IASL Diskussionsforum online
Netzkommunikation in ihren Folgen
Leitung: Georg Jäger
und Roberto Simanowski
Content Commerce
Neue Vermarktungsmodelle (auch) für Verlage
- Einleitung
- Ausgangslage, Nachfragesituation
- Darstellung des Content-Marktes
- Marktübersicht
- Betriebswirtschaftliche Anatomie eines Syndikationsdeals>
- Probleme bei Content-Syndikation für Anbieter und Verwerter
- Ausblick
Die
bange Frage nach der Zukunft der Verlage angesichts
umwälzender Medienveränderungen stellen sich mehr
und mehr auch traditionelle Buchverlage. Wurden die
Neuerungen der elektronischen Medien bislang noch den
Fachverlagen oder Zeitschriftenkonzernen überlassen, so
ist spätestens seit der Frankfurter Buchmesse 2000 und
der Verleihung des ersten E-Book-Awards klar, daß
elektronisches Publizieren die gesamte Branche erfassen und
wesentliche Abläufe in Produktion, Distribution und
Vermarktung der eigenen Produkte nachhaltig ändern
wird. Voraussetzung für diese umwälzenden
Veränderungen sind neue Publikationsmethoden, die
allgemein unter dem Oberbegriff Electronic Publishing (EP)
zusammengefaßt werden. Dahinter verbirgt sich eine
Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten, Informationen
(Content) in elektronischer Form zu produzieren und an eine
bunte Vielfalt an Verwertern bis hin zum Endkunden zu
vertreiben. Traditionelle Buchverlage sollen in diesem neuen
Geschäftsfeld zu den Content-Lieferanten der Zukunft
werden.
Als Content wird bezeichnet,
was "Inhalt" einer Website sein kann, d.h. Texte,
Bilder, Grafiken, Datenbanken, interaktive Komponenten, etc.
Commerce, d.h. Handel mit diesem Content, bezeichnet dessen
geschäftsmäßigen Vertrieb zwischen zwei
Partner, die sich über den Preis des Contents
nicht immer in monetärer Form einigen konnten.
Eine Spielform des neuen Geschäfts mit digitalem
Content ist das auch im Rundfunk praktizierte, alte Reprint-
oder Nachdruck-Prinzip, das nun als Content Syndikation
seine Wiederauferstehung erlebt. Unter Content Syndikation
versteht man die Bündelung von Inhalteangeboten und
deren Übermittlung in digitaler Form zwecks
Mehrfachverwertung. (
1)
An einem Syndikations-Deal sind mindestens zwei Partner
beteiligt: Content-Anbieter, Content-Verwerter und
gegebenenfalls als dritter Player Zwischenhändler, sog.
Content Broker, die als Dienstleister die Anbieter (Verlage,
Nachrichtenagenturen, etc.) mit den Nachfragern (Websites)
verbinden.
Pioniere auf dem Gebiet des
elektronischen Publizierens waren große
wissenschaftliche Fachverlage wie
Elsevier,
Wolters-Kluver,
Springer
Verlag Heidelberg
oder
Academic Press, die
ihre
wissenschaftlichen Publikationen seit Beginn der 90er Jahre
online publizieren und über eigene oder fremde Portale
vertreiben. Aber auch Nachrichtenagenturen verbreiten seit
langer Zeit ihre Meldungen in elektronischer Form und
agieren im populären Content-Geschäft als
Lieferanten an kommerzielle Websites aller Art. Seit einiger
Zeit treten auf dem Content-Markt Zeitschriftenverlage wie
die Tomorrow
Internet AG
(Verlagsgruppe Milchstraße) sowohl als Produzenten,
Syndikatoren und als Verwerter auf, indem sie ihre digital
produzierten Print-Magazine als Content-Quelle für
eigene und andere Websites anbieten und verwenden. Auch
einige Buchverlage sind bereits in das
Syndikationsgeschäft eingestiegen und vertreiben ihre
Inhalte in eigener Regie an kommerzielle Sites. So
beteiligte sich der Falken Verlag an der
Cocomore
AG, die
verlagseigene Inhalte aufbereitet und vermarktet. Zu den
Kunden gehört u.a. das Portal wissen.de.
Der Gräfe und Unzer Verlag beliefert das Portal
www.gesundheitscout24.de
und die Verlagsgruppe Holtzbrinck betreibt die
General-Interest-Site www.xipolis.de.
Grund für die
verstärkten Aktivitäten ist der enorme Bedarf nach
Inhalten im Internetzeitalter. Derzeit existieren weltweit
über 2,5 Millionen Business-Websites, von denen etwa
70% englischsprachig sind.(
2)
Diese Websites sind die Kunden der Syndikatoren. Jeder
Anbieter im Netz will ein möglichst attraktives Angebot
präsentieren, durch topaktuelle Inhalte seine Site
für seine Community anziehend gestalten, die
Kundenfrequenz erhöhen und dadurch die entscheidende
Differenzierung vom Mitbewerber bewirken. Auf zwei Wegen
kann die Contentbeschaffung erfolgen, einerseits durch teure
Eigenproduktion in unternehmenseigenen Redaktionsteams oder
andererseits durch den Zukauf von Zweit- und
Drittverwertungen bereits bestehenden Contents, der
Syndizierung. Content-Syndikation hat folglich primär
nichts mit Verlagswesen zu tun, sondern verdankt seine
Relevanz der Tatsache, daß sich die vielen
Business-Sites voneinander unterscheiden müssen. Als
Kriterium bleibt oft nur der Service in Form von
Informationen zu den angebotenen Produkten.
Hier
liegt
die Chance für
Verlage, denn gerade sie besitzen dringend gesuchte,
langjährige Expertise im traditionellen
Content-Geschäft in Printformat und ein umfangreiches
Bündel an Autorenrechten. Vor allem populäre Sach-
und Ratgeberthemen wie sie von Falken, Gräfe und Unzer,
Südwest oder Thieme/Trias erfolgreich in Buchform
vertrieben werden, sind für Websites hervorragend
geeignet und eröffnen neue Perspektiven, sich auf dem
Electronic Publishing-Markt als Content-Anbieter zu
positionieren. Doch gemeinhin denken Verlagsleute vom
ursprünglichen Produkt her und gehen bei der
Betrachtung des Electronic Publishing-Marktes a priori von
einem zumindest buchähnlichen Gegenstand (E-Book, etc.)
aus, den die zukünftigen Kunden mit ihren Inhalten
füllen werden und der ein komplementäres Angebot
zum traditionellen Buch darstellt. Nicht so die
Internetindustrie, die sich von einer an physische Objekte
gebundenen Content-Produktionsweise seit langem gelöst
hat. Für sie ist Content kein linear strukturiertes
Produkt mit Seitenzahlen, Kapitelunterteilung o.ä.,
sondern besteht aus mobilen, beliebig kombinierbaren
Modulen. Um dieser Sichtweise mit den passenden Produkten zu
begegnen, ist in der Verlagsbranche ein radikaler
Umdenkprozeß nötig, der vielerorts erst begonnen
hat.
Content Commerce gibt
Verlagen die Gelegenheit, in einem dynamischen Markt mit
bereits vorhandenen Medieninhalten durch Zweit- und
Drittverwertungen Gewinne zu realisieren. Das Kundenspektrum
ist ebenso vielfältig wie die individuell verschiedene
Content-Strukturen und Anforderungen der Verwerter, die
aufgrund verschiedener Strategiemodelle unterschiedliche
Nachfrage-Typologien generiert haben. Entsprechend staffelt
sich der jeweilige Bedarf an externem Content. Die Skala
reicht vom eigenen Einsatz einer internen Online-Redaktion
(benötigt sehr wenig externen Content) bis hin zur
kompletten Belieferung durch externe Content-Syndikation mit
entsprechend hohem Bedarf an aktuellen und attraktiven
Inhalten aus externen Quellen.
In den letzten Jahren
standen bei kommerziellen Websites noch mehrheitlich
allgemeine und thematische Agenturmeldungen im Vordergrund,
doch nun werden von Verwertern verstärkt Provider mit
hochqualitativen Inhalten nachgefragt. Und der Handel mit
Content gilt als Geschäftsfeld mit attraktiven
Wachstumsraten. Jupiter
Communications, eine
der drei größten Internet-Marktforschungsfirmen,
erwarten auf dem US-amerikanischen Content-Markt bis 2004
mehr als eine Verzehnfachung der direkten
Lizenzgebühren:
"Jupiter estimates
that direct licensing fees amounts to $126 million in
1998 and will grow to $1.5 billion in 2004. These figures
do not include shared advertising, commerce, paid content
revenues or revenue made on shared advertising space.
Also excluded is the portion of publishers licensing
expenditure retained by content
brokers...."(
3)
Ähnliche Aussagen
wurden nach der Bekanntgabe der europaweiten Kooperation
zwischen dem Syndikator iSyndicate
und derBertelsmann
AG im September 2000
für das zukünftige Geschäftsfeld gemacht. Die
Schätzungen für den europäischen stehen nur
unwesentlich hinter denen des amerikanischen Marktes
zurück:
"Some industry insiders
say the global market for syndication and related
technical support services totals some $4 billion a year
and could be 10 times as big within five years. In
Europe, say people close to the iSyndicate deal, the
market is expected to grow to as much as $800 million by
2005 from an expected $200 million this
year."(4)
Eine Studie des deutschen
Content-Syndikation-Marktes wird im Januar 2001 erscheinen
und erstmals die Größe des hiesigen
Entwicklungspotentials
ermitteln.(5)
Verlagscontent ist schon
heute Teilmenge einer breiten Angebotspalette der
Content-Holder. Verlage haben damit attraktive
Geschäftspartner sowohl für Zwischenhändler
(Broker) als auch für Verwerter. Das Angebot wird von
Verlagen teilweise in Eigenregie angeboten oder an Broker
abgetreten. Gerade Content-Broker können Verlagen
wesentliche Dienste bei der Vertreibung des eigenen Contents
bieten, etwa durch Nachfragebündelung, Rights Clearing,
technische Dienstleistung und Marketing. Damit erhöht
sich die Markt- und Markenpräsenz der einzelnen Verlage
erheblich, da die Inhalte von einem breiten Kundenspektrum
wahrgenommen werden.
Wie jedes Geschäft
erfordert auch Content Commerce eine strikte Planung
entsprechend der Kundenanforderungen. Deren Wünsche an
Datenformat, Informationstiefe und Aufbereitung sind
entscheidend, nicht die ursprünglichen Spezifika des
eigenen Produkts. Diese Sichtweise fällt Verlagen
bislang noch sehr schwer, und ihre Angebote an dem
Content-Markt sind noch wesentlich durch die Produktform
Buch beeinflußt, wie man an den Prototypen der
verschiedenen E-Books ersehen kann.
Contentanbieter können
ihre originären Inhalte in zwei grundlegenden
Handelsmodellen vermarkten:
Entweder durch den Verkauf
direkt an den Rezipienten mit gängigen
Business-to-Consumer-Geschäftsmodelle (B-to-C), d.h.
Vertrieb von Inhalten an Internet-User auf dem
Online-Publikationsmarkt. General-Knowledge-Sites wie
www.wissen.de
blieben bislang jedoch ebenso wie Internetzeitschriften mit
und ohne Printanbindung (Bsp.:
netzeitung.de,
salon.com
oder der Online-Dienst der Süddeutschen
Zeitung) erfolglos
darin, von ihren registrierten Nutzern Gebühren zu
erheben. Der Endkunde und Internetuser ist bislang kaum
bereit, für die Nutzung von Websites und damit
verbundenem Content-Zugang zu
zahlen.(6)
Zwar sind die User als Rezipienten auf der ständigen
Suche nach hochqualitativen Informations- und
Unterhaltungsangeboten, aber nur sehr spezifische Angebote
sind im Internet kostenpflichtig (v.a. Pornographie).
Hieraus resultiert derzeit ein relativ geringes
Marktpotential für B-to-C-Content-Handel.
Anders ist die Situation im
Business-to-Business-Handel (B-to-B), dem Vertrieb von
Inhalten an Unternehmen. Hier liegen die Chancen der
Syndikation. In diesem Bereich gilt Content als kritischer
Erfolgsfaktor bei der Realisierung der individuellen
Online-Ziele, die wegen der zunehmenden Bedeutung des
Internets immer höher gesteckt werden. Allerdings
gehört für die Verwerter die Eigenproduktion von
Content als einzige und teure Alternative zur externen
Beschaffung bei der Mehrzahl der Player nicht zu den
Kernkompetenzen. Hieraus resultiert ein attraktives
Marktpotential für den B-to-B-Content-Vertrieb
über diverse Kanäle. Inhalte werden dabei extern
produziert, distribuiert und in diverse Websites
eingebunden. Analog zu den klassischen Medien lassen sich
die Teilnehmer des Online-Syndikationsmarktes in
Content-Anbieter, -Broker und Verwerter gliedern,
wobei ein Player auch mehrere Rollen einnehmen kann. So
stehen den Content-Anbietern (Nachrichtenagenturen, Verlage,
Online-Dienste etc.) die Contentverwerter (B-to-C-,
B-to-B-Portale, Corporate Websites, E-Commerce-Sites)
gegenüber. Häufig werden den Verwertern die
Content-Angebote gebündelt von Zwischenhändlern
angeboten, die teils anbieterabhängig
(Tomorrow
Internet AG,
iSyndicate Europa in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann AG)
oder anbieterunabhängig (4content,
Tanto,
iSyndicate
Inc.)
agieren.
Der Rezipient
schlußendlich nutzt das Content-Angebot im Internet im
individuellen Umgang mit dem Medium.
Die Renaissance des
Syndikationskonzepts im Internet beruht auf der besonderen
Eignung des Mediums für das Konzept, vor allem der
Einfachheit der Vervielfältigung und des Transports der
Syndikationsobjekte, der Modularität, dem
Linearitätsbruch der Contentmodule und der großen
Anzahl der potentiellen Provider und Verwerter. Die
Marktteilnehmer gehen dabei mit unterschiedlichen
Erwartungen an den Content Handel heran. Ausschlaggebend ist
der Endkunde (Internet-User), der Sites mit attraktiven
Inhalten präferiert, allerdings nur über eine
begrenzte Zeit zum Surfen bzw. Medienkonsum verfügt und
nur wenige unterschiedliche Websites/Monat besucht. Ihm ist
an attraktiven Inhalten gelegen, die der Nutzer ohne
Rücksicht auf Marketinganstrengungen oder Markennamen
sucht. Sein Verhalten ist daher der Schlüssel für
die Strategie der Websites, die sich durch hochwertigen
Content möglichst attraktiv präsentieren
müssen, wollen sie nicht ihre
Page-Impressio n-Rate
gefährden.
Content-Anbieter
wiederum kämpfen mit hohen Kosten der Inhalteerstellung
sowie den oben angedeuteten Schwierigkeiten des
B-to-C-Vertriebs der eigenen Inhalte. Durch Einschalten
eines Content-Syndikators können die Transaktionskosten
gesenkt werden. Die Syndizierung des eigenen Contents
würde zusätzliche Erlöse zu Grenzkosten gegen
Null und zahlreiche Einsparpotentiale wie Verzicht auf
eigene Redaktionsteams, breites Angebot, reduzierte
Suchkosten, etc., bedeuten. Hinzu kommt aus Verlagssicht die
Erhöhung der eigenen Brand-Awareness durch die
Plazierung des eigenen Logos auf vielen hochwertigen
Websites. Content-Verwerter möchten zur Adressierung
der User-Anforderungen hochwertige Inhalte einkaufen, die
Erstellung desselben gehört allerdings i.d.R. nicht zu
den Kernkompetenzen der Website-Betreiber. Durch
Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen sowie
Steigerung des Nutz- bzw. Erlebniswertes der eigenen Site
steigert sich durch Einbindung fremdproduzierter
Content-Module Traffic und
Kundenbindungsvermögen.
Verlage
verfügen dabei über ein einmaliges Vermögen.
Im Gegensatz zu Nachrichtenagenturen (tagesaktuelle
Agenturmeldungen) oder Zeitschriftenverlagen (schnell
produzierte Zeitschriftenartikeln) können sie durch den
hohen Redaktionsaufwand und die Qualität der Autoren
und Printprodukte über Inhalte mit hoher Halbwertszeit,
sogenanntem Evergreen Content, anbieten. Kommerzielle
Websitebetreiber sind bereit, für exklusive und
spezialisierte Inhalte mit einem "Need to
know"-Charakter zu bezahlen. Vor allem Fach- und
Ratgeberverlage besitzen mit ihre Verlagsrechten einen
nahezu unerschöpflichen Fundus an Content, der
passend formatiert kommerzielle Websites über lange
Zeiträume mit Content versorgen kann und für
zahlreiche Verwerter von langfristigem Interesse ist. Das
Rechtebündel für Online-Verwertungen der Verlage
(so sie es denn besitzen) stellt deren größtes
Asset dar. Gefragt sind nun innovative und schnelle Schritte
der technischen Bereitstellung dieses Contents, vor allem
durch Content Management Systeme auf allen
Produktionsebenen.
Der
rechtliche Aspekt der Syndizierung ist jedoch noch nicht
hinreichend geklärt, auch wenn Verlage Inhaber der
Rechte sind. Für den elektronischen Handel mit Inhalten
gibt es noch keine allgemeinen Richtlinien. Das
europäische Urheberrecht geht von einem gedachten Band
zwischen dem Autor bzw. Schöpfer und seinem Werk aus.
Dieses kann praktisch nicht durchschnitten werden, da immer
nur das Verwertungsrecht und nicht das Urheberrecht verkauft
werden kann. Das angelsächsische Copyright wird
hingegen als Eigentum wie an einem physischen Gegenstand
gesehen. Es ist somit frei übertragbar und kann auch
kumuliert werden. Die meisten der Reformvorschläge
wollen die Rechte der großen
Copyright-Inhaber/-Kumulierer stärken und die der
Kreativen zurückdrängen. Sowohl der
Digital
Millenium
Copyrights
Act,
der von der Clinton-Regierung 1998 vorgelegt wurde, als auch
der Copyright Treaty der WIPO
(World Intellectual Property Organization) 1996 gesteht den
großen Kumulierer, d.h. auch den Verlagen,
größere Rechte zu. Auf diesem Gebiet sind noch
viele Grundsatzentscheidungen offen. Verlage, die heutzutage
bei der Internetnutzung von Schriftwerken sicher gehen
wollen, sollten sich möglichst umfangreich die Rechte
für die angestrebte Nutzung des Werkes im Internet
einräumen lassen.
Der
Syndikationsmarkt existiert im Internet bereits seit Anfang
der neunziger Jahre. Als Best practice-Beispiele dienen
besonders die Nachrichtenagenturen wie
dpa
oder Reuters.
Sie verwenden das XML-basierte NITF(News Industry Text Format) das im Herbst 1999 von der
Newspaper Association of America NAA
und der IPTC,
einer Dachorganisation der Nachrichtenagenturen in Europa,
entwickelt wurde. Neben den traditionellen Agenturen
beherrschen einige große Contentsyndicatoren aus
Amerika den Markt: iSyndicate,
Screaming
Media,
YellowBrix
und NewsEdge,
die teilweise börsennotiert sind. Newsedge konzentriert
sich vorwiegend auf Nachrichten und den sogenannten
"current awareness"-Markt, Screaming Media etwa
syndiziert auch Feuilletons und längere Artikel. In
Deutschland agieren die
Content-Broker 4content (Hamburg), Tanto
(München)
und Contonomy
(München). Ihre Geschäftsmodelle lehnen sich eng
an die amerikanischen Vorbilder an und unterscheiden sich
nur graduell voneinander.
Derzeit befindet sich der
Syndikationsmarkt in einer sehr frühen
Entwicklungsphase, so daß sich noch keine
standardisierten Preis- bzw. allgemeine Business-Modelle
herausgebildet haben. Schwierigkeiten bereitet noch die
Preisfestlegung für Content, da die Grenzkosten der
Mehrfachverwertung quasi gegen Null gehen und so kein
traditioneller Rahmen von Aufwand/Ertrag vorliegt. Auch
verfügen Content-Anbieter bislang über geringe
Markterfahrung und tun sich daher schwer, Standardpreise
festzulegen. Auf der anderen Seite können nur wenige
Content-Verwerter ein dezidiertes Content-Budget vorweisen,
das Planungssicherheit vermitteln würde. Hohe
Transaktionskosten bei der Content-Bereitstellung sowie die
geringe Markttransparenz bedingen das Fehlen von allgemein
akzeptierten Marktpreisen.
Hinzu kommt, daß im
Internet im Unterschied zur Offline-Syndikation neben Cash
und Werbung eine Vielzahl weiterer Zahlungsmittel
existieren, etwa Barter-Deals ("content vs. traffic"),
Lizenzzahlungen ("flat fee") oder "pay per click".
All diese unterschiedlichen Zahlungsweisen zwingen die
Vertragspartner im Contentmarkt zu sehr individuell
verhandelten und kaum vergleichbaren
Geschäftsabkommen.
Der Content-Broker 4content
aus Hamburg arbeitet beispielsweise ausschließlich auf
Provisionsbasis und vertreibt die Content-Objekte i.d.R. zu
monatlichen Festpreisen. Dabei kann eine Anpassung des
Basispreises an steigende Reichweiten durch prozentuale,
marktübliche Aufschläge abgebildet
werden.
Bsp: 10 Wirtschaftsmeldungen
täglich; monatlicher Basispreis: 1500 .-DM
Page Impressions /
Monat
|
bis 0,5
Mio.
|
0,5 bis 1
Mio
|
1 bis 5
Mio
|
5 bis 10
Mio
|
Ab 10
Mio
|
Faktor
|
1
|
1,5
|
2
|
2,5
|
3
|
Weiterhin sind eine
Anpassung der Preise an spezielle Vertragsbestimmungen (z.B.
mit/ohne Markenauftritt) bzw. die Einräumung von
Rabatten bei Abnahme mehrerer Content-Objekte
möglich.(7)
Dabei ist eine relativ hohe Einflußnahme auf die
Vertriebsaktivitäten von 4content gegeben. Die Anbieter
entscheiden über die Bereitstellung, Verkaufspreise,
Kundenausschluß u.v.m. Bei Heranziehung eines Brokers
sind bei allem Geschäftserfolg die Margen gering, da
30-70% des Erlöses beim Broker bleiben.
Die Anatomie eines
individuellen Syndikationsdeals ist darüber hinaus
stark durch die Marktstellung der beiden Partner sowie die
Einzigartigkeit der Inhalte geprägt. Ausschlaggebend
ist jedoch die individuelle Content-Strategie: Die Anbieter
lassen sich abhängig von der Marktstellung und
Markenstärke (Top Brand vs. "No Brands") und der
Einzigartigkeit ihrer Inhalte ("Commoditized" vs.
"Specialized") in drei Klassen
differenzieren:(8)
- Silent Partner:
"No brand", geringe Markenstärke, basaler
Inhalt;
Business-Modell: Content gegen Cash, Beispiel:
Regioservice,
vertreibt u.a. ein Reisplanungstool.
- Traffic Seeker:
Markenstärke und Inhaltequalität im
Mittelfeld, Business-Modell beruht auf Verbreitung der
Inhalte auf Seiten mit "starker Marke". Beispiel:
Associated
Press.
- Franchise Holder
("Top brand", große Markenstärke,
spezialisierter Inhalt; Business-Modell: Content gegen
Traffic und/oder Cash), Beispiel:
Disney,
Wall
Street Journal,
Handelsblatt
Während sowohl die Top-
als auch die No-Brands primär cash-motiviert sind,
spielen kurzfristige Lizenzerlöse bei Traffic Seekern
nur eine untergeordnete Rolle. Premiumverlage gehören
in den meisten Fällen zu den Franchise-Holdern, die
ihre spezialisierten Inhalte gegen Cash vermitteln und
darüber hinaus eine möglichst weite Verbreitung
ihrer Marke anstreben, um Synergieffekte mit dem
Buchgeschäft zu erzielen. Aber auch Verlage mit
geringer Markenstärke und interessantem Content
können als Silent Partner im Syndikationsgeschäft
erfolgreich sein.
Eine grundlegende
Implikation des frühen Marktstadiums ist die mangelnde
Reife der eingesetzten Technologien bzw. die geringe
Verbreitung von Standards. Daher liegen die Probleme
für Verlage als Contentlieferanten vor allem auf
technischem Gebiet, denn zahlreiche Inhalte liegen bei den
Anbietern noch gar nicht onlinefähig vor. Zumeist
werden in den relevanten Verlagen Quark
Express-Dokumentformate verwendet, die sich nicht ohne
technischen Aufwand in internetfähige Formate wie XML
umwandeln lassen. Und nur in den wenigsten Verlagen wird ein
professionelles Content Management System (CMS) eingesetzt,
das von Beginn an sowohl Print als auch Onlineverwertung
unterstützt. Viele Verlage setzen hierzu
selbstentwickelte Bild-Text-Datenbanken ein. Eine fehlende
Trennung von Inhalt und Layout sowie mangelnde
XML-Kompatibilität zieht geringe Datenflexibilität
nach sich. So können bislang die wenigsten Verlage dem
Syndikationsmarkt entsprechende Metadaten liefern, da ihr
Fokus auf Angeboten in Printform liegt. Dieser Fokus
verhindert auch die Aufbereitung in kleinteilige, beliebig
kombinierbare Content-Modulee oder Info-Bits, wie sie von
Websitebetreibern und dem Endkunden nachgefragt
werden.
Hinzu kommt die mangelnde
Verbreitung eines allgemein akzeptierten
Syndikationsstandards wie etwa dem ICE-Protokoll
(Information
and Content Exchange)
oder WDDX (Web
Distributed Data Exchange).
Die größte Hürde zwischen Content-Anbietern
und Content-Verwertern bzw. Brokern liegt in der Frage der
Datenformate und Übertragungsprotokolle. Die dafür
auf Seiten der Verlage notwendige Technologieanpassung wird
zunächst eine signifikante Investition mit sich
bringen.
Ist das Technologieproblem
gelöst, stellt sich die Frage nach den
Vertriebsstrukturen. Der Aufbau einer eigenen
Inhouse-Syndikationsabteilung würde hohe zeitliche und
finanzielle Aufwendungen erfordern. Ferner verlangt der
verlagseigene Vertrieb von Content ein detailliertes
Monitoring der Nutzungsumgebung, damit der Content auf
inhaltlich passenden Sites erscheint und das Image des
Verlages nicht beschädigt (bspw. Inhalte eines
Premium-Ratgeberverlags auf Pornographie-Sites) wird. Der
Ausweg, eigenen Content mit Hilfe sog. "white
labelling" ohne die verlagseigene Marke anzubieten,
schmälert wiederum deren Verbreitung. Und zu bedenken
gilt auch die drohende Beliebigkeit des Contents als
"most precious asset" des Verlages, da durch dessen zu
breite Vermarktung die Exklusivität auch der
Printprodukte verloren geht.
Der Trend auf dem
Contentmarkt entwickelt sich in letzter Zeit weg von
Allerweltsinformationen hin zu speziell auf die jeweiligen
Kundenbedürfnisse angepasstem "custom made
content", der bedarfsgerecht angefertigt wird. Dieser
Umstand treibt die Kosten bei den Anbietern weiter nach
oben, da nicht mehr auf die vorhandenen Module
zurückgegriffen werden kann. Eine solche
Maßfertigung kann auch ein externer Syndizierer auf
lange Sicht nicht leisten. Denkbar sind ganz neue
Geschäftsmodelle wie Redaktionsteams, die als
Dienstleister zwischen Anbieter und Verwerter fungieren.
Eine Aufgabe, die auch Verlage übernehmen
könnten.
Die
Ansprüche an Buchverlage im Hinblick auf Datenformate
und Vertriebsstrukturen werden aus den obigen Punkten
deutlich: Potentielle Kunden fordern von Verlagen
medienneutralen Content in XML-Format aus kompatiblen
Content Management Systemen. Gefordert ist in Zukunft auch
die frühzeitige Abstimmung der Programmplanung mit den
neu entstehenden Vertriebskanälen. Wie bei
Buchclubausgaben können Verlage bereits im Hinblick auf
die Internt-Marktbedürfnisse programmplanerisch
agieren.
Letztendlich
bieten sich Verlage aufgrund ihres Medien- und
Inhalte-Know-Hows als jene Schaltstellen an, die heute
Content-Broker wie iSyndicate, 4content oder Tanto
einnehmen. Verlage können gleichermaßen
Content-Anbieter und Syndikatoren sein, sich
zusammenschließen und ihren Autorenpool für
maßgefertigte Contentproduktion nutzen. Nur ihrer
eklatanten technischen Rückständigkeit ist es zu
verdanken, daß Verlage die ihnen traditionell
zukommende Mittlerfunktion verloren haben und ihre
Medienkompetenz, ihre Autorenkontakte und Expertise im
Rechtehandel nicht nutzen.
Aber
auch Content-Verwerter haben mit Schwierigkeiten zu
kämpfen. Sie sind grundsätzlich an möglichst
individuellen, zum eigenen Webangebot passenden Inhalten
interessiert. Dem gegenüber steht der Wunsch der
Verlage, Content zu produzieren, der in möglichst
vielen Distributionskanälen verwendet werden kann und
auch eine möglichst hohe Zahl an Abnehmer findet.
Ergebnis ist eine geringe Exklusivität des Contents,
der per definitionem für eine maximale Zahl an
Verwertern passen sollte und daher selten unmittelbarer
Bezug zu den Webinhalten jener Site besteht, auf der der
syndizierte Content steht. Überdies tritt eine
potentielle Marken-Kollision zwischen Content-Lieferant und
eigenen Produkten auf, wenn Content mit dem Ursprungslabel
auf die Site gestellt wird. Aus diesen Gründen ist die
Mehrwertschaffung für den Content-Verwerter und der
Nutzen für die Endkunden nicht immer
gewährleistet. Auf zahlreichen Sites ist syndizierter
Content zu finden, der vom eigentlichen Produkt mehr ablenkt
als echten Mehrwert darstellt. Daher bestehen Verwerter
häufig auf einer Exklusivitätsklausel. Den
Verlagen oder Broker verwehrt diese allerdings, im
Verwertungsgeschäft "economies of scale" zu
erreichen und ein wesentlicher Vorteil für den
Content-Provider, das Labelling auf tausenden Websites, geht
damit verloren.
Im Contenthandel scheint
trotz der dargestellten Probleme ein erhebliches
Gewinnpotential zu liegen und Content-Syndikation steht erst
an ihrem Anfang. Noch haben die Player in erster Linie
andere Webanbieter im Auge. Aber es ist nur eine Frage der
Zeit, bis die Grenzen zwischen Online- und Offline-Welt
verschwinden und die Syndikatoren Content für alle
denkbaren Interessenten nicht nur im Internet anbieten. Der
steigende Bedarf läßt neue Kooperationsstrukturen
entstehen, Syndikatoren arbeiten heute bereits mit freien
Redaktionsteams, die mehrere hundert Freelancer umfassen.
Zukünftig verkaufen Zwischenhändler an alle jene,
die Content haben wollen und greifen dabei auf jenen
riesigen Content-Pool zurückgreifen, den
Web-Redaktionen, Tageszeitungen, Agenturen, Wochenmagazine,
Fachverlage und andere tagtäglich schaffen.
Reine Texte machen fast 95%
der syndizierten Inhalte aus. Die angekündigte
Breitbandtechnolgie wird die Übertragung von
audiovisuellem Internet-Content ermöglichen und damit
für ganz neue Publikationsformen sorgen, wie dies heute
bereits in wissenschaftlichen Zeitschriften der Fall ist.
Noch bleibt Syndikation heutzutage häufig bei
Nachrichtentexten stehen, doch damit sind die Potentiale des
Internets noch lange nicht ausgeschöpft. Die Zukunft
für Verlage wird in der Vermarktung der Inhalte auf
eigenen Verwertungsplattformen liegen, sobald hierfür
in technischer Hinsicht qualitativ hochwertige
Voraussetzungen geschaffen sind. Dann ist durch
Kombinationen mit anderen, audiovisuellen Werkarten ein
neuer Grad der Verwertungsintensität zu erzielen. Die
Grenzen zwischen Online und Offline verschwimmen -
Syndikation ist ein Thema weit über die Grenzen des
Internets hinaus.
Überträgt man das
System der peer-to-peer-Musiktauschplattform
Napster
auf die Verlagsbranche werden die Dimensionen deutlich, in
die der Content-Markt bei Etablierung eines Standards wie
MP3
und einer benutzerfreundlichen Rezeptionstechnologie
hineinwachsen wird. Nicht nur der Vertrieb an kommerzielle
Sitebetreiber ist dann lukrativ, sondern auch das
B-to-C-Geschäft. Verlage und Websites können
fragmentierte Zielgruppen bedienen, die mit keinem anderen
Medium zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten erreichbar
wären. Auch die klassischen Buchclubs gehen diesen Weg,
wie Bertelsmann in den USA recht erfolgreich mit mehreren
Dutzend Special-Interest-Sites demonstriert.
Entscheidend für den
Markterfolg wird Qualität und Bekanntheitsgrad der
entsprechenden Anbieter sein. Hier haben Verlage durch ihre
bekannten Marken, hochqualitativen Content und ihre hohe
Kompetenz einen entscheidenden Marktvorteil, der genutzt
werden will.
Michael
Meier
Leitung Presse und PR
Verlagsgruppe Falken
Schöne Aussicht 21
D-65527 Niedernhausen
Ins Netz gestellt am 11.12.2000.
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