IASL Diskussionsforum online
Kommunikation - Bewußtsein

Leitung: Nina Ort und Oliver Jahraus


Simon Bunke

Von Subjekten, Ich-Tönen und Zeichen
Möglichkeit und Grenzen einer Biosemiotik am Beispiel Jakob v. Uexkülls



Abstract

Der folgende Beitrag will anhand der Biologiekonzeption Jakob v. Uexkülls sowohl die Möglichkeit wie auch die Probleme einer Biosemiotik aufzeigen. An biologische Prozesse lassen sich - im Anschluß an Peirce - auf der Ebene einzelner Zellen sowie bei Tieren/Lebewesen und Pflanzen zeichenhafte Abläufe anlegen. Vor allem Tiere konstruieren durch den Funktionskreis semiotische Relationen zu ihrer Umgebung. Allerdings werden Semiosen bei Zellen und Pflanzen aufgrund der 'Drittheit', des fehlenden oder defizitären Interpretanten unwahrscheinlich, da sie nicht mehr theorieintern konzeptualisierbar sind, sondern externe Parameter erfordern. Zudem setzen Semiosen die Existenz von Bewußtsein voraus.



Inhalt

  1. Subjektlehre und Zeichen
  2. Zur Biologiekonzeption Jakob v. Uexkülls

  3. 2.1 Mechanistik, Vitalismus, Bedeutung
    2.2 Subjekte und Umwelten
    2.3 Der Funktionskreis
  4. Zeichenprozesse bei Zellen

  5. 3.1 Ich-Ton und 'spezifische Energie'
    3.2 Zellprozesse ohne Merken und Wirken
    3.3 Merkzeichen und Wirkzeichen in Gehirnzellen
  6. Zeichenprozesse im Funktionskreis

  7. 4.1 Merkzeichen und Bedeutung
    4.2 Bedeutung und Bedeutungsträger
    4.3 Der Zeichenprozeß
  8. Zeichenprozesse in der nicht-tierischen Natur ?
  9. Die Position der Drittheit als Theorieproblem
  10. Bewußtsein und Zeichen
  11. Fußnoten und Literatur



1. Subjektlehre und Zeichen

"Das Subjekt ist der neue Naturfaktor, den die Biologie in die Naturwirrsenschaft einführt" (KLN 353), denn Lebewesen sind keine Maschinen: Mit diesem Satz könnte man die Position zusammenfassen, die der estnische Biologe und 'Umwelt'-Forscher Jakob v. Uexküll (1864-1944) stets vehement verteidigt hat. Aus seiner Ablehnung der als je einseitig verstandenen maschinistischen und vitalistischen Positionen (vgl. Kap. 2.1) heraus hat er versucht, eine subjektbezogene Biologie (Kap. 2.2) zu entwickeln. In dem Zentrum dieser Biologieauffassung, die alle Vorgänge in der Natur als 'bedeutungsvoll' ansieht, steht der von ihm so genannte 'Funktionskreis' (Kap. 2.3) im Zentrum.

Interessant beginnt jene Theorie für dieses Diskussionsforum nun dadurch zu werden, daß man aus v. Uexkülls Texten die implizite Annahme von Zeichenprozessen hinter Lebensvorgängen der Natur ableiten kann: Sowohl 'einfache' Körperzellen wie auch Gehirnzellen scheinen durch ihre 'Ich-Töne' Zeichen zu verarbeiten (Kap. 3); Tiere und Menschen erzeugen im Funktionskreis bedeutungshafte Objekte mit Zeichencharakter (Kap. 4); und auch Pflanzen werden mit der 'Bedeutsamkeit' konfrontiert (Kap. 5).

Mithin läßt sich mit v. Uexkülls Texten das ganze Spektrum einer 'Biosemiotik' diskutieren: An ihnen zeigen sich exemplarisch einerseits die konzeptuellen Möglichkeiten einer Semiotik der 'Natur' und andererseits auch die Probleme und Grenzen eines solchen Ansatzes. Denn gerade indem eine semiotische Theorie wie diejenige Peirces zugrundegelegt wird, gerät v. Uexkülls Argumentation in einen Erklärungsnotstand, wenn etwa die Position der Drittheit besetzt werden muß.

Wo auch und gerade die Möglichkeit einer Semiose auf Zellebene und in der nicht-tierischen Natur in den Blick kommt, bieten sich Ansatzpunkte für die umfassendere Frage nach der Notwendigkeit von Bewußtsein als Basis von Zeichenprozessen.

Folgende Texte Jakob v. Uexkülls werden im folgenden behandelt und mit den entsprechenden Siglen zitiert: Kompositionslehre der Natur [KLN]; Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. [SU]; Bedeutungslehre [BL].



2. Zur Biologiekonzeption Jakob v. Uexkülls

2.1 Mechanistik, Vitalismus, Bedeutung

Jakob v. Uexkülls Theorie der Biologie ist in einem Kontext entstanden, der mit den Begriffen 'Mechanistik' und 'Vitalismus' umrissen werden kann 1. Von den sog. 'Mechanisten' wurden alle Tierhandlungen auf kausale Ursache-Wirkung-Schemata zurückgeführt, so daß für einen subjektiven Freiraum des Lebewesens kein Platz war.

Demgegenüber betonten die 'Vitalisten', daß zwischen "die kausalen Ursachen, die aus der Außenwelt auf das Tier einwirken, und die Handlungen, mit denen das Tier darauf antwortet, seelische Vorgänge eingeschaltet seien"2. Dieser Ansatz birgt allerdings die Gefahr einer allzu spekulativen Tierpsychologie mit sich.

Jakob v. Uexküll nimmt in diesem Streit eine vermittelnde Rolle ein, indem er den Begriff der 'Bedeutung' eine zentrale Stellung verleiht: Zwar akzeptiert er das Vorhandensein kausaler Abläufe in der Natur und wehrt sich gegen eine allzu extensive Psychologisierung, betont aber zugleich, daß Lebewesen nicht rein kausal wie Mechanismen von ihrer Umgebung abhängig sind.



2.2 Subjekte und Umwelten

Denn für Jakob v. Uexküll ist jede Zelle und jedes Lebewesen primär ein "Subjekt"3, das zu autonomen Handlungen fähig ist: So beantwortet schon "die lebende Gewebszelle alle äußeren Einwirkungen als ein individuelles Ganzes mit ihrer spezifischen Gegenwirkung"4, weshalb auch die auf Zellen basierenden Lebewesen als Subjekte anzusehen sind, mit je anderen Ausprägungen der spezifischen 'Ich-Qualität'.

Aus dem Subjekt-Status aller Lebewesen folgt für v. Uexküll zudem eine individuelle Prägung der 'Weltsicht' beziehungsweise deren individuelle Konstruktion: "Die Gegenstände unserer Umwelt erfahren in den Umwelten der Tiere die mannigfachsten Umwandlungen: In der Hundewelt gibt es nur Hundedinge, in der Libellenwelt gibt es nur Libellendinge[...]" (KLN 355).

Jedes Lebewesen schafft sich also nach Maßgabe seiner subjektiven Bedürfnisse eine individuelle Umwelt aus denjenigen Dingen in seiner Umgebung, die dafür bedeutungsvoll sind. Es gibt keine einheitliche Welt für alle Tiere, sondern nur eine Pluralität von subjektiv bedeutungsvollen Um-Welten, Welten um Subjekte herum.

Biologie ist somit für Jakob v. Uexküll 'Umweltlehre'. Der Begriff "Umwelt" unfaßt den subjektiven Lebensraum eines jeden Lebewesens, das diesen Raum für sich konstituiert und konstruiert. Daher ist die Welt - es sei noch einmal betont - für v. Uexküll immer beobachterabhängig und nie 'objektiv'5 gegeben, sondern in dieser konstruktivistischen Perspektive vom Subjekt entsprechend seiner Bedürfnisse geschaffen. Es 'existieren' ebenso viele Umwelten wie es Subjekte gibt.



2.3 Der Funktionskreis

Der Konstruktionsprozeß einer Umwelt durch und für das Subjekt erhält als Theoriebaustein die Bezeichnung "Funktionskreis": In ihm lassen die Beziehungen des Subjekts zu Objekten in seiner Umwelt unter die Begriffe 'Merken' und 'Wirken' fassen, wobei diesen Vorgängen zeichenhafte Prozesse zugrunde liegen; teilweise werden diese Prozesse durch die Benennung 'Merkzeichen'/'Wirkzeichen' abgedeckt.

Der typische Funktionskreis läßt sich modellhaft durch folgendes graphisches Schema6 veranschaulichen:


Dieses Schema erläutert Jakob v. Uexküll folgendermaßen:

"Von bestimmten Eigenschaften des Objektes, die ich als Merkmalsträger bezeichne, gehen Reize aus, die von den Sinnesorganen (auch Rezeptoren genannt) des Subjektes aufgenommen werden. In den Rezeptoren werden die Reize in Nervenerregungen verwandelt, die dem Merkorgan zueilen. Im Merkorgan klingen, wie wir das von uns selbst wissen7, Sinnesempfindungen an, die wir ganz allgemein Merkzeichen nennen wollen. Die Merkzeichen werden vom Subjekt hinausverlegt und verwandeln sich, je nachdem, welchem Sinneskreis sie angehören, bald in optische, bald in akustische oder taktile Eigenschaften des Objekts. Diese Eigenschaften bilden die Merkmale des Subjektes.[...]

Vom Merkorgan wird das Wirkorgan beeinflußt. In diesem werden bestimmte Impulsfolgen ausgelöst, die sich in nervösen Erregungsrhythmen auswirken. Wenn diese die Muskeln der ausführenden Organe der Effektoren treffen, werden diese zu ganz bestimmten Bewegungsfolgen veranlaßt, die sich als Leistung des Tieres äußern. [...]

Die von den Bewegungsfolgen erzielte Leistung besteht immer darin, daß dem Objekt ein Wirkmal erteilt wird. Die von Wirkmal betroffenen Eigenschaften des Objekts werden als Wirkmalträger bezeichnet. [...] Durch diese Verbindung [von Wirkmal- und Merkmalträger] ist dafür gesorgt, daß jede Handlung zu ihrem natürlichen Abschluß kommt, der immer darin besteht, daß das Merkmal vom Wirkmal ausgelöscht wird. Dadurch ist der Funktionskreis geschlossen" (KLN 371f.).

Während das Objekt als Reizquelle auf das Subjekt einwirkt, wird in diesem durch die Stimulierung des Rezeptors seinem Merkorgan - dem "reizaufnehmenden Teil des Gehirns" (SU 26) - spezifische Impulse zugeführt. Dabei entsprechen bestimmten Reizquellen in der Umwelt bestimmte Zellgruppen im Gehirn:

"Um ein geordnetes Zusammenarbeiten zu ermöglichen, bedient sich der Organismus der Gehirnzellen [...] und gruppiert die eine Hälfte als 'Merkzellen' im reizaufnehmenden Teil des Gehirns, dem 'Merkorgan', in kleinere oder größere Verbände. Diese Verbände [von Gehirnzellen] entsprechen äußeren Reizgruppen, welche als Fragen an das Tiersubjekt herantreten" (SU 26).

Jede dieser Gehirnzellen kann, wie schon angedeutet, als Subjekt bezeichnet werden, da sie "ein Maschinist ist, der merkt und wirkt und daher ihm eigentümliche (spezifische) Merkzeichen und Impulse oder 'Wirkzeichen' besitzt" (SU25). Es werden also auf zellulärer Ebene nicht nur Subjekte, sondern auch Zeichen postuliert.

Zugleich induziert das Merken einen Wirk-Prozeß zunächst im Gehirn, der sich dann außen als Handlung und als "Wirkmal" an dem Objekt manifestiert. Dadurch schließt sich der Kreis, was sich darin zeigt, "daß das Merkmal vom Wirkmal ausgelöscht wird" (KLN 371): So wird z.B. bei einem Raubtier das Merkmal "Beute" durch das Wirkmal "Genickbiß" ausgelöscht.

Da Jakob v. Uexküll nun bestimmte Zellen des Funktionskreises mit 'Merkzeichen' und 'Wirkzeichen' in Verbindung bringt, scheint es angebracht, vor einer Diskussion von Zeichenprozessen im Funktionskreis zuerst die Möglichkeit von Semiosen auf Zellebene zu untersuchen: Ist in Jakob v. Uexkülls Theorie die Möglichkeit vorgesehen, daß in oder bei Zellen Zeichenprozesse ablaufen können und wie ließen sich diese beschreiben?



3. Zeichenprozesse bei Zellen

3.1 Ich-Ton und 'spezifische Energie'

Wie bereits erläutert, modelliert Jakob v. Uexküll die 'zellulären Subjekte' als mit einem individuellen Reaktionspotential ausgestattet; bei einer Gehirnzelle etwa in der Form, daß jede "nur über ein Merk- und ein Wirkzeichen verfügt" (SU 25).

Dies kann man nun dahingehend generalisieren, daß eine jede Zelle mit einem spezifischen "Ich-Ton" (BL 112) ausgestattet ist, der die Reaktion der Zelle auf eine Reizung bewirkt: Eine Muskelzelle hat als 'Ich-Ton' ihre Kontraktion und ein Phagozyt im Blut das 'Aufessen von Zellen'. Dieses Postulat hat seine Wurzeln in der Biologie von Johannes Müller, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Theorie einer 'spezifischen Energie' formuliert hat:

Sie besagt, "daß organische (Nerven-)Zellen auf Reizungen, welcher Art auch immer, als Ganzheit antworten, indem sie eine ihrem Bau und ihrer Aufgabe gemäße spezifische Reaktion zeigen. Spezifisch ist diese Reaktion, weil sie von einer Reaktion abhängt, die nur dem jeweiligen Organismus eigen ist. Man kann demnach davon sprechen, daß organische Gebilde autonom (eigengesetzlich) und nicht heteronom sind"8.

Jakob v. Uexküll zieht dafür auch das Beispiel einer Glocke heran, um Zellen gegen mechanische Abläufe abzugrenzen9:

"Ein jeder Maschinenteil, wie z.B. der Klöppel einer Glocke, arbeitet nur dann maschinenmäßig, wenn er in bestimmter Weise hin und her geschwungen wird. Alle anderen Eingriffe, wie Kälte, Wärme, Säuren, Alkalien, elektrische Ströme werden von ihm wie von einem beliebigen Stück Metall beantwortet. Nun wissen wir aber seit Joh. Müller[...], daß ein Muskel sich durchaus anders benimmt. Alles äußeren Eingriffe beantwortet er in der gleichen Weise: durch Zusammenziehen. Jeder äußere Eingriff wird von ihm in den gleichen Reiz verwandelt und mit dem gleichen Impuls beantwortet, der seinen Zellkörper zum Zusammenziehen veranlaßt" (SU 25).

Somit ließe sich bei Zellen folgender Ablauf anlegen: Jede Zelle besitzt einen 'Ich-Ton', der als untrennbar mit ihr verbunden gedacht wird (vgl. KLN 326f.). Bei Reizung der Zelle 'antwortet' diese gemäß dieses 'Ich-Tons' und gibt einen Impuls ab. Es wird also über den 'Ich-Ton' ein Reiz mit einer Reaktion verknüpft.


Allerdings ist es schwierig, diesen Prozeß als Semiose zu formulieren, vor allem, da man nicht bei allen Zellen Zeichenprozesse annehmen kann: Zwar postuliert v. Uexküll an machen Stellen für jede Zelle Vorgänge des Merkens und Wirkens 10, doch ist seine Theorie in diesem Punkt nicht konsistent. So unterscheidet er z.B. in dem 1931 erschienen Aufsatz Die Rolle des Subjekts in der Biologie zwischen Sinneszellen einerseits und den übrigen Zellen andererseits.

Dabei haben nur erstere Zellen, die v. Uexküll im Großhirn lokalisiert, die Fähigkeit zu Merken: "Wir nennen diesen Vorgang [des Hinausverlegens] Merken und bezeichnen die als Sinnesempfindungen auftretenden Ich-Töne, ihrer Aufgabe nach, als Merkzeichen. Die hinausverlegten Merkzeichen werden zu objektiven Merkmalen unserer Umwelt" (KLN 351).

Die anderen Zellen, etwa im Reflexbogen, verfahren nur nach dem Schema, daß sie eine Einwirkung von außen als Reiz aufnehmen und mit einem Impuls an die nächste Zelle beantworten.

Diese Differenzierung der Zellen erscheint dabei plausibler als die pauschale Ausweitung der Begriffe 'Merken'/'Wirken' auf alle Zellen. Allerdings bleibt dann das Problem bestehen, was die spezifische Eigenheit des 'Ich-Tons' von Gehirnzellen ist, die ihnen das Merken erlaubt. Darauf gibt v. Uexküll keine Antwort, wie er auch generell nur recht vage den zellulären 'Ich-Ton' bestimmt.



3.2 Zellprozesse ohne Merken und Wirken

Wird diese Zweiteilung der Zellen akzeptiert, ließen sich auch zwei verschiedene Arten von Zeichenprozessen auf der Zellebene postulieren. Die eine Art bestünde im Reflexbogen-Schema, das den meisten Zellprozessen zugrunde liegt und sich in etwa folgendermaßen reformulieren läßt: Eine Zelle hat einen spezifischen 'Ich-Ton', anhand von welchem sie jede bzw. fast jede äußere Einwirkung welcher Art auch immer, stets in den gleichen Reiz verwandelt und mit immer dem gleichen Impuls antwortet.

So beschreibt v. Uexküll selbst einen Reflexbogen wie folgt als eine Kette von Reiz-Wirkung-Reaktionen:

"Eine mechanische Bewegung der Außenwelt wirkt auf die Tastborste. Diese wirkt auf das Subjekt A [die Sinneszelle], das die mechanische Wirkung in einen subjektiven Reiz verwandelt und mit einem Impuls beantwortet, der eine elektrische Schwankungswelle im Nervenfortsatz der Zelle erzeugt. Die elektrische Welle dient Subjekt B [der sensorischen Zelle] als Reiz. Reiz und Impuls wiederholen sich [bei der motorischen Zelle C], bis Subjekt D [die Muskelzelle] gereizt wird, dessen Impuls infolge seiner spezifischen Dynamik eine Verkürzug erzeugt." (KLN 349f.)

Die Zeichenhaftigkeit würde sich nun dort ansetzen lassen, wo eine Einwirkung von außen oder ein Impuls in einen Reiz verwandelt wird: Eine jede Einwirkung, die auf die Zelle trifft, würde für diese Zelle nicht als solche erscheinen, sondern nur als derjenige spezifische Reiz, den die Zelle gemäß ihres Ich-Tons benötigt. Die Zelle hätte also mit anderen Worten die Einwirkung mit dem Reiz, einen Signifikanten mit einem Signifikat verbunden.

Anhand dieser Paraphrase sollte aber leicht ersichtlich sein, wie wenig plausibel das Postulat von Zeichenprozessen bei dieser Art von Zellen - in v. Uexkülls Einteilung - ist. Denn die Einwirkung steht ja nicht wirklich als Repräsentamen für den Reiz als Objekt, sondern wird von der Zelle in diesen "verwandelt", so etwa durch eine Tastzelle, die "die mechanische Wirkung in einen subjektiven Reiz verwandelt und mit einem Impuls beantwortet" (KLN 349) oder eine Muskelzelle (vgl. oben). Es liegt also mehr ein Prozeß der Transformation zwischen dem Zelläußeren und dem Zellinneren vor, denn ein Zeichenprozeß.



3.3 Merkzeichen und Wirkzeichen in Gehirnzellen

Somit bleiben für zelluläre Semiosen nur die Gehirnzellen übrig, vor allem, da sich hier der Merkvorgang vollzieht: "Entsinnen wir uns, daß der sensorische Teil des Großhirns, den wir als Merkorgan bezeichnen wollen, aus lauter Zellsubjekten besteht, deren Ich-Töne als Merkzeichen dienen" (KLN 352).

Bei Gehirnzellen sind also die Ich-Töne identisch sind mit den Merkzeichen dieser Zellen und führen zudem zu bestimmten Sinnesempfindungen: Man kann also "die als Sinnesempfindungen auftretenden Ich-Töne, ihrer Aufgabe nach, als Merkzeichen" (KLN 351) bezeichnen. Unter 'Ich-Tönen' versteht v. Uexküll hier bestimmte Sinneswahrnehmungen wie Farben, Gerüche usw., die dann den Objekten zugeschrieben werden.

Der Zeichenprozeß ließe sich nun so theoretisch modellieren, daß jede Zelle genau einen Ich-Ton hat (z.B. 'hellblau'), der einer bestimmten, abgegrenzten Objekteigenschaft in der Umwelt zugeordnet werden kann und durch die Weiterleitung eines äußeren Reizes von diesem Objekt aktiviert wird. Damit wäre das Merkzeichen der Zelle eine Veränderung des inneren Zustandes der Zelle, der durch einen genau bestimmten äußeren Reiz bewirkt wird. Nimmt man die Zelle als Zeichenträger an, dann wäre die innere Zustandsänderung als 'Repräsentamen' zu sehen, das auf den äußeren Reiz als 'Objekt' verweist.

Dabei ist jedoch zu beachten, daß mit diesem "äußeren Reiz" nicht die Reizquelle in der Umwelt des Tieres gemeint sein kann, da diese der Gehirnzelle unzugänglich ist. Vielmehr handelt es sich um den Impuls, den die Gehirnzelle von den zuführenden Nervenzellen erhält, und der selbst durch weitere Reiz/Impuls-Schemata in anderen Zellen erzeugt wurde. Präziser formuliert hätte diese Semiose also als ihr 'Objekt' lediglich einen Reiz innerhalb des Zellsystems des Körpers.


Als Interpretanten ließe sich zum einen der 'Ich-Ton' der Zelle ansehen, da dieser ja festlegt, auf welchen Reiz die Zelle reagiert und von welcher Art diese Reaktion ist. Daher würde der 'Ich-Ton' zu der Instanz, die Merkzeichen (als Repräsentamen) und Reiz (als Objekt) miteinander verbindet.

Zum anderen könnte man jedoch auch eine übergeordnete Regel an diese Position setzen, da ja v. Uexküll 'Ich-Ton' und 'Merkzeichen' teilweise als identisch anzusehen scheint (vgl. oben). Diese Deutung wird auch dadurch gestützt, daß v. Uexküll davon spricht, daß bei den Zellen die "Ich-Töne als Merkzeichen dienen" (KLN 352), was eine Instanz impliziert, der 'gedient' wird, und die nicht mit den 'Ich-Tönen' als Dienenden identisch sein kann.

Diese regulative Instanz wäre dann entweder in dem "subjektiven Bauplan" (BL 114) des Tiers/der Pflanze zu sehen, dank dem das lebende Subjekt optimal Reize aus seiner Umwelt bedeutungshaft verarbeiten kann. Oder man nimmt gleich den alles übergreifenden Plan der Natur, die "Weltpartitur" (BL 153), die "überzeitliche und überräumliche Bedeutungssymphonie" (BL 159) der Natur, als Drittheit an.

In beiden Fällen kommt man jedoch von der Semiotik weg auf Gebiete der Metaphysik: Denn parallel und im Widerspruch zu seinem dezidiert konstruktivistischen Begriff der "Umwelt" setzt v. Uexküll die genannten Instanzen von vornherein als intersubjektiv-objektiv 'gegeben' voraus, wobei vor allem der 'Naturplan' als sinnstiftende und harmonisierende Letztinstanz bei allen Naturvorgängen wirkt. Die daraus resultierenden Probleme sollen allerdings in einem gesonderten Abschnitt im Zusammenhang mit dem Problem des Dritten abgehandelt werden (vgl. unten).



4. Zeichenprozesse im Funktionskreis

4.1 Merkzeichen und Bedeutung

Allerdings bleibt noch eine weitere - und wohl wichtigste - Möglichkeit für Zeichenprozesse bei Lebewesen, wenn man eine höhere Ebene betrachtet: Denn der Vorgang des Merkens im Gehirn steht nicht isoliert für sich, sondern wird von Jakob v. Uexküll in einen Funktionsablauf integriert, den bereits erläuterten Funktionskreis als einem Kern seiner Biotheorie.

Die Funktionskreise bauen als "Bedeutungskreise" (BL 114) auf den eben skizzierten zellulären Vorgängen auf, bringen aber zugleich eine neue Qualität ins Spiel: die "Bedeutung (BL 106 passim) sowie die davon abhängigen Termini "Bedeutungsträger" (BL 109), "Bedeutungsfaktor" (BL 113), "Bedeutungsempfänger" (BL 132) und "Bedeutungsverwerter" (BL 120).

Bedeutung impliziert eine Stufe von Sinnprozessierung, die den Horizont der einzelnen Zelle überschreitet. Sie basiert zwar auf der Produktion von Merkzeichen in den Sinneszellen, doch wird die Bedeutung den Merkzeichen übergeordnet: "Nur der Bedeutungsträger besitzt für das Tier ein Merkmal, sei es, um dasselbe anzulocken oder abzustoßen" (KLN 371).

Unklar bleibt jedoch die Frage des Primats: Schafft das hinausverlegte Merkzeichen als Merkmal einen Gegenstand in einen Bedeutungsträger um oder können die Sinnesorgane von vornherein nur diejenigen Objekte in der Umwelt als Merkmalsträger erkennen, die für sie von Bedeutung sind. Jakob v. Uexküll scheint dabei keine eindeutige Linie zu vertreten und zwischen beiden Optionen zu schwanken: So schreibt er an manchen Stellen dem Subjekt die Priorität zu 11, an anderen der Natur 12; manchmal gerät er sogar in Zirkelschlüsse 13. Berücksichtigt man jedoch auch die Möglichkeit von Lernprozessen des Subjekts, von Anpassungen an neue Umgebungen, so scheint die erste, die konstruktivistische Variante plausibler zu sein.



4.2 Bedeutung und Bedeutungsträger

Wenn die "Bedeutung" (BL 106 passim) und ihr materielles Pendant, der "Bedeutungsträger" (ibid.), durch den Funktionskreis erzeugt werden, kann jene Bedeutung grundsätzlich immer nur als Bedeutung für ein Lebewesen im Rahmen von dessen Umwelt erscheinen: "Jede Umwelt bildet eine in sich geschlossene Einheit, die in all ihren Teilen durch die Bedeutung für das Subjekt beherrscht wird" (BL 109). Da jedes Lebewesen seine eigene Umwelt besitzt, haben auch alle Dinge darin eine je individuelle Bedeutung, die sich von Tier zu Tier ändert.

Die Bedeutung ist somit auch stets an bestimmte "Bedeutungsträger" gebunden, wobei diejenigen Dinge in der Umgebung des Lebewesens, die wichtig für seine Bedürfnisse sind, durch diese Bedeutungszuschreibung zu Bedeutungsträgern werden: "Alles und jedes, das in den Bann einer Umwelt gerät, wird umgestimmt und umgeformt, bis es zu einem brauchbaren Bedeutungsträger geworden ist, oder es wird völlig vernachlässigt" (BL 109).

Zugleich setzt v. Uexküll eine gemeinsame Struktur aller Bedeutungsträger voraus: So verschieden sie auch inhaltlich sind, "so völlig gleichen sie sich in ihrer Bauart. Ein Teil ihrer Eigenschaften dient stets dem Subjekt als Merkmalträger, ein anderer als Wirkmalträger" (BL 109).



4.3 Der Zeichenprozeß

Folgendermaßen faßt v. Uexküll noch einmal die Beziehungen zwischen den genannten Elementen zusammen: "So prägt jede Handlung, die aus Merken und Wirken besteht, dem bedeutungslosen Objekt ihre Bedeutung auf und macht es dadurch zum subjektbezogenen Bedeutungsträger in der jeweiligen Umwelt" (BL 110).

Auf dieser Grundlage läßt sich nun der Funktionskreis als Zeichenprozeß reformulieren, wobei durch den Ausdruck "subjektbezogenen Bedeutungsträger" bereits in nuce eine triadische Semiose umrissen ist: Das Subjekt, also ein Lebewesen, schreibt einem neutralen Objekt eine bestimmte Bedeutung zu (z.B. 'Feind'), wodurch das Objekt nun zum Träger dieser Bedeutung wird und damit auf diese verweist. Das Objekt (Zeichen) steht in Beziehung zu einer anderen Sache (Bedeutung; das Peirce'sche 'Objekt') für eine dritte Instanz (hier: das handelnde Subjekt)14. Man könnte also sagen, daß der Bedeutungsträger als Repräsentamen für die Bedeutung als Objekt steht und beide durch eine Regel miteinander verknüpft werden.

Aufschlußreich sind nun die Unterschiede zu den Zeichenprozessen bei Gehirnzellen: Während bei diesen das Zeichen in seinem Objektbezug nur für einen Reiz steht 15, der in dem entsprechenden Merkzeichen repräsentiert wird, nimmt v. Uexküll für den Funktionskreis eine reale Beziehung 16 des Subjekts zu seinem Objekt an. Zwar basiert diese Beziehung auch auf dem Reiz-Merkzeichen-Schema, doch definiert sich die "Bedeutung" grundsätzlich über reale Bedürfnisse des Tieres, wie z.B. Hunger oder Bedrohung durch einen Feind.

Da dieses Bedürfnis zudem dessen Befriedigung durch 'Wirken' impliziert, ergibt sich eine weitere bemerkenswerte Differenz zu Zellsemiosen: Der Prozeß, der die Bedeutung konstituiert, ist in sich zweiteilig, insofern er aus Merken und Wirken besteht. Erst wenn beides im Funktionskreis durchlaufen ist, wurde der Bedeutungsträger endgültig mit seiner Bedeutung versehen. Ohne die erfolgte Einwirkung auf das Objekt bleibt der Vorgang der Bedeutungserzeugung defizitär.

Somit ist der Zeichenprozeß im Funktionskreis zweiteilig: Er besteht nicht nur darin, daß einem Gegenstand durch ein Subjekt Zeichenqualität verliehen wird, sondern auch darin, daß das Subjekt dadurch zu einer Handlung im Hinblick auf den Zeichenträger veranlaßt wird. Dies hat auch Thure v. Uexküll bei seiner Deutung des Zeichenprozesses im Funktionskreis als 'zyklische Semiose' erkannt: "Peirce's theory of signs is triadic, Saussure's is dyadic, and Uexküll's is conceived as a cyclic process" 17.

Die Position der Drittheit im Funktionskreis würde dann das Subjekt einnehmen, da der Gegenstand nur im Hinblick auf das Lebewesen seine Bedeutung besitzt und nur von diesem zugeschrieben wird. Auch ist nur das Subjekt in der Lage, die dem Merkzeichen erforderliche Handlung (wie z.B. Flucht) auszuführen und damit den Bedeutungskreis erst zu schließen.

Zugleich kann man auch hier wieder die von Jakob v. Uexküll postulierte 'Planmäßigkeit' in der Natur heranziehen, die auch dafür sorgen soll, daß nur diejenigen Elemente der Umgebung eines Lebewesens den 'Filter' von dessen Sinnesorganen passieren kann, die für das Lebewesen von Bedeutung sind. Damit würde jedoch das Subjekt seinen genuinen Status als regulative Drittheit verlieren und in Abhängigkeit von dem 'Naturplan' geraten. Parallel dazu würde dann auch der Naturplan diese Funktion des Dritten übernehmen.



5. Zeichenprozesse in der nicht-tierischen Natur ?

Nach der Untersuchung von semiotischen Aspekten des Funktionskreis soll nun noch ein kleiner Seitenblick auf die Möglichkeit von bedeutungshaften Prozessen bei Pflanzen geworfen werden. Da diese nach v. Uexkülls Konzeption keinen Funktionskreis besitzen, können sie auch nicht über Merken und Wirken den Objekten in ihrer Umgebung Bedeutung zuschreiben und sie so zu Bedeutungsträgern machen (vgl. BL 111).

Dennoch gibt es in der Umgebung von Pflanzen bestimmte "lebenswichtige Reize, die sich als Bedeutungsfaktoren aus den Wirkungen hervorheben, die von allen Seiten auf die Pflanze eindringen" (BL 111). Somit legt v. Uexküll auch für Pflanzen die Differenz bedeutungsvoll/bedeutungslos an deren Umgebung an, da auch für wie für Tiere nur ein Bruchteil aller Einwirkungen 'wichtig' oder 'bedeutsam' sind, je nach ihrem 'individuellen Subjekt-Status'. Für eine kälteempfindliche Pflanze ist die Anzahl der Frost-Nächte bedeutsam, während eine andere Pflanze vor allem auf den Bedeutungsfaktor Regen 'ausgerichtet' ist.

Diese Selektionsleistung der Pflanze erfolgt nun über ihre Zellhaut: "Die Pflanze begegnet den äußeren Wirkungen nicht mit Hilfe von rezeptorischen oder effektorischen Organen, aber dank einer lebenden Zellenschicht ist sie befähigt, aus ihrer Wohnhülle die Reizauswahl zu treffen" (BL 111).

Diese "Zellenschicht" tritt somit an die Stelle des Funktionskreises bei der Pflanze. Doch ergeben sich nun bei der Frage nach der Konstitution der Bedeutung einige Probleme: Offenbar scheint v. Uexküll hier der 'Zellhaut' diejenigen Eigenschaften zuzuschreiben, die bei Tieren der Funktionskreis erfüllt, nämlich die 'Auswahl' des für die individuelle Pflanze Bedeutsamen. Doch gleichzeitig umgeht er eine nähere Darstellung dieses Vorganges und weicht in einen historischen Exkurs über Johannes Müller aus, um danach die Metaphorik eines "Glockenspiels" (BL 112) in die theoretische Schwachstelle einzusetzen.

Somit bleibt auch das das Kapitel beschließendes Schleimpilz-Beispiel unbegründet:

"Der fertige Pilz aber ist eine Pflanze, die keine tierische Umwelt besitzt, sondern von einer Wohnhülle umgeben ist, die aus Bedeutungsfaktoren besteht. [...]Der alles beherrschende Bedeutungsfaktor des erwachsenen Schleimpilzes ist der Wind, dem der Pilz mit erstaunlicher Sicherheit entgegenwächst [...] sind doch die Samenkapseln des Pilzes eine leicht zu tragende Beute des Windes, die einer weiten Verbreitung sicher ist" (BL 113).

Der zentrale Begriff hier ist "Bedeutungsfaktor", der bei den Pflanzen an die Stelle des "Bedeutungsträgers" tritt und einige aufschlußreiche Implikationen mit sich bringt: Zum einen wird dem vorgeblichen Pflanzen-Subjekt nicht wie den Tieren eine aktive Rolle bei der Bedeutungskonstitution zugeschrieben, sondern sie bleiben passiv, während der "Bedeutungsfaktor" - etwa der Wind oder die Sonne - auf die Pflanze einwirkt. Somit kann im Bereich der Pflanzen keine originäre Semiose mehr ablaufen, da nur noch ein extern wirksamer "Faktor" vorhanden ist.

Wie oben gezeigt, besteht dem gegenüber die Semiose im Funktionskreis ja gerade darin, daß das Lebewesen aktiv aus seiner Umgebung bestimmte Objekte selektiert und ihnen gemäß des eigenen 'Bedürfnisses' eine Bedeutung zuweist; das Objekt wird zum Repräsentamen für ein 'Objekt'.

Diese Bedeutung, auf die von dem Objekt verwiesen wird, fehlt nun für die Pflanzen in dem Sinne, daß die Pflanze diese Bedeutung aktiv konstruieren würde. Zwar versucht v. Uexküll einen Ausweg aus dem Dilemma, der aber in sich nicht stimmig ist. Dabei ist die Ebene der Beobachtung wichtig: Während die Semiose im Funktionskreis aus einer internen Perspektive des Subjekts heraus gedacht ist und als einen Zeichenprozeß von dem Subjekt für das Subjekt beschrieben wird, kann v. Uexküll diese Perspektive für Pflanzen nicht mehr aufrecht erhalten.

Vielmehr springt er nun auf die Ebene eines externen Beobachters, der die Einwirkung des "Bedeutungsfaktors" auf die Pflanze von außen dahingehend interpretiert, daß diese Einwirkung von Bedeutung für die Pflanze ist. Dieser Ebenenwechsel setzt zudem die Einführung eines externen Dritten voraus, der die Bedeutung herstellt und die 'Semiose' steuert. Wie weiter unten noch gezeigt werden wird, ist dieser externe Interpretant der "Plan der Natur", von v. Uexküll auch "Klaviatur" usw. genannt. An dieser Stelle zeigt sich deutlich nicht nur ein Einstiegspunkt für eine Kritik an v. Uexkülls Pflanzenkunde, sondern auch an dessen gesamter 'Biologie der Bedeutung'.



6. Die Position der Drittheit als Theorieproblem

Wie schon mehrmals angedeutet, soll nun abschließend versucht werden, das Problem der Drittheit, des Interpretanten herauszuarbeiten, das einen eklatanten Mangel der Zeichenkonzeption an der Position der Drittheit, sowohl auf der Ebene der Zellen wie auch derjenigen des Funktionskreises, und in der auffälligen Verwendung metaphorischer Sprache, die auf Schwachstellen der Theorie hinzudeuten scheinen.

Die Position der Drittheit ist für jede semiotische Theoriebildung insofern unabdingbar, da nur diese die Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem, von Repräsentamen und Objekt gewährleisten kann: Es muß immer eine Regel geben, die etwa Zeichen und Bezeichnetes miteinander verbindet. Daher erscheint Peirces Konzeption komplexer und erklärungsmächtiger als die de Saussures, da hier nicht nur die Drittheit berücksichtigt und sie als "Interpretant" eingeführt wird, sondern diese Drittheit zugleich wieder als Zeichen konzeptualisiert werden kann, wodurch eine infinite Sequenz von Triaden entsteht.


Jakob v. Uexkülls Theorie kennt nun durchaus vergleichbare Ansätze zu einer Drittheit, die sich für jede der oben diskutierten Bereiche der Semiose formunieren läßt: Zu nennen wären, in der Reihe ihrer Wichtigkeit, das "Vorhandensein einer allgemeinen Planmäßigkeit in der Natur" (KLN 277), die "Bedeutungsregel" (z.B. BL 132 passim), das Subjekt als "Bedeutungsverwerter" (z.B. BL 128 passim) sowie der Ich-Ton.

Allen diesen Begriffen ist zunächst gemeinsam, daß sie nicht wie Peirces Interpretant als offen im Hinblick auf weitere Triaden gedacht sind, sondern vielmehr immer einen Schlußpunkt für den einzelnen Zeichenvorgang bilden: So schließt das Subjekt durch das Wirkmal den Bedeutungskreis ab, während der Ich-Ton der einzelnen Nervenzelle nur dann ein einziges Merkzeichen produziert, wenn die Zelle stimuliert wird, so daß keine weitere Semiosen sich zwingend anknüpfen müssen.

Problematisch ist nun vor allem, daß v. Uexküll diese regulativen Instanzen nicht nur als Endpunkt der Zeichenprozesse ansieht, sondern ihnen auch eine Existenz vor jeder Semiose zuspricht: Auch ohne Reizung ist jeder lebenden Zelle ein Ich-Ton nicht nur inhärent, sondern sogar Konstitutionsbedingung für ihren Subjekt-Status.

Auch für den Naturplan gilt diese Präexistenz, doch ergeben sich hierbei noch weitere Implikationen: Der Naturplan existiert nicht nur vor jedem Zeichenprozeß, sondern ist sogar diejenige Instanz, die diese Prozesse in der Natur erst ermöglicht. An dieser Stelle stößt man auf das metaphysische Substrat der Biologiekonzeption Jakob v. Uexkülls: Die Natur wird als etwas gesehen, das ganz von einer harmonischen Planmäßigkeit durchdrungen ist, das alle Lebewesen und Dinge sinnvoll einander zuordnet, das keine Experimente oder Zwecklosigkeiten begeht, sondern alles Irdische in eine ewig wohlklingende "Bedeutungssymphonie" einordnet.

Somit steht dieser Naturplan hinter all diesen anderen Drittheiten wie "Subjekt" oder "Ich-Ton" als ultimativer Bedeutungsgeber, als sinnstiftende Letztinstanz. Man kann also mit gutem Recht behaupten, daß v. Uexküll seine biologische Theorie letztlich auf einer Instanz aufbaut, die große Ähnlichkeit mit Peirces finalem Interpretanten aufweist, aber genausogut auch als 'Gott' oder "Gottnatur" bezeichnet werden kann.

Diese Drittheit kann aber nun nicht mehr im Rahmen der Theorie selbst erklärt werden, sie unterhöhlt - wie eingangs angedeutet - das Postulat einer stets nur subjektiv möglichen Weltsicht: Denn nur wenn dieser Naturplan für die gesamte belebte und unbelebte Natur als identisch gedacht wird, kann durch ihn die scheinbare Bedeutungsharmonie in jener Natur erklärt werden.

Gesondert stellt sich außerdem das Problem des Dritten bei Pflanzen (und in der unbelebten Natur). Denn da hier kein Funktionskreis vorliegt, kann auch nicht die Pflanze selbst einen möglichen Zeichenprozeß steuern, so daß die Position der Drittheit nicht besetzt werden kann. Wie gezeigt, versucht v. Uexküll dieses Problem durch einen Sprung auf einen externen Standpunkt zu umgehen, aber dies löst natürlich das Problem nicht; auch Martin Krampens biosemiotische Überlegungen bieten keinen Ausweg an 18.

Einen zwar originellen, wenn auch nicht überzeugenden, Lösungsvorschlag hat John Deely in seinem Buch Basics of Semiotics formuliert: Einerseits dehnt er den Geltungsbereich der Semiose auf die gesamte Natur aus, während er andererseits die Unterscheidung zwischen virtueller und aktualisierter Drittheit einführt: In der unbelebten Natur etwa finden zwar keine Zeichenprozesse mit einer aktualisierten Drittheit statt, aber dennoch lassen sich Regelhaftigkeiten ausmachen, die den Status einer "virtual thirdness"19 besitzen und nur noch aktualisiert werden müssen. Alle Vorgänge in der Natur sind somit mindestens eine "virtual semiosis prior to any cognitive life" 20

.

Ob jedoch dieses Konzept eines virtuellen Dritten trägt, ist sehr fragwürdig: Vor allem scheint dieser virtuelle Dritte in einem triadischen Schema gar nicht möglich zu sein, da der virtuelle Status erst aus einer ex-post Perspektive festgestellt werden kann, d.h. erst während bzw. nach dem Ablaufen eines Zeichenprozesses. Erst nachdem beispielsweise ein Wissenschaftler bestimme Vorgänge in der Natur beobachtet hat und damit den Interpretanten aktualisiert hat, wird dieser erst zu einem solchen.

Dieser Ansatz scheitert somit an der prinzipiellen Unhintergehbarkeit des Zeichenprozesses, daran, daß das Erkennen von Virtualität bereits Aktualität der Semiose voraussetzt.



7. Bewußtsein und Zeichen

Betrachtet man die bisherigen Überlegungen noch einmal unter dem Aspekt des 'Bewußtseins', dann kann man im Rahmen der Theorie v. Uexkülls diesen Bereich folgendermaßen umreißen:

Wie gezeigt, lassen sich wohl nur für Gehirnzellen und für den Funktionskreis semiotische Abläufe anlegen, da für die übrigen Zellen und die nicht-tierische Natur die Position der Drittheit nicht adäquat besetzt werden kann. Da sowohl der Funktionskreis als auch Gehirnzellen in enger Beziehung zu Bewußtseinsprozessen stehen, kann man eine Verbindung von Bewußtsein und Interpretant vermuten.

Näherin ist im Funktionskreis die Existenz von Bewußtsein eine notwendige Voraussetzung dafür, daß das Subjekt einem Objekt eine Bedeutung zuschreiben kann. Nur dann laufen die Prozesse des Merkens und Wirkens ab und damit eine Semiose. Mit anderen Worten: Das Bewußtsein leistet die Koordination von Bedürfnis und Objekt, es setzt beide in einem zeichenhaften Prozeß in Relation und steuert das Merken und Wirken. Dafür spricht auch, daß reflexartige Vorgänge, die ja auf einer unterbewußte Ebene ablaufen und nicht vom Großhirn kontrolliert werden, nur als ohne Funktionskreis beschreibbar sind (siehe oben) - und damit auch als ohne Semiosen ablaufénd.

Anders bei Gehirnzellen: Das Bewußtsein bildet zwar auch hier die Voraussetzung für eine Semiose, ist aber selbst nicht in dem Zeichenprozeß enthalten. Denn hier genügt ja der zelluläre 'Ich-Ton' als Interpretant, um Merkzeichen und Reiz zu verbinden. Somit läge bemerkenswerterweise hierin ein dritter Weg statt einer schematischen Zweiteilung 'Bewußtsein ja/nein': eine Semiose, die zwar Bewußtsein voraussetzt, aber unabhängig von diesem abläuft. Zu klären wäre aber hierbei noch die spezifische Qualität dieses 'Ich-Tons', also die differentia specifica zu 'normalen' Zellen.



Fußnoten

1 vgl. zum folgenden: Thure von Uexküll, Einleitung. Plädoyer für eine sinndeutende Biologie . In: KLN 20ff. zurück

2 Thure von Uexküll, ibid., S. 20. zurück

3 Zu diesem Begriff vgl.: Jakob von Uexküll, Die Rolle des Subjekts in der Biologie . In: KLN 343-356.zurück

4 Jakob von Uexküll, ibid., S. 346.zurück

5 Jedoch muß man gleich hinzufügen, daß von Uexküll in diesem Punkt nicht konsequent ist, da er hinter allen Naturerscheinungen einen umfassenden 'Naturplan', eine Bedeutungshaftigkeit alles Seienden als metaphysisches Prinzip postuliert. Vgl. etwa KLN 355 passim sowie in dieser Arbeit: Kap.zurück

6 Das von J. von Uexküll in mehreren Texten verwendete Schema stammt hier aus: Jakob von Uexküll, Die Bedeutung der Umweltforschung für die Erkenntnis der Natur. In: KLN 372. zurück

7 Hier projiziert von Uexküll anthropogene Vorstellungen in die Natur hinein und begibt sich somit auf ein problematisches Gebiet der Argumentation: Es handelt sich wohl um einen Rückgriff auf Argumentationsschemata der Tierpsychologie des Vitalismus.zurück

8 Thomas Dau, Die Biologie von Jakob von Uexküll. In: Biologisches Zentralblatt 113 (1994), S. 221.zurück

9 Das Negativbeispiel der Glocke hat ihr Pendant in dem Gebrauch von Musikmetaphern bei Lebewesen, so etwa deren Bezeichnung als "lebendiges Glockenspiel" oder eben auch der 'Ich-Ton' von Zellen. Hieran wird deutlich, wie stark der metaphorische Subtext in von Uexkülls Texten auf die inhaltliche Ebene durchschlägt und diese prägt.zurück

10 vgl. z.B.: "Denn alle einzelnen Zellen des Reflexbogens arbeiten nicht mit Bewegungsübertragung, sondern mit Reizübertragung. Ein Reiz muß aber von einem Subjekt gemerkt werden und kommt bei Objekten überhaupt nicht vor.[...] d.h. unsere Sehsinneszellen antworten mit den gleichen 'Merkzeichen'.[... Es gilt,] daß jede lebende Zelle ein Maschinist ist, der merkt und wirkt[...]" (SU 25).zurück

11 vgl. z.B.: "Die meisten Bedeutungsträger werden vom Tier aus seiner unserem Auge wahrnehmbaren Umgebung übernommen und in seine Umwelt übertragen, wobei sie durch subjektive Merkmale für den Bedarf des Tieres zurechtgestutzt und in vielen Fällen mit dem Leistungston abgestempelt werden" (KLN 375).zurück

12 Sie "sorgt durch Ausschalten von Sinnesorganen dafür, daß immer nur eine beschränkte Anzahl von Merkmalen in der Umwelt auftreten" (KLN 375).zurück

13 Etwa wenn er schreibt: "Von bestimmten Eigenschaften des Objekts, die ich als Merkmalsträger bezeichne, gehen Reize aus", die über Sinnesorgane und Nervenzellen ins Gehirns gelangen und "verwandeln sich [dort], je nachdem, welchem Sinneskreis sie angehören, bald in optische, bald in akustische oder taktile Eigenschaften des Objekts. Diese Eigenschaften bilden die Merkmale des Subjektes" (KLN 371f.). Die Objekteigenschaften werden zugleich vorausgesetzt und als Subjekterzeugnis gesehen.zurück

14 Diese Richtung vertritt z.B. Thure von Uexküll: Zeichen "sind einerseits 'duale Einheiten' [...], die aus einem materiellen Vehikel (z.B. Schall- oder Lichtwellen, Buchstaben usw.) und einem immateriellen Anteil, der Bedeutung oder Nachricht, bestehen. Andererseits zeichnen sie sich durch ein triadisches Beziehungsmuster aus[...]: Sie be-zeichnen (als Zeichen) etwas (als das Bezeichnete) im Hinblick auf einen Zusammenhang (das Interpretierende oder der 'Interpretant')" (Thure von Uexküll, Die Umweltlehre als Theorie der Zeichenprozesse. In: KLN 291). Diese erste Dyade ist aber wenig einsichtig, da auch hier eine Drittheit angesetzt werden muß, die die Bedeutung mit dem "Vehikel" verbindet, die vorschreibt, welche Bedeutung z.B. mit einem Verkehrsschild verbunden wird. Somit ergeben sich zwei parallele Triaden: Wenn man aber annimmt, daß in dem "be-zeichnen (als Zeichen)" die Materialität des Zeichens bereits vorhanden sein kann, dann wäre die erste Dyade, die eigentlich eine Triade ist, üerflüssig; hingegen hätte man nun mit der zweiten Triade einen Zeichenbegriff, der dem von Peirce ähnelt (vgl. Gerhard Schönrich, Zeichenhandeln. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1990, S. 17).zurück

15 Vgl. aber auch: "Von Uexküll betont zwar die Autonomie der einzelnen Zellen, möchte in ihnen aber keine Subjekte mit davon abhängigen Objekten sehen; jedoch ist die Zelle eine autonome Betriebseinheit." (Charlotte Helbach, Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls: Ein Beispiel für die Genese von Theorien in der Biologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diss. phil., Aachen 1989, S. 47).zurück

16 Wobei natürlich nicht vergessen werden darf, daß diese 'reale Beziehung' auf einem konstruktivistischen Modell der Realität aufbaut: Das, was real für ein Subjekt ist, wird erst von diesem geschaffen.zurück

17 Uexküll, Thure von, Introduction: The sign theory of Jakob von Uexküll. In: Semiotica 89 (1992), H. 4, S. 308. - Allerdings muß hervorgehoben werden, daß er den Zeichenprozeß zu undifferenziert sieht: Denn die möglichen Semiosen auf Zellebene und bei Pflanzen sind eben nicht als zyklisch anzusehen; vielmehr sind sie analog zu Peirces Modell als triadisch zu beschreiben.zurück

18 vgl. Martin Krampen, Phytosemiotics. In: Semiotica 36 (1981), S. 187-209.zurück

19 John Deely, Basics of semiotics. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1990, S. 88.zurück

20 Deely, ibid., S. 91.zurück



Literatur

Primärtexte

Meyer-Abich, Adolf (Hrsg.), Biologie der Goethezeit. Stuttgart: Hippokrates-Verlag Marquardt & Cie., 1949.

Uexküll, Jakob von, Bedeutungslehre. In: ders./Georg Kriszat, Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Bedeutungslehre. Hamburg: Rowohlt, 1956, S. 103-161. [BL]

- ders., Kompositionslehre der Natur. Hrsg. v. Th. v. Uexküll. Frankfurt/Main: Ullstein 1980. [KLN]

- ders. [Text]/Georg Kriszat [Zeichnungen], Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. In: diess., Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Bedeutungslehre. Hamburg: Rowohlt, 1956, S. 19-101. [SU]


Sekundärtexte

Dau, Thomas, Die Biologie von Jakob v. Uexküll. In: Biologisches Zentralblatt 113 (1994), S. 219-226.

Deely, John, Basics of semiotics. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1990.

Helbach, Charlotte, Die Umweltlehre Jakob v. Uexkülls: Ein Beispiel für die Genese von Theorien in der Biologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diss. phil., Aachen 1989.

Hoffmeyer, Jesper, Signs of meaning in the universe. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1996.

Krampen, Martin, Phytosemiotics. In: Semiotica 36 (1981), S. 187-209.

Pobojewska, Aldona, Die Subjektlehre Jacob v. Uexkülls. In: Sudhoffs Archiv 77, H. 1 (1993), S. 54-71.

Schönrich, Gerhard, Zeichenhandeln. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1990.

Uexküll, Thure von, Einleitung. Plädoyer für eine sinndeutende Biologie. In: Jakob v. Uexküll, Kompositionslehre der Natur. Hrsg. v. Th. v. Uexküll. Frankfurt/Main: Ullstein 1980, S. 17-86.

- ders., Introduction: The sign theory of Jakob v. Uexküll. In: Semiotica 89, H. 4 (1992), S. 279-315.

- ders., Die Zeichentheorie Jacob v. Uexkülls. In: Semiotik 1 (1979), S. 37-47.


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82008 Unterhaching

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