der Ansatz dieser 3 universellen Kategorien ist dabei analytischer und heuristischer Natur:

Da alle drei Kategorien stets gegenwärtig sind, ist es unmöglich, eine reine Idee von irgendeiner von ihnen zu haben, die absolut von den anderen unterschieden ist. (Peirce 1993a, 55)

Das heißt, daß nie reine Erst-, Zweit- oder Drittheit real faßbar ist, sondern immer nur unterschiedliche Kombinationsformen, aufgrund derer aber für Peirce die Notwendigkeit der 3 Kategorien postuliert werden kann.

Peirce charakterisiert Erstheit folgendermaßen:

Sie ist, für sich genommen, in der Tat eine bloße Möglichkeit. Möglichkeit, die Seinsweise der Erstheit, ist der Embryo des Seins. Sie ist nicht Nichts. Sie ist nicht Existenz. (Peirce, 1993a, 56f.)

In dieser allgemeinsten, ein Paradox umspannenden Auffassung könnte man den Bereich der Erstheit mit Luhmanns Weltbegriff vergleichen: als "Seinsweise der Qualität" bzw. "bloß logische Möglichkeit" (beide Zitate aus Peirce 1990, 157 bzw. 153) liegt der Bereich der Erstheit dem kontingent-selektiven Zugriff jedes konkreten Zeichenereignisses ebenso uneinholbar voraus wie auch die Welt die unbeobachtbare Einheit jeder Unterscheidung ist. Beide Konzepte entsprechen somit dem >unmarked space< Spencer Browns, der ebenfalls die abstrakte logische Bedingung der Möglichkeit darstellt, überhaupt Unterscheidungen zu treffen, Beobachtungen zu machen oder Zeichenprozesse ablaufen zu lassen.

In einem engeren Sinne spricht Peirce auch von Erstheit, wenn er bestimmte Qualitäten, die einem Phänomen zugeschrieben werden, unabhängig von ihrem konkreten Vorkommen abstrakt fassen und bezeichnen möchte:

Neben den Elementen der Zweitheit erkennen wir im Phänomen positive Qualitäten, wie z.B. rot; und ihre Positivität besteht darin, daß jedes so ist, wie es ist, unabhängig von irgendeinem Vergleich oder irgendeiner Relation. Dies nenne ich Erstheit. (Peirce 1990, 111)

Diese Vorstellungen positiver Qualitäten wie z.B. Röte sind auf den ersten Blick mit Luhmanns differenztheoretischen Positionen wenig vereinbar. Dennoch läßt sich mit einer Differenz, die Peirce selbst aufmacht, vielleicht ein gewisser Brückenschlag wagen: ich meine die Differenz zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt.

Das Zeichen als Ganzes ist - wie ich noch näher ausführen werde - nach Peirce eine triadische Einheit von Repräsentamen, Objekt und Interpretant, wobei jedes dieser Relata nach bestimmten Gesichtspunkten subklassifiziert werden kann, und so eben auch das Objekt: 1906 gerift Peirce in den "Prolegomena zu einer Apologie des Pragmatizismus" seine schon länger eingeführte Differenz zwischen unmittelbarem und dynamischem Objekt folgendermaßen auf:

Wir müssen nämlich das Unmittelbare Objekt, welches das Objekt ist, wie es das Zeichen selbst darstellt und dessen Sein also von seiner Darstellung im Zeichen abhängig ist, von dem Dynamischen Objekt unterscheiden, das die Realität ist, die Mittel und Wege findet, das Zeichen zu bestimmen, ihre Darstellung zu sein. (Peirce 1993b, 145)

Das unmittelbare Objekt läßt sich unschwer mit systemtheoretischen Positionen vereinen, nämlich als konstruiertes Produkt systeminterner, Differenzen prozessierender, autopoietischer Operationen, in diesem Fall der Semiose. Die Realität, die Peirce dem dynamischen Objekt zuschreibt, dessen Sein das Zeichen transzendiert und von ihm unabhängig ist, müßte man unter Modifikation gewisser ontologischer Positionen von Peirce, auf die ich hier nicht eingehen kann, in der Umwelt des Zeichensystems situieren. Deren "Sein" ist zwar vom System nicht unabhängig, da System und Umwelt die zwei Seiten der Form ihrer Unterscheidung sind, andererseits werden die Ereignisse, durch die Systeme irritiert werden, ihren jeweiligen Umwelten zugeschrieben, die ihrerseits an sich nicht völlig unstrukturiert im Sinne eines entropischen Chaos sein dürfen. Luhmann schreibt dazu:

Keine Frage: zu den Bedingungen der Möglichkeit kommunikativer Systembildung gehören hochkomplexe Umwelten. Vor allem müssen zwei gegenläufige Voraussetzungen sichergestellt sein: Die Welt muß einerseits dicht genug strukturiert sein, damit es nicht reiner Zufall ist, ob sich übereinstimmende Sachauffassungen herausbliden; die Kommunikation muß irgendetwas (auch wenn man nie wissen wird, was es letztlich ist) greifen können, was sich nicht beliebig auflösen oder in sich verschieben läßt. Und andererseits muß es, auf eben der gleichen Grundlage, verschiedene Beobachtungen geben, verschiedene Situierungen, die laufend ungleiche Perspektiven und inkongruentes Wissen reproduzieren. (Luhmann 1996, 236)

Die Struktur der Umwelt, die das System in gewisser, eben nicht beliebiger Weise irritiert, entspräche in dieser Leseweise den dynamischen Objekten, von denen es auch heißt, daß sie Zeichen bestimmen können: Letzteres würde ich nicht deterministisch verstehen wollen, sondern durchaus in Luhmanns Verständnis der Autopoiesis als Bestimmung, die system- bzw. zeichenintern als geregelter Zusammenhang durch Fremdbeobachtung der Umwelt attribuiert werden kann.

Die oben angesprochenen bestimmten Qualitäten, die Peirce in der Erstheit ansetzt, könnte man somit verstehen als Qualitäten dynamischer Objekte, die auf dieser Ebene bereits vorstrukturierte Bedingungen der Möglichkeiten systemimmanenten Komplexitätsaufbaus darstellen, der ja seinerseits Strukturen aufweisen muß. Als Möglichkeiten würden sie auch den Bereich der Erstheit in Peirce's Sinne noch nicht verlassen. Die semioseabhängigen jeweiligen unmittelbaren Objekte, die sich auf kontingente Selektionen aus dem immer umfassenden Bereich der Erstheit zurückrechnen lassen, decken die Funktion ab, die Luhmann hinsichtlich der Inkongruenz und des Perspektivenwechsels der Beobachtungen fordert.

Insofern sehe ich auch die Möglichkeit, ausgehend von diesem Verständnis von Erstheit und dynamischem bzw. unmittelbarem Objekt im Rahmen der Zeichentheorie den Anforderungen von Multinegationalität oder Polykontexturalität heterarchischer Systeme gerecht zu werden: die Erstheit als in nicht beliebiger aber unfaßbarer Weise strukturierter Bereich der logischen Möglichkeit für kontingente Selektionen läßt topologisch formuliert immer verschiedene Orte zu, von denen Semiosen starten und unterschiedliche Strukturen bzw. Hierarchien aufbauen können. Somit können verschiedenste Kontexturen emergieren, die alle in einem mehrfachen Rejektions- bzw. Negationsverhältnis zueinander stehen, wobei es natürlich keinen privilegierten Ort der Beobachtung dieser Prozesse geben kann.

Wenn ich oben bereits konkrete Irritationen des Zeichensystems durch Qualitäten dynamischer Objekte eingeführt habe, so ist klar, daß durch die aktuelle Ereignishaftigkeit, die eine Irritation beinhaltet, der Bereich der Erstheit bereits zur Zweitheit überschritten ist, da die völlig allgemeinen Qualitäten als reine Möglichkeiten nicht an und für sich konkrete Existenz annehmen können. Diese fällt bereits in den Bereich der Zweitheit.

Das Zweite ist der Begriff dessen, was relativ zu etwas anderem ist, oder der Begriff der Reaktion. (Peirce 1991b, 284)

Im weiteren Sinne schließt jede individuelle und aktuelle Tatsache oder Existenz Zweitheit ein, da sie eben ihre Identität einer aktuellen Differenz, nämlich von allem, was sie selbst nicht ist, verdankt:

Zu sagen, daß ein Ding existiert, heißt zu sagen, daß es mit den anderen Dingen im Universum reagiert, da es anders als jedes einzelne von ihnen ist. Folglich ist Existenz ein Begriff, von dem Zweitheit der wichtigste Bestandteil ist. ... Eine Tatsache der Zweitheit muß hic et nunc sein, in jeder Hinsicht absolut bestimmt. (Peirce 1990, 110f.)

Ausgehend von diesem Baustein in Peirce's Theoriebau ließen sich einerseits Verbindungen zu differenztheoretischen Positionen, wie sie Luhmann von Spencer Brown übernommen hat, herstellen, da Differenzen für den Begriff der Zweitheit konstitutiv sind. Da andererseits die individuellen Tatsachen der Zweitheit immer eine eindeutige und exakte Existenz in Raum und Zeit haben müssen und somit nicht wie die Qualitäten der Erstheit verallgemeinert werden können, sind die der Zweitheit zugerechneten Elemente als zeitpunktfixierte Ereignisse zu konzipieren, so daß basale Elemente von ereignisbasierten temporalisierten Systemen wie Gedanken, Kommunikationen oder (bestimmte) Zeichen demnach bei Peirce der Zweitheit zuzuordnen wären.

All die Ereignisse der Zweitheit in diesem Sinne bedürfen der operativen Anschlußfähigkeit, damit die Autopoiesis des Systems nicht zum Erliegen kommt: die Anschlüsse sind aber weder aus der Erstheit, die nur die Bedingungen der Möglichkeiten stellt, noch aus der Zweitheit, deren Elemente keine Dauer haben, allein zu gewährleisten, sondern es muß ein Drittes geben, das im Sinne einer Struktur, die sich aus den Elementarereignissen aufbaut, die Elemente nach Maßgabe der Erstheit relationiert. Diese Drittheit stellt den jeweiligen Anschluß her, indem sie zwischen zwei Einzelereignissen selbst eine Zweitheit erzeugt, d.h. sie in Relation zueinander setzt.

Das Dritte ist der Begriff der Vermittlung, wodurch ein Erstes und ein Zweites miteinander in Verbindung gebracht werden (Peirce 1991b, 284).

Hier besteht die Zweitheit nicht mehr nur zwischen zwei Einheiten für sich allein, sondern für ein Drittes, das die Zweitheit entweder zum Gegenstand hat, sie also repräsentiert, oder sie überhaupt erst konstituiert und somit den nötigen Anschluß bereits realisiert hat.

Um den Bezug zum eingangs gestellten Problem des Denkens als Zeichenprozeß herzustellen: Wenn Gedanken als basale Elemente des Denkens und des Bewußtseins zeitpunktfixierte Ereignisse sind, Denken selbst sich aber nur prozessual in der Zeit vollziehen kann, muß die Operation psychischer Systeme in Peirce's Drittheit fallen, die allein die autopoietische Reproduktion des Systems leisten kann:

Kurzum, wo immer es Denken gibt, gibt es Drittheit. Es ist die genuine Drittheit, die dem Denken sein Wesen verleiht, obwohl Drittheit in nichts anderem besteht als daß eine Entität zwei andere Entitäten in eine Zweitheit zueinander bringt. (Peirce 1993a, 58)

Die letztgenannte Definition der Drittheit leitet nun unmittelbar von den Fundamentalkategorien zu Peirce's Zeichenmodell über, da bei Peirce das Zeichen geradezu als Paradebeispiel der Drittheit fungiert, wobei eben Denken und Semiose bzw. Zeichen und Gedanken im Rahmen der Drittheit definitorisch in eins fallen.

4. Peirce's Zeichendefinition

Ein Zeichen oder Repräsentamen ist ein Erstes, das in einer solchen genuinen triadischen Relation zu einem Zweiten, das sein Objekt genannt wird, steht, daß es fähig ist, ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, zu bestimmen und zwar dahingehend, dieselbe triadische Relation zu seinem Objekt anzunehmen, in der es selbst zu diesem selben Objekt steht. ... Aber daneben muß es (das Dritte bzw. der Interpretant, meine Anm.) eine zweite triadische Relation besitzen, in der das Repräsentamen, oder eher dessen Relation zum Objekt, sein eigenes (des Dritten) Objekt sein wird, und es muß fähig sein, ein Drittes zu dieser Relation zu bestimmen. All dies muß gleichermaßen vom Dritten des Dritten ebenso gelten und so fort ohne Ende.

Schönrich 1990 bietet Peirce's englische originaldefinition von 1903 auf S. 103f. und schließt dann eine eigene Übersetzung an, die sich zusammen mit Schönrichs Interpretationen über die Seiten 104 bis 118 erstreckt; daraus habe ich oben die Teile der Übersetzung, die für meine Zwecke einschlägig sind, im Zusammenhang zitiert. Wie man aus der Definition ersehen kann, schwankt Peirce terminologisch, indem er manchmal die gesamte Triade "Zeichen" nennt, manchmal aber nur das materielle Zeichenmittel, das er auch "Repräsentamen" nennt, mit "Zeichen" meint. Wenn die drei Komponenten eines Zeichens, nämlich das Repräsentamen, das Objekt und der Interpretant, in einer genuin triadischen Relation zueinander stehen sollen, bedeutet das, daß die drei Zeichenbestandteile immer gleichzeitig und ausschließlich in einem konkreten, dynamischen Zeichenprozeß existieren, indem (und in dem) sie sich gegenseitig definieren bzw. als kategoriale Relata konstituieren, woraus folgt, daß das Zeichen als Ganzes kategorial unhintergehbar zur Drittheit gehört.

An die angeführte Zeichendefinition will ich noch Beobachtungen anschließen, die für das Zeichen als Entsprechung eines Gedankens aber auch allgemein als Element eines autopoietischen Systems aufschlußreich sein können:

Erstens ist durch die Doppelfunktion, die der Interpretant des Zeichen zugewiesen bekommt, nämlich Interpretant der ersten Triade und Repräsentamen der zweiten Triade zu sein, das Problem des Anschlusses von Einzelereignissen temporalisierter Systeme elegant gelöst: das Probelm stellt sich in dieser Form nämlich gar nicht, sondern ist bereits konstitutiv in die Definition des Zeichens einbezogen. Dadurch, daß sich die vorhergehende Triade über ihren Interpretanten der folgenden Triade öffnet, sind die Probleme der unmittelbaren Selbstpräsenz etwa des Bewußtseins oder auch der Semiose vermieden, da die Identität der einzelnen, ereignishaften Triade nicht als Gegenwart, sondern nur als Einheit ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft beobachtet werden kann.

Jedes Zeichen trägt die Möglichkeit des Anschlusses bereits in sich, da die notwendige Selbstrepräsentativität des Zeichens nur erreicht werden kann, wenn der Interpretant 1 einer Triade 1 die Relation zwischen deren Repräsentamen 1 und Objekt 1 nicht nur herstellt, sondern zugleich mitrepräsentiert, daß er eben das tut: dies kann er nur, wenn er in der Anschlußsemiose als Repräsentamen 2 fungiert, das eben die Relation zwischen dem Repräsentamen 1 und Objekt 1 zu seinem eigenen Objekt (= Objekt 2) hat. Eben dieser Zusammenhang kann aber nur durch einen weiteren Interpretanten (= Interpretant 2) hergestellt werden, für den natürlich dieselbe Doppelfunktion anzusetzten ist, wie für Interpretant 1. Da dies für jede Triade ad infinitum gilt, ist die für den Erhalt autopoietischer Systeme erforderliche operative Anschlußfähigkeit stabil bereits in die Grundkonzeption des Zeichens integriert.

Die Selbstrepräsentativität des Zeichens erfüllt auch eine Forderung, die Luhmann, allerdings mit weiterreichenden Implikationen, für seinen Kommunikationsbegriff erhebt: "Jede Kommunikation muß zugleich kommunizieren, daß sie ein Kommunikation ist ..." (Luhmann 1997, 86). Ferner folgt aus Peirce's Entwurf, daß es sich bei seinem Zeichensystem um ein autopoietisches System handelt, da die Triaden als die basalen Elemente des Zeichensystems aus der operativen Verknüpfung eben dieser Elemente erst entstehen. Somit ist auch die problematische Bezugsgröße des Subjekts des Zeichenprozesses, des Denkens oder der Kommunikation ausgeblendet, da im autopoietischen Zeichensystem keinesfalls Interpretant und Interpret, verstanden z.B. als Mensch in seiner individuellen organisch-psychischen Verfaßtheit, ineins gesetzt werden dürfen: wie bei Luhmanns sozialen Systemen ist auch in der Semiose der Mensch nur (notwendiger) Teil der Umwelt - zumindest solange man wie ich in diesem Zusammenhang von Semiose in Bezug auf psychische oder soziale Systeme spricht.

Überdies umgeht Peirce mit der bereits angesprochenen Doppelfunktion des Interpretanten auch die Schwierigkeiten, die sich aus einer strikten Trennung von Operator und Operandum ergeben, da in der Semiose diese Funktionen wechseln und nicht ein exakt fixierbarer Operator das Operandum relationiert, sondern die Semiose selbst ab der zweiten Triade Relationen relationiert, womit das Zeichensystem nicht nur eine operative Grenze zu seiner Umwelt, sondern auch eine Binnenstruktur aufbauen kann.

5. Operative Grenze

Die operative Grenze entsteht durch die Selbstreferenz des Zeichensystems, insofern es nur Zeichen reproduzieren kann und nur durch diese Zeichen sich selbst und seine Umwelt beobachten kann. Es kann also kein operativer Übergriff vom Zeichensystem in seine Umwelt stattfinden, obwohl natürlich systemintern zwischen Selbst- und Fremdreferenz differenziert werden kann. Die für Systeme aller Art konstitutive Differenz zwischen System und Umwelt muß auf der Systemseite dieser Form als re-entry noch einmal eingeführt werden und kann dann vom System entsprechend als Selbstreferenz und Fremdreferenz der Operationen unterschiedlich beobachtet werden (vgl. Luhmann 1993, 51).

Um zeigen zu können, wie man von Peirce ausgehend die Fremdreferenz im Zeichenprozeß verstehen kann, möchte ich grundlegende Zeichensubklassifikationen von Peirce vorstellen, wobei manche Zeichenklassen wie z.B. Rhema, Dicent oder Argument, die hier nicht sonderlich einschlägig sind, zwar in der Tabelle aufgeführt, aber nicht besprochen werden. Das Zeichen ist ja als genuin triadische Einheit der Komponenten Repräsentamen, Objekt und Interpretant definiert und gehört daher immer in den Bereich der Drittheit. Unabhängig von dieser nicht auflösbaren Drittheit im Ganzen kann man die Zeichen subklassifizieren, indem man die drei Fundamentalkategorien Erst-, Zweit- und Drittheit jeweils mit den Zeichenkomponenten Repräsentamen, Interpretant und Objekt in Beziehung setzt (siehe folgende Tabelle):

Kategorie Repräsentamenbezug Objektbezug Interpretantenbezug
Erstheit Qualizeichen Ikon Rhema
Zweitheit Sinzeichen Index Dicent
Drittheit Legizeichen Symbol Argument

Von diesen Zeichenklassen bespreche ich unter dem Gesichtspunkt der System- / Umwelt-Unterscheidung und der Fremdreferenz nur die hierfür einschlägigen Qualizeichen, Sinzeichen, Ikon und Index; Legizeichen und Symbol sind dann bei der Frage nach dem Aufbau einer Binnenstruktur des Zeichensystems und dem Problem der Bedeutungs- bzw Sinnbildung zu erörtern.

Das Qualizeichen liegt auf der Stufe der Erstheit:

Ein Qualizeichen ist eine Qualität, die ein Zeichen ist. Es kann nicht wirklich als Zeichen fungieren, ehe es nicht verkörpert ist, doch die Verkörperung hat mit seinem Zeichencharakter nichts zu tun. (Peirce 1993a, 123)

Die Qualität kann also nicht in ihrer abstrakten Erstheit ein Repräsentamen sein, sondern muß in einem aktuellen Vorkommen, also einem Sinzeichen (s.u.) verkörpert werden, wobei aber die Umstände des Vorkommens keinen Einfluß auf die Bedeutung haben, die allein von der positiven Qualität des Repräsentamens bestimmt wird. Wie das zu verstehen ist, kann ich erst nach der Besprechung des Sinzeichens zeigen.

Ein Repräsentamen auf der Stufe der Zweitheit nennt Pierce Sinzeichen , wobei die Vorsilbe Sin- auf lateinisch singuli oder simplex zurückgeht, also auf ein einzelnes, u.U. sogar einmaliges Auftreten verweist.

Ein Sinzeichen ... ist ein aktual existierendes Ding oder Ereignis, das ein Zeichen ist. (Peirce 1993a, 123)

Da also ein Sinzeichen ein konkretes Ereignis ist, das entweder nur ein einziges Mal oder zumindest eindeutig fixierbar existiert, muß seine Bedeutung von den Umständen in Raum und Zeit, unter denen es aktuell existiert und interpretiert wird, abhängen, damit es in den Bereich der Zweitheit fallen kann. Alle ereignishaften und damit zeitpunktfixierten Elemente der Operationen temporalisierter Systeme, ob es sich dabei nun um Gedanken, Kommunikationen oder Zeichen handelt, schließen aus dieser Perspektive beobachtet Sinzeichen notwendig ein. Das Sinzeichen stellt ja nur eine Subklassifikation des Repräsentamens der gesamten Zeichentriade dar, so daß es zuviel wäre, Zeichen, Gedanken oder Kommunikationen in ihrer jeweiligen Gesamtheit mit dem Sinzeichen gleichzusetzten. Dennoch wirkt sich die zeitpunktfixierte Ereignishaftigkeit des Sinzeichens als Repräsentamen auch auf die anderen Relata der Triade aus, da das spezifische unmittelbare Objekt genau dieser Triade als kategoriales Relatum nur unter denselben Bedingungen auftreten kann wie sein Repräsentamen; für den Interpretanten gilt dies ohnehin, da er im Prozeß der Semiose ja gleichzeitig das Anschlußrepräsentamen der Folgetriade ist und als solches selbst als Sinzeichen fungieren muß.

Nun aber zurück zum Qualizeichen: Wenn oben gesagt wurde, daß das Qualizeichen konkret nur als Sinzeichen auftreten kann, aber kategorial durch den Unterschied zwischen Erst- und Zweitheit nicht mit ihm zusammenfallen darf, kann dies nur bedeuten, daß ein Sinzeichen in der folgenden Semiose rückwirkend als "Qualizeichen (z.B. eine "Rot"-Empfindung)" (Peirce 1993a, 128) beobachtet wird.

Die allgemeinen Schwierigkeiten, die sich aus der Peirceschen Vorstellung einer für sich bestehenden, positiven Qualität für das systemtheoretische Beobachtungskonzept ergeben, sind oben unter dem Gesichtspunkt der Erstheit, der das Qualizeichen ja zugehört, bzw. des unmittelbaren und dynamischen Objekts bereits besprochen. In der systemtheoretischen Konzeption findet die Irritation eines psychischen Systems durch ein Umweltereignis als Wahrnehmung statt, die sich im Rahmen des operativen Konstruktivismus allerdings nicht auf präexistente Objekte der Außenwelt richten kann. Vielmehr wird die interne Eigenkomplexität des psychischen Systems genutzt, um aufgrund der Irritation ein Bild der Umwelt zu konstruieren und somit die primär unspezifizierte Irritation als Wahrnehmung der Umwelt interpretieren zu können.

Bezogen auf das Quali- und Sinzeichen könnte eine "kompatible" Konzeption also etwa lauten: Das Ereignis, durch welches das Zeichensystem - hier einem psychischen System gleichgesetzt - irritiert wird, kann nach obigen Ausführungen nur ein Sinzeichen sein, dessen Ursprung in diesem Falle der Umwelt zugerechnet wird, das aber eben als Sinzeichen operativ bereits Bestandteil der Semiose ist, was für die Autopoiesis des Zeichenprozesses auch entscheidend ist. Dieses Sinzeichen soll nun im weiteren Zeichenprozeß als Qualizeichen beobachtet werden, z.B. als "Rot-Empfindung" (s.o.). Die Bestimmung dieser Qualität als "rot" kann nur aufgrund systeminterner Prozesse, hier Zeichenprozesse, stattfinden und nicht als unabhängig davon in der Umwelt angesetzt werden, zumal ja auch das Qualizeichen als Klassifikation des Repräsentamens bereits Teil der Semiose ist. Dennoch wird die Qualität, die aufgrund der Erstheit ja allgemein ist, im Laufe der Semiose nicht dem System als Ergebnis seiner Operationen zugerechnet, sondern der Umwelt, bzw. einem bestimmten dynamischen Objekt im obigen Sinne attribuiert.

Diese Zuschreibung der Qualität auf ein dynamisches Objekt erklärt auch die Allgemeinheit des Qualizeichens, da das dynamische Objekt zeichenimmanent ja als zeichentranszendent, also als dauerhaft in der Umwelt des Zeichensystems existierend beobachtet wird, so daß immer "dieselben" Irritationen von ihm erwartet werden. Die Irritationen sind als Sinzeichen nie dieselben, aber die Konzeption des Qualizeichens erlaubt es dem System, die verschiedenen Sinzeichen auf eine gleichbleibende Qualität hin zu beobachten und diese gleichzeitig der Umwelt zuzuschreiben: So kann die operative Grenze zur Umwelt aufrechterhalten, systemeigene Komplexität auf- und Umweltkomplexität abgebaut werden. (Wie diese Zuschreibungen und Erwartungen systemintern zustande kommen und auf Dauer gestellt werden können, bespreche ich unter dem Stichwort der Binnenstruktur des Zeichensystems.)

Die Subklassifikationen, in der Ikon und Index stehen, sind darauf gerichtet, wie der Objektbezug des Repräsentamens im Interpretanten jeweils dargestellt wird.

Ein Ikon ist ein Zeichen, das sich auf das von ihm denotierte Objekt lediglich aufgrund von Eigenschaften bezieht, die es selbst besitzt. ... Jede beliebige Entität - Qualität, existierendes Individuum oder Gesetz - ist ein Ikon von was auch immer, wenn es diesem ähnelt und als Zeichen für es verwendet wird. (Peirce 1993a, 124)

Wenn also die Objektrelation des Ikons in dessen Interpretanten durch Eigenschaften, die seinem Repräsentamen inhärent sind, realisiert wird, muß das Ikon ein Qualizeichen einschließen, was Peirce auch explizit sagt: "Es ist offensichtlich, daß ein Qualizeichen nur ein Ikon sein kann." (Peirce 1990, 273). Daß bei einer Verbindung von zeichen- und systemtheoretischen Positionen die Eigenschaften, die bei Peirce das Ikon via Qualizeichen selbst hat, als systemintern erzeugte und der Umwelt nur zugeschriebene Qualitäten angesehen werden müssen, dürfte nach der Besprechung von Erstheit, dynamischen Objekt und Qualizeichen nunmehr klar sein. Aus der automatischen Kopplung von Ikon und Qualizeichen folgt, daß ein Ikon an sich "nicht eindeutig für dieses oder jenes existierende Ding" (Peirce 1993b, 136) steht, was ja auch in der obigen Definition in der Formulierung "ein Ikon von was auch immer" impliziert ist. Ein ikonisches Qualizeichen kann ja noch kein spezifisches Objekt haben, da es kategorial auf der Stufe der Erstheit steht, was bedeutet, daß es selbst wie sein Objekt nur eine >logische Möglichkeit< (s.o.) sein kann. Das reine Ikon am Beginn einer Semiose stellt also aufgrund der ihm zugeschriebenen Qualitäten nur ein Potential zur Ähnlichkeitsbildung dar, behauptet diese Ähnlichkeit aber nicht bereits hinsichtlich konkreter Objekte.

Die Bedingung der Möglichkeit von Ähnlichkeitsbeziehungen innerhalb von Zeichenprozessen überhaupt ist aber genau der Ansatzpunkt, über den ein Zeichensystem Kategorien konstituieren kann, die sich für die Beobachtung der Umwelt und die Klassifikationen der Umweltirritationen verwenden lassen. Dabei ist Peirce keinesfalls eine naive Vorstellung, die Ähnlichkeit einfach als objektiv gegeben ansieht, zu unterstellen, sondern es ist ihm völlig klar, daß Ähnlichkeit im Zeichenprozeß konstituiert wird, wie er in Bezug auf Porträts als Beispiele von Ikonen sagt:

Nebenbei bemerkt, ich weiß, daß Porträts nicht die leiseste Ähnlichkeit mit ihrem original haben, außer in bestimmten konventionellen Hinsichten und nach einer konventionellen Werteskala und so weiter. (Peirce 1986, 391)

Die einzige externe Motivation, die man einem Ikon zubilligen könnte, liegt in den Qualitäten, die das dem Ikon implizite Qualizeichen im obigen Sinne hat und mit denen der Zeichenprozeß an eine zwar nicht näher bestimmte, aber auch als vom Zeichenprozeß unabhängig gedachte Umwelt gebunden ist. Wenn dieser Umwelt bestimmte Qualitäten nicht völlig beliebig, sondern in irgendwie strukturierter Komplexität zugeschrieben werden können und wohl müssen (s.o.), ist ebenfalls der Qualizeichenbestandteil des Ikons die Stelle, über die diese Bündelungen aus der Umwelt in die Semiose integriert werden können, innerhalb derer dann sinnvolle Ähnlichkeitsklassen gebildet werden können. Diese erlauben eine über das reine Qualizeichen hinausgehende Komplexitätsbildung im System, die zwangsläufig auch hier mit Reduktion von Umweltkomplexität Hand in Hand geht, da die konstituierte Ähnlichkeit ja in die Umwelt projiziert wird.

Wie die Konvention, von der Peirce (loc. cit.) spricht und die die Spezifikation bestimmter Objekte der Ähnlichkeit zu leisten hat, zeichentheoretisch zu verstehen ist, wird ebenfalls bei der Besprechung der Binnenstruktur expliziert. Hier sei zumindest soviel gesagt, daß die Kombination von gewissen Motivations- und Konventionselementen nach Peirce insofern unproblematisch ist, als das Ikon ja gleichzeitig der Erstheit, nämlich aufgrund der Subklassifikation, und der Drittheit, nämlich als Relatum einer Zeichentriade, zugehört.

Der Index ist eine weitere Möglichkeit, wie das Zeichensystem die Umwelt durch eine spezielle Fremdreferenz in seine Operationen einbeziehen kann, wobei der als Zweitheit im Objektbezug klassifizierte Index nicht mehr nur das nicht aktualisierte Potential des Qualizeichens oder des Ikons sein kann, derer er aber dennoch als Voraussetzung seiner selbst bedarf.

Ein Index ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit in einer Zweitheit oder einer existentiellen Relation zu seinem Objekt liegt. (Peirce 1993a, 65)

Wegen der nötigen existenziellen Relation des Repräsentamens zu seinem Objekt muß die Relation im Interpretanten so dargestellt werden, daß es aufgrund einer Zweitheit einen faktischen, z.B. kausalen Zusammenhang zwischen den beiden Komponenten gibt.

Beispiele für Indices wären die Anzeigen eines Thermo- oder Barometers, die als Repräsentamen die Veränderung ihrer jeweiligen Objekte, also Temperatur und Druck, anzeigen. Die an Indices orientierten Beobachtungen der Umwelt lassen sich in Form von Experimenten wiederholen, und wenn sich im Rahmen der gewählten Beobachterperspektive immer dasselbe Ergebnis einstellt, kann dieses (immer systemabhängig konstituierte) Ergebnis als regelmäßiger Zusammenhang im Sinne der Fremdreferenz in die Umwelt projiziert werden: dadurch kann die vorher unbestimmte Umweltkomplexität in eine bestimmte überführt und systemintern weiterbehandelt werden, wobei ereignishafte Irritationen klassifiziert und mit anderen Größen in einen geregelten Zusammenhang gebracht werden können. Wenn z.B. bestimmte Indices als Krankheitssymptome klassifiziert sind, ermöglicht diese gesteigerte Systemkomplexität bestimmte Anschlüsse, die in diesem Beispiel als Handlungen unter die Funktion des medizinischen Systems fielen.

Diese Reduktion der Umweltkomplexität sagt aber über die Umwelt nicht mehr aus als über die gemachte Beobachtung, oder, wie Luhmann bezüglich der Technik sagt: "Daß es funktioniert, wenn es funktioniert, ist auch hier der einzige Anhaltspunkt dafür, daß die Realität so etwas toleriert." (Luhmann 1990, 263) Wie der Index als Tatsache der Zweitheit zeichenintern nur in Abhängigkeit von einem Interpretanten relationiert werden kann, gilt die Erkenntnis eines Gesetzes in der Umwelt nur in Abhängigkeit von einer systemrelativen Beobachtung, ist also konstruiert.

Wenn ich von Wiederholungen, Gesetzen und geregelten Zusammenhängen spreche, ist freilich der Bereich der Zweitheit, in dem der Index als Einzelzeichen angesetzt wird, bereits zur Drittheit als der Kategorie des Regel- und Gesetzmäßigen verlassen, was nun zur Besprechung der Binnenstruktur eines Zeichensystems überleitet, die sich nicht mit der Erstheit und Zweitheit und deren Subzeichenklassen allein erklären läßt.

6. Binnenstruktur

Neben der operativen Grenze zu seiner Umwelt benötigt ein autopoietisches System, wie wir es bei psychischen und sozialen Systemen und Zeichensystemen vor uns haben, eine Binnenstruktur, da sonst die jeweiligen Anschlüsse der Elementarereignisse aneinander völliger Kontingenz unterlägen, die Komplexität des Systems unbestimmt bliebe und die Operationen des Systems nicht kontrolliert werden könnten. Ein autopoietisches System muß sich also selbst organisieren, indem es eine selektive Begrenzung der im System zugelassenen Möglichkeiten zur Relationierung der Elemente einführt: "Als selektive Einschränkung der Relationierungsmöglichkeiten hebt Strukturbildung die Gleichwahrscheinlichkeit jedes Zusammenhangs einzelner Elemente (Entropie) auf." (Luhmann 1996, 386) Diese Selektion von Einschränkungen konditioniert die möglichen Relationierungen von Elementen und von Relationen, wodurch ein Systemeigenwert konstituiert wird, der im Vergleich zu den zeitpunktfixierten Elementen von relativer Dauer ist, so daß durch rekursive Operationen die nötige bestimmte Eigenkomplexität aufgebaut werden kann.

Diese Form von Selbstorganisation, Konditionierung und Strukturaufbau braucht auch das Zeichensystem aus mehreren Gründen: Das Qualizeichen und das Ikon als zwei Subzeichenklassen der Erstheit brauchen geregelte Zusammenhänge, nach denen im einen Fall z.B. einem dynamischen Objekt stabile Qualitäten zugeschrieben und im anderen Fall dauerhafte Kategorien der Ähnlichkeit konstituiert werden können. Auf der Stufe der Zweitheit braucht das Sinzeichen eine ordnung, die trotz der Unwiederholbarkeit desselben doch den Aufbau der Identität des Gleichen und damit Wiedererkennbarkeit und Wiederholbarkeit ermöglicht. Für die Formulierung von Gesetzen, die auf der Beobachtung von Indices aufbauen und die Form >Immer wenn A, dann auch B< haben, muß eben diese Regelhaftigkeit irgendwo festgehalten werden, wozu der Index als Subzeichen der Zweitheit nicht in der Lage ist.

Bei der Besprechung der Zeichendfinition habe ich bereits ausgeführt, daß die für die Autopoiesis notwendige Anschlußfähigkeit bereits in den Aufbau des Zeichens integriert ist. Eben daraus ergibt sich aber auch ein hier einschlägiges Problem, das ich bisher noch ausgeklammert habe: Es gibt laut oben angeführter Definition für Zeichenprozesse allgemein keine logische Grenze, die Semiose ist also theoretisch unbegrenzt, da jeder Interpretant gleichzeitig ein Repräsentamen ist und somit ad infinitum weitere Triaden eröffnet werden können. Wie kann also die Semiose insgesamt in eine gewisse Richtung oder zu einem zumindest vorläufigen Ende gebracht werden, was für den eben problematisierten Stukturaufbau und für die Konstitution von Bedeutung bzw. Sinn im Zeichenprozeß unerläßlich ist?

Bei der Behandlung dieses Problems kann eine weitere Differenzierung helfen, nach der Peirce drei Interpretantenarten unterscheidet, die er unmittelbare, dynamische und finale Interpretanten nennt:

Der Unmittelbare Interpretant ist die unmittelbar relevante, mögliche Wirkung in ihrer unanalysierten, elementaren Ganzheit.
Der Dynamische Interpretant ist die tatsächliche Wirkung, die in einem gegebenen Interpreten bei einem gegebenen Anlaß bei einer gegebenen Phase seiner Erwägung des Zeichens erzeugt wird.
Der Finale Interpretant ist die Gewohnheit, in deren Hervorbringung sich die Funktion des Zeichens erschöpft. (alle Zitate aus Peirce 1993b, 224f.)

Wie unschwer den Definitionen aus der Betonung der Möglichkeit, Tatsächlichkeit und Gewohnheit zu entnehmen ist, können die drei Interpretantenarten -allerdings nur innerhalb der umfassenden Drittheit des Zeichens als Ganzen - wieder den Stufen der Erst-, Zweit- und Drittheit zugordnet werden.

Wie zu erwarten war, können wieder die Stufen der Erst- und Zweitheit zur Lösung unseres Problems nicht beitragen, der finale Interpretant aber sehr wohl: er wird einer "Gewohnheit", d.h. einem geregelten Zusammenhang gleichgesetzt, in der sich das Zeichen "erschöpft", d.h. sein Ende findet. Der finale Interpretant muß zwar gemäß der allgemeinen Zeichendefinition wiederum ein Repräsentamen sein können, woraus folgt, daß auch dieses in einem potentiellen späteren Zeichenprozeß weiterentwickelt werden kann, so daß in der aktuellen Semiose zwar ein Ende durch den finalen Interpretanten erreicht werden muß - aber eben nur ein vorläufiges, was ja auch den Anschlußerfordernissen der Autopoiesis entspricht. In dem je aktuellen Zeichenprozeß aber kann der finale Interpretant nicht mehr als Repräsentamen fungieren, da er ja der letzte gewohnheitsmäßige Effekt des Prozesses sein soll, woraus folgt, daß seine Wirkung eine andere sein muß, als das Eröffnen weiterer Zeichentriaden.

Diese andere Wirkung besteht nun in der "Änderung einer Verhaltensgewohnheit. ... Die Änderung der Verhaltensgewohnheit besteht oft darin, daß die Stärke einer Verhaltensgewohnheit steigt oder fällt." (Peirce 1991b, 513f.). Der finale Interpretant stellt also den geregelten bzw. strukturierten Zusammenhang der Zeicheninterpretation her, die in ihm ihr (vorläufiges) Ende durch die Konstitution von Bedeutung bzw. Sinn findet.

Der finale Interpretant als "Verhaltensgewohnheit" muß mit Peirce's pragmatisch-pragmatizistischem Hintergrund gelesen werden, darf nicht psychologisch verstanden, sondern soll mit Theorieelementen aus Peirce's Zeichentheorie selbst semiotisch gedeutet werden. Diese Theoriebausteine sind die aus der Besprechung bisher ausgesparten Subklassen des Legizeichens und des Symbols (s.o.), die kategorial wie der finale Interpretant der Drittheit zugehören, die allein strukturelle Regel- oder Gesetzmäßigkeiten repräsentieren und somit Gewohnheiten konstituieren kann.

Das Repräsentamen ist auf der Stufe der Drittheit als Legizeichen klassifiziert:

Ein Legizeichen ist ein Gesetz, das ein Zeichen ist. (Peirce 1993a, 124)

Da ein Legizeichen als Gesetz nur etwas Allgemeines sein kann, kann das Legizeichen in seiner Abstraktheit wie auch die Qualität des Qualizeichens nicht aktuell existieren, sondern bedarf der Aktualisierung seiner Gesetzmäßigkeit in einem jeweiligen Sinzeichen; diese spezielle Art von Sinzeichen nennt Peirce auch Replika:

Jedes Legizeichen bedeutet etwas mittels eines Falls seiner Anwendung, der als eine Replika von ihm bezeichnet werden kann. (loc. cit.)

Sowohl das Sinzeichen im allgemeinen als auch die Replika im speziellen sind, wie oben hergeleitet, die ereignishaften und zeitpunktfixierten Elemente des Zeichensystems und -prozesses.

Der bedeutende Unterschied zwischen einem regulären Sinzeichen, das wirklich singulär und nur ein einzigesmal auftritt, und einem als Replika beobachtbaren Sinzeichen ist, daß letzteres zwar auch nie mehrfach als dasselbe Ereignis auftritt, aber immer als das Gleiche, nämlich die konkrete wiederholbare Verkörperung seines abstrakten Legizeichens, beobachtet werden kann. Das Legizeichen ermöglicht also die Identität seiner Replika-Sinzeichen trotz derer Verschiedenheit, womit es zur Stukturbildung im System beiträgt, da es die Kondensierung und Konfirmierung der einzelnen Sinzeichen zu sinnvollen Ereignissen mit gerichteter Anschlußmöglichkeit leistet.

Daneben ist das Legizeichen auch in der Lage, Regelhaftigkeiten zu repräsentieren, nach denen über Qualizeichen der Umwelt im Sinne der Fremdbeobachtungen dauerhaft Qualitäten zugeschrieben werden können oder über Ikone die Komplexität der Umwelt als eine geordnete beobachtet werden kann, indem vermittels konventionell geregelter Ähnlichkeitsklassen entsprechende Kategorien projiziert werden können. Ebenfalls über Legizeichen lassen sich Ereignisse, die als indexikalische Zusammenhänge beobachtet werden, semiotisch als Gesetze repräsentieren und entsprechend im Gedächtnis des Zeichensystems präsent halten.

Die in dieser Weise geregelten Qualizeichen, Ikone und Indices stellen differenzierte Modi dar, die dem System zur Bearbeitung von Irritationen als Fremdreferenz zur Verfügung stehen, oder besser, die für diese Funktion systemintern ausdifferenziert wurden; das Symbol (s.u.) ist dagegen eine besondere Form der Selbstreferenz, in der das System die Art des eigenen Operierens beobachten kann, d.h. auch ohne Irritation von außen durch die Bearbeitung der beobachteten Eigenkomplexität seine Autopoiesis am Laufen halten kann.

Das Symbol ist eine unter dem Aspekt des Objektbezugs näher spezifizierte Art von Legizeichen, da es mit seinem Objekt allein über eine Regel oder Drittheit verbunden ist:

Unter einem Symbol verstehe ich ein Zeichen, dessen Verbindung mit seinem Objekt einfach in der Tatsache besteht, daß es so interpretiert wird, daß es sich auf dieses Objekt bezieht, und nicht darin besteht, daß es irgendeine tatsächliche Verbindung mit seinem Objekt hat oder ihm ähnlich ist. (Peirce 1990, 267)

Eben diese Tatsache, die diese Interpretation im Interpretanten hervorbringt, ist eine Regel:

Ein Symbol ist ein Repräsentamen, dessen repräsentierende Eigenschaft genau darin besteht, eine Regel zu sein, die seinen Interpretanten bestimmen wird. Alle Wörter, Sätze, Bücher und sonstige konventionellen Zeichen sind Symbole. (Peirce 1993a, 158)

Genau daraus folgt:

Es [das Symbol, meine Anm.] ist also selbst ein allgemeiner Typus oder ein Gesetz, das heißt, es ist ein Legizeichen. (Peirce 1993a, 125).

Das symbolische Legizeichen regelt also den ansonsten willkürlichen Bezug auf sein Objekt, so daß sich in ihm - wie auch Lumann (1993, 56) für das Zeichen fordert - Willkür und Tradition, verstanden als Entwicklungsgeschichte der entsprechenden, an sich kontingenten Regel, notwendig vereinen. Diese Regelung leistet eine selektive Begrenzung des Objektbezugs und konditioniert die als Anschluß möglichen Relationierungsmöglichkeiten im System. Indem symbolische Legizeichen wie auch die übrigen Legizeichen in Sinzeichen als Replikas auftreten müssen, können sie als solche im Medium der Sprache und weiter auch der Schrift externalisiert und in der Form von Sinn auf Dauer gestellt werden.

Über die Drittheit des finalen Interpretanten, des Legizeichens und des Symbols kann also die nötige Binnenstruktur aufgebaut und damit das Unwahrscheinliche wahrscheinlich gemacht werden, indem in die primär ungerichtete und potentiell unendliche Semiose des Zeichensystems die nötige bestimmte Eigenkomplexität eingeführt wird.

Als Medium für die Formbildungen im Zeichensystem dient die eigene Systemvergangenheit, die sich selbst in der Form von Strukturen als Systemeigenwert auf Dauer stellen und gedächtnishaft präsent halten kann: Die in der Vergangenheit des Zeichensystems gebildeten Formen werden dann selbst wieder zum Medium für neue Formbildungen, wenn eine Irritation aus der Umwelt oder auch die Eigenkomplexität des Systems bearbeitet wird. Die dafür nötige Rekursivität, durch die die Ergebnisse früherer Operationen, also in Strukturen fixierte Formen, als Basis, also Medium, anschließender Operationen, also neuer Formbildungen, dienen, ist durch die schon erläuterte Doppelfunktion des Interpretanten bereits in die Grundkonzeption des Zeichens einbezogen und damit gesichert.

7. Sinn

Nach der Herleitung von operativer Grenze und Binnenstruktur eines Zeichensystems möchte ich mich nun dem Problem der semiotischen Sinnproduktion im Vergleich zu Luhmanns Sinnbegriff zuwenden. Sinn ist nach Luhmann unnegierbar und wird als "Differenz von gerade Aktuellem und Möglichkeitshorizont" (Luhmann 1996, 100) konzipiert: die Selektion einer bestimmten Möglichkeit, die dadurch aktuell und sinnhaft wird, eröffnet simultan einen Bereich anderer Möglichkeiten, die einerseits erst durch diese bestimmte Selektion entstehen, andererseits aber auch durch dieselbe Selektion virtualisiert werden.

Da die gewählte Möglichkeit nur auf dem Hintergrund der nicht gewählten Sinn bildet, ist in diesem differenztheoretischen Entwurf Sinn nicht stabil, sondern einer endogenen Unruhe unterworfen. Auch in Peirce's Zeichenprozeß ist die Bildung von Bedeutung bzw. Sinn unvermeidlich, da der Interpretant, und sei es auch nur als vager unmittelbarer Interpretant, immer eine "bedeutungstragende Wirkung" (Peirce 1991b, 512) des Zeichens ist: findet also überhaupt ein Zeichenprozeß statt, ist auch Bedeutung bzw. Sinn in diesem Sinne unnegierbar, da ohne den Interpretanten als kategoriales Relatum die Zeichentriade gar nicht existieren könnte.

Daß Sinn auch in Zeichenprozessen ein selektives "Prozessieren der jeweiligen Aktualität entlang von Möglichkeitsanzeigen" (Luhmann 1996, 100) ist, zeigt sich bereits aus einer viel weniger implikationsreichen Zeichendefinition von Peirce:

Ein Zeichen oder Repräsentamen ist etwas, das für jemanden in einer gewissen Hinsicht oder Fähigkeit für etwas steht. (zitiert nach Nöth 1985, 36)

Daß das Zeichen "für etwas" steht, heißt differenztheoretisch betrachtet, daß dieses eine Etwas selegiert wurde unter Virtualisierung alles anderen, so daß hiermit der Doppelhorizont der Luhmannschen Sachdimension des Sinnes miterfaßt ist. Daß es "für jemanden" steht, läßt sich beziehen auf die Sozialdimension, da aufgrund der Problematik der doppelten Kontingenz und semiotisch aufgrund der potentiell unbegrenzten Semiose nicht gewährleistet ist, daß das Zeichen von Ego den gleichen Sinn wie von Alter zugeschrieben bekommt. Und daß zuletzt das Zeichen "in einer gewissen Hinsicht oder Fähigkeit" steht, bezeichnet die unhintergehbare Selektivität, die auch jede semiotische Operation im Medium des Sinns auszeichnet.

Zu diesen drei Aspekten der Selektivität von Sinn kommt noch die Zeitdimension, die aus der zuletzt zitierten, etwas statisch klingenden Zeichendefinition nicht folgt. Aber wenn man sich die Gründe für die potentielle Unendlichkeit und damit Prozessualität der Semiose in Erinnerung ruft, ist klar, daß die Zeitdimension mit dem Doppelhorizont vorher / nachher als weiterer Selektionsbereich ohnehin der Semiose inhärent ist. All diese auch dem Zeichensystem zukommenden Ebenen der Selektivität zeigen, daß das jeweils Zeichenereignis der "Differenz von aktual Gegebenem und auf Grund dieser Gegebenheit Möglichem" (Luhmann 1996, 111) seinen Sinn verdankt, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Interpretant, der ja das Repräsentamen der sich anschließenden Triade ist, eben selbst erst durch die selegierten Gegebenheiten seiner eigenen Triade und der vorhergehenden Triaden als Möglichkeit gegeben ist.

8. Zeichen und Kommunikation

Wenn also sowohl Zeichensysteme als auch soziale und psychische Systeme in ihren autopoietischen Operationen unnegierbar Sinn prozessieren, und wenn ich oben schon den Versuch unternommen habe, Gedanken als basale Elemente psychischer Systeme zeichentheoretisch zu rekonstruieren, ist nun noch der Vergleich zwischen Zeichen und Kommunikation als Letztelement sozialer Systeme zu ziehen. Sowohl Kommunikationen als auch Zeichen operieren in den Prozessen ihrer Systeme formbildend im Medium Sinn, wobei hierfür beide Sprache als Medium bzw. Klasse bestimmter Zeichen mit ihren speziellen Leistungsmerkmalen ein hervorgehobene Rolle spielt. Über diese Gemeinsamkeiten hinaus sollen Kommunikationen und Zeichen nun noch in ihrem Binnenaufbau verglichen werden: die Binnenstruktur des Peirceschen Zeichens ist oben ja schon als Triade dreier kategorialer Relata, nämlich Repräsentamen, Objekt und Interpretant, vorgestellt worden. Luhmann entwirft Kommunikation auch als dreistelligen Komplex, nämlich als "Synthese dreier Selektionen, als Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen" (Luhmann 1996, 203) Es bietet sich nun an zu prüfen, inwieweit diese Komponenten miteinander vergleichbar sind.

Die Information als Umweltreferenz ist als Selektion, daß eben dies und nicht jenes gesagt wird, mit dem Objekt insofern kompatibel, als auch das (unmittelbare) Objekt als ein bestimmtes und damit als kein anderes und damit notwendig selektiv konstituiert wird und in der Semiose gemessen am entsprechenden dynamischen Objekt ebenfalls nur selektiv weiterbearbeitet werden kann.

"Ferner muß jemand ein Verhalten wählen, das diese Information mitteilt." (Luhmann 1996, 195) Fasst man also die Mitteilung als die Tatsache, daß etwas gesagt wird, und als die Art und Weise auf, in der dies geschieht, nämlich so und nicht anders, kann man auch Mitteilung und Repräsentamen durchaus als ähnlich ansehen: Dafür, daß überhaupt ein semiotischer Objektbezug stattfindet, ist ein Repräsentamen als kategoriales Relatum ohnehin unverzichtbar, womit aber die Frage nach dem Wie des Bezugs noch nicht beantwortet ist. Da aber auch ein bestimmtes Repräsentamen selegiert werden muß, durch das dann der Objektbezug als Information im obigen Sinne realisiert wird und eben nicht durch ein anderes, fallen aufgrund der unvermeidlichen Selektion die Tatsache an sich und die Wahl einer bestimmten Weise zusammen.

Wenn man Verstehen als Einheit der Differenz von Information und Mitteilung auf die Zeichentriade projizieren will, bietet sich als Pendant der Interpretant an, der insofern die Einheit der Differenz zwischen Repräsentamen 1 und Objekt 1 repräsentiert, als er selbst als Repräsentamen 2 eben diese in sich differente Relation zum Objekt 2 hat. Diese Repräsentation muß ebenso wie das Verstehen selektiv sein, da sie den Objektbezug dieser Relation immer nur in einer bestimmten und dann eben in keiner anderen Weise darstellen kann, nämlich jeweils nur z.B. als Ikon, Index oder Symbol.

"Mit Verstehen bzw. Mißverstehen wird eine Kommunikationseinheit abgeschlossen ohne Rücksicht auf die prinzipiell endlose Möglichkeit weiter zu klären, was verstanden worden ist." (Luhmann 1997, 83) In dieser Formulierung Luhmanns wird dem Verstehen eine Leistung zugesprochen, die bei Peirce ebenfalls ein Interpretant, nämlich der finale Interpretant erfüllt: auch der finale Interpretant bringt eine aktuelle Semiose an ihr Ende, das gemäß dem Prinzip der potentiell unendlichen Semiose immer nur vorläufig sein kann, da auch der finale Interpretant das Potential, als Repräsentamen eine neue Triade zu eröffnen, zwar hat, dieses Potential aber aktuell nicht nutzt. Die Wirkung des finalen Interpretanten hatte Peirce ja als "Änderung einer Verhaltensgewohnheit" umschrieben und auch hier drängt sich eine funktionale Parallele zum Verstehen auf: "Wenn wir sagen, daß Kommunikation eine Zustandsänderung des Adressaten bezweckt und bewirkt, so ist damit nur das Verstehen ihres Sinnes gemeint." (Luhmann 1996, 203)

Allerdings kommen hier durch den Adressaten und das Bezwecken zwei Momente bei Luhmann ins Spiel, die keine direkte Entsprechung in Peirce's Entwurf haben und letztlich die gesamte Gegenüberstellung von Information, Mitteilung, Verstehen und Objekt, Repräsentamen, Interpretant fraglich machen, da im Luhmannschen Dreierkomplex mehr impliziert ist, als in der Peirceschen Triade.

Die größere Implikation liegt darin, daß Kommunikation als Letztelement sozialer Systeme konzipiert und somit selbst genuin sozial ist: "Sie [die Kommunikation, meine Anm.] ist genuin sozial insofern, als sie zwar eine Mehrheit von mitwirkenden Bewußtseinssystemen voraussetzt, aber (eben deshalb) als Einheit keinem Einzelbewußtsein zugerechnet werden kann." (Luhmann 1997, 81) Die notwendige Beteiligung von mindestens zwei psychischen Systemen, die nach Luhmann als Alter und Ego bezeichnet werden können, an der Kommunikation ist ein wesentlicher Unterschied zur Semiose, die durchaus ohne jede Einschränkung der Selektivität, die oben den drei Relata zugesprochen wurde, in nur einem Interpreten, verstanden als der der Umwelt des Zeichensystems zugehörige organismus, ablaufen kann. Durch die nach Luhmann zwangsläufige Einführung von Ego und Alter entsteht ein Beobachtungsverhältnis, das den gesamten Dreierkomplex von Information, Mitteilung und Verstehen durchzieht: "Die Differenz liegt zunächst in der Beobachtung des Alter durch Ego. Ego ist in der Lage, das Mitteilungsverhalten von dem zu unterscheiden, was es mitteilt." (Luhmann 1996, 198)

Dadurch also, daß die der Kommunikation inhärente dreifache Selektion immer durch Ego und Alter als Beobachtungsinstanzen verdoppelt wird, ergeben sich zum einen Erwartungen und Erwartungserwartungen, da jede Selektion des einen im Hinblick auf den anderen erfolgt. Zum anderen lassen sich so Handeln und Erleben aus der Kommunikation ableiten, je nachdem, ob Ego bzw. Alter sich selbst oder dem jeweils anderen die Selektionen zuschreibt. D.h. wenn Ego sich als handelnd beobachtet, schreibt er sich die Selektionen der Kommunikation selbst zu, aber eben im Hinblick auf Alter. Und wenn Ego sich als erlebend beobachtet, schreibt er die Selektionen und entsprechende Intentionen, Motive u.ä. Alter zu, so daß in beiden Fällen aufgrund des genuin sozialen Charakters der Kommunikation immer Ego und Alter gegeben sein müssen. Alle kommunikativen Selektionen sind also nicht für sich allein, sondern als Attributionen von Ego an Alter oder umgekehrt zu verstehen, je nachdem welche Beobachterposition bezogen wird.

Diese Doppelung und die beachtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind so im Zeichenbegriff von Peirce nicht angelegt, aber auch nicht ausgeschlossen, wie ein abschließender Blick auf eine weitere Definition des Symbols zeigen soll:

Ein Symbol ist ein Zeichen, dessen zeichenkonstitutive Beschaffenheit ausschließlich in der Tatsache besteht, daß es so interpretiert werden wird. ... Was aber den täglichen Gebrauch betrifft, ist der einzige Grund dafür, daß das Wort die Idee zu vermitteln in der Lage ist, der, daß sich der Sprecher gewiß ist, daß es so interpretiert werden wird. Dies gilt in der gleichen Weise für jedes Wort und jeden Satz der Sprache. Nun ist die Gewißheit, daß etwas so und so sein wird, von der Art dessen, was wir in der Physik ein Gesetz nennen. (Peirce 1993a, 65f.)

Die angesprochene Gewißheit des Sprechers (= handelnder Ego), daß das Symbol in bestimmter Weise interpretiert werden wird, kann sich ja nur auf einen Adressaten (= erlebender Alter) des Symbols richten, so daß hier die beiden Beobachterpositionen integriert werden könnten. Aus systemtheoretischer Sicht wäre man aber sicher vorsichtiger und würde statt einer bis zur Gesetzmäßigkeit gehenden Gewißheit nur von einer Erwartung sprechen, aufgrund derer Ego Alter unterstellt, daß er die Information der Kommunikation in der bezweckten Weise verstehen kann.

Das triadische Zeichen von Peirce und Luhmanns dreistelliger Kommunikationsbegriff decken sich also in ihren jeweiligen Komponenten nicht, sind aber mit den zuletzt besprochenen Einschränkungen aufeinander beziehbar.

9. Literatur

GLU = Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, von C. Baraldi, G. Corsi und E. Esposito, Frankfurt a.M. 2/1998 (zuerst 1997).

Krause, D., Luhmann-Lexikon. Eine Einführung in das Gesamtwerk von Niklas Luhmann mit 25 Abbildungen und über 400 Stichworten, Stuttgart 1996.

Luhmann, N., Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 6/1996 (zuerst 1984).

Luhmann, N., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990.

Luhmann, N., Zeichen als Form, in: Baecker, D. (Hg.), Probleme der Form, Frankfurt a.M. 1993, 45 - 69.

Luhmann, N., Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1997.

Nöth, W., Handbuch der Semiotik, Stuttgart 1985.

Peirce, Ch.S., Semiotische Schriften, Bd. 1: 1865 - 1903, herausgegeben und übersetzt von Ch. Kloesel und H. Pape, Frankfurt a.M. 1986.

Peirce, Ch.S., Semiotische Schriften, Bd. 2: 1903 - 1906, herausgegeben und übersetzt von Ch. Kloesel und H. Pape, Frankfurt a.M.1990.

Peirce, Ch.S., Naturordnung und Zeichenprozeß. Schriften über Semiotik und Naturphilosophie, mit einem Vorwort von I. Prigogine, herausgegeben und eingeleitet von H. Pape, übersetzt von B. Kienzle, Frankfurt a.M. 1991. (= Peirce 1991a)

Peirce, Ch.S., Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, herausgegeben von K. - o. Apel, übersetzt vouml;n G. Wartenberg, Frankfurt a.M. 1991. (= Peirce 1991b)

Peirce, Ch.S., Phänomen und Logik der Zeichen, herausgegeben und übersetzt von H. Pape, Frankfurt a.M. 1993 (zuerst 1983). (= Peirce 1993a)

Peirce, Ch.S., Semiotische Schriften, Bd. 3: 1906 - 1913, herausgegeben und übersetzt von Ch. Kloesel und H. Pape, Frankfurt a.M.1993. (= Peirce 1993b)

Schönrich, G., Zeichenhandeln. Untersuchungen zum Begriff einer semiotischen Vernunft im Ausgang von Ch. S. Peirce, Frankfurt a.M. 1990.


Werner Scheibmayr

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